Die Wirkung von Musik auf Film. Anmerkungen von Stephen Warbeck
Über die Wirkung von Musik auf Film sprach Oscar-Gewinner Stephen Warbeck (Shakespeare in Love, Captain Corellis Mandoline) zu Beginn des zweiten Seminartags in Ghent. Grundsätzliche Ausführung wolle er nicht machen, räumte der Engländer gleich ein, sondern einfach seine praktischen Erfahrungen schildern.
Als er an Shakespeare in Love (1998) arbeitete, wurde ihm 10 Tage vor dem Aufnahmetermin eine neu überarbeitete Schnittfassung geschickt. Warbeck (s. Bild re.) sah sich den Film an, ganz ohne Musik, und ihm ging durch den Kopf: „Es ist toll.“ Der Film habe hervorragend ohne Musik funktioniert. Er, Warbeck, habe panisch reagiert, auch wenn die Geschichte bekanntlich für ihn äußerst erfreulich – mit einem Oscar – endete. Musik, so die Schlussfolgerung, sei eine Konvention im Kino, sie gehöre dazu, aber das rechtfertige noch nicht ihren Einsatz. Oft werde zu viel für einen Film komponiert. Man müsse daher genau herausfinden: Wo ist Musik notwenig und warum?
Es gehe darum, den Schlüsselmoment eines Films zu finden, und auf diesen dann musikalisch zuzuarbeiten. Die Musik müsse die Psychologie dieser Schlüsselszene erklären, ihre Emotionalität vermitteln. Aber die Grundlage dazu müsse schon im Drehbuch vorhanden sein – nur das könne Musik dann herausarbeiten oder verstärken. „Man kann nichts komponieren, was nicht im Film angelegt ist“, betonte Warbeck. Wenn man das doch versuche, werde es schnell kontraproduktiv, könne sogar ins Lächerliche abgleiten. Merksatz eines Filmkomponisten: „Die Schlüsselstelle eines Films finden und für die den richtigen Ton.“
Oft funktioniere das, was man für eine bestimmte Szene geschrieben habe, in einer anderen besser, berichtete Warbeck. Für eine Spannungsszene in Captain Corelli’s Mandoline (2001) habe er eben eine typische Spannungsmusik geschrieben. Regisseur John Madden habe aber vorgeschlagen, das Liebesthema zu verwenden. Siehe da: „Der Kontrast hat viel mehr bewirkt.“
Ein wunderbares Beispiel dafür sei auch Nicola Piovanis Musik zu La Vita E Bella • Das Leben ist schön (1997): „Im Prinzip besteht der Score aus nur einem einzigen Thema, sehr schön, sehr eingängig, und das wird immer wieder gespielt, egal ob die Passage im Film hoffnungsvoll oder verzweifelt ist. Die Musik bleibt einfach sie selbst, ist das Konstante. Piovani folgt nicht jeder Stimmungsschwankung, und das schafft spannende Kontraste.“
Manchmal werde die Wirkung von Musik von äußeren Einflüssen geschmälert: „Man hat eine phantastische Musik geschrieben, und dann kommen die Soundeffekte. Manchmal wäre es klüger, nur eines in einer Szene zu verwenden, Musik oder Toneffekte.“ Eine Gefahr sei auch, Musik zu schreiben und dabei bereits auf eine kommerzielle CD-Veröffentlichung zu schielen: Das könnte zu Brüchen in der Musik führen.
Eine Anekdote erzählte Warbeck (s. Bild li.) von seinem aktuellen Film Birthday Girl (2002) mit Nicole Kidman. Es geht um einen Mann, der sich aus dem Internet per Mailorder eine russische Braut zulegt. Die Musik funktioniere als „das Kraftwerk seines Gehirns“. So weit, so gut – zur Aufnahme erschien Anthony Minghella, Oscar-gekürter Regisseur von The English Patient und einer der Executive Producers des Films. Minghella hörte sich ein Stück Warbecks an und fragte: „Was soll diese Musik an dieser Stelle?“ Das konnte er in einfachen Worten nicht erklären, sagte Warbeck. Es sei ein furchtbarer Moment gewesen. Er habe dann nach einer anderen musikalischen Lösung gesucht und in seiner Verzweiflung über das Fragment eines Songs, den er als 15-Jähriger geschrieben hatte, improvisiert. „In zehn Sekunden Frustration habe ich was besseres geschrieben als in der ganzen Zeit davor.“ Anthony Minghella arbeitet regelmäßig mit Gabriel Yared zusammen, der seine Musik zum Teil bereits zum Drehbuch komponiere. Der Regisseur „lebe“ quasi für lange Zeit mir der Musik, gewöhne sich an sie, drehe sogar zu ihr. Da habe die Musik dann wirklich eine große Wirkung auf den Film, sagte Warbeck. Aber immerhin, Minghella habe auch ihn zu einem guten Stück Musik provoziert. Und was er noch aus der Geschichte gelernt hat: „Man kann die Berechtigung von Musik nicht in Worten ausdrücken.“ Da bestehe die Gefahr, zu intellektuell zu werden – und Filmmusik sei in erster Linie ein emotionales Echo.
Ronald Rinklef (Fotos)
Fanfare, Applaus und Kopfschütteln: Verleihung der World Soundtrack Awards 2002