Die Membran-Odyssee

Geschrieben von:
Stefan Schlegel
Veröffentlicht am:
30. Oktober 2004
Abgelegt unter:
Special

Sicher haben einige Cinemusic.de-Leser bereits vom deutschen Label Membran gehört, das im März 2004 insgesamt 60 CD-Duplikate von älteren US-Filmmusiken auf den hiesigen Markt geschwemmt hat, doch kaum einer dürfte die näheren Hintergründe und die rechtlich völlig dubiose Lage kennen. Der folgende kurze Bericht soll aufzeigen, welch wahrhaft halbjährige Odyssee man in Deutschland erleben kann, wenn man als engagierter Freund von Filmmusik versucht, gegen diese Art der CD-Raubkopiererei vorzugehen. Ich selbst, Kinobesitzer in einer schwäbischen Kleinstadt, und ein Freund von mir, der als Verwaltungsangestellter beim Bundeskriminalamt in Wiesbaden arbeitet — wir sind beide seit mehr als 25 Jahren passionierte Filmmusiksammler — haben inzwischen gemerkt, dass Deutschland weniger ein Rechtsstaat ist denn ein Märchenland, in dem man wie Don Quixote eigentlich gegen Windmühlen kämpft.

Die ganze Sache ging Mitte März los, als das Hamburger Label Membran, das sogar eine eigene Internetseite besitzt (www.membran.net), auf einen Schlag 60 amerikanische Filmmusiken veröffentlichte, die so gut wie alle schon in den letzten Jahren von anderen Labels herausgebracht wurden und durchweg vor 1954 komponiert worden sind — das heißt also, mehr als 50 Jahre auf dem Buckel haben. Von Erich Wolfgang Korngolds Captain Blood und The Sea Hawk, Miklós Rózsas Plymouth Adventure und Madame Bovary, Alfred Newmans Dragonwyck und Prince of Foxes bis zu Bernard Herrmanns Beneath the 12-Mile Reef und Franz Waxmans Sunset Boulevard ist hier so ziemlich alles vertreten, was im filmmusikalischen Golden Age Rang und Namen hatte. Erstmalig hat es damit ein Label frech und offfen gewagt, CD-Kopien von bereits erhältlichen CDs ganz offiziell und nicht nur hinter der Hand versteckt auf den Markt zu bringen. Dies ist wirklich etwas völlig Neues innerhalb der Filmmusik-Szene, was es selbst bei den deutschen CD-Labels Tsunami oder Tickertape zuvor nicht gegeben hat, die wenigstens nicht Raubpressungen von CDs anderer Labels hergestellt haben.

Die Hauptgeschädigten sind vor allem die beiden US-Labels FSM (Film Score Monthly) und SAE (Screen Archives Entertainment), da es sich bei jeweils fast zehn Membran-CDs um astreine Kopien von deren Original-CDs aus den letzten vier bis fünf Jahren handelt. Natürlich sind auch noch diverse andere Labels wie Rhino, Prometheus und Varèse sowie sogar Tsunami und Tickertape davon betroffen. In drei Fällen (Citizen Kane, A Star Is Born, The Prisoner of Zenda) wurde auf jene unsäglichen Leroy-Holmes-Nachspieungen aus den 70er Jahren für das United Artists-Plattenlabel zurückgegriffen, ohne dies aber auf dem Cover oder sonst irgendwo kenntlich zu machen. Auch da wird so getan, als ob es sich um „Original Einspielungen“ handle, die in Wirklichkeit jedoch gar keine sind — übrigens hat man hierbei die Cover der Original-LPs übernommen!

Obendrein gibt’s sogar noch Bootlegs von vor einigen Jahren bereits auf CD erhältlichen Bootlegs wie etwa die beiden Newmans Wuthering Heights und Hell and High Water. Und das darf alles hier in Deutschland offenbar völlig legal veröffentlicht und angeboten werden. Man kann nur staunen, wie hier täglich in allen Medien gegen CD-Piraterie große Sprüche losgelassen werden, während bei diesen CDs kein Hahn danach kräht, woher deren Material denn eigentlich stammt.

