Kleine Klassikwanderung 42
„New Seasons“ — Händel für Oboe und Orchester
Albrecht Mayer, erster Oboist der Berliner Philharmoniker und weltweit gefragter Konzert-Solist und Kammermusiker, hat sich erneut die Musik eines barocken Meisters vorgenommen. Herausgekommen ist dabei ein neuer Streich in Sachen „Pasticci“, der Adaption von Originalkompositionen, hier für Oboe mit Orchester. Nach den beiden Vorgängeralben „Bach — Lieder ohne Worte“ und „Auf Mozarts Spuren“ wandelt er dieses Mal auf den Spuren Georg Friedrich Händels. Zusammen mit Andreas Tarkmann entstanden reizvolle Transkriptionen eingängiger Händelstücke — aus Opernarien, Orgelkonzerten und Kammermusik —, die mit versierter Hand erstellt und geschickt zusammengefügt dem bewährten Muster barocker Konzerte „Schnell-langsam-schnell“ folgen.
Händel, wie man ihn so bislang kaum gehört hat, sowohl zum eingehenderen Zuhören als auch zum kultivierten Abhängen tauglich. Frische im Ausdruck und Klarheit in der Artikulation kennzeichnen die Interpretationen, unpassende romantische Rührseligkeit und sonstiger Kitsch bleiben außen vor. Insofern dürfte auch die geschmackvoll adaptierte, dazu randvoll bestückte und tadellos klingende Händel-Kompilation das Zeug zum erfolgreichen Klassikalbum mit Breitenwirkung besitzen.
György Ligeti: „Clear or Cloudy“
Der österreichisch-ungarische Komponist György Ligeti verstarb im Juni 2006 im Alter von 83 Jahren in Wien. Ligeti, der 1961 mit „Atmosphères“ selbst das Darmstädter Avantgardepublikum schockierte, zählt zu den bedeutendsten Komponisten der Gegenwart. Er war kompromisslos, also durchaus ein Mann der Extreme, aber interessanterweise trotzdem der Tradition verbunden, z. B. in „Lontano“ als Meister eines Kontrapunktes, den der Hörer allerdings nicht mehr bemerkt: Jeder Spieler des für dieses Werk benötigten groß besetzten Orchesters agiert solistisch eigenständig. Was dabei im Ergebnis herauskommt, ist ein dichtes Gewebe von Klängen, die einen Klangraum bilden: eine dahinströmende, sich verändernde klangliche Masse.
Hier und in den meisten seiner Werke zeigt sich Ligeti als ein außergewöhnlicher Experimentator mit unserer Wahrnehmung klanglicher Schichtungen. Dabei wird der aufgeschlossene Hörer immer wieder mit Unerwartetem und mitunter auch mit Humorvollem überrascht. Die in Stanley Kubricks 2001 — Odyssee im Weltraum (1970) eingesetzten Auszüge aus „Atmosphères“, „Aventures“, „Requiem“ und „Lux Aeterna“ rückten seine Musik ins Bewusstsein eines breiteren (Film-)Publikums, machten ihn in gewissem Maße sogar populär.
Universal hat nun sämtliche Einspielungen von Werken des 1923 in einer Kleinstadt in Siebenbürgen (Transsylvanien) Geborenen aus dem Archiv (Decca, DG und Philips) zutage gefördert und in einer preisgünstigen 4-CD-Box zusammengefasst. Das mit rund 310 Minuten randvoll mit Musik ausgestattete Set bietet aber nicht nur Gelegenheit, die mit dem Film 2001 assoziierten Werke vollständig zu hören. Die Box ist zwar nicht komplett, aber doch eine repräsentative Werkschau des Komponisten, in Aufnahmen mit Künstlern von internationalem Rang. Die groß angelegten Orchesterwerke „Atmosphères“ und „Lontano“ sind von den Wiener Philharmonikern unter Claudio Abbado eingespielt, Pierre Boulez und das Ensemble Intercontemporain bestreiten den größten Anteil der weiteren Zusammenstellung. Somit ist die Box eine sowohl preiswerte als auch exquisite Fundgrube für Entdeckernaturen, die für Abenteuer in fantastischen Klangwelten zu haben sind.
Albenquartett von MDG „Musikproduktion Dabringhaus und Grimm“
Erzeugnisse von MDG sind bei Klassikfreunden für ihren sehr guten Klang bekannt. Aber nicht ausschließlich. Auch das Künstlerische ist hochkarätig, es steht der technischen Sorgfalt keineswegs nach. Aus deutschsprachigen Landen frisch auf den Tisch: Dieses Etikett kann man — zumindest mit einem zwinkernden Auge — dem vorliegenden Albenquartett verpassen. Sowohl Ausflüge ins 19. als auch 18. Jahrhundert stehen dabei auf dem Programm.
Zurück ins Biedermeier geht es mit der traditionsreichen „Camerata Salzburg“, die allerdings aus jungen Nachwuchskünstlern aus derzeit immerhin 24 Nationen besteht. Unter Ilan Volkov und der renommierten Pianistin Elisabeth Leonskaja bestreitet das Ensemble einen perfekt eingefangenen Live-Mitschnitt. Die zwei eher seltener zu hörenden Klavierkonzerte von Felix Mendelssohn Bartholdy werden betont kammermusikalisch, also mit klein besetzter Klangformation dargestellt. Außerdem finden sich eine Reihe Soloklavierstücke aus „Lieder ohne Worte“. Insgesamt durchweg leicht fassliche, mit leichter Hand komponierte, aber deswegen keineswegs wenig gehaltvolle Musik. Über knapp 70 Minuten eine klangschön eingefangene Momentaufnahme, entstanden 2005 während der Europatournee der Künstler im Konzerthaus Wien — übrigens ohne merkliche Live-Geräusche.
