The Adventures of Robin Hood (CD)

Geschrieben von:
Michael Boldhaus
Veröffentlicht am:
13. Dezember 2003
Abgelegt unter:
CD

Score

(6/6)

Ouvertüre

Zu den schönsten romantischen Abenteuerfilmen, die man aus dem Fundus des „Golden Age“ zutage fördern kann, zählt The Adventures of Robin Hood (1938). In den deutschen Kinos und auch im TV ist der Film bislang überwiegend unter dem bekannteren deutschen Verleihtitel Robin Hood, König der Vagabunden gezeigt worden. Für die jetzt auch auf dem deutschen Markt erschienene DVD-Special-Edition zum 65. Jubiläum hat sich Warner für den 1:1 übersetzten Originaltitel, also für Die Abenteuer des Robin Hood entschieden.

Der Film

Im zuerst von William Keighley inszenierten und später von Michael Curtiz übernommenen Film zeigt sich die Traumfabrik in Hochform und von ihrer besten Seite. Hier stimmt praktisch alles. Ausgehend von einer äußerst gelungenen Bearbeitung des behutsam modernisierten klassischen Legendenstoffes wird mit Maid Marian und Robin zugleich ein wichtiges Kinomodell für Held und Heroine geliefert, das auch heutzutage noch funktioniert — man denke hier beispielsweise an Titanic (1995). Errol Flynn ist ein jugendlich-frischer Action-Hero, der nicht nur zupackend, sondern zugleich mit vielen flapsigen Sprüchen agiert, und die junge, hübsche Olivia de Havilland ist seine charmante Partnerin. Hierbei sollte sich der heutige Betrachter von den inzwischen natürlich harmlos-schüchtern wirkenden Annäherungen und eher keuschen Rendezvous nicht irritieren lassen. Abgesehen davon, dass mittelalterliche Love Stories rasch völlig unglaubwürdig werden, wenn zu modern gestylt wird, es gar fix und unverhohlen „zur Sache“ geht, handelt es sich hier natürlich eindeutig sichtbar um einen Film aus einer anderen Zeit. Wer hier (einen Hauch von) Patina attestieren möchte, darf dies gerne tun, sollte aber dabei den zeitlosen und zugleich nostalgischen Charme dieser romantisch-sensiblen Love Story nicht übersehen. Für den also, der nicht ausschließlich auf „zeitgemäße Äkschen“ im Bruckheimer-Stil fixiert ist, gibt es hier einiges zu entdecken.

Da findet man nicht allein ein gutes Drehbuch und überzeugende Dialoge. Für einen Film dieser Zeit wird eine ungewöhnliche Anhäufung von mit Geschick und Inszenierungskunst rasant gestalteten Action-Szenen geboten. So der Überfall in Sherwood Forest, wo sich Robin Hoods Männer originellerweise an lianenähnlichen Gewächsen von den pittoresken Bäumen hinab auf Sir Guy of Gisbourne und seine Mannen herab schwingen — lustigerweise handelt es sich hier um „typisch englische“ Schauplätze in Kalifornien. Und ebenso sehenswert sind die virtuosen (ebenfalls modern aufgepeppten) Schwertkämpfe. Hervorstechend ist hier das finale Duell zwischen Robin und Sir Guy, wo auch die expressionistischen Schatten der Kämpfenden eine wichtige Rolle spielen. Ebenso brillant ist das große Bogenschützenturnier, in dem es Robin eindrucksvoll gelingt, den Pfeil des besten der Mitbewerber zu spalten.

Zweifellos geht ein großer Teil der guten Wirkung auch auf die durchweg optimale Besetzung zurück. Errol Flynn und Olivia de Havilland agierten bereits zuvor zusammen in Flynns Hollywood-Debüt Captain Blood (1935) — zu dem ebenfalls Erich Wolfgang Korngold die Musik schrieb — und in The Charge of the Light Brigade (1936). Mit Robin Hood avancierten beide übrigens zu einem charmanten Hollywood-Traumpaar, das in einer Serie von Filmen zu sehen war, z. B. in Dodge City (1939) und They Died with Their Boots On (1942). Und der 29-jährige, noch jugendlich-frische Errol Flynn wurde mit The Adventures of Robin Hood endgültig zu Warners Zugpferd in Sachen Action-Kino. Innerhalb seiner Karriere gehört dieser Film zu seinen besten und ist damit unverzichtbarer Teil jeder repräsentativen Werkschau. Alan Hale verkörperte den „Little John“ nicht nur in dieser Verfilmung des Stoffes, er wurde zugleich zu einer Art Weggefährte Flynns, dem er als Partner auch in weiteren Filmen zur Seite stand.