Während etwa FSM und SAE ihre CD-Veröffentlichungen mit aufwändigem Booklet ausstatten, die Masterbänder klanglich exzellent restaurieren und zudem die Lizenzen von den großen Firmen wie Turner oder Fox erworben haben, hat Membran einfach diese Original-CDs abgekupfert und außerdem auch noch das Cover übernommen, umrahmt von einer grauen Grafik, die ein Filmband und einen Filmumroller zeigt. Auf dem zugehörigen Plastikschuber hat man zusätzlich japanische Schriftzeichen angebracht, um für noch etwas mehr Verwirrung zu stiften, so dass keiner durchschauen soll, wo die CDs denn eigentlich produziert worden sind. Zudem ist ein eigenes Booklet angefertigt worden, mit ein wenig Text zum jeweiligen Film auf zwei Seiten — mal in deutscher und mal in englischer Sprache.

Offenbar hat sich Membran darauf bezogen, dass alle diese Musiken nach 50 Jahren „public domain“ werden, was ja aber für Deutschland überhaupt nicht zutrifft. Denn das Urheberrecht bei Filmwerken und all dem, was damit zusammenhängt, läuft in allen Ländern der EG bekanntlich erst nach 70 und nicht nach 50 Jahren ab. Außerdem sind die Scores in den 40er und 50er Jahren gar nie auf Tonträger veröffentlicht worden, sondern in fast allen Fällen erst in den letzten paar Jahren — das heißt, der sich auf 50 Jahre belaufende Schutz für Tonträger ist natürlich nie im Leben abgelaufen, wenn die Musiken erst in den 90er Jahren erstmalig von SAE oder FSM auf CD herausgebracht worden sind.

Zur Vortäuschung hat Membran übrigens noch eine Adresse in Athen mit Telefonnumner auf der Rückseite der CDs angegeben, damit der Laie glauben soll, die CDs seien in Griechenland hergestellt worden. Doch Griechenland zählt ja ebenfalls zur EG und müsste somit die 70 Jahre in Bezug auf das Urheberrecht einhalten. Membran gibt sich auf der Rückseite dieser CDs nur als vertreibendes Label mit Adresse in Hamburg zu erkennen. Wer sich in der Tonträger-Branche einigermaßen auskennt, wird dieses ganze Spiel jedoch nur als absolut lächerlich empfinden!

Als der bekannte deutsche CD-Versand jpc den 60 Membran-Scheiben im April-Courier eine ganze Seite widmete und sie zum Schleuderpreis von 8,99 Euro anbot, wurde mein Freund hellhörig und fragte beim dortigen Leiter der Importabteilung nach, wie es denn möglich sei, dass diese CDs hier in Deutschland so offiziell verkauft werden dürften. Darauf kam dann als Antwort folgendes: Laut Herrn Wölm — dem Geschäftsführer von Membran — seien alle diese Musiken bisher in den USA unveröffentlicht und daher auch in den Augen von jpc völlig legal. Außerdem habe Herr Wölm mitgeteilt, dass alle diese Titel von einem einzigen (!) Sammler zur Verfügung gestellt worden und von Membran dann digital überarbeitet worden seien. Auch die Plakatmotive für die Cover seien speziell von diesem Sammler bereitgestellt worden.

Man hält es nicht für möglich, aber dieses telefonische Gespräch hat sich Anfang April tatsächlich so zugetragen. Inzwischen sind die CDs natürlich nicht nur bei jpc und — erst seit wenigen Wochen — Zweitausendeins, sondern auch bei Amazon und selbst in Frankreich oder Spanien überall erhältlich.

Daraufhin haben wir versucht, die Gesellschaft zur Verfolgung von Urheberrechtsverletzungen in Hamburg (GVU) auf den Membran-Skandal aufmerksam zu machen. Doch wieder ein Schlag ins Wasser: Die GVU kann erst dann einschreiten, wenn sie von den Labels selbst ein Mandat erhält, was natürlich von den USA aus recht schwierig ist. Wir selber könnten da nicht viel machen.

