Flanders International Film Festival Ghent 2002: Seminar, Teil 4

Geschrieben von:
Magdi Aboul-Kheir
Veröffentlicht am:
7. November 2001
Abgelegt unter:
Special

Sinfonischer Ansatz und moderne Technologie. George Fenton und Jeff Rona im Gespräch

1377Ein traditioneller europäischer Komponist auf der einen Seite, ein High-Tech-Scorer der Media Ventures-Schule auf der anderen: George Fenton und Jeff Rona (s. Bild li.: George Fenton [li.], Jeff Rona [re.]) unterhielten sich im abschließenden Teil des Seminars über ihre Arbeitsweisen – eine aufschlussreiche Begegnung.

Eine Beziehung zwischen Technologie und Kunst habe es schon immer gegeben, sagte Jeff Rona. Bei technischen Neuerungen sei zwar wohl kaum jemals an die künstlerische Nutzung gedacht worden – aber Künstler hätten seit je her den Fortschritt für ihre Bedürfnisse genutzt. In der Filmmusik könne man heute eben mit Bleistift und Papier arbeiten oder mit leistungsfähigen Rechnern. Rona verwies auf die Entwicklung in der Filmmusik vom Solo-Klavier neben der Leinwand über analoge Aufnahmegeräte bis hin zu elektronischen Instrumenten und digitalem Equipment – „man kann heute alles nutzen“.

1378George Fenton (s. Bild re.) stellte sich als Vertreter der „pencil & paper“-Fraktion vor. Als er angefangen habe zu komponieren, galt: Je weniger man eigenhändig Musik schreiben und orchestrieren konnte, umso weniger galt man als „richtiger Komponist“. Das habe die Filmmusik zu einer eingeengten Welt gemacht. Die moderne Technik verschaffe Menschen Zugang zur Musik, ohne eine spezielle Ausbildung zu haben. „Aber das ist keine schlechte Sache, auch wenn ich selbst zur alten Schule gehöre“, sagte Fenton.

Der 52-jährige Londoner sieht durchaus Vorteil in der Technisierung des Film Scorings: Die Unsicherheit, wie etwas wirklich klinge, sei durch Sampler verschwunden – gerade im Kontakt mit Regisseuren ein enormer Vorteil. Die Arbeit des Komponisten werde für die anderen verständlicher, der Musiker werde so wirklich Teil des Filmemacher-Teams. „Damit kein Missverständnis aufkommt, ich nütze die Technik auch. Nur nicht so viel wie Jeff Rona, und auch nicht immer die allermodernsten Rechner und Programme.“ Sein Ansatz, seine Arbeitsweise, habe sich aber trotz der Technik nicht verändert. „Wenn ich an das Orchester denke, brauche ich dazu keinen Computer, da gehe ich zurück zu Partiturpapier und Bleistift.“

Jeff Rona, 45-jähriger Kalifornier, hat einen gänzlich anderen Werdegang. Er spiele bis auf einige ethnische Flöten kein Instrument richtig gut, besitze nur rudimentäre Klavierkenntnisse: „Ich kann niemanden beeindrucken, wenn ich am Piano sitze.“ Aber in synthetischer Klangerzeugung habe er sich schon früh gut ausgekannt, und das habe seinen Werdegang geprägt: vom Synthesizerspieler zum Filmkomponisten.

Der Media Ventures-Mann, der auch bei den großen Hans Zimmer-Scores der vergangenen Jahre mitgewirkt hat (etwa an Black Hawk Down, 2001), führte aus: Sequencer helfen ihm dabei, auf mehreren Klangspuren Ideen zusammenzustellen; er besitzt Sampler mit zahlreichen Orchesterklängen und allen grundsätzlichen Spiel- und Intonationsmöglichkeiten der Instrumente. Wenn Komponisten solche Sampler bemühten, um ein Orchester zu imitieren, „klingen einige erstaunlich realistisch, einige nach Schrott“. Das habe aber in erster Linie nicht mit der Qualität der Ausrüstung zu tun, sondern: Leute, die elektronisch einen guten Sound kreieren, können erstens gut orchestrieren; und sie hören sich zweitens viel Live-Musik, aber auch Orchestermusik auf Tonträger an, beherrschen daher die richtige Abmischung. Es liege also letztlich doch alles am Können eines Komponisten.

Doch warum überhaupt ein Orchester simulieren? Zum einen vereinfache das die Zusammenarbeit mit dem Filmemacher, sagte Rona. Eine provokante These: „Wenn John Williams heute 22 Jahre alt und genauso talentiert wäre, hätte er als Papier&Bleistift-Komponist keine Chance, den Durchbruch zu schaffen.“ Gut klingende Demos verbesserten die Chancen, engagiert zu werden, und sie verbesserten das Teamwork, betonte Rona. „Regisseure und Produzenten wollen nicht ihre Phantasie bemühen, um zu wissen, wie etwas klingt. Sie wollen es einfach hören.“ Zudem könne der Komponist so spontan Änderungswünsche erfüllen und herumexperimentieren, zum Beispiel einfach per Mausklick aus zwei Takten die Blechbläser rausnehmen.