Das perfekte Gegenstück zu den Lichtgestalten Flynn und de Havilland bilden Claude Rains als Prince John und Basil Rathbone als Sir Guy of Gisbourne — beides hervorragende Theatermimen. Und von den anderen Darstellern seien hier noch zwei genannt, welche die komödiantischen Aspekte der Story bereichern: Eugene Pallette als Bruder Tuck und Melville Cooper als Sheriff von Nottingham.

Dabei ist noch eine weitere wichtige Attraktion bislang ungenannt geblieben: das seit 1935 einsatzfähige 3-Streifen-Technicolor-Verfahren. Dieses ließ das Kino-Opus zum wahrhaft märchenhaft leuchtenden Paradebeispiel für Farbe im Kinofilm werden. Eine damals sehr kostspielige, aber zugleich auch sehr kluge Entscheidung, da so die aufwändigen Sets, die stimmungsvollen Naturszenen und ebenso die edlen Kostüme erstklassig zur Geltung kommen. Der typische, den alten Meistern nachempfundene Gemälde-Touch des alten Technicolors und auch die oftmals attestierte „Farbenglut“ verleihen (nicht nur) den Aufnahmen im Sherwood Forest besonderen Charme und Reiz. Im ausgiebigen Zusatzmaterial der DVD-Edition kann man nachvollziehen, wodurch: die Natur präsentiert sich einmal in vielfältig prachtvollen Herbstfarben, aber ebenso in leuchtendem Grün — hier zeigt die DVD originellerweise, wie dafür Teile einiger Sets künstlich „begrünt“ werden mussten.

Zweifellos ist The Adventures of Robin Hood kein auf historische Authentizität abzielender Film: geschichtliche Fakten sind nämlich wenig bis gar nicht berücksichtigt. Weder war König Richard der edle und gerechte Herrscher noch war sein Bruder Prinz John einfach nur der intrigante Schurke. Und Maid Marian ist gar eine erst im 16. Jahrhundert hinzugedichtete Figur, um dem schon damals der Legende gespannt lauschenden Publikum eine Liebesgeschichte offerieren zu können.

Das Drehbuch der 1938er Verfilmung ist eine gelungene Mischung aus Balladen, Fabeln und Legenden um die historisch nicht gesicherte Figur des Robin Hood, gewürzt mit einer Prise aus Walter Scotts „Ivanhoe“. Eine fantasievolle Geschichte, die in einem idealisierten und klar romantisierten Mittelalter angesiedelt ist. Und die brillante Inszenierung lässt dabei keine Gelegenheit aus, virtuos mit satten Farbwirkungen zu spielen: So trägt Maid Marian in praktisch jeder Szene ein andersartig gestaltetes prächtiges Kostüm. Und der Wunsch nach möglichst viel Abwechslung und scharf voneinander abgesetzten Farben spiegelt sich auch in der (historisch unhaltbar) leuchtend vielfarbig gehaltenen Bekleidung der einfachen Leute — hierzu siehe auch Ivanhoe.

Das mit 1,6 Millionen $ angesetzte und schließlich mit 2 Millionen $ tatsächliche Budget machte das Opus zum bis dahin teuersten Warner-Film. Die damaligen Kinoeintrittspreise von 10 bis 25 Cent — die „Nickels“ — verdeutlichen im Vergleich zu heute die beachtliche Dimension …

Robin Hood als Lebensretter

Die Entstehung der Filmmusik ist für sich ebenfalls eine Abenteuergeschichte, allerdings keinesfalls eine, die märchenhaft oder gar romantisch genannt werden kann. Der hervorragende Essay vom renommierten Korngold-Biografen Brendan G. Carroll im Begleitheft von CD- und DVD-A-Ausgabe der erstmals vollständigen Einspielung des Scores macht die hochdramatischen Umstände eindringlich und überaus eindrucksvoll nachvollziehbar.

