Der aus Wisconsin USA stammende Hollywood-Regisseur Nicholas Ray (1911-1979) hieß bürgerlich Raymond Nicholas Kienzle. In seinem berühmtesten Film, Rebel without a Cause • … denn sie wissen nicht, was sie tun (1955), zeigt er ein humanistisch geprägtes Bild jugendlicher Außenseiter und Antihelden, die gegen überkommene bürgerliche Werte aufbegehren. Rays Qualitäten zeigen sich besonders deutlich in seinem Kinodebüt, They Live by Night • Sie leben bei Nacht (1949), einer romantischen Gangster-Ballade und Love-Story mit starkem Noir-Touch, ohne Happy-End. On Dangerous Ground (1951) ist ein weiterer Ausflug ins Noir-Genre und trug zuerst den Titel der zugrunde liegenden Story von Gerald Butler: „Mad with Much Heart“. Wie They Live by Night ist On Dangerous Ground hierzulande nie regulär in den Kinos gezeigt worden und scheint übrigens bislang selbst im TV noch nicht zu sehen gewesen zu sein.
Robert Ryan verkörpert den desillusionierten Kripobeamten Jim Wilson, dessen Partner beim gemeinsamen Dienst im Moloch einer amerikanischen Großstadt erschossen wurde. Beim Verhör eines Bekannten der mutmaßlichen Täter erzwingt Wilson eine Aussage mit brutaler Gewalt. Der Verletzte droht darauf, ihn mit einer Klage in Schwierigkeiten zu bringen. Ein wohlmeinender Vorgesetzter nimmt ihn aus der Schusslinie: Er beauftragt Wilson in einer benachbarten ländlichen Region zu ermitteln, um einen Vergewaltiger und Mädchenmörder zu fassen. Der Cop macht dort die Bekanntschaft einer blinden jungen Frau, Mary Malden (Ida Lupino). Er verliebt sich in sie und muss schließlich feststellen, dass es sich beim Gesuchten um deren psychopatischen Bruder handelt. Der Killer kommt bei einer — eher ungewollten — finalen (Hetz-)Jagd durch eine winterlich-kalte und zerklüftete Landschaft zu Tode.
Bernard Herrmann hat zu dieser Filmhandlung eine seiner packendsten Filmmusiken geschaffen, obwohl diese Partitur in einer für ihn schwierigen Lebensphase entstand. Seine lange Zeit als Dirigent des CBS Symphony Orchestra in New York ging mit der Auflösung des Klangkörpers zu Ende. Ebenso stand seine Ehe infolge einer Affäre mit der Kusine seiner Frau vor dem Aus …
Besonders bekannt sein dürfte gerade älteren Filmmusiksammlern das extravagante Musikstück zu besagter tödlicher Jagd („The Death Hunt“) von der hervorragenden 1974er Charles-Gerhardt-Herrmann-Kompilation „The Classic Film Scores of Bernard Herrmann“. Besonders auffallend ist hier die außergewöhnlich besetzte Blechbläsersektion — 6 Trompeten, 6 Posaunen, zwei Tuben und markant eingesetzte 8 Hörner (in zwei 4er-Gruppen). Ebenso ungewöhnlich bestückt ist das Schlagwerk: Neben einem außergewöhnlich heftigen Paukenpart, der vom Spieler quasi „eiserne“ Handgelenke erfordert, tritt hier der unwirsche, ja brutale metallisch-harte Sound beim Anschlagen einer massiven Stahlplatte deutlich hervor. Das Resultat ist in den Action-Passagen ein geradezu unerbittlich-stählerner Klang, der in der Filmhandlung generell für Gewalttätigkeit steht. „The Death Hunt“ bildet den musikalischen Höhepunkt: Es ist ein furioses, knapp zweieinhalbminütiges Orchesterstück, das in seiner gnadenlos brutalen Wucht und Grimmigkeit geradezu außergewöhnlich klingt und in der Filmmusik und Konzertliteratur wohl einzigartig ist.
Auch das Düster-Bedrohliche der grauen Straßenschluchten der Großstadt fasst Herrmann durch den Bass der tiefen Streicher eindrucksvoll in Töne, nimmt hier ein wenig Psycho vorweg. Die (nicht einfach tonmalerisch eingesetzten) wirbelnden Streicherostinati in „Snowstorm“ lassen bereits das Obsessive in Vertigo erahnen.
Den ausdrucksvollen Gegensatz zu den drohenden Suspense- und den sich rasend wild gebärdenden Jagd-Cues bilden die innigen, lyrisch-zarten Klänge, die dem Charakter der blinden Mary Malden und der sich anbahnenden Love-Story zugeordnet sind. Man fühlt sich in diesen besonders warmen, romantischen Musikpassagen an The Ghost and Mrs. Muir erinnert. Virginia Majewskis Interpretation der besonders wohlklingenden Viola d’amore (einer Abart der Bratsche) verleihen diesen überaus klangschönen Teilen besondere Wärme und Anziehungskraft. Typisch für den Komponisten ist die auch in dieser Partitur überwiegend anzutreffende Transparenz der eher sparsam, aber trotzdem sehr ausdruckstark instrumentierten Musik — siehe dazu auch The 7th Voyage of Sinbad. Und auch das thematisch-motivische Material ist wiederum einfach, aber eben grandios verarbeitet.
Herrmanns Musik zu On Dangerous Ground fesselt nicht allein durch ihre Eigenwilligkeit, sondern ebenso durch ihren krassen Kontrast zwischen dem musikalischen Ausdruck von roher Gewalt und zwischenmenschlicher Wärme. Alles in allem erhält der Käufer hier eine der besten Arbeiten des Komponisten.
