West Side Story (2021) III: Das Filmmusikalbum

Geschrieben von:
Michael Boldhaus
Veröffentlicht am:
16. April 2022
Abgelegt unter:
Hören, Score

Das berühmte Leonard Bernstein-Musical neu arrangiert für Steven Spielbergs West Side Story

Auf Disneys hauseigenem Label Hollywood-Records ist das Filmmusikalbum zur aktuellen West Side Story erschienen. Hauskomponist John Williams sollte ursprünglich dirigieren, fungierte bei diesem Projekt aber letztlich als Berater. Auf seine Empfehlung engagierte Spielberg Gustavo Dudamel, der die West Side Story im Jahr 2016 eindrucksvoll in der Hollywood Bowl gegeben hatte, als Dirigenten und David Newman (einer der Söhne vom legendären Alfred Newman) als Arrangeur. Die Begründung hierfür lieferte, dass Newman die 1961er Verfilmung seit 2011 in den USA und Europa insgesamt fast 50 Mal als Film mit live Orchesterbegleitung geleitet hat. Seinerzeit war dieses Projekt Teil der Feiern anlässlich des 50. Jahrestags der Uraufführung des Films. Damit ist er zweifellos einer der Pioniere dessen, was inzwischen als „Movies in Concert“ bzw. „Film mit Livemusik“ geläufig ist. Dass Gustavo Dudamel für den Dirigentenposten eine sehr gute Empfehlung war, belegt übrigens auch die auf youtube zu findende Live-Aufnahme der „Sinfonische(n) Tänze aus West Side Story“ mit dem Simon Bolivar Youth Orchestra von den BBC Proms 2007.

Das ist aber noch nicht alles: „West Side Story ist ein Teil meines Lebens, seit ich ein Kind war“ erinnert sich Newman (ähnlich wie Regisseur Spielberg) und ebenfalls, dass er das sehr geschätzte Broadway-cast-LP-Album verschiedentlich zusammen mit seinem Vater Alfred gehört habe. In seiner Zeit an der High School in West Los Angeles stand in einem Frühjahrssemester West Side Story für die am Musiktheater Interessierten auf dem Programm und David wirkte als Pianist bei den Proben mit. „Dabei habe ich die Broadway-Version des Stücks bereits sehr gut kennengelernt.“ Nach der High School, bevor er sich dem Komponieren für das Kino verschrieben hat, war er zusammen mit zwei weiteren Absolventen in einer eigenen Theatergruppe tätig und ist als deren musikalischer Leiter auch nochmals an einer Bühnenproduktion von West Side Story beteiligt gewesen.

Bernsteins Komposition wurde sowohl für die New Yorker Broadway-Aufführung 1957 als auch für die Verfilmung von Sid Ramin und Irwin Kostal orchestriert. David Newman gibt dazu im Interview mit Leslie Combemale an: „Unsere Aufgabe war es Bernsteins Vision von 1957 bestmöglich zu entsprechen.“ Die für die üblicherweise eher kleinen Orchestergräben der Broadway-Theater eingerichtete Version zur New Yorker Uraufführung am 26. September 1957 umfasste nur 27 Musiker. Für die Film-Version von 1961 dirigierte John Green (Raintree County) ein dem gegenüber erheblich verstärktes Hollywood-Orchester. Jon Burlingame vermerkt dazu 72 Musiker, wobei Sid Ramin in einem Interview mit Jamie Bernstein aus dem Jahr 2011 sich sogar an 80 bis 85 Musiker zu erinnern meint. Etwas irritierend ist dann Burlingames Angabe zur Orchesterbesetzung der Spielberg-Newman-Version mit insgesamt sogar 90 Musikern (84 Musikern des New York Philharmonic plus sechs Instrumentalisten für das umfangreiche lateinamerikanische Schlagwerk), nachdem er auch erwähnt, dass Bernstein die 1961er Musikfassung wohl nicht gemocht haben soll. Inwieweit hierbei die Größe des Orchesters eine Rolle gespielt hat, ist nicht klar ersichtlich. Eindeutige Angaben zur tatsächlichen Orchesterbesetzung fanden sich bisher leider nicht.

Auf 70 oder gar 90 Musiker kommt man beim Abhören des Filmmusikalbums wohl kaum. Ich würde hier eher auf einen gegenüber der New Yorker Broadway-Besetzung mit Augenmaß verstärkten Klangkörper von ca. 50 Spielern tippen. Die klanglich doch eher eng begrenzten Bedingungen in den Broadway-Theatern als völlig ausreichend oder gar als optimal einzustufen, erscheint mir kaum realistisch. Wie Sid Ramin im o.g. Interview anmerkt, wurde damals die mit nur fünf Instrumentalisten arg schmale Broadway-Pit-Besetzung beim Holz insofern etwas kaschiert, dass vier der Musiker mehrere Instrumente im Wechsel spielten.

Leonard Bernstein war von 1958 bis 1969 der erste amerikanische Musikdirektor des New York Phiharmonic. Da lag es für Spielberg natürlich auf der Hand, die Musik mit Bernsteins ehemaligem Orchester einspielen zu lassen. Infolge der in New York zeitweilig dramatischen Corona-Situation erfolgten jedoch rund 20 % der Aufnahmen mit dem Los Angeles Philharmonic, dessen 1st Music Director Dudamel seit der Saison 2009/10 ist.

In Spielbergs West Side Story gibt es im Gegensatz zur Version von 1961 keinerlei weiße Darsteller mit braun geschminkten Gesichtern. Rund zwanzig Mitglieder des Casts, Rita Moreno eingeschlossen, kommen aus Puerto Rico oder sind puerto-ricanischer Abstammung. Die Darstellerin der Maria, Rachel Zegler, besitzt allerdings kolumbianische Wurzeln. Dass hier alle, die zu singen haben, dies selbst, verschiedentlich sogar live tun und nicht wie in weiten Teilen der 1961er Version nachträglich mit dem Gesang Dritter unterlegt worden sind (Playback), gereicht der aktuellen Version gewiss nicht zum Nachteil. So manchem Hörer dürften sich freilich die unzählige Male gehörten Stimmen und auch die damit untrennbar verbundene Orchesterbegleitung des nun 60 Jahre alten Films derart als „richtig“ eingebrannt haben, dass es anfänglich eventuell Schwierigkeiten bereitet, die Musik der Spielberg-Version unvoreingenommen zu hören – der Verfasser befand sich bei Der Dieb von Bagdad in vergleichbarer Situation.

Neu hinzugefügt worden ist „La Borinqueña“ (Track 2), eine revolutionäre Hymne, die zuerst verboten und späterhin mit entschärftem Text zur puerto-ricanischen Hymne avancierte. In der Eröffnungssequenz wird diese zum trotzigen Ausdruck der kämpferischen Haltung von Bernardo und den Sharks gegen die alltägliche Diskriminierung – hier durch Polizeileutnant Schrank (siehe dazu den „Kommentar zum Film“).

Neben den durchweg mitreißenden Songs haben nun auch einige kurze, 1961 nicht verwendete Instrumentalsätze der Broadway-Version Einzug in die Neuverfilmung gehalten. So das anmutige „Transition to Scherzo/Scherzo“ (Track 10), das im Film die glückliche Morgenstimmung Marias untermalt, als lyrischer Nachklang zum nächtlichen Rendezvous auf dem Balkon – Balcony Scene (Tonight), Track 9.

Gönnte sich die 1961er Filmversion noch eine speziell kompilierte Ouvertüre für den ausladenden, von Saul Bass markant-charakteristisch gestalteten Vorspann, verzichtet Spielbergs Version auf selbige. Dafür ist allerdings die annähernd gleiche Zeitspanne dem wiederum edel designten Nachspann musikalisch zugeschlagen. Dabei handelt es sich um die rein instrumentale Musik zum hier rund 9-minütigen, edel gestalteten Filmabspann („End Credits“, Track 21). Diese bildet ein sehr abwechslungsreich gehaltenes, feines Potpourri, das die wichtigsten Melodien des Musicals noch einmal Revue passieren lässt. Wer West Side Story alternativ gern auch mal rein instrumental mag, der kann dazu noch Teile oder gar die vollständige Konzertsuite „Sinfonische Tänze aus West Side Story“ hinzufügen oder besser voranstellen. So erhält man dann eine Mixtur, die auch den Top-Hit „America“ enthält, der seltsamerweise in der ansonsten feinen Konzertsuite fehlt.

Fazit: Zwangsläufig bleibt es bei Steven Spielbergs West Side Story, von leichten Akzentverschiebungen durch die neuen Interpreten abgesehen, sehr vertraut. Obwohl bei manch einem die Musik zur Verfilmung von Robert Wise möglicherweise anfänglich „unschlagbar“ den 1. Platz belegen mag. Auch die von den Mitwirkenden engagiert interpretierte und mit einiger Verve realisierte Einspielung zur Spielberg-Version hat es, ebenso wie auch der zugehörige Film, verdient ihr eine Chance zu geben. Das von Hollywood-Records stammende CD-Album ist eine hochwertige, auch technisch auf der Höhe der Zeit befindliche, superb aufgenommene Veröffentlichung. Diese wartet neben der CD nicht bloß mit einem einfach dünn-schlichten, sondern vielmehr einem 25 Seiten umfassenden ansprechend aufgemachten Begleitheft auf, das neben einem Kommentar von John Williams viele Bilder und auch die Songtexte enthält. Das aktuelle Filmmusikalbum dürfte nicht bloß Kenner begeistern, sondern könnte eventuell auch manch einen dazu anregen, sich eingehender mit dem entdeckenswerten Gesamt-Œuvre Leonard Bernsteins eingehender zu befassen – siehe dazu Der Klassik-Tipp: Leonard Bernstein zum 100sten.

Weiterführende LINKS:

 

Zu den weiteren Artikeln des Triumvirats zu Spielbergs West Side Story:

West Side Story (2021) I: Kommentar zum Film
West Side Story (2021) II: Für Daheim und unterwegs (von BD und 4K-UHD-BD)

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Erschienen:
2021-11
Sampler:
Hollywood Records (Disney Music Group, Vertrieb: Universal Music)
Kennung:
00050087497224

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