Kleine Klassikwanderung 26: „Eterna-Collection — Legendäre Opernaufnahmen kehren zurück“

Geschrieben von:
Michael Boldhaus
Veröffentlicht am:
31. Dezember 2005
Abgelegt unter:
Special

Kleine Klassikwanderung 26: „Eterna-Collection — Legendäre Opernaufnahmen kehren zurück.“

Sagt Ihnen das LP-Label „ETERNA“ etwas? Es handelt sich um das Klassik-Label der „VEB Deutsche Schallplatten“. Die LP-Produktion der DDR in Potsdam-Babelsberg war nicht allein darum bemüht, den inländischen Bedarf zu decken, vielmehr sollten natürlich die Produktionen zugleich als kulturelles Aushängeschild des Sozialismus ostdeutscher Prägung dienen. Entsprechend entstanden für das Eterna-Label der volkseigenen Schallplattenproduktion künstlerisch hochwertige Einspielungen. Einschränkungen infolge planwirtschaftlicher Probleme versuchte man möglichst gering zu halten. Natürlich konnte man ein LP-Produkt aus ostdeutscher Produktion immer von einem westlichen Pendant unterscheiden. Ebenso offensichtlich, wie die bescheideneren Qualitäten des zur Verfügung stehenden Papiers und Kartons der Platten-Cover, blieb dabei das Bestreben, mit westlichen Technikstandards konkurrieren zu können. So entstanden in den Aufnahmestudios in Ost-Berlin, Leipzig und Dresden (auf westdeutschen Telefunken Tonbandmaschinen) ab den frühen 1960er Jahren die ersten Stereo-Einspielungen und ab Mitte der 1980er wurde zunehmend digital aufgezeichnet. Eine DDR-eigene CD-Produktion konnte aufgrund der enormen Kosten allerdings nicht mehr realisiert werden.

Seit den 1990er Jahren erscheinen bereits viele dieser Aufnahmen bei edel in Hamburg auf dem Label „Berlin Classics“, natürlich auf CD. Dafür sind die mittlerweile ja auch in die Jahre gekommenen Aufnahmen klangtechnisch sorgfältig aufbereitet und erfreulicherweise behutsam, also ohne dabei dem Klangbild Gewalt anzutun, mit Rauschverminderer bearbeitet worden.

Seit Mitte Juni 2005 sind eine Reihe der Operneinspielungen aus DDR-Produktion neu editiert auf den Markt gebracht worden. Das besondere der neuen Ausgaben aus der so genannten „Eterna-Collection“ ist das den ursprünglichen LP-Ausgaben angenäherte Design: Sämtliche Ausgaben dieser Collection sind als moderne Digi-Pacs erschienen, versehen mit den Original-Cover-Illustrationen. Damit verfügen die Sets neben ihren musikalischen Qualitäten zusätzlich auch über Nostalgiepotential. Bei den als CD-Doppel-Sets konzipierten Gesamtaufnahmen gibt’s das komplette Libretto in Form eines — nach kurzem Eingewöhnen — sehr nutzerfreundlich auf einem klappbaren Pappdeckel aufgeklebten Begleitheftes dazu. (Klappt man den Deckel mit dem Heft nach rechts und anschließend die beiden CD-Trays zusammen, kann man das Begleitheft durchaus komfortabel, nämlich wie ein Taschenbuch, nutzen.)

In der hier präsentierten großen Auswahl aus dem derzeit erhältlichen Programm der „Eterna-Collection“ bekommt der Interessierte ein breites Spektrum aus der Welt der Oper geboten, das praktisch durchweg stimmlich und orchestral bestens besetzt ist und sowohl in der Präsentation als auch klangtechnisch nicht enttäuscht.

