Lord Jim (1965) entstand nach dem gleichnamigen Roman von Joseph Conrad, von dem übrigens auch die Francis Ford Coppola inspirierende Romanvorlage für Apocalypse Now stammt: „Das Herz der Finsternis“. Der von Richard Brooks (The Brothers Karamazov, Elmer Gantry, The Professionals • Die gefürchteten Vier) inszenierte Film ist zwar ein mit großem Aufwand an exotischen Schauplätzen in Kambodscha, wie den Tempeln von Angkor Wat, in 70mm gedrehtes rund zweieinhalbstündiges Filmepos, das allerdings nur scheinbar große Kinounterhaltung verspricht. Nun, Brooks’ Adaption der vielschichtigen Romanvorlage ist schlichtweg zu einem allzu komplex und verworren erscheinenden Film geraten, in dem in allegorischem Stil menschliche Probleme thematisiert werden. Die von der Werbung erweckte Erwartung, eine geradlinige Abenteuerstory vorgesetzt zu bekommen, wird nahezu völlig enttäuscht. In der Konsequenz ist Lord Jim heutzutage praktisch in der Versenkung verschwunden.
Lord Jim ist wohl Bronislaw Kapers letzte wirklich beachtliche Filmkomposition. Sie wird von zwei Hauptthemen beherrscht: dem für Lord Jim, einer noblen, britisch anmutenden, breit angelegten Melodie sowie einem ebenfalls betont lyrisch-sinnlichen Liebesthema „The Color of Love“, das bevorzugt von Flöte über Streicherteppich intoniert wird.
Besonders bemerkenswert ist die ausgeprägte Einbindung ethnischer, so überzeugend authentisch wirkender Gamelan-Musik. Entsprechend resultiert ein interessanter Kontrast zwischen westlichen und folkloristischen Klängen. Wenn auch nicht in vergleichbarem Maße findet sich ein derartiges, dem modernen Ethno-Scoring den Weg weisendes Kompositionskonzept bereits in der endgültigen Musik-Version von Mutiny on the Bounty (1962). Die der vorliegenden CD-Veröffentlichung zugrunde liegenden Stereo-Masterbänder klingen erfreulicherweise recht frisch und klar.
Allein den Charakter einer passablen Zugabe besitzt die Musik des Jugoslawen Duŝan Radic vom Colpix-LP-Album zum im Kielwasser von The Vikings • Die Wikinger (1958) schippernden Epos The Long Ships • Raubzug der Wikinger (1963). Recht dumpf ist der etwas hallige, enge sowie dezent blecherne Klang dieser sich, trotz der vollmundigen Angabe „STEREO“ auf dem LP-Cover, als bescheiden gemachte Mogelpackung der Ära entpuppenden Aufnahme: künstlich getrimmt auf „Electronic Stereo“. Das Hauptthema, ein Marsch, ist ganz passabel, aber was danach kommt, ist dafür eher dünn. Schlichte Variationen und simple Ostinati in Spannungs- und Actionmomenten sind selbst über gerade mal 36 Minuten insgesamt wenig erbaulich. Trotz einiger netter Momente wirkt die Musik vielmehr dezent ermüdend. Die Autoren der Texte im insgesamt liebevoll und ansprechend gemachten Begleitheft (Jeff Bond und Lukas Kendall) bescheinigen hierfür eine Anlehnung an die national-russische Schule (Borodin, Rimsky-Korsakoff und Mussorgsky). Das halte ich für etwas arg hoch gegriffen. Ansonsten gibt es jedoch nichts zu beanstanden. Neben Anmerkungen zum jeweiligen Film werden beide Musiken chronologisch zum Film (also abweichend von der jeweiligen Album-Chronologie) erläutert. Hinzu kommt (auch) Nostalgisches: reproduzierte Front- und Rück-Cover-Motive sowie die alten Hüllentexte der zugehörigen Colpix-LPs.
Wertungsmäßig trägt hier also eindeutig Lord Jim die Last auf den Schultern. Leider existiert die Original-Musikeinspielung nur noch in Form des Tonmasters für den Schnitt des seinerzeit veröffentlichten Colpix-LP-Albums (des Plattenlabels von Columbia Pictures). Immerhin hat Kaper beim Erstellen des LP-Schnitts mitgewirkt. In wieweit die für eine LP der 60er Jahre relativ großzügig bemessenen rund 43 Minuten Filmmusik allerdings für den rund zweieinhalbstündigen Film, zu dem wohl mindestens 100 Minuten Score komponiert wurden, repräsentativ sind, bleibt dahin gestellt. Die Verhältnisse dürften hier zumindest im Rahmen ähnlich liegen wie bei Mutiny on the Bounty oder Raintree County (1956), wo der alte Albumschnitt im Vergleich mit der vorzüglichen FSM-Edition schlichtweg zum unbefriedigenden, blassen Abklatsch verkommt. Insofern erscheint eine saubere Bewertung an dieser Stelle ohnehin fragwürdig. Als vorsichtige Albumwertung sind volle vier Sterne zweifellos tragbar.
Dieser Artikel ist Teil unseres Spezialprogramms zum Jahresausklang 2007.
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