Jón Leifs: „Geysir“, „Hafís“, „Hekla“ und „Dettifoss“
Der Isländer Jón Leifs (1899-1968) (www.jonleifs.is) nahm als 17-Jähriger während des ersten Weltkrieges in Leipzig ein Studium auf und wurde durch das deutsche Musikleben nachhaltig beeindruckt und mitgeprägt. Er lebte und wirkte anschließend, abgesehen von Konzertreisen ins Ausland, — mit seiner jüdischen Frau (!)— noch bis 1944 in Deutschland.
Vier markant-ungewöhnliche Orchesterwerke des Isländers, die typisch isländische Naturphänomene — des Landes aus Feuer und Eis — tonmalerisch entsprechend monströs in Szene setzen, stehen im Zentrum des ausgewählten BIS-CD-Quartetts.
„Geysir“ ist ein gewaltiges, ausladendes Tongemälde, das der Wucht der Naturkräfte überzeugend Ausdruck verleiht. Obwohl bereits 1961 komponiert, fand die Uraufführung erst nach dem Tode des Komponisten im Jahr 1984 statt. „Hafís“ entstand 1965 und konnte erst 1999 uraufgeführt werden. Hier handelt es sich um ein Naturporträt, das die Wucht brechenden Treibeises äußerst wirkungsvoll in Töne fasst. In „Hekla“ (ebenfalls von 1961) vertonte der Komponist einen im Jahr 1947 selbst erlebten gewaltigen Ausbruch des großen isländischen Vulkans. Hierfür dient neben dem großen Orchester noch ein gemischter Chor. „Dettifoss“ steht für einen der gewaltigsten Wasserfälle Europas im nördlichen Island. Das Werk ist für Bariton, gemischten Chor und Orchester komponiert.
Sämtliche vier Naturschilderungen beginnen mit einer sanften, langsamen Einleitung, wobei nach und nach immer mehr Instrumente hinzutreten, das musikalische Geschehen in eine gigantisch angelegte Steigerung, geradezu in einen musikalischen Ausbruch mündet. „Hafís“ ist im Unterschied zu den drei anderen Tondichtungen kein auf einen einmaligen Höhepunkt zusteuerndes Crescendo, sondern besteht vielmehr aus mehreren einzelnen, von denen ein jeder den vorherigen an Wucht übertrifft.
In den majestätischen, aber auch wilden und brachialen Tondichtungen präsentieren sich urwüchsige und kraftvolle, zugleich aber auch ungewöhnliche Klänge, die gerade die Filmmusikfreunde begeistern dürften, die es auch sonst gern bombastisch lieben. Immerhin gilt „Hekla“ sogar als die bislang lauteste Komposition der Musikgeschichte. Etwas, das auch auf die integrierten „Geräusch-Effekte“ zurückzuführen ist, die von einem besonders ungewöhnlich und eigenwillig zusammengesetzten großen Schlagwerk erzeugt werden — wobei hier unter anderem verschiedene Steine, schwere Eisen-Ketten, Sirenen, Ambosse und sogar Schüsse erforderlich sind. Der Solopauker des Isländischen Sinfonieorchesters Eggert Pálsson schildert dazu im Begleitheft ausführlich und eindrucksvoll, welch große Bedeutung das oftmals aufwändige Schlagwerk in der Musik von Jón Leifs besitzt.
Darüber hinaus spiegelt das CD-Quartett das Schaffen des Isländers recht repräsentativ wider, präsentiert dem Interessierten und Aufgeschlossenen eine Musik, bei der die Gesetze der isländischen Volksmusik einen entscheidenden Einfluss auf die Entwicklung einer sehr individuellen Tonsprache genommen haben. Leifs hat hierfür Charakteristika des „Tvisöngur“ und „Rimur“ in die abendländische Kunstmusik integriert und daraus einen national-isländischen Musikstil entwickelt, dem man Originalität und persönliche Handschrift nicht absprechen kann.
Zu seinen frühen, noch stärker der mitteleuropäischen Tradition verpflichteten Werken gehören die „Variationen über ein Thema von Beethoven“ (auf der „Dettifoss“-CD). Dies ist ein besonders leicht eingängiges Werk im in Teilen anfänglich sperrig wirkenden Œuvre des Isländers. Entstanden innerhalb des langen Zeitraumes von rund 10 Jahren (zwischen 1920-30), zeigt die Komposition zugleich eindrucksvoll die schrittweise Weiterentwicklung des Komponisten auf.
Ebenfalls zum Eingängigeren zählen die „Isländischen Volkstänze“ (Auf der „Geysir“-CD), deren Orchesterfassung in den 30er Jahren viel aufgeführt worden ist. Außerdem sind noch besonders erwähnenswert: das eigenwillige und kühne Orgelkonzert, in dessen Zentrum eine gewaltige Passacaglia steht; das gedämpft ruhige „Fine II (Abschied vom irdischen Leben)“, eine abgeklärte Musik für Streicher und Vibraphon, die mit einer in immer höhere Register — geradezu himmelwärts — aufsteigenden D-Dur-Harmonie friedlich verklingt (auf der „Dettifoss“-CD); die recht populäre, leicht zugängliche „Island-Ouvertüre“ und auch das nur knapp fünfminütige eindringlich schöne „Requiem“ für gemischten Chor a capella, komponiert als Nachruf für die Opfer eines Badeunfalls gewordene Tochter Lif (auf der „Hekla“-CD) und auch die bezaubernd lyrische Gedichtvertonung „Nótt (Nacht)“ — auf der „Hafís“-CD.
Alles in allem ein eindrucksvolles und garantiert mehrfach Unerhörtes bietendes BIS-CD-Quartett, dessen hier nicht erwähnte Stücke gegenüber den genannten keineswegs unbedeutend sind. Das Isländische Sinfonieorchester (unter den Dirigenten Anne Manson, Osmo Vänskä und En Shao) ist für alle vertretenen Werke ein kompetent und auch einfühlsam agierender Klangkörper, was ebenso für die eingesetzten Vokalisten gilt. Eine hervorragende digitale Klangtechnik hat alle Details und auch die geballte klangliche Wucht einiger der Musiken von Leifs überzeugend auf den Tonträger CD gebannt.
Mehrteilige Rezension:
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