Da gibt’s mit „Tiefland“ von Eugen D’Albert einen interessanten Ausflug in den deutschen Verismo. D’Albert (1864-1932) war übrigens ein aus dem schottischen Glasgow stammender Sohn eines Franzosen, der in der Welt weit herumgekommen ist und sein Leben letztlich in Riga beschloss. Er war Schüler von Franz Liszt, blendender Klaviervirtuose und als Komponist ganz der deutschen Musik verbunden — sämtliche seiner Opern sind auf deutsche Originallibretti komponiert. Mit „Tiefland“ erntete er seinerzeit Weltruhm. In dieser farbig instrumentierten Oper gehen Wagner’sche Leitmotivik einher mit einprägsamer südlicher Gesangsmelodie. Da dürfte manch einer Lust auf mehr von diesem Komponisten bekommen. Wohl kaum jemand dürfte aus Georges Bizets (1838-1875) berühmter Oper „Carmen“ nicht zumindest den Toreromarsch kennen. Besagter Marsch ist nur eine von vielen eingängigen, oftmals zündenden Melodien, eines insgesamt sehr eingängigen, keine Hörprobleme bereitenden Stücks der Gattung Oper. Hier gehen melodische Treffsicherheit, funkelnde Instrumentierung und packende Dramatik Hand in Hand mit einem Gesamtergebnis, bei dem auch der Einsteiger, der sich anfänglich mit der Singstimme schwer tut, bestens beraten ist. Dass „Carmen“ zudem als Wegbereiter einer bedeutenden Modeerscheinung, des Verismo (der realistischen Oper), gilt, sei noch angemerkt. Herbert Kegel liefert eine nicht lärmende, vielmehr sehr transparent gehaltene Darstellung des Werkes, die nicht nur ein gutes Ensemble auffährt, sondern dank deutscher Übersetzung auch die Texte allgemein verständlich macht. Bei Nennung des Namens Albert Lortzing (1801-1851) denken viele sicher zuerst an das reizende Singspiel „Zar und Zimmermann“ und den berühmten Holzschuhtanz. „Der Wildschütz“ ist eine ebenfalls reizend gestaltete musikalische Komödie und gilt bei Kennern als Lortzings technisch bestes Opernwerk, ja als sein Meisterstück.

Die renommierte Staatskapelle Dresden unter ihrem langjährigen Chef, dem aus Innsbruck stammenden Otmar Suitner, geben Belege ihrer Kunst mit einer feurigen Interpretation des tschechischen National- und Bravourstücks, Smetanas „Die verkaufte Braut“ (hier übrigens erstmalig als Gesamtaufnahme verfügbar und wie auch „Carmen“ in Deutsch gesungen), einer sinnlich gefühlvollen „(Die) Entführung aus dem Serail“ Mozarts und einer mitreißenden Aufführung von Richard Strauß’ skandalträchtigem Geniestreich, der „Salome“. Nicht allein die moderne, alle Gefühlsregungen der handelnden Protagonisten psychologisierend widerspiegelnde Musik ist es, die, mal schroff-dissonant, dann wieder melodisch-sinnlich daherkommend, in dieser Darstellung besonders überzeugt. Hinzu kommt eine geradezu vorzügliche Textverständlichkeit und mit Christel Goltz (•1912) in der Titelrolle die Begegnung mit einer der ganz großen, legendären Interpretinnen dieser Rolle. Modest Mussorgskys „Boris Godunow“ ist besonders in seiner Urfassung ein harmonisch kühnes, seiner Zeit weit vorauseilendes Werk. Aber selbst die vom Freund Rimski-Korsakoff (um das Werk für die Bühnen seiner Zeit zu retten) mit versierter Hand geglättete Fassung vermag davon noch einen Eindruck zu vermitteln. In der Eterna-Collection gibt’s daraus einen Querschnitt zum Reinschnuppern mit dem berühmten Kammersänger Theo Adam und unter der versierten Leitung Herbert Kegels (siehe auch Avantgardist und Romantiker — der Dirigent Herbert Kegel).

Die vergleichbar renommierte Staatskapelle Berlin gibt sich ein Stelldichein mit einem Querschnitt aus Wagners „Das Rheingold“, einer Maßstäbe setzenden Gesamtaufnahme aus dem Jahr 1965 von „Der fliegende Holländer“ (mit Dietrich Fischer-Dieskau als Holländer, Fritz Wunderlich als Steuermann und Rudolf Schock als Erik), die von Franz Konwitschny (1901-1962) — ebenfalls ein legendärer Dirigent der DDR — leidenschaftlich und temperamentvoll dirigiert ist. Jetzt erstmalig zugänglich ist der noch aus Beständen des NS-Reichsrundfunks stammende 1944er „Rigoletto“ (als Gesamtaufnahme), klangtechnisch natürlich „nur“ in Mono, aber ansonsten in erstaunlich guter, frischer Verfassung und zudem in Deutsch gesungen. Bei diesem klingenden Tondokument hat man Gelegenheit, Heinrich Schlusnus (1888-1952), einen der bedeutendsten Baritone seiner Generation in einer seiner Glanzrollen zu hören — der Opersammlern sicherlich geläufige Robert Heger dirigiert.

Ob nun Christel Golz, eine Salome mit Stahl in der Stimme, die schlank ausgeführte „Carmen“ unter Kegel: von D’Albert, Bizet über Lortzing und Mozart bis Verdi und Wagner ist für (fast) jeden Geschmack etwas im Sortiment der Editionen der „Eterna-Collection“. Dank vorzüglicher künstlerischer und gut bis sehr gut und teilweise vorzüglich klingender Aufnahmen gilt im Zusammenwirken mit guter Produktpräsentation und günstigem Preis ein entsprechendes Fazit wie bei den vergleichbaren Serien „Living Stereo“ und „Mercury Living Presence“: Der Käufer kann beim Erwerb nicht wirklich etwas falsch machen.

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