Moby Dick (Gordon)

Geschrieben von:
Michael Boldhaus
Veröffentlicht am:
6. April 2000
Abgelegt unter:
CD

Score

(5/6)

In letzter Zeit werden immer öfter neue Adaptionen bekannter Geschichten für das Fernsehen produziert wie Cleopatra, Arche Noah oder Alice im Wunderland. Und obwohl der Aufwand schon beinahe mit dem von Kinoproduktionen gleichzusetzen ist, wird eine der großen Kinoleinwand vergleichbare Wirkung auf dem heimischen Fernseher zwangsläufig nicht voll erreicht. Vor rund drei Jahren erschien eine weitere Verfilmung des Moby-Dick-Stoffes in Form eines Fernsehzweiteilers. Patrick Stewart (bekannt als Captain Picard aus Star Trek) mimte überzeugend den rachsüchtigen Captain Ahab unter der Leitung von Regisseur Frank Roddam. Gregory Peck, der in der 56er Fassung den besessenen Captain Ahab spielte, hat hier einen reizvollen Gastauftritt als besonnener Gottesmann Father Mapple, den damals Orson Welles verkörperte. Manche Einstellungen sind sogar vergleichbaren Szenen aus John Hustons Original aus dem Jahre 1956 nachempfunden. Interessant ist die Fernsehfassung aber auch wegen Christopher Gordons Komposition. Hier wird, wie auch im Film, Philip Saintons Original Referenz erwiesen, doch der Komponist beschreitet auch hörbar eigene Wege.

Der gebürtige Australier Christopher Gordon wusste schon mit 13 Jahren, dass er Komponist werden würde. Seine ersten Kontakte mit der Filmbranche machte er Mitte der achtziger Jahre, als er einem Freund bei der Vertonung eines Films half. Es folgten einige Dokumentar- und Fernsehfilme, darunter Sanctuary, eine Art Moral-Thriller, von Regisseurin und Ehefrau Robin de Crespigny. Außerhalb Australiens war dieser Film allerdings noch nicht zu sehen. Gordon schrieb auch einige Orchesterwerke, Kammermusiken und ein Horn-Konzert. Er arbeitet zur Zeit an der Filmmusik zu einem weiteren Fernsehfilm On The Beach (Regie: Russell Mulcahy).

Offenbar ließ Regisseur Roddam seinem Komponisten bei Moby Dick großen Freiraum: Nachweislich verzichtete er beispielsweise auf sogenannte Temp-Tracks. Dies sind Musikstücke, die vom Produzenten oder Regisseur häufig beim Rohschnitt des Filmes eingesetzt werden, um der „Arbeitsfassung“ ein gewisses Kino-Feeling zu geben, aber oft auch, um dem Komponisten einen Eindruck zu vermitteln, welche Art von Musik eingesetzt werden soll. Ein Nachteil ist generell, dass der Komponist beim Schreiben seiner Musik unter Umständen nachhaltig beeinflusst wird. Ein berühmt-berüchtigtes Beispiel, bei dem die Temp-Tracks sogar beibehalten wurden, ist Stanley Kubricks 2001: Odysee im Weltraum (1969) – hier verschwand die Original-Komposition von Alex North im Archiv. Gordon sagte über seine Arbeit in einem Interview: „Was bei Moby Dick passierte, war hervorragend. Es gab keine Temp-Tracks, und ich hatte somit die Möglichkeit die Psychologie der Charaktere und die Erzählweise der Geschichte zu verstehen“. So gelang ihm eine Filmmusik, die den Film auf besonders individuelle Weise erzählt.

Gordons Moby-Dick-Musik entspricht im Vergleich zu Saintons recht „britisch“ klingender Komposition mehr dem sogenannten „typischen Hollywood-Sound“. Besonders deutlich wird dies zu Beginn, wenn das breite Hauptthema die Weite des Meeres tonmalerisch beschreibt – man fühlt sich hier an große Segelschiffe in voller Fahrt erinnert. In bester Hollywood-Manier führt Gordon seine themenorientierte Filmmusik weiter: Für Captain Ahab komponierte er z. B. ein dunkles, von tiefen Bläsern dominiertes Thema, und für den Harpunier Queequeg erklingt ein folkloristisch klingendes Motiv, das durch einen Laute-sprechenden Männerchor archaisierend unterstützt wird. Im Verlauf der Geschichte werden diese Themen immer wieder aufgegriffen und der jeweiligen Stimmung angepasst.

Besonders eindringlich ist m. E. der letzte musikalische Höhepunkt vor dem Finale: Hier nutzt der besessene Ahab die mystische Atmosphäre des „Elms-Feuers“ (einer Naturerscheinung), um seine Männer bedingungslos auf sich einzuschwören (Tracks 31 und 32 „At the Helm“, „St. Elmo’s Fire“). Ähnlich wie Sainton benutzt auch Gordon einen Chor und bringt zusätzlich (dezent) einen Synthesizer zum Einsatz, der die Unwirklichkeit der Szene wirkungsvoll unterstreicht. Im Finale lässt Gordon schließlich das volle Sydney Symphony Orchestra aufspielen. In „Fate’s Lieutenant“ und „Eternal Rest“ entfaltet sich die Musik ähnlich breit wie das Hauptthema zu Anfang und führt kraftvoll zum Finale. Den Untergang der Pequod, „The Pequod Burns“, erlebt man durch die tonmalerischen Effekte ähnlich packend wie auch die Einsamkeit Ishmaels („Orphan of the Sea“), des einzigen Überlebenden des Desasters.

Das bei Varèse erschienene CD-Album beinhaltet 73 der ca. 90 Minuten langen Filmmusik, die Gordon persönlich zusammengestellt hat. Vor einiger Zeit stellte dieser auch eine Konzertfassung seiner Moby-Dick-Partitur zusammen, die ähnlich der analogen Konzertsuite von Sainton bislang noch nicht aufgeführt worden ist.

Fazit: Beide Moby-Dick-Filmmusiken sind ein wahrer Genuss. Während Sainton einen mehr „britischen“ Ton für seine Liebeserklärung an die Weiten des Ozeans findet, nähert sich Gordon dem Stoff des Franzosen Melville, als sei Moby Dick eine Hollywood-Legende.

Erschienen:
1998
Gesamtspielzeit:
73:08 Minuten
Sampler:
Varèse Sarabande
Kennung:
VSD-5921

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