Da nickte auch George Fenton: In Hollywood müsse heute tatsächlich jeder vernünftige Demos bieten – es sei denn, es habe sich eine echte Vertrauensbeziehung zwischen Regisseur und Komponist entwickelt. Aus Selbstzweck verwende er aber niemals synthetische Klänge – sondern nur, wenn er einen spezifischen elektronischen Sound wolle, der sonst nicht zu erzeugen sei, oder es um poppig-zeitgenössische Musik gehe. „Ansonsten denke ich eben orchestral.“

1379Einen rein orchestralen Score habe er noch nie geschrieben, sagte da Rona (s. Bild re.), bei ihm gebe es immer elektronische Elemente. Er erklärte seinen Arbeitsprozess, wenn er einen Score schreibt, der Orchestrales und Elektronisches mischt. Zunächst stellt er sich eine geeignete Soundpalette zusammen: Orchestrales, Synthetisches, Rhythmus- und Melodieklänge wählt er aus seiner 100-Gigabyte-Datenbank aus. „Vor allem spezifische, ausgefallene Klänge inspirieren mich.“ Schreibt er eine orchestral dominierte Passage, beginnt er mit Klavierimprovisationen, die dann – per Sequencer – orchestriert werden. Action-Musik nimmt dagegen ihren Ausgangspunkt in Rhythmus-Tracks, über die weitere Tonspuren gelegt werden. Orchester-Stimmen arbeite Rona – am Sequencer natürlich – zu 80 bis 90 Prozent selbst aus, zum Beispiel die Teilung der Streicherstimmen. Der Orchestrator bekommt eine Diskette in die Hand gedrückt, ein paar weitere Informationen (zur Spieltechnik,. Dynamik etc.), und übernimmt dann die Feinarbeit. Rona fertigt den Click-Track an, verwandelt seine synthetischen MIDI- in Audio-Dateien; schließlich werden die künstlichen Orchesterspuren durch reale Orchesteraufnahmen ersetzt und mit der elektronischen Musik abgemischt. Da auch das beste Orchester der Welt kein Sequencer sei und nie die rhythmische Perfektion der Maschinen erreiche, mische er stets etwas von seinem synthetischen Streicher-Track in die Aufnahme der Orchesterstreicher. So erhalte er „the best of both worlds.“

Der letzte Part – das Einfügen der Orchesterstimmen – entfällt natürlich bei reinen Synthie-Scores, ansonsten sei der Arbeitsprozess der gleiche. Wichtig für Rona: Orchestrieren und Abmischen gehören zur Kompositionsarbeit. Der Toningenieur müsse nur abschließend den Gesamtklang an die Kinobedürfnisse anpassen. Der Mix für den Film und für eine Musik-CD unterscheide sich deutlich. In der Filmabmischung wird die Musikspur noch den anderen Klängen (Geräusche, Dialog) angepasst – auf CD kann sie so erscheinen, wie sie als Musik gedacht war.

Wenn Rona in einem überwiegend elektronischen Score einzelne akustische Instrumente verwendet, werden auch die in seinem Studio aufgenommen und elektronisch aufbereitet – ein Solo wird dann zum Beispiel aus mehreren Aufnahmen zusammengestückelt. „Auch wenn man das eigentlich nicht tut, ich nutzte eben gern das technische Potential“.

Ein interessanter Nebeneffekt des orchestralen Komponierens am Computer: Der Komponist berücksichtigt zuweilen nicht die physischen Grenzen realer Musiker. Es besteht die Gefahr, beim Einspielen der Tracks nicht ans Live-Musizieren zu denken, etwa an Atempausen. Ein synthetischer Trompetenton könne auf dem Keyboard schließlich problemlos eine Minute angehalten werden. „Vor allem die Bläser hassen wahrscheinlich, was Sequencer ihnen antun“, sagte Rona.

1380Noch ein paar Gedanken zu reinen Synthie-Scores: „Es gibt gute und es gibt Mist. Manchmal klingt es richtig billig, da kann man geradezu heraushören, dass es kein Budget gab.“ Wichtig sei die richtige Balance und die Größenordnung des Sounds. Auch sollten die synthetischen Stimmen stets kleinen Veränderungen unterworfen werden, etwa Hall, Klang- und Dynamikschwankungen. Je länger ein Sound gleich bleibe, umso künstlicher wirke er. Besonders ratsam: Auf keinen Fall Solo-Passagen per Samples erzeugen. Sonst werde die Künstlichkeit des Klangs ganz deutlich. Lieber eine reale Trompete oder Gitarre verwenden, betonte Rona: Ein Musiker aus Fleisch und Blut bringt mehr als fünf weitere Sequencer. Da waren Rona und Fenton (s. Bild li.: Jeff Rona [li.], George Fenton [re.]) trotz aller Gegensätze ganz sicher einer Meinung.

Ronald Rinklef (Fotos)

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