The Incredibles

The Incredibles
Geschrieben von:
Michael Boldhaus
Veröffentlicht am:
31. Dezember 2004
Abgelegt unter:
CD

Score

(4/6)

Glaubt man nur dem, was es vorab zum neuesten CGI-Animations-Streifen der Pixar Studios zu lesen gibt oder was darüber berichtet wird, steht dem Kinogänger wahrlich Unglaubliches ins Haus. Dieses Mal geht es um Bob Parr, der als Angestellter bei der Versicherungsgesellschaft „Rundum sorglos“ ein eher tristes Dasein fristet. Bob hat schon bessere Tage gesehen, nämlich als gefeierter Superheld Mr. Incredible. Während er wieder einmal sehnsüchtig seinen „Golden Days“ nachtrauert, erhält er einen Spezialauftrag, der im etwas korpulent gewordenen, eingerosteten Recken den Superhelden wieder erwachen lässt. Doch die scheinbare Chance entpuppt sich als Falle eines auf Rache sinnenden alten Feindes, des Superschurken Syndrom, der mit seinen Killer-Robotern nach der Weltherrschaft strebt. Aber noch ist nicht alles verloren, denn auch die übrigen Mitglieder der Incredible-Family vermögen Unglaubliches zu vollbringen …

Michael Giacchino gibt mit Die Unglaublichen — The Incredibles sein Debüt als Komponist für Spielfilme. Zuvor war er besonders Freunden der TV-Serie Alias und als Schöpfer von Musiken für Videospiele ein Begriff — z. B. mit der Komposition für das 1997er PlayStation-Konsolenspiel „The Lost World“, eingespielt von Mitgliedern des Seattle Symphony Orchestra. Seitdem entstanden viele Vertonungen für DreamWorks Interactive, von denen einige in der Weltkrieg-II-Reihe „Medal of Honor“ besonders erfolgreich waren.

Giacchino gibt an, dass er bereits als Kind von John Williams’ Musik zu Star Wars tief beeindruckt wurde — was sich klar in seinen Computerspielmusiken widerspiegelt. Auch in der Musik zu Die Unglaublichen — The Incredibles zeigt der Komponist auf’s Neue, wie gekonnt er in der Lage ist, fremde Stile zu adaptieren und zu kombinieren. Dieses Mal ist dem Newcomer eine virtuos ausgeführte, besonders charmante Arbeit gelungen, bei der in erster Linie die Klangwelt eines berühmten Superhelden auf dem Programm steht: James Bond, dessen Kinodasein in den 60er Jahren begann.

Ursprünglich hatte man offenbar versucht, John Barry höchstpersönlich als Komponisten zu gewinnen. Anscheinend zeigte dieser aber kein Interesse daran, sich nochmals auf eine Komposition im Stil seiner frühen Bond-Scores einzulassen.

Giacchino erweist sich als sehr geschickter Handwerker. Sein Score ist eine pfiffig-augenzwinkernde, musikalisch-stilistische Hommage an die Super-Agentenfilme der 60er und auch an die davon inspirierten TV-Serien. In erster Linie fühlt man sich beim Hören der Musik, insbesondere in deren Suspense-Wendungen, ihren Ostinati-Figuren und auch den ebenso vertrauten klanglichen Effekten eindeutig an den typischen, flatterzungenhaft markant-rauhen Barry-Bond-Sound aus Goldfinger erinnert. Dieser archetypische Bond-Score stand hier zweifellos in ganz besonderem Maße Pate. Beim Hören des Albums fühlt man sich mehr als einmal nach Fort Knox versetzt — ein passender Shirley-Bassey-Song ist dabei (fast) das noch fehlende i-Tüpfelchen.

