Maurice Jarre, Elliot Goldenthal, Patrick Doyle – die drei Männer, die den diesjährigen Festabend des World Soundtrack Awards (WSA) am 12. Oktober im belgischen Ghent prägten. Jarre wurde für sein Lebenswerk ausgezeichnet, Goldenthal sahnte in den beiden wichtigsten Kategorien ab und Doyle stand im Mittelpunkt des Konzerts.
Zum 30. Mal fand das Filmfest von Flandern nun statt, und wie immer spielte die Filmmusik mehr als nur eine Nebenrolle. Der WSA wurde zwar erst zum dritten Mal vergeben, aber der Preis und die Veranstaltung gewinnen langsam, doch deutlich spürbar an Profil und Professionalität. Die WSA-Academy, die sich nach dem Hans-Zimmer-Konzert im Jahr 2000 zu formieren begann, hat mittlerweile mehr als 180 Mitglieder – allesamt in der Welt der Filmmusik hauptberufliche Tätige, darunter etliche namhafte Komponisten.
Der Publikumspreis ging wie schon im Vorjahr an Howard Shore – nach dem ersten Lord-of-the-Rings-Score erwies sich nun auch der zweite Teil, The Two Towers, als unbezwingbarer Fan-Favorit. Was wohl im kommenden Jahr den Publikumspreis erringen wird …?
Als Entdeckung des Jahres wurde der junge Brasilianer Antonio Pinto (Cidade de Deus • City of God) ausgezeichnet – erfreulich, dass das erste Wort in „World Soundtrack Awards“ hier einmal ernst genommen wurde; denn sonst dominiert natürlich auch in Ghent die amerikanische und europäische Sicht der Dinge. Als „Discovery of the Year“ waren außerdem nominiert: Benoit Charest (Les Triplettes de Belleville), Reinhold Heil & Johnny Klimek (One Hour Photo) und Brian Tyler (Children of Dune), der beim Talk im Foyer von vielen als Favorit angesehen worden war.
Der Neuentdeckung des Jahres 2002, Klaus Badelt (s. Bild re.), gehörte dann für ein paar Minuten die Bühne. Er war gebeten worden, einige seiner Lieblingsarbeiten aufzuführen, besser: aufführen zu lassen. Solche Lieblingsarbeiten habe er allerdings noch gar nicht geschrieben, witzelte Badelt; die einzige Produktion, die ihn mit Stolz erfülle, sei seine zweijährige Tochter. Angemessene Bescheidenheit? Selbstironie? Fishing for compliments? Wie dem auch sei – das Belgische Nationalorchester unter Dirk Brossé spielte eine kleine Suite aus The Time Machine (das stark Goldsmith-inspirierte Hauptthema fehlte jedoch), ein Adagio aus Ned Kelly und ein Ein-Minuten-Stückchen aus Pirates of the Carribean, das es schaffte, gleichzeitig blechern zu klingen und hölzern zu wirken. Ein Witz, aber kein guter.
Um den Preis für den besten Song waren in diesem Jahr – aufgrund einer Punktegleichheit im Nominierungsverfahren – sechs statt fünf Beiträge im Rennen. Die Statue ging schließlich an U2 für „The Hands That Built America“ aus Martin Scorseses Gangs of New York, wobei sich natürlich kein U 2-Bandmitglied nach Ghent verirrt hatte. Außerdem waren nominiert: „Gollum’s Song“ (aus The Lord of the Rings: The Two Towers, Musik: Howard Shore), „Burn It Blue“ (aus Frida, Musik: Elliot Goldenthal), „Jungle Rhythm“ (aus Jungle Book 2, Musik: Paul Grabowsky), Eminems Oscar-Gewinner „Lose Yourself“ (aus 8 Mile) und „Nothing in This World“ (aus The Quiet American, Musik: Craig Armstrong).
Dann schlug die große Stunde für Elliot Goldenthal (s. Bild li.), und das gleich zwei Mal. Nach dem Gewinn des Golden Globes und des Oscars überraschte es natürlich niemanden, dass seine Musik zu Frida auch den WSA für die beste Original-Filmmusik gewann. Überraschender war da schon, dass Howard Shore für Gangs of New York ebenso nominiert war – obwohl in dem Film lediglich eine Konzertkomposition Shores auftaucht und keine Minute Originalmusik zu hören ist. Die Statuten der WSA-Academy sind da wohl korrekturbedürftig. Nominiert waren auch noch John Williams’ catch me if you can, Philip Glass’ The Hours und Thomas Newmans Road to Perdition.