Wie Lukas Kendall im Booklet-Text (Producer’s Note) schon entschuldigend darlegt, zählt der Klang dieser 81. FSM-Veröffentlichung zu den bescheidensten der gesamten Reihe. Der entscheidende Grund liegt darin, dass (nicht nur von diesem) RKO-Film keine originalen Musikaufzeichnungen mehr existieren. In der Bernard-Herrmann-Sammlung der Universität von Kalifornien existieren glücklicherweise noch als Playback-Discs angefertigte Azetat-Platten verschiedener Größe, Umdrehungsgeschwindigkeit und mechanischer Abnutzung — siehe dazu auch „Max Steiner: The RKO Years 1929 – 1936“ und The Big Sky.
Natürlich wurde das vorhandene Material, das ja niemals für eine kommerzielle Veröffentlichung gedacht war (!) mit größter Sorgfalt transferiert und mit digitalen Tonrestaurationstechniken behutsam nachbearbeitet. Auch hierzu finden sich im Begleittext aufschlussreiche Hinweise. Tut man beim Herausfiltern von Störungen, wie Rauschen, des Guten zu viel, dann läuft man Gefahr, das, was man retten will, den Klang der Musik, zu deformieren und zu ruinieren: „By the end, a clarinet sounds like a synthesizer“.
Gemäß den Ausführungen im Booklet ergibt sich sowohl tonquellen- als auch qualitätsmäßig eine klare Dreiteilung: Die besten erhaltenen Cues (erfreulicherweise auch die zentralen Musikstücke) bieten einen zwar etwas engen, aber weitgehend sauberen Monoklang. Daneben finden sich von deutlichen, aber erträglichen Nebengeräuschen (und natürlich Rauschen) beeinträchtigte, aber immer noch passable Teile und schließlich eine handvoll sehr stark beschädigter Tracks (immerhin weniger als 10 Minuten), welche die Qualitäten der Filmmusik mehr erahnen als wirklich hören lassen.
Trotz dieser Einschränkungen ist diese Veröffentlichung in höchstem Maß wertvoll und zu begrüßen. Das bereits zu The Big Sky Geschriebene gilt hier ebenso: Das vorliegende FSM-Album sichert die vorhandenen Tonmaster vollständig und in bestmöglicher Weise. Bedeutend ist das vorzügliche Begleitheft, das nicht allein Film und Filmmusik ausführlich dokumentiert, sondern darüber hinaus auch sorgfältig mit schwarz-weißen Filmbildern in Top-Qualität ausgestattet ist. Zusammen mit dem hervorragend informativen Booklet-Text von Christopher Husted kann so diese Edition nicht allein für eine spätere Neueinspielung als wertvolle Referenz dienen. Der Vergleich mit dem Original ist darüber hinaus für den passionierten Filmmusikkenner immer eine lohnende Angelegenheit.
Auch der jüngere Herrmann-Interessierte sollte sich nicht von übertriebenen Vorbehalten gegen „Mono“ und dem hier teilweise anzutreffenden „historischen“ Klang allzu sehr abschrecken lassen. Heutzutage wird nämlich die Marke des als „ungenießbar“ geltenden Klangmülls doch schnell allzu niedrig aufgehängt. So verständlich die Lust am tollen, möglichst perfekten Stereo-Sound auch ist, allein wer manche der wirklich nur flauen Tony-Thomas-Platten der 1970er kennt, weiß wirklich, was „schlecht“ bedeutet. Die heutigen High-Tech-Transfers selbst von Azetat-Discs sind dem in der Regel nicht nur klar überlegen; sie bieten sogar ein (trotz Mono!) ordentlich durchhörbares Klangbild, das durchaus Freude an der Musik aufkommen lässt. Dies gilt auch für immerhin rund zwei Drittel des vorliegenden Albums.
In einem Anhang finden sich noch eine Reihe von Bonustracks, in denen Fragmente von den Aufnahmesitzungen zu hören sind, bei denen Benny (nicht nur) freundliche Worte für die Musiker findet. Was sich hier als originelle, ja witzige Zugabe präsentiert, hat auf die damals Beteiligten zweifellos erheblich nüchterner und oftmals allein nervig gewirkt …
In Sachen Neueinspielung ist neben der bereits genannten Gerhardtschen „Death Hunt“ eine gut kompilierte, von den Prager Philharmonikern unter Paul Bateman — auch wenn im Vergleich mit dem Original etwas der Biss fehlt — durchaus akzeptabel gespielte rund 11-minütige Suite erhältlich (Label: Silva). In diese kann man übrigens die nicht enthaltene „Death Hunt“ noch effektvoll vor das Finale montieren — übrigens, das bei der Silva-Herrmann-Kompilation als „The Hunt“ bezeichnete Stück ist identisch mit dem „Hunt Scherzo“ des FSM-Albums.
On Dangerous Ground zählt zu den besten Arbeiten des Komponisten. Zusammen mit Beneath the 12-Mile Reef gehört diese Filmmusik zweifellos zu den letzten besonders wichtigen Kandidaten für eine vollständige Neueinspielung im Herrmannschen Œuvre; ob und letztlich wann diese allerdings erfolgen wird, ist derzeit überhaupt nicht abzusehen. Wen das Geschriebene von den Qualitäten des FSM-Albums denn doch nicht ausreichend zu überzeugen vermag, der wird sich also vermutlich noch längere Zeit gedulden müssen.
Dieser Artikel ist Teil unseres umfangreichen Programms zum Jahresausklang 2004.