Korngold war bereits 1934 zum ersten Mal nach Hollywood gekommen. Seine erste Filmmusik entstand für die Warner-Produktion A Midsummer Night’s Dream (1935). Anschließend vertonte er, zwischen Wien und Hollywood pendelnd, Captain Blood (1935), Anthony Adverse (1936), einige Fragmente für The Green Pastures (1936), The Prince and the Pauper (1937) und Another Dawn (1937). Im Mai 1937 war er nach Wien zurückgekehrt, um an seiner 5. Oper „Die Kathrin“ weiter zu arbeiten, die im Frühjahr 1938 an der Wiener Staatsoper uraufgeführt werden sollte. Doch dazu sollte es nicht mehr kommen. Die aus jenen Tagen erhalten gebliebenen Korrespondenzen belegen, dass sich der Komponist bereits mit der Robin-Hood-Legende befasst hatte, um im Vorfeld des eigentlichen Produktionsauftrages Informationen zum Stoff zu sammeln. Bereits zu diesem Zeitpunkt ist er von seinem Vater, dem berühmten Musikkritiker Julius Korngold angeregt worden, ein heroisches Trompetenthema aus seiner Ouvertüre „Sursum Corda“ zu verwenden.

Am 22. Januar 1938 (am selben Tag, als die Post-Produktionsphase für The Adventures of Robin Hood begann) traf bei den Korngolds ein Telegramm aus Hollywood ein, dass seine Frau Luzi ihm erst am selben Abend, während eines Konzertbesuches, zeigen konnte: „Können Sie innerhalb von 10 Tagen in Hollywood sein, um die Musik für Robin Hood zu komponieren?“ Die politische Atmosphäre hatte sich im Europa jener Tage bereits erkennbar verdüstert, auch wenn nur wenige Weitsichtige ahnten, was noch alles passieren würde. Korngold gehörte zwar nicht zu Letztgenannten, empfand aber das telegrafische Angebot als „Omen“ und wurde darin vom Direktor der Staatsoper, Dr. Eckmann, bestärkt. So machte er sich mit seiner Frau und dem jüngeren Sohn George unverzüglich auf nach Hollywood.

Damals war das wahrlich eine Reise in eine andere, sehr ferne Welt, mit der man nicht wie heute durch täglichen Informationsaustausch verbunden war. Und abgesehen von Randerscheinungen in den Metropolen, war der „American Way of Life“ im Bewusstsein breiterer Bevölkerungsschichten — soweit überhaupt bekannt — eher eine märchenhaft-diffuse Utopie, denn etwas, über das verlässliche Informationen vorlagen. Auch die Entfernungen erschienen erheblich größer, obwohl sie natürlich damals wie heute absolut gesehen identisch geblieben sind. Dafür muss man sich vor Augen halten, dass seinerzeit allein schon Grenzübertritte innerhalb der europäischen Staaten zeitraubende, mitunter auch schikanöse Prozeduren waren.

Am 25. Januar machte man sich per Auto über eisige Straßen auf nach Le Havre. Bevor die Korngolds an Bord des Schiffes nach Amerika gingen, traf noch ein Telegramm von Vater Julius ein, in dem dieser seinen Sohn nochmals an „Sursum Corda“ erinnerte …

Die Überfahrt nach New York verlief im wahrsten Wortsinn „stürmisch“, und per Bahn erreichte man am 7. Februar 1938 Pasadena. Ein komfortables Haus am Toluca-Lake-Distrikt, ganz in der Nähe der Warner Studios wurde angemietet und Korngold und seine Frau machten sich wenig später auf, um den Film ein erstes Mal in Augenschein zu nehmen. Angesichts der vielen Actionpassagen war der Komponist schlichtweg entsetzt und verfasste wenig später einen behutsam formulierten Brief an den Produzenten Hal B. Wallis, in dem er darlegte, warum er nicht in der Lage sei, diesen zu 90% aus Action bestehenden Film zu vertonen.