Da auf den Membran-CDs kein GEMA-Stempel aufgedruckt ist, kam uns Ende April die Idee, es doch mal bei der GEMA zu probieren. Doch da kamen wir bei der zuständigen Zentrale in München gleich mal an den Richtigen. Der dortige Hauptabteilungsleiter für Raubpiraterie stellte sich erst einmal recht dumm, erzählte meinem Freund viel von Leistungsschutzrechten für ausübende Künstler, die sich nur über 50 Jahre erstrecken und nahm die Sache im Prinzip nicht ernst. Er tat zwar so, als ob er zurückrufen würde, wenn sich herausstellen sollte, dass keine Lizenz eingereicht worden sei, aber Rückruf kam wie erwartet in den folgenden Wochen keiner. Nach langem Hin und Her und auf Drängen eines anderen Abteilungsleiters — wie oft mein Freund dort nachgehakt hat und immer wieder woandershin weitergeleitet wurde, würde den Rahmen dieser Geschichte sprengen! —, der etwas verständnisvoller war, rief der Piratenkapitän Ende Mai tatsächlich zurück. In recht unverschämter Manier schrie er am Telefon auf meinen Freund ein, was denn das solle, ihn wegen so einer Lappalie bei der GEMA zu belästigen. Wo man denn hinkäme, wenn sich die GEMA auf lauter solche Anfragen von Einzelpersonen einließe und sowieso könne es ja sein, dass mein Freund ein Konkurrenzlabel zu Membran besäße und deshalb die Anfrage mache. Abgesehen davon, dass er ihn auch noch mit „Herr Wölm“ ansprach und somit mit dem Geschäftsführer von Membran verwechselte, hat er zuletzt noch folgende Bemerkung von sich gegeben, bevor er empört den Hörer hingeknallt hat: „Was kümmern denn Sie diese Membran-CDs? Dann kaufen Sie diese CDs doch einfach für 8,99 Euro und eben nicht die teureren Ausgaben!“

Na wenn einem da nicht die Worte fehlen!

Von Craig Spaulding, dem über die ganze Angelegenheit natürlich sehr verärgerten Geschäftsführer von SAE, erfuhr ich dann Mitte Juni, dass Fox eingeschritten sei und wenigstens erreicht habe, dass Membran von seiner eigenen deutschen Internetseite sämtliche Fox-Titel habe herunternehmen müssen. Ein Rechtsanwalt namens Dr. Kukuk aus Hamburg habe sogar die Unverschämtheit besessen, bei Fox selbst nachzufragen, ob Membran denn von ihnen Lizenzen erhalten könnte, was Fox natürlich absolut verneint hat.

Wie man auf der Membran-Seite im Internet leicht feststellen kann, sind jedoch in Wirklichkeit die Fox-CDs dort nicht aus dem Angebot verschwunden, sondern man hat sie nur mit zwei roten Kreuzen gekennzeichnet und dazu notiert, dass diese Titel nicht nach oder in Nordamerika verkauft werden dürften. Hier in Europa sind jedoch nach wie vor alle Schleusen geöffnet und Fox hat also eigentlich überhaupt nichts erreicht.

Craig Spaulding teilte mir Ende Juni auch mit, dass Membrans Anwalt sogar bei Screen Archives angefragt hat, wo denn geschrieben stehe, dass in Deutschland das Urheberrecht bei Filmmusik länger als 50 Jahre gelte. Das ist nun wirklich der blanke Hohn, was sich dieses Label hierzulande alles erlauben darf. Als ob sie selber es nicht ganz genau wüssten, wie lange das Urheberrecht gilt und dass sie die Sachen nicht so einfach illegal veröffentlichen dürfen.

Ende Juni habe ich dann durch Zufall herausgefunden, dass der deutsche Filmkomponist Enjott Schneider (Herbstmilch, Stalingrad) im GEMA-Aufsichtsrat tätig ist und deshalb per Mail Kontakt mit ihm aufgenommen. Er zeigte sich interessiert und versprach mir, der Sache mal nachzugehen, was aber auch wieder einige Zeit in Anspruch genommen hat. Herr Schneider meinte zwar, der eigentliche Experte im Aufsichtsrat für solche Raubkopiererei-Geschichten sei der Filmkomponist Jörg Evers (Werner), doch meine ausführliche Mail an diesen ist bis heute unbeantwortet geblieben.

