Kleine Klassikwanderung 28: LIVING STEREO strikes again: Highlights der 4. Staffel

Geschrieben von:
Michael Boldhaus
Veröffentlicht am:
3. Juni 2006
Abgelegt unter:
Special

Kleine Klassikwanderung 28
LIVING STEREO strikes again: Highlights der 4. Staffel

Insgesamt fünf Highlights der im vergangenen Herbst erschienenen vierten Staffel mit Reissues im SACD-Format sind hier versammelt. Von den bereits im allerersten Living-Stereo-Artikel, Kleine Klassikwanderung 4, vorgestellten Titeln — damals noch im CD-Format — begegnet man an dieser Stelle zweien wieder: Pierre Monteuxs Darstellung von César Francks D-Moll-Sinfonie, gekoppelt mit Strawinskis Petrouchka-Ballett und die Leopold-Stokowski-Kompilation „Rhapsodies“. Die Monteux-Kopplung ist interpretatorisch wohl in besonderem Maße zeitlos, was durch den guten Klang der Aufnahmen noch unterstützt wird. Das schon auf CD hervorstechend brillante Stokowski-Album ist im neuen Transfer noch ein spürbares Quäntchen leuchtkräftiger und daher besonders mitreißend. Zweifellos handelt es sich — auch dank ihres effektvollen Cinemascope-Sounds — um eine besonders glänzende Perle des Living-Stereo-Repertoires, die schon ob ihrer Demoqualitäten in keiner Kollektion fehlen sollte.

Der aus dem polnischen Łódź stammende Pianist Arthur Rubinstein zählt wie der in Wilna, Litauen geborene Geiger Jascha Heifetz zu den großen Interpreten der Vergangenheit. Hohe Virtuosität, glänzende Technik und auch Musikalität zeichnen sowohl die Interpretationen der beiden Chopin-Klavierkonzerte als auch die reizvolle Kopplung zweier herrlicher Vertreter der Gattung Violinkonzert, Brahms/Tschaikowski, aus. Dass dem weder die orchestrale Begleitung, Symphony of the Air bzw. das Chicago Symphonieorchestra, noch die Tonqualität hinterherhinkt, ist fast schon selbstverständlich. Arthur Fiedler, besonders bekannt für seine Einspielungen effektvoller Light-Music, präsentiert auf dem Album „Hi-Fi-Fiedler“ mit seinen Boston Pops Klassisches mit Verve und Drive. Unter anderem Zugpferde des Repertoires wie Rossinis Wilhelm-Tell-Ouvertüre, Chabriers „Espaňa“, und die zweite Ungarische Rhapsodie von Liszt. Die farbige Orchestersuite aus der Rimsky-Korsakoff-Oper „Der goldene Hahn“ ist dabei ein besonderes Schmankerl, welches die hohe Qualität der Pops besonders eindeutig belegt. Und auch das Hi-Fi im Titel des Albums verweist bei der zu erwartenden Klangqualität in exakt die richtige Richtung.

An der Wiege des Wiener Walzers: Johann Strauß I (Vater) Edition, Vol. 8

Fällt der Name Johann Strauß, dann assoziiert man in der Regel zuerst den berühmteren der beiden Sträuße gleichen Vornamens, nämlich den Sohn und Walzerkönig. Nach dem ehrgeizigen Projekt einer vollständigen Ausgabe der Werke von Johann Strauß, Junior auf 52 CDs — siehe dazu auch Klassikwanderung 2 — und einer ebenso bemerkenswerten, 26 Alben zählenden Edition mit sämtlichen Werken des hochbegabten Bruders Josef ist inzwischen auch das entsprechende Projekt zum ŒŒuvre des Seniors auf gutem Wege, ist mittlerweile bei Vol. 8 angelangt.

Vom Senior, Johann Strauß I, ist zwar in erster Linie der „Radetzkymarsch“ präsent. Dabei sind der Vater der Strauß-Dynastie und Josef Lanner klar diejenigen, die den Wiener Walzer als das, was wir heute darunter verstehen, begründet und etabliert haben. Der Walzer im Allgemeinen und ganz besonders der Wiener-Walzer, das sind für uns romantisierende Symbole für das 19. Jahrhundert und überhaupt für die so genannte „Gute Alte Zeit“. Genauer betrachtet ist der Ur-Walzer anfänglich noch gar nicht romantisch, steht vielmehr dem noch derben „Ländler“ und „Deutschen Tanz“ (oder „Deutschen“) nahe. Wobei der Ur-Walzer ein musikalischer Reflex auf einen sozialen Umbruch an der Wende des 18. und 19. Jahrhunderts war: einer beginnenden Machtverlagerung, weg von absolutistischem Staat und Adel, hin zum Bürgertum. Damit steht der Walzer auch für den Durchbruch neuer Sitten, Moden und Gebräuche.

Die Geschichte des Wiener Walzers beginnt im Biedermeier und bereits früh in dieser Epoche, ab dem Jahr 1819 wird dafür entscheidende Pionierarbeit geleistet. Bereits damals entstand nämlich ein Musikstück, das gerade für den von Johann Strauß II (Sohn) so charakteristisch ausgebildeten „Wiener Walzer“ ein wichtiges Modell werden sollte: Carl Maria von Webers „Aufforderung zum Tanz“. Bereits hier ist viel des späterhin großen sinfonischen Konzertwalzers vorweggenommen, in dem ein tänzerischer Mittelteil von einer langsamen poetischen Einleitung sowie einer abschließenden Coda gekonnt eingerahmt wird.

Wie sehr späterhin der Sohn, Johann Strauß II, in die Fußstapfen seines Vaters trat, zeigen auch die bereits beim Senior von viel Lokalchronik geprägten Werktitel, wie „Heiter auch in ernster Zeit“, „Eisenbahn-Lust-Walzer“, „Hofballtänze“ oder gar „Krönungswalzer“.

Wann Johann, Senior exakt zu komponieren begonnen hat, ist nicht bekannt. Das erste offizielle und erhaltene Werk mit Opusbezeichnung stammt aus der Zeit seiner Trennung von Lanner. Es trägt die Bezeichnung „Täuberln Walzer“ und ist datiert aus dem Jahr 1826. Dieses Stück und die anderen frühen Kompositionen wurden übrigens mit wesentlich kleineren Ensembles gespielt, als wir heutzutage mit Walzern aus dem Wien des 19. Jahrhunderts verbinden. Als der noch halbwüchsige Johann I um 1820 bei Lanner eintrat, erweiterte er das Trio zum Quartett, und das vorstehend genannte Opus 1 ist ursprünglich mit maximal 12 Instrumentalisten gegeben worden. Langsam wurde die Orchesterbesetzung vergrößert und erst Johann Strauß II (Sohn) erreichte nach und nach den mitunter auch auf frühe Schöpfungen (besonders) des Vaters verfälschend übertragenen recht groß besetzten sinfonischen Klangkörper, wie er von den Neujahrskonzerten gewohnt ist.

Und genau mit diesem eher ungewohnten, nämlich erheblich schlankeren, aber zugleich luftigen und detailreichen Klang der annähernd original rekonstruierten Instrumentierung konfrontiert die Slowakische Sinfonietta Žilina beim Strauss-Vater-Zyklus des Marco-Polo-Labels. Das ist anfänglich sicher etwas gewöhnungsbedürftig, aber es wird rasch zur spannenden Entdeckungsreise, bei der man (nicht allein) den Wiener Walzer wachsen und gedeihen hört. Bei dieser aufregenden Zeitreise im nicht ausschließlich Dreivierteltakt ist man bei den exzellenten Musikern dieses renommierten Ensembles und den Dirigenten Christian Pollack und Ernst Märzendorfer hörbar gut aufgehoben. Ebenso wenig enttäuscht die Tontechnik, und das gilt entsprechend für die vorzüglichen Einführungstexte zu jedem Stück von Franz Mailer, Autor von „Johann Strauß: Kommentiertes Werkverzeichnis“ — ebenfalls vorgestellt in Klassikwanderung 2.

MERCURY LIVING PRESENCE strikes back

Nach dem ersten, analog Living Stereo, zehn Titel umfassenden SACD-Reissue-Paket hat Universal im vergangenen Jahr noch zwei kleinere Staffeln mit jeweils fünf weiteren Titeln folgen lassen. Ob darüber hinaus allerdings noch weitere SACD-Veröffentlichungen folgen werden, ist derzeit ungewiss. Nach den ersten sechs in Klassikwanderung 18 vorgestellten Titeln werden nun nochmals insgesamt zehn SACD-Alben dieser vorzüglichen Reihe vorgestellt.

Erfolgt die Aufarbeitung der Living-Stereo-Tonmaster wie zu erwarten in den USA, so hat man den entsprechenden Bearbeitungs-Prozess der Mercury Living Presence Technologie Old Europe, genauer den Emil Berliner Studios in Hannover-Langenhagen anvertraut. Exakt dort, auf bundesdeutschem Terrain also, erfolgte unter der Leitung von Andrew Wedman das, was den SACD-Veröffentlichungen der Mercury-Steroaufnahmen vorausging. Und darin steckt viel mühe- und liebevoller Detailarbeit. Nicht allein, dass die Bänder oder auch 35-mm-Magnettonfilmrollen im Laufe der Jahrzehnte geschrumpft und teilweise verwellt sind, sämtliche Klebestellen müssen sorgfältig überprüft, gegebenenfalls repariert und im Anschluss daran möglicherweise Kleberreste auf der folgenden Spulenwicklung entfernt werden. Das ist nur ein Teil der zeitaufwändigen Vorbereitungen und der zu überwindenden Schwierigkeiten und Probleme, die gelöst werden müssen, bevor die alten Analogschätze mit Hilfe speziell dafür entwickelter Tonköpfe optimal abgetastet und digitalisiert werden können. Am Ende der Kette hält man schließlich das so vorzüglich klingende Endprodukt „Mercury Living Presence dreikanalig auf SACD“ in Händen. Darüber hinaus bietet das High-Tech-Produkt SACD aber noch einen zweikanaligen Stereo-Mix und ebenso ist eine datenreduzierte CD-kompatible Version wählbar.

Paul Paray und das Detroit Symphony Orchestra eröffnen mit einer an sich mitreißenden Interpretation der „Symphonie Fantastique“ von Hector Berlioz