The Cobweb/Edge of the City

Geschrieben von:
Michael Boldhaus
Veröffentlicht am:
25. Dezember 2003
Abgelegt unter:
CD

Score

(5/6)

1040Dieses Mal hat sich FSM eine LP-Veröffentlichung des hauseigenen MGM-Plattenlabels als Kandidat für eine (natürlich verbesserte) Wiederveröffentlichung vorgenommen: 1957 vereinigte eine 30-cm-Mono-LP jeweils rund 15-minütige Suiten aus The Cobweb • Die Verlorenen (1955) und Edge of the City • Ein Mann besiegt die Angst (1957).

Der 1924 in Brooklyn geborene Leonard Rosenman begann mit 15 Jahren eine musikalische Ausbildung. 1947 war er eine zeitlang Schüler bei Arnold Schönberg und anschließend bei Roger Sessions sowie Luigi Dallapiccola. Anfang der 50er Jahre galt er als hoffnungsvoller Nachwuchskomponist, dessen neue Kammermusik regelmäßig beim Tanglewood Festival aufgeführt wurde. Zum Film kam er über den Schauspieler James Dean, dem er Klavierunterricht gab. Dean brachte ihn mit dem Regisseur Elia Kazan zusammen und so entstanden die Musiken zu East of Eden • Jenseits von Eden (1954) und Rebel Without a Cause • … denn sie wissen nicht, was sie tun (1955). Bei der Vertonung von East of Eden holte sich der talentierte Nachwüchsler übrigens einige gute Tipps von Altmeister Max Steiner.

Rosenman gehört zu den Vertretern eines modernistischen, an die Stilistik der Neuen Wiener Schule anknüpfenden Musikstils. Seine Filmmusiken sind aber deswegen nicht generell ausschließlich atonal oder 12-tönig gehalten. Vielmehr setzt der Komponist seine mitunter von radikal anmutender Heftigkeit geprägten (nicht zwangsläufig atonalen) dissonanten Klangschichtungen in erster Linie als gezielten Reizeffekt ein. So auch in seiner weitgehend tonalen Musik zu Regisseur Martin Ritts Edge of the City, einem Freundschaftsdrama, angesiedelt im von Gewaltkriminalität durchsetzten Milieu der New Yorker Hafenarbeiter. Die in Teilen recht heftigen Gewaltmomente dieses soliden B-Movies strotzen musikalisch vor heftigen Dissonanzen, denen ein heroisches Marschthema und ein warm-lyrisches Liebesthema gegenübergestellt sind.

Rosenmans Komposition für The Cobweb gilt als die erste durchgehend 12-tönig auskomponierte Musik für einen Spielfilm. (Hanns Eisler hatte bereits im Rahmen des Filmmusikprojekts der „Rockefeller Foundation“ in den 40ern ebenfalls 12-tönige Vertonungsexperimente durchgeführt, die allerdings auf Hollywood nicht ausstrahlten.) Vincente Minellis Film ist kein Schocker, sondern ein in einer psychiatrischen Klinik spielendes Melodram, in dem es um zwischenmenschliche Konflikte und die Neurosen der agierenden Figuren (sowohl Klinikpersonal als auch Patienten) geht. Ein heutzutage eher altbacken und entsprechend langweilig wirkender Film.

Rosenman hat zu den 134 Filmminuten eine mit weniger als 35 Minuten Dauer sparsame Musikuntermalung beigesteuert, die insgesamt nur mild dissonant und in Teilen sogar lyrisch wirkt. Als Musik zwar anfänglich keine ganz leichte Kost, aber in jedem Fall eine, die deutlich abseits des beliebten Klischees rangiert, atonale Musik sei generell eine Strapaze für die Ohren. Vielmehr handelt es sich überwiegend um eine Art Kammerkonzert, das von kleinen Gruppierungen des Orchesters getragen wird und nur in vereinzelten Ausbrüchen vom Tutti Gebrauch macht. Ein stark von delikaten Klangfarbenkombinationen bestimmter Score, der beim eingehenderen Hören aber ein neurotisch anmutendes Love Theme und auch eine Art markantes Wahnsinns-Motiv enthält.

Gegenüber dem in den 90er Jahren in Japan erschienenen qualitativ hochwertigen Reissue der MGM-Mono-LP vermag die FSM-CD nicht nur klangtechnisch klar zu punkten. So ist The Cobweb jetzt mit rund 37 Minuten (inklusive einiger nicht verwendeter Stücke) erstmalig komplett vertreten und dazu erstmals auch in sehr gutem Stereo zu hören. Interessant ist hier die alternative, weniger optimistische End-Cast-Music, bei der im Gegensatz zur Filmversion die Lyrik des „Liebes-Themas“ durch wuchtige Akkord-Einwürfe (mit Tam-Tam) empfindlich gestört wird. Hier suggeriert Rosenman möglicherweise, dass die Protagonisten dem Spinnennetz doch nicht entkommen sind.

Edge of the City konnte nicht vollständig präsentiert werden, da die für das B-Movie erstellten Mono-Magnetton-Master nicht vollständig erhalten sind. Daher hat FSM aus dem vorliegenden Material exakt die auf der alten MGM-LP enthaltene Suite rekonstruiert. Das Resultat klingt erheblich frischer als von der an sich hochwertigen Japan-LP-Pressung. Ein solides klares Mono, vergleichbar gut wie bei Rózsas The Seventh Sin.

Das vorbildliche Booklet dieses FSM-Albums ist sehr darum bemüht, diese in Teilen anfänglich etwas sperrigere neutönerische Musik auch dem vom romantischen Hollywood-Sound herkommenden FSM-Kunden näher zu bringen. Neben eingehenderen Infos zu beiden Filmen und den Filmmusiken sind auch die kompletten Liner Notes des alten LP-Albums vertreten.


Mehrteilige Rezension:

Folgende Beiträge gehören ebenfalls dazu:


Komponist:
Rosenman, Leonard

Erschienen:
2003
Gesamtspielzeit:
51:14 Minuten
Sampler:
FSM
Kennung:
Vol. 6 No. 14
Zusatzinformationen:
(14:33 min. Edge of the City; 36:41 min. The Cobweb)

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