The Virgin Queen

Geschrieben von:
Michael Boldhaus
Veröffentlicht am:
4. September 2002
Abgelegt unter:
CD

Score

(5.5/6)

Die berühmte, äußerst vielseitige und wandlungsfähige Schauspielerin Bette Davis verkörperte zweimal während ihrer Hollywood-Karriere die große britische Königin Elisabeth I. Zuerst im Jahr 1939 zusammen mit Errol Flynn in Warners Elizabeth and Essex • Günstling einer Königin und nochmals im Jahr 1955 in der 20th-Century-Fox-Produktion The Virgin Queen • Die jungfräuliche Königin (alternativer deutscher Titel Rebell Ihrer Majestät). Letzterer bleibt in seiner Wirkung jedoch trotz CinemaScope und Stereo-Sound weit hinter dem 39er Film zurück.

1939 zeichnete Erich Wolfgang Korngold für die exzellente Musik verantwortlich und komponierte einen seiner berühmtesten Swashbuckler-Scores. Die Komposition Franz Waxmans zu The Virgin Queen ist in vergleichbarer Liga spielend. Im Gegensatz zur Musik zu Prince Valiant • Prinz Eisenherz (1954), die im gewählten romantisch-lyrischen Klangidiom Korngold sehr nahe steht, ist Waxmans Tonsprache für Die jungfräuliche Königin deutlich herber und spröder. Hier zeigt Waxman sich (vergleichbar Hugo Friedhofer: siehe Broken Arrow und The Bravados) ein weiteres Mal als Bindeglied zwischen traditioneller Golden-Age-Romantik und zukunftsweisender North-Goldsmith-Modernität.

The Virgin Queen ist trotz eines breit angelegten, sehr eingängig-melodischen, stilistisch an altenglischen Lautenliedern orientierten Liebesthemas kein Swashbuckler-Score im klassischen Sinne. Die Musik ist eher kühl und modern-archaisierend gehalten und steht nicht allein in den höfischen Fanfaren Cleopatra von North und Waxmans ebenfalls modernistisch orientiertem Ausflug ins Genre Bibel-Film-Epos, Demetrius and the Gladiators (1954), nahe. Eine Filmmusik, deren zweifellos beträchtliche Qualitäten sich den allermeisten Hörern wohl erst im Laufe mehrerer Hörsitzungen erschließen dürften. Eine Mühe, die sich lohnt, bei der es manch Interessantes zu entdecken gibt.

Bereits beim ersten Hören fällt ein berühmtes Traditional auf, das der „British Grenadiers“. Dieses Marsch-Motiv wird allerdings nur als längeres Bruchstück eingesetzt, hingegen nicht (einmal!) komplett ausgespielt. In Form eines kunstvoll ausgefeilten Variationssatzes durchläuft es den Main-Title. Aber nicht nur das: Beim eingehenderen Hören erweisen sich die „British Grenadiers“ als Rückgrat des Scores, indem sie dem Hörer in raffinierten Variationen und längeren wie kurzen Fragmenten fortlaufend wieder begegnen.

Historisch gesehen „passen“ die „British Grenadiers“ nicht in die Zeit der Filmhandlung, aber vielleicht steckt doch mehr dahinter? Natürlich sind Traditionals in Hollywood oftmals in erster Linie nach dem Wiedererkennungsgrad und nicht unbedingt im Sinne historischer Korrektheit eingearbeitet worden, aber im Falle des ambitionierten Franz Waxman erscheint es mir nicht abwegig, einen raffinierten musikdramatischen Kunstgriff zumindest zu vermuten.

Die Ära Elisabeths I. begründete Englands (des späteren Groß-Britanniens) Entwicklung zur See- und Weltmacht. Eines der berühmten Machtinstrumente des British-Empire wurden die „Rotröcke“, eben die „British Grenadiers“. Im Film geht es um die Begründung von Britanniens Seeherrschaft, indem Elisabeth I. trotz Hofintrigen und unerfüllter persönlicher Zuneigung schließlich die kühnen Pläne des Seefahrers Walter Raleigh unterstützt – was der deutsche Alternativtitel Rebell Ihrer Majestät bereits ein wenig verrät. Unter diesem Blickwinkel gestattet das in vielfältiger Verwandlung fortwährend erscheinende Traditional-Fragment dem aufmerksamen Hörer einen Blick in die Britannien bevorstehende große Zukunft. Es steht damit elegant von Anfang an als fortwährend anzutreffendes Symbol für das langfristige Resultat der weit reichenden politischen Entscheidungen Elisabeths I.; etwas, von dem die Protagonisten der Filmhandlung noch nichts ahnen können …

So oder so, die Varèse-Club-Edition von The Virgin Queen ist in jedem Fall ein sehr überzeugendes Album in guter Tonqualität, ausgestattet mit einem sehr solide gemachten und informativen Booklet.


Mehrteilige Rezension:

Folgende Beiträge gehören ebenfalls dazu:


Komponist:
Waxman, Franz

Erschienen:
2002
Gesamtspielzeit:
54:37 Minuten
Sampler:
Varèse Club
Kennung:
VCL 0502 1009

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