Das Hauptthema des Scores ist dem berühmten James-Bond-Thema Monty Normans nachgestaltet. Entsprechend ist auch das Superheldenthema ebenfalls dreiteilig angelegt, besteht aus einer Fanfare, Rhythmusmotiv und dem eigentlichen Thema — letzteres ähnelt dabei merklich dem aus On Her Majesty’s Secret Service, welches wiederum (welch unglaublicher Zufall!) dem nahe steht, das Norman für „007“ komponierte. Und natürlich besitzt auch im Giacchino-Score die Fanfare als einfaches, leicht wieder zu erkennendes Leitmotiv zentrale Bedeutung.

Andere aus der gleichen Ära stammende musikalische (Film-)Vorbilder wie Henry Mancinis The Pink Panther und TV-Ikonen wie Lalo Schifrins Mission Impossible sowie (nicht ausschließlich) die Goldsmith-Scores zu The Man from U.N.C.L.E. sind ebenfalls vertreten. In den jazzigen und Boogie-Woogie-haften Big-Band-Passagen lächelt neben John Barry und Lalo Schifrin, besonders wenn es slapstick- und Comic-haft wird, auch der musikalische Schöpfer besagten rosaroten Panthers durch die Noten.

Michael Giacchino hat diesen unmöglichen (Vertonungs-)Auftrag also mit Unterstützung von Mr. Solo, dem Team um Daniel Briggs und auch Paulchen (Panther) souverän gelöst. Seine Musik ist in Anlehnung an die Musikstile für die diversen Super-Agenten-Streifen der 60er Jahre einfalls- und trickreich und auch technisch sehr virtuos gefertigt, von schlichtem Abkupfern kann hier nicht die Rede sein. Dass am überzeugenden Ergebnis eine geschickte Orchestrierung und damit Tim Simonec und vier weitere Orchestratoren ihren Anteil haben, sei nicht verschwiegen. Besonders die Freunde der frühen Filmmusiken zu den Filmabenteuern des berühmten Geheimagenten ihrer Majestät dürften am abwechslungsreich und gut geschnittenen, spritzig-virtuosen CD-Album besonderen Spaß finden. Aber auch viele andere dürften kaum enttäuscht werden, ja vielleicht sogar besonders neugierig auf die genannten klanglichen Referenzen werden.

Im filmmusikalisch nicht gerade berauschend zu nennenden Jahr 2004 belegt die Musik zu Die Unglaublichen — The Incredibles zweifellos einen der obersten Plätze. Wertungsmäßig halte ich hierfür die bei den klanglichen Vorbildern vergebene Spitzenwertung von vier Sternen (mit einem Ausrufezeichen) für angemessen.

Im immerhin achtseitigen Booklet gibt es über rund sechs Seiten Text vom Regisseur Brad Bird (The Iron Giant) und dem Journalisten Paul Tonks. Dank Tonks erfährt man, dass man nicht allein musikalisch-stilistisch in die Vergangenheit reiste. Auch bei der Aufnahmetechnik hat man in die „analoge Mottenkiste“ gegriffen, anstatt digital aufzuzeichnen. Dem klanglichen Ergebnis hat das aber hörbar nicht geschadet.

So bleibt nur noch herauszufinden, ob und wie die Musik im Film funktioniert und ob mit Die Unglaublichen — The Incredibles der Reihe liebevoll und innovativ gefertigter Hightech-Animations-Filme mit klassischem Charme des Pixar-Studios ein neuer, würdiger Vertreter hinzufügt wurde. Seit dem 9. Dezember kann man dies auch hierzulande anhand eines Kinobesuchs testen.

Dieser Artikel ist Teil unseres umfangreichen Programms zum Jahresausklang 2004.

Erschienen:
2004
Gesamtspielzeit:
55:28 Minuten
Sampler:
Walt Disney Records (wea)
Kennung:
5050467-0100-2-4

Weitere interessante Beiträge:

Damien: Omen II

Damien: Omen II

Sibelius: Finnland erwacht

Sibelius: Finnland erwacht

Verdi: Messa da Requiem / Menotti: The Death of the Bishop of Brindisi

Verdi: Messa da Requiem / Menotti: The Death of the Bishop of Brindisi

Vertigo (McNeely)

Vertigo (McNeely)

Cinemusic.de