Ebenfalls in die Romantik führen Christian Zacharias als Pianist und Dirgent des OCL (Orchestre de Chambre de Lausanne). Auf dem Spielplan stehen von virtuoser Frische wie auch Spannung geprägte Interpretationen von Robert Schumanns beliebtem Klavierkonzert Opus 54 sowie zwei wesentlich seltener zu hörende Konzertstücke.
Zeitlich weiter zurück, in die Klangwelten des späten Barocks und der Klassik, führen die musikalischen Ausflüge Wolfgang Bauers, Trompete, zusammen mit dem glänzend disponierten Württembergischen Kammerorchester Heilbronn (unter der Leitung von Ruben Gazarin auf der Haydn-CD). Klanglichem Witz in Joseph Haydns Pariser Sinfonie Nr. 83 mit dem Beinamen „Die Henne“ sowie klangprächtiger Virtuosität begegnet man in den Trompeten-Concerti sowohl von Joseph als auch des jüngeren Bruders Michael Haydn. Als klanglich besonders reizvoller Kontrast zum leuchtenden Klang der in hohen Clarin-Tönen agierenden Trompete erweist sich dabei das neben einem zweisätzigen „Concertino per il clarino“ eingeschobene charmante Fagott-Concertino in Michael Haydns „Serenade“. Edle Gebrauchsmusik ist hierzu das Fazit. Dies passt jedoch ebenso auf die trotz eher schlanker Besetzung besonders strahlend daherkommenden Trompetensinfonien der Familie Hertel. Hierbei handelt es sich um zwischen etwa 1740 bis 1775 am Hofe des Herzogs Adolph von Mecklenburg-Strelitz für festliche Anlässe entstandene Musik. Formstrenges Spätbarock und die merklich elastischere sanglich-ariose Melodik der frühen Klassik stehen sich in den Werken von Vater und Sohn markant und abwechslungsreich zugleich gegenüber. In den besonders leuchtkräftigen beiden Sinfonias für drei Trompeten von Sohn Johann Christian wird Wolfgang Bauer noch von Sebastian Zech und Tobias Ziegler unterstützt. Erwähnt sei an dieser Stelle auch die bereits in der Stereo-Wiedergabe vorzügliche Klangbalance in einer überzeugend natürlich wirkenden Positionierung der Instrumente.
Sämtliche Alben sind mit einem jeweils ca. 30-seitigen, dreisprachigen (in Englisch, Französisch und Deutsch gehaltenen) Begleitheft versehen. Darin finden sich eingehendere Texte zur Musik, aber auch zu den Interpreten.
Vielleicht werden sie dereinst ja ähnlich legendär wie LIVING STEREO oder MERCURY LIVING PRESENCE, die modernen audiophilen Visionen des Teams um Werner Dabringhaus und Reimund Grimm? Höchste Klangtreue hatte sich das Independent-Label seit eh und je auf die Fahnen geschrieben. Seit einigen Jahren haben sich den vorzüglich akustisch ausgeleuchteten Stereoaufnahmen solche in einem neuartigen Surroundverfahren hinzugesellt: 2+2+2Recording. Dadurch, so verspricht MDG, werde dem vom 5.1-Kinoton Geläufigen noch das Tüpfelchen aufs i gesetzt: Erstmals wahre Dreidimensionalität und damit vollkommen natürliche Räumlichkeit sei das Resultat. Zuerst hatte man als Datenträger ausschließlich auf die DVD-Audio gesetzt, inzwischen wird die auch auf üblichen CD-Playern abspielbare und damit für den Musikfreund universeller einsetzbare Hybrid-SACD bevorzugt.
Dabei verlässt man sich nicht allein auf den Einsatz hochwertiger Technik. Stets wird z.B. der Wahl des richtigen Aufnahmeortes besonders großer Wert beigemessen. So geht es beim „MDG-Klangkonzept“ eben nicht um eher vordergründige Effektheischerei. Die jeweilige Musik möglichst natürlich und lebendig einzufangen, ist vielmehr das Ziel. Das ist die Basis, um dieses Klangerlebnis mit Hilfe der heimischen HiFi-Anlage so echt wie möglich reproduzierbar zu machen — womit sich wiederum der Kreis zu den eingangs genannten HiFi-Legenden der 1950er Jahre schließt.
Nun, bereits die allerorts verwendbaren CD-Versionen besitzen einen sehr guten, im positiven Sinne hervorstechenden Klang. Da ist in den Fällen, wo die Wahlmöglichkeit besteht, eine generelle Anschaffung der SACD-Version zu überlegen, auch um sich vielleicht erst einmal nur eine weitere interessante Wiedergabeoption für die Zukunft offen zu halten.
Dieser Artikel ist Teil unseres Spezialprogramms zum 3. Oktober 2008.
© aller Logos und Abbildungen bei den Rechteinhabern (All pictures, trademarks and logos are protected).
Mehrteilige Rezension:
Folgende Beiträge gehören ebenfalls dazu: