Krenek: „Jonny spielt auf“ – 1964er Kurzfassung
Die ersten Wiederaufführungen von Kreneks „Jonny spielt auf“ nach dem Zweiten Weltkrieg setzten nach der Etablierung eines regulären Kulturbetriebs weder zügig ein, noch konnte mit ihnen an die durchschlagenden Erfolge vor dem Krieg angeknüpft werden. An jenen Werken und ganzen Kunstströmungen, die der Kultur-„Politik“ des Nationalsozialismus zum Opfer gefallen sind, offenbart sich so doppelt wirksames Unrecht. Nicht genug damit, dass den betroffenen Künstlern durch Aufführungsverbote und die Brandmarkung als „entartet“ die Lebensgrundlage – und in letzter Konsequenz nicht selten auch das Recht auf Leben selbst – entzogen wurde. Nein, ein derart krasser, völlig unnatürlicher Einschnitt in das blühende, an Stilen und Ausdrucksformen so ungemein vielfältige Kultur- und Musikleben jener Jahre musste auch auf übergeordneter Ebene verheerende Auswirkungen zeitigen. Durch das Diktat der Gewalt hatte ein Kontinuum vieler unterschiedlicher, nebeneinander lebensfähiger, sich oft gegenseitig befruchtender Strömungen einer verkümmerten, vereinheitlichten und dazu von plumpem Dogmatismus vereinnahmten Parzelle, einem erstarrten Ausschnitt, zu weichen.
Nach dem Krieg einfach dort weiterzumachen, wo der beispiellose kulturelle Kahlschlag ein Loch gerissen hatte, gestaltete sich aus vielen Gründen natürlich als unmöglich. Viele der im Exil lebenden Komponisten hatten es verständlicherweise nicht eilig, in die ihnen entfremdete Heimat zurückzukehren. Das fruchtbare kulturelle Klima der Weimarer Republik war unwiederbringlich verloren. Neue musikalische Trends kamen auf und Gruppen wurden federführend, die, während sie z. B. der Zwölfton-Schule zu verdienter Anerkennung verhalfen, die Werke der stärker spätromantisch-traditionell orientierten Komponisten weiterhin boykottierten oder doch zumindest vorsätzlich ignorierten.
Die faktische Tilgung vieler großer Tonschöpfer aus der Musikgeschichte im „Dritten Reich“, wodurch wichtige kontinuierliche Entwicklungslinien gekappt wurden, hatte so zur Folge, dass unzählige hervorragende Komponisten und Kompositionen niemals auch nur die Chance hatten, einen prägenden Eindruck zu hinterlassen, zum „Klassiker“ zu avancieren. Ungeschehen machen kann dieses Unrecht niemand. Was jedoch getan werden kann, ist, zur wenn auch späten Rehabilitation beizutragen. In diesem Lichte sind alle Bemühungen, das lange Zeit verzerrte musikgeschichtliche Bild des 20. Jahrhunderts durch CD-Einspielungen (und andere Publikationen) wieder einigermaßen in die rechten Proportionen zu rücken, in höchstem Maße unterstützenswert.
Zu den sehr frühen Auseinandersetzungen mit der gefeierten Krenek-Oper gehört die 1964 realisierte Wiener Schallplatteneinspielung einer vom Komponisten autorisierten Kurzfassung unter Heinrich Hollreiser. Um mit einer Einzel-LP auszukommen, wurden die Szenen 2, 5 und 8 komplett gestrichen und in den Szenen 4 und 10 Kürzungen vorgenommen. Aus Anlass einer Produktion des „Jonny“ Ende 2002 an der Wiener Staatsoper ist diese Kurzversion nun erneut – und wohl nur in Österreich, auf dem Label Amadeo – auf CD erschienen. In den wichtigsten Rollen sind William Blankenship (Max), Evelyn Lear (Anita), Gerd Feldhoff (Jonny), Lucia Popp (Yvonne) und Thomas Stewart (Daniello) zu hören. Hollreiser motiviert das Orchester der Wiener Volksoper, den Akademie-Kammerchor und die erstklassige Sänger-Riege zu einer schmissigen Darbietung, die Krenek-Interessierten als trotz der Straffung recht gut fließendes (und auch klanglich einwandfreies) Pendant zur Decca-Gesamteinspielung empfohlen werden kann.
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