Kurz darauf überschlugen sich fast drehbuchreife Ereignisse. Am 12. Februar klingelte das Telefon und die Korngolds erhielten die Mitteilung (der österreichische Kanzler) Schuschnigg sei auf Hitlers Berghof in Berchtesgaden. Fast parallel klingelte es an der Tür und Leo Forbstein, Chef des Warner Musikdepartments, betrat mit den bestimmenden Worten „Erich, sie müssen es machen!“ das Haus. Unter dem unmittelbaren Einfluss der niederschmetternden Nachricht aus der fernen Heimat ließ sich Korngold umstimmen und vereinbarte, die Arbeit am Vertonungsprojekt versuchsweise in Angriff zu nehmen — dabei wollte er keinen Kontrakt (!), sondern arbeitete auf der Basis wöchentlicher Bezahlung.

Am 15. März erfolgte der so genannte Anschluss Österreichs an das Dritte Reich. Den noch in Wien verbliebenen Familienmitgliedern gelang in buchstäblich letzter Sekunde die Flucht in die Schweiz — im letzten Zug, mit dem Reisende Österreich ohne Sondergenehmigung verlassen konnten. Und während dieser schicksalsschweren Wochen und bangen Tage der Ungewissheit um die Sicherheit seiner nächsten Angehörigen, erarbeitete Erich Korngold seine herrliche, inspirierte Musik zu The Adventures of Robin Hood — in einer Gesamtzeit von rund sieben Wochen. Später sagte er hierzu: „Robin Hood hat mir das Leben gerettet.“ Aber das blieb nicht alles, dieses Mal hatte das Schicksal für ihn ein Happy End im Gepäck: Es wurde sein zweiter Oscar.

Die Filmmusik von Erich Wolfgang Korngold

Hört man die jetzt dank John Morgan & William Stromberg erstmalig vollständige Einspielung, präsentiert sich diese Komposition als breit orchestraler, temperamentvoller, geradezu exemplarischer Swashbuckler-Score. Insgesamt entstanden (inklusive einiger kleinerer nicht im Film verwendeter Teile) knapp 80 Minuten äußerst farbiger, komplex gestalteter Musik. Eine von den äußeren Umständen völlig unbelastete, oftmals geradezu spritzig-humorvolle Komposition, die meisterhaft dem Ablauf der rund 100-minütigen Filmhandlung folgt. Die Orchestrierung der Partitur besorgten übrigens Hugo Friedhofer und Milan Roder.

Korngold-Biograf Brendan G. Carroll steuert im Booklet vorzügliche Informationen zum Hintergrund dieser Korngold-Komposition bei. Sein „Listening Guide to the Score“ ist eine erstklassige analytische Betrachtung, die dem Hörer wertvolle Hilfestellung gibt. Carroll ermittelt inklusive der prachtvollen Set Pieces, wie das dezent archaiisierende „Banquet at Nottingham Castle“ und das ebenso festlich-pompöse „The Archery Tournament“ insgesamt 15 Themen und weitere sechs Nebenthemen, mit denen Korngold seine Musik gestaltete. Die Hauptrollen in der reichhaltigen thematisch-motivischen und auch kontrapunktischen Arbeit spielen das fanfarenartige Trompetenmotiv für Robin Hood, das Liebesthema für Robin und Maid Marian sowie der lustige, den Film eröffnende, tänzerische Marsch für Robin Hood und seine Männer.

Keinesfalls handelt es sich hier um eine historisierende Filmvertonung, die in irgendeiner Art Rózsa vorwegnimmt. Korngold scheut sich nicht auf die Form des Walzers zurückzugreifen — bei dem sogar noch keck ein Saxophonpart hervorlugt. Und so erhält das mittelalterliche Fest im Wald von Sherwood Wiener Charme des 19. Jahrhunderts verliehen, was in Bezug auf die Zeit der Filmhandlung natürlich vergleichbar anachronistisch ist wie die Walzer in „Der Rosenkavalier“ von Richard Strauss.