Schlussendlich kam wenigstens am 14.7. eine Antwort von Herrn Reinhard Nicklas, dem Direktor für den Geschäftsbereich Lizenzen und Inkasso bei der Münchner GEMA. Endlich hatte die GEMA also nach all dem Hickhack auf Kommando von oben (sprich: auf Drängen Enjott Schneiders!) recherchiert und heraus kam dabei, dass Membran für ihre CDs tatsächlich in Tschechien von der OSA, dem dortigen Pendant der GEMA, eine urheberrechtliche Lizenzierung erhalten hatte, obwohl sie im Grunde ja gar nichts vorweisen konnten. Das ist in der Tat eine raffinierter Schachzug, den Membran hier über mehrere Länder verstreut in die Wege geleitet hat: Vertrieb in Deutschland, Lizenz in Tschechien, und auf den CDs wird als Herstellungsland noch Griechenland mit einer Adresse in Athen genannt. Rechtlich ist natürlich diese totale Irreführung unhaltbar, aber der deutschen GEMA sind dadurch, dass das OSA-Logo sich auf den CDs selbst befindet, nun alle Hände gebunden. Denn sie könnte nur dann einschreiten, wenn kein OSA-Signet auf den CDs vorhanden wäre. Durch diesen Stempel werden die CDs allerdings für die ganze EG legal. Es ist einfach unfassbar, was hier abläuft und wie hier hantiert wird. Und das geht tatsächlich in der Art durch, weil alte sinfonische Filmmusik eben ein absolutes Randgebiet ist, um das sich kein Mensch kümmert!

Herr Nicklas versprach uns zwar in seiner Mail, „den Fall im Hinblick auf die Umstände und die Vergütungshöhe gegenüber OSA weiter zu verfolgen“ und sich kundig zu machen, ob für die amerikanischen Labels, die die Original-CDs produziert haben, ein Produktschutz zu erreichen sei, aber wir haben in den letzten Wochen nichts mehr von ihm gehört, und ich nehme stark an, dass die Sache bei der GEMA höchstwahrscheinlich im Sande verlaufen wird.

Im Sande verlaufen sind bislang leider auch unsere Bemühungen, den Membran-Fall publik zu machen. Die Kultur- und Musikredakteure der FAZ oder vom Focus haben sich zwar vor einigen Wochen zunächst überaus enthusiastisch gezeigt in der Art von „ja, das interessiert uns sehr und wir werden da was machen — mailen Sie uns den ganzen Bericht zu“, aber seltsamerweise haben auch sie schnell wieder einen Rückzieher gemacht und dann einfach nichts mehr von sich hören lassen.

Es ist ein Skandal sondergleichen, was hier vor sich geht und wohl nicht mehr zu stoppen ist. Daher sei jeder Filmmusikfreund aufgerufen, lieber die Labels FSM und SAE zu unterstützen, als die CD-Imitationen von Membran zu kaufen. Denn schlussendlich schneiden wir uns als Sammler ins eigene Fleisch, wenn die Studios wie vor zehn Jahren plötzlich die Schotten wieder dicht machen und keine Masterbänder von alten Scores mehr für offizielle CDs herausrücken, weil die nämlich im guten alten Europa so mir nichts dir nichts völlig „legal“ raubkopiert und dann billig verkauft werden können.

Und als kleine Notiz am Rande: Am Horizont zeigte sich seit Ende Juli bereits ein neues Label namens Bud Movies, das von England aus in derselben Manier wie Membran hantiert und bereits existierende CDs wiederum billig abkupfert. Bei den bisherigen zehn CDs sind ebenfalls wieder SAE-Titel wie The Big Sky und Lost Horizon dabei, und auch FSMs The Egyptian-Edition ist mit von der Partie. Angepriesen wird dieses Mal ein Multi-Media-Track „with biographies, picture gallery and further information“. Als Import-CD sind diese CDs natürlich in Deutschland etwas teurer, und so hat man etwa bei Amazon Deutschland inzwischen die Auswahl zwischen einer billigen Membran-CD von Tiomkins Lost Horizon oder gar einer Bud-Movies-„Luxusausgabe“.

Man fragt sich in der Tat, wohin das noch alles führen soll.

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