Neben dem Preis für die beste Original-Musik verleiht die WSA-Academy auch noch eine Auszeichnung für den „Soundtrack Composer of the Year“. Was schon im vergangenen Jahr galt, gilt noch immer: Diese Kategorie macht so keinen Sinn. Das würde sie nur, wenn wirklich die Jahresproduktion der Komponisten betrachtet würde. Stattdessen wird immer nur ein Score pro Komponist herangezogen. Nun, auch in dieser Kategorie gewann der in Ghent gern gesehe Goldenthal – seine Statuen erhielt er übrigens aus den Händen des deutschen Komponisten Peer Raben und des Filmregisseurs Neil Jordan. Goldenthal, der dem Filmfestival von Flandern nun schon das dritte Mal einen Besuch abstattete, dabei die Stadt (vor allem ihre Bierkneipen) offenbar sehr ins Herz geschlossen hat, bedankte sich für die Preise „in aller Bescheidenheit“: Man müsse nur die Werke Mozarts und John Coltranes anhören, um zu begreifen, wo der eigene Platz in der Musikgeschichte sei.
Dann ging es zumindest um Filmmusikgeschichte. Nachdem der Preis für das Lebenswerk 2002 in einer abstrusen Anwandlung der Jury an George Martin gegangen war, traf es diesmal einen Komponisten, der zwar nicht von allen Kennern der Szene als Meister angesehen wird, aber doch unstrittig ein halbes Jahrhundert Filmmusik mitgestaltet hat: Maurice Jarre (s. Bild re.). Die französische Schauspiel-Legende Jeanne Moreau ehrte und herzte ihren 79-jährigen Landsmann, und die beiden ließen in Anekdoten ihre Pariser Theaterzeit der 50er Jahre aufleben. Ein kurzer musikalischer „Tribute to Maurice Jarre“ folgte: Das Belgische Nationalorchester versuchte sich zunächst an der Ouvertüre zu Lawrence von Arabien, was sowohl Blechbläser als auch Schlagwerker vor größere Hürden stellte. Dann folgte das unvermeidliche (wieso eigentlich unvermeidlich?) Lara-Thema aus Dr. Zhivago, der Walzer aus Paris Brule-t-il schloss das WSA-Zeremoniell ab.
Den zweiten Teil des Abends bestritt das Orchester unter Dirk Brossé gemeinsam mit Patrick Doyle (s. Bild u.). Der schottische Komponist war schon in den vergangenen Jahren regelmäßig zu Gast in Ghent, als Referent in Seminaren ebenso wie als Preisträger. Doyle präsentierte repräsentative und unterhaltsame Auszüge aus seinem Schaffen – wobei sich sein eigenen aktiver Beitrag auf amüsante Randbemerkungen zu den jeweiligen Filmen und ihre Musik begrenzte. Die neun Stücke zeigten vor allem den Melodiker Doyle in gutem Licht – sicherlich die starke Seite dieses Komponisten.
Den Auftakt machte die Ouvertüre aus seinem wohl besten Score Much Ado About Nothing, ein farbiges und wunderbar schwungvolles Stück, wobei die wackligen Blechbläser den Ohren einige Gewalt antaten. Es folgten ein sauber dargebotenes Stück aus dem elegischen Indochine und „St. Crispin’s Day“ aus Doyles erster Filmmusik, Henry V. – ein Score, dessen dramaturgische Qualitäten die musikalischen allerdings übersteigt. Von Shakespeare zu Jane Austen und den klassizistischen Klängen aus Sense and Sensibility. Doyle bedankte sich so für die Inspiration: „Thank you, Mozart. And, please, forgive me.“ Nach einem kurzen pastoralen Auszug aus seinem aktuellen Score Calendar Girls ging es zu Frankenstein – wohl aufgrund des Bombasts ein Fanfavorit, wenn auch sicher nicht die größte Stunde des Komponisten. Doyles kurze Einführung: „A monster movie, and a monster score for monster musicians.“ Die belgischen Musiker schlugen sich bei der furiosen Schöpfungs-Sequenz aus dem Film denn auch recht wacker. Überzeugend gelang anschließend auch die „Elegy“ aus Carlito’s Way, das Herz dieser Musik und das überzeugendste Stück eines Stückwerk-Scores. Das melodische Können Doyles zeigte sich auch noch einmal in den beiden abschließenden Musiken: dem Thema aus Une Femme Francaise und „My Thoughts Be Bloody“ aus Hamlet. Viel Applaus für einen charmanten und sympathischen Komponisten am Ende eines langen Filmmusikabends.
Ronald Rinklef (Fotos)
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