Im Vergleich mit den Kompositionen für Konzert und Opernbühne sind — nicht nur bei dieser Filmmusik — keine besonderen stilistischen Veränderungen feststellbar. Korngold hat also letztlich exakt so weiter komponiert wie vorher. Sein enormes, ja geniales Gespür für musikdramatische Gestaltung und seine Konzeption von Filmvertonung als „Oper(n) ohne Worte“ erwies sich dabei als vergleichbar funktional. In vielem arbeitete er (wenn auch satztechnisch komplexer) ähnlich wie sein ebenfalls bedeutender Kollege Max Steiner: im Sinne des „deskriptiven“ Ansatzes der Filmvertonung (siehe hierzu The Treasure of the Sierra Madre) und setzt ebenso auf gelegentliches Mickey-Mousing (Tracks 6 und 7). Letzteres ist bei Korngold in ein besonders ausgefeiltes farbiges Kompositionskonzept integriert und wirkt zweifellos etwas intellektueller als bei Steiner, wobei die Klänge beider klare Verwandtschaft zeigen. Korngolds klangschwelgerisch üppiger Tonsprache muss man, ebenso wie der Steiners, eine ausgesprochene Nähe zu den Tondichtungen von Richard Strauss (besonders zum „Till Eulenspiegel“ und dem „Don Juan“), und in der sinnlichen Melodik Verwandtschaft zu Giacomo Puccini attestieren — siehe auch „Puccini ohne Worte“. Und ebenso eindeutig erweist sich für beide Komponisten als richtungweisend die von Richard Wagner in seinem Opernwerk begründete musikdramatische Konzeption. Der Bayreuther Meister erarbeitete dafür prägnante quasi „auf’s Bild“ komponierte, geradezu plastische Situationsschilderungen. So ist in Robin Hood der festliche Aufmarsch der Bogenschützen Vergleichbarem in den Opern „Lohengrin“ und „Tannhäuser“ nachempfunden. Und Robins furchtloser, wuchtiger Auftritt beim Bankett auf Nottingham Castle (Track 5) — mit einem erlegten Hirsch über den Schultern — entspricht sogar fast wortwörtlich Wagners musikalischem Entwurf für den Auftritt der grobschlächtigen Riesen in „Das Rheingold“.

(Insofern schießt Brendan G. Carroll in seiner Korngold-Verehrung auch hier, wie bereits im Text zum DG-Previn-Korngold-Kompilations-Album „The Sea Hawk“, merklich über das Ziel hinaus. Die vergleichbar wichtige Rolle Max Steiners in der Entwicklung der Hollywooder Tonfilm-Standards wird mit keinem Wort erwähnt. Man muss sich dazu folgendes verdeutlichen: Korngold, der Komponist der Erfolgsoper „Die tote Stadt“ stand bei den Bossen von Warner in höchstem Ansehen und genoss außerordentliche Privilegien. Zwar wurde auch Max Steiner zweifellos ebenfalls hoch geschätzt. Steiner war allerdings als Leiter des Music-Departments total in den laufenden Studiobetrieb eingebunden und hatte damit zugleich den Rang des besten „Arbeitspferdes“ im Stall. Während Korngold pro Jahr nur maximal 2 — dazu selbst ausgewählte — Filmprojekte vertonen musste, belief sich diese Zahl bei Steiner auf das Vier- bis Fünffache.)

Grandios gelöst ist bei Robin Hood auch das Unterlegen der Filmdialoge mit Musik — eine Disziplin, die Max Steiner ebenfalls mit Perfektion zu einer sogar unverwechselbaren Spezialität ausformte. So gestaltet Korngold Robins erste nähere Begegnung mit Maid Marian als musikalischen Kontrapunkt zum eher ernsten Hintergrund des Gesprächs in welchem Robin Marian deutlich macht, dass sowohl ihr Onkel Prinz John als auch der sie begehrende Sir Guy of Gisbourne menschenverachtende Tyrannen sind, die gestürzt werden müssen. Die Musik fokussiert hier auf die sich entwickelnden zwischenmenschlichen Gefühle und so entwickelt sich diese Szene für den Zuschauer (und damit Zuhörer) zunehmend zur ersten Liebesszene des Films. Und zwar so eindringlich, dass dem Kinogänger in erster Linie das Romantisch-Warme des eher unterschwelligen Flirts anstelle des ernsten Gesprächsinhaltes bewusst wird und somit auch in Erinnerung bleibt. So betont der Komponist durch Romantisierung — im Einklang mit der prächtigen Farbfotografie — gekonnt das Märchenhafte der Filmhandlung. Entsprechend findet sich dies noch gesteigert in der großen und breit angelegten „Love Scene“ (Track 17), die in der Robin-Hood-Musik zugleich das wohl beeindruckendste Beispiel für Korngolds opernnahen Vertonungsstil ist.

Majestätisch, aber zugleich mit ironischen Untertönen versehen ist das große Finale: In „The Procession“ marschieren die als Mönche verkleideten Männer Robin Hoods, begleitet von festlichen Glockenklängen und Fanfaren zur Krönung von Prinz John, wobei natürlich wiederum „The March of the Merry Men“ verarbeitet wird. Fanfaren erklingen ebenfalls zum Einzug von Prinz John und seinem Gefolge in den Thronsaal. Aber die weihevolle Stimmung währt nur kurz, geht über in das rasante „The Battle“. Robin und Sir Guy liefern sich dabei auch musikalisch ein — kontrapunktisch elegant gesetztes — Duell („The Duel“) auf Leben und Tod, das (wie bereits oben beschrieben) auch visuell entsprechend brillant umgesetzt ist.

Die herrliche, unbeschwerte Filmmusik genoss bereits im Umfeld der Filmpremiere besondere Beachtung. Für eine Art Werbeauftritt im Rundfunk arrangierte Korngold eine rund 15-minütige Suite — für in Teilen spürbar verkleinerte Besetzung. Nur einfach besetztes Holz sowie Blech und ebenso ein von 5 auf 3 Spieler reduziertes Schlagwerk, nur eine von ursprünglich zwei Harfen kam zum Einsatz und ebenso wurden die Celesta- und die Klavierstimme zu einer zusammengefasst. In einer Live-Übertragung spielte am 12. Mai 1938 das Warner Brothers Studio Orchestra unter Korngolds Leitung und Basil Rathbone erzählte dazu die geraffte Filmstory — eine perfekte Filmwerbung und ein denkwürdiges Ereignis in Hollywood.

Die Einspielungen auf LP, CD, SACD und DVD-Audio

Für John Morgan erwies sich die Vorbereitung der Orchestermaterialien als unerwartet schwieriger und zeitraubender Job. Neben einzelnen Partiturseiten fehlten sogar ganze Stücke. Teile der Originalpartitur waren dazu während der Recording Sessions vom Komponisten mit handgeschriebenen Korrekturen derart übersät worden, dass man den Notentext nur unter größten Schwierigkeiten entziffern konnte. Hier steckt viel mühsame Detailarbeit im Analysieren der für den endgültigen Filmschnitt vorgenommenen Änderungen. Die erfreulicherweise vollständig erhalten gebliebene 1938er Originaleinspielung erwies sich bei der Musikrestauration als überaus wertvolle Referenz. Es zeigte sich, dass Korngold hier und da wenige Takte entfernt hat, um die Musik optimal dem Film anzupassen — was aber nicht zwangsläufig einer Verbesserung im Sinne eines rein musikalischen Flusses entspricht. Dementsprechend sind in der vorliegenden Einspielung auch eine Reihe kleiner Musikfragmente wieder eingefügt worden, die nie zuvor zu hören gewesen sind. Und selbstverständlich wurde die Instrumentierung wieder im Sinne des Originals eingerichtet, also verstärkt. Um die Klangbalance moderner Stereo-Aufnahmen gewährleisten zu können, wurde zusätzlich die Streicherbesetzung etwas aufgestockt. Übrigens, die bisherigen Einspielungen orientierten sich wohl sämtlich an der reduzierten Konzertfassung.

1962 erschien erstmals ein Ausschnitt der Musik auf LP: Lionel Newman dirigierte eine knapp 7-minütige Suite auf der ersten Korngold-Kompilations-LP der Filmmusikgeschichte. Charles Gerhardt spielte im Rahmen seiner LP-Serie „Classic Film Scores“ in den Jahren 1972 und 1975 insgesamt rund 16 Minuten aus The Adventures of Robin Hood ein. Und 1983 folgte Varujan Kojian mit dem Utah Orchestra und legte eine rund 43-minütige Fassung vor, die einen schon sehr repräsentativen Querschnitt bietet. Das 1996er Rhino-Doppel-CD-Album „Erich Wolfgang Korngold — The Warner Bros. Years“ präsentierte erstmals rund 9 Minuten des 1938er Originals auf Compact Disc, in sehr frischem Mono-Sound. Das Tsunami-Label folgte 1997 und widmete der Originaleinspielung sogar eine komplette CD. Zwar ist das Rauschen hier (dank CEDAR-System) geringer, dafür klingt es allerdings aufgrund offenbar zu unsensibel eingesetzter Rauschverminderungstechnologie  deutlich verwaschener, halliger und auch blecherner als auf der Rhino-Kompilation.

Jetzt, 20 Jahre nach der Kojian-Fassung, ist nun erstmals die vollständige Filmmusik auf Tonträger erhältlich. Bill Stromberg dirigiert straff, an den originalen Tempi orientiert. Die Robin-Hood-Partitur ist spieltechnisch sehr anspruchsvoll und die Moskauer sind mit hörbarer Liebe bei der Sache und ziehen sich gut aus der Affäre. Ob die zum Teil sehr schwierigen Bläserparts einem Londoner Orchester vielleicht noch etwas strahlender und damit perfekter hätten gelingen können, darüber werden die Meinungen sicherlich auseinandergehen. Ich für meinen Teil kann jedenfalls interpretatorisch — beispielsweise in „The Archery Tournament“ — keine besonders gravierenden Unterschiede zur Einspielung von Charles Gerhardt feststellen. Die Gerhardt-Aufnahme ist allerdings klanglich etwas anders ausbalanciert, sie betont die Bläser etwas mehr.

Und die Tontechnik hat das mitunter komplexe klangliche Geschehen überaus durchsichtig eingefangen. Hierbei wird nicht allein das jetzt in originaler Besetzung agierende Schlagwerk markant auf- und ohrenfällig; erstmals ist jetzt neben der Celesta auch die Klavierstimme klar vernehmbar. Und auch die gegenüber der Kojian-Fassung rund 35 Minuten mehr an Musik „bringen es“, in Form von weiteren, kompositorisch ebenso sorgfältig ausgeführten Varianten des bereits geläufigen Materials. Ein Highlight des erstklassig fließenden Höralbums ist dabei die Musik zum Bogenschützenturnier, welche die zunehmende Spannung eindrucksvoll spürbar werden lässt.

Die neueste Einspielung des Teams Morgan & Stromberg ist damit hochwillkommener und auch würdiger Ersatz für die mittlerweile 20 Jahre alte Kojian-Fassung und zugleich wohl auch ein Schlusswort im Falle des „Banditen“ von Sherwood Forest, zumindest was sein Verhältnis zu Erich Wolfgang Korngold anbelangt.

Und als klug (und damit vertretbar) umgesetzt, erweist sich der vom Chef des Labels in Teilen gewünschte Schritt hin zur Neueinspielung umsatzträchtiger klassischer Filmmusiken (siehe hierzu das Interview mit Klaus Heymann). Korngold genießt im Klassik-Bereich einiges Ansehen. So trägt die jetzt vorliegende Gesamteinspielung möglicherweise mit dazu bei, Vorurteile eingefleischter Klassik-Hörer abzubauen und für das interessante Marco-Polo-Filmmusikprojekt weitere Freunde zu gewinnen.

Neben der üblichen CD erscheint erstmalig auch zusätzlich eine SACD sowie DVD-Audio (DVD-A). Nur auf Letzterer ist allerdings — aus Platzgründen — die rund 4-minütige Musik zum originalen 1938er Kinotrailer enthalten. DVD-A und auch SACD (Super-Audio-CD) sind weitere Ableger der vielseitigen kleinen Silberscheibe, deren Siegeszug im Jahr 1983 ihren Anfang nahm. Beide neuen Audio-Tonträgerformate sind mehrkanalfähig, aber bislang kann nur die SACD (dank Multilayer-Technik) auch auf CD-Spielern — in üblicher CD-Qualität — wiedergegeben werden.

Die verstärkte Markteinführung beider Formate ist jetzt offenbar angelaufen. Wohin hier die Reise geht und ob damit nun ein echter Schritt hin zur klanglichen Vollendung des akustischen Heim-Hörerlebnisses Musik erfolgt oder eher ein neues Spielzeug für die Massen resultiert, ist m. E. im Augenblick noch nicht exakt zu sagen. Was beim Filmton, der (fast) immer „larger than life“ ist, gut funktioniert, wird beim wesentlich sensibleren Klangerlebnis Musik im heimischen Konzertsaal rasch zum verhallten, allein völlig unrealistisch aufgeblasen wirkenden Klangbrei. Zur eingehenderen Beurteilung der neuen Audio-Formate ist zunächst einmal eingehenderes Auseinandersetzen mit den unterschiedlichen Philosophien und Techniken, aber ebenso ein gewisses Quantum an Produkten erforderlich.

Von CD ist der Klang sehr klar, räumlich und dynamisch. Beim PCM-Stereoton der DVD-A fällt im Vergleich zur CD primär ein deutlicher Pegelunterschied auf: Bei der DVD-A muss man deutlich kräftiger, um rund 10 db, aufdrehen. Der Klangeindruck ist dann allerdings mit dem von der CD praktisch identisch. Wählt man die beiden Mehrkanaltonformate AC-3 und dts an, ist auch hierbei ein Pegelunterschied das markanteste Unterschiedsmerkmal. Wie oftmals im Heimvideobereich zu beobachten, ist das dts-Signal merklich lauter als sein Dolby-Pendant. Das 5-kanalige Klangfeld vermag in jedem Fall deutlich mehr zu überzeugen als Vergleichbares von herkömmlichen Dolby-Surround-kodierten CDs. Ich rate in jedem Fall dazu, zuvor die Pegelverhältnisse der Front- und Rückkanäle sorgfältig aufeinander abzustimmen. Etwas „mehr“ beim Effekt funktioniert beim Spielfilm-Sound oftmals problemlos, führt aber bei Musikwiedergabe rasch zum o. g. mit Hall unnatürlich verkleistert wirkenden Sound.

Einziges Wermutströpfchen beider Ausgaben ist die enttäuschende Gestaltung des Begleitheftes. Zwar können die Texte sämtlich als vorzüglich bezeichnet werden, allerdings findet sich nicht ein einziges Bild aus dem Film, allein einige Fotos von den Aufnahmesitzungen und der Oscar-Verleihung sind vertreten. Und das Burg-Motiv auf dem Frontcover wirkt allein schäbig-steril und vermag nun überhaupt keinerlei Assoziationen zur 1938er Verfilmung zu wecken. An dieser (im Bereich des Visuellen) schon krampfhaften Distanz zum Film, kann man den Ärger erahnen, den es im Umfeld der CD-Produktionen von Red River und All This and Heaven Too mit den Rechteinhabern der Filme gegeben haben muss. Etwas, das allein Kopfschütteln erzeugt. Nicht nur, dass das Einbauen von Filmbildern doch immer auch klar Werbung für den jeweiligen Filmklassiker bedeutet und natürlich das Nostalgiepotential einer derartigen Produktion gehörig verstärkt. Der vorliegende Fall bezeugt geradezu exemplarisch das Groteske der Situation. Wie optimal hätte man hier — die anderweitig oft beschworenen — „Synergieeffekte“ nutzen können, wie elegant (und verdient) hätten Musikeinspielung und Film-DVD hier einander gegenseitig bewerben können …

Erschienen:
2003
Gesamtspielzeit:
78:23 Minuten
Sampler:
Marco Polo
Kennung:
8.225268

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