Während der Einspielungen zu Torn Curtain • Der zerrissene Vorhang (1966) kam es nicht nur zum endgültigen Bruch mit Hitchcock, Herrmann verließ außerdem Hollywood für immer. Infolge dessen ist die Tonschöpfung leider auch unvollendet geblieben. Der Rest ist Geschichte: Seine Musik wurde durch eine stärker kommerziell orientierte, aber nicht schlecht gemachte Komposition von John Addison ersetzt. Auffällig ist bei der Varèse-Einspielung der Herrmann-Musik, dass die Mordszene ohne Pauken eingespielt worden ist, anders als in den Fassungen auf den Samplern von Esa-Peka Salonen (Sony-Label) und Paul Bateman (Silva-Label). Dass der recht schwache Film durch diese Musik in gewissem Maße eine Aufwertung erfahren hätte, beweist das verschiedentlich in den dritten Fernseh-Programmen gezeigte Herrmann-Portrait.
Die Interpretationen sämtlicher Varèse-Einspielungen sind um propere Tempi bemüht und auch im übrigen tadellos geraten, die Tonqualität ist in allen Fällen sehr gut. Die Booklets der Varèse-Film-Classics-Serie sind ansprechend gestaltet und enthalten lesenswerte, kompetente Informationen. Besonders interessant ist hier das Booklet zu Marnie, dessen Text wichtige Bezüge zwischen der Musik, dem zeitgeschichtlichen Hintergrund und auch zu Herrmanns letztem schwierigem Lebensabschnitt herstellt.
Fazit: Die legendäre Zusammenarbeit des Duos Herrmann-Hitchcock begann 1955 mit The Trouble with Harry • Immer Ärger mit Harry und endete knapp 11 Jahre später mit einem Desaster: Bei den Aufnahme-Sitzungen zu Torn Curtain • Der zerrissene Vorhang (1966) kam es zum Eklat und damit zum endgültigen Bruch zwischen Herrmann und dem Hollywood-Studiosystem.
Joel McNeely hat seit 1996, mit der soeben erschienen Marnie-CD, insgesamt fünf Einspielungen vorgelegt – die zusammen mit der anderweitig veröffentlichten Musik zu North by Northwest • Der unsichtbare Dritte (1956) – das musikalisch Beste dieser Ära repräsentieren. Die sowohl interpretatorisch wie aufnahmetechnisch tadellosen CDs sind von hohem Repertoire-Wert und dazu erfreulicherweise auch mit informativen Booklets ausgestattet.
Besonders eingängig ist die Musik zu The Trouble with Harry, gefolgt von der zu Vertigo und Marnie (1964). Psycho (1960) und Torn Curtain (1966) sind, in Gänze genossen, besonders für Neueinsteiger äußerst schwierige musikalische Brocken. Überhaupt empfiehlt es sich, den auf dem Markt befindlichen Herrmann-Samplern zusätzlich einen eingehenderen Blick zu widmen: Denn abgesehen von The Trouble with Harry und Vertigo (eventuell auch noch Marnie), dürften aus den jeweiligen Musiken repräsentativ zusammengestellte Suiten für viele Filmmusikfreunde – zumindest für den Anfang – eher ausreichend sein. Neben immer wieder neuen raffinierten Klangeffekten, begegnet der Hörer natürlich auch stets bewährten Herrmannschen Orchesterstandards. Trotz der oft ähnlichen Machart ist die dramatische Kraft dieser Kompositionen, stellvertretend für die meisten Herrmannschen Filmmusiken, immer wieder aufs Neue faszinierend zu erleben. Allerdings dürfte dies für viele Hörer erst nach einem guten Stück Einhörarbeit nachzuvollziehen sein.
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