Flanders International Film Festival Ghent 2002: George & Georges

Geschrieben von:
Magdi Aboul-Kheir
Veröffentlicht am:
7. November 2001
Abgelegt unter:
Special

Filmmusik-Konzert in Ghent

Ein Abend voll warmen Wohlklangs – zumindest, wenn es das Orchester zuließ: das diesjährige Filmmusik-Konzert zum Abschluss des Internationalen Filmfestivals von Flandern in Ghent. Der erste Teil wurde vom Engländer George Fenton bestritten, der seine laut Programm „romantischsten Scores“ dirigierte. Der zweite Teil, „Tribute to Georges Delerue“, erinnerte an den zehnten Todestag des französischen Komponisten, der zu Lebzeiten eine enge Beziehung zu dem Festival gehabt hatte.

1384Zwischen dramatischer Geste und Lyrizismus der Auftakt: eine kurze Suite aus George Fentons Oscar-nominierter Musik zu Dangerous Liaisons • Gefährliche Liebschaften (1988), dann der schwungvolle Walzer zur surrealen Central Station-Sequenz aus The Fisher King • König der Fischer (1991) – ebenfalls ein Oscar-nominierter Score. Es folgte der Höhepunkt des Fenton-Programms, Auszüge aus der Musik zu Richard Attenboroughs Liebesfilm Shadowlands (1993), drei Tracks zwischen feinem Klassizismus und romantischem Streicherteppich. Fentons handwerkliches Format, aber auch sein melodisches Talent wurde dabei mehr als deutlich. Das Belgische Nationalorchester spielte hier sauber, in anderen Teilen des Konzerts wurde aber hörbar deutlich, dass ein paar Probenstunden mehr nicht geschadet hätten.

George Fenton (s. Bild o.), ein sympathisch unglamouröser und zurückhaltender Musiker, dirigierte dann noch drei weitere Suiten: zunächst gab es flotte, nicht sehr tiefgängige Komödiennummern aus You’ve Got Mail • E-Mail für Dich (1998), dann kam mit Ever After • Auf immer und ewig (1998) klangschöne Märchenstimmung auf, die zeigte, wie farbig Fenton orchestrieren kann; schließlich sorgte Land and Freedom (1995) für einen etwas unglücklich gewählten Abschluss des ersten Teils, denn diese Filmmusik zwischen spanischer Rhythmik und minimalistischem Suspense ist in Teilen eher bildgebunden. Insgesamt aber reizvolle 40 Minuten eines sinfonischen Könners, der trotz großer Erfolge in den vergangenen 20 Jahren von Gandhi bis Anna and the King • Anna und der König nicht mehr so viele Prestige-Aufträge erhält. Abschließend spielte das Orchester Fenton ein Ständchen, denn der Engländer feierte an dem Tag seinen 52. Geburtstag.

1385Natürlich sind auch Georges Delerues Filmmusiken bildbezogen – dennoch können die besten Arbeiten des enorm produktiven Franzosen (1925-1992) trotz seiner eingeschränkten Stilpalette als autonome Musik hervorragend bestehen. Zunächst dirigierte Jean-Claude Petit (s. Bild li.), selbst hochrangiger Komponist (Cyrano de Bergerac, Retour de Mousquetaires), drei Titel: den „Valse de François Truffaut“, das emotional ausdrucksstarke Thema aus Godards Le Mepris • Die Verachtung (1963) und den herrlichen, quasi-barocken „Grande Chorale“ aus La Nuit Americain • Die amerikanische Nacht (1973), mit einem erfreulich sauberen Trompeten-Solo.

Dann übernahm der musikalische Leiter des Festivals, der belgische Komponist Dirk Brossé, den Taktstock. Gespielt wurde das hochromantische „Concerto de l’Adieu“ aus Diên Biên Phu (1992) – eigentlich ein zehnminütiger langsamer Satz, kein Konzert. Den eher aussdrucks- denn spieltechnisch anspruchsvollen Violin-Solopart spielte die 17-jährige Jenny Ardachir achtbar. Ein Dahinströmen eingängiger Musik, nicht hochkompliziert, aber emotional hoch wirkungsvoll.

Nach zwei Gesangsnummern wurde der melodische Fluss des Abends für ein paar applausträchtige Minuten unterbrochen: Die Grande Dame des französischen Films, Jeanne Moreau, erhielt den Ehrenpreis des Festivals. Über die Moreau und die anwesende Delerue-Witwe Colette wurde dann der Bogen zurück zur Zusammenarbeit von Truffaut und Delerue geschlagen. Das Konzert endete mit der Suite „Hommage à François Truffaut“, die Themen aus zehn Filmen des Regisseurs vereint, von Jules et Jim (1962) bis Le Dérnier Metro • Die letzte Metro (1980). Auch aus Tirez Sur le Pianiste • Schießen Sie auf den Pianisten (1960) wurde dabei Musik angespielt, und den Filmtitel hätte Dirigent Brossé wohl gern wörtlich genommen: Der Pianist des Belgischen Nationalorchesters murkste sich geradezu durch seinen Part, wie es überhaupt immer wieder ärgerliche Intonationsprobleme gab. Übermäßig groß war denn auch der Schlussapplaus nicht. Schade, denn es war ein Abend mit einfach schöner (und zuweilen schön einfacher) Musik.

Ronald Rinklef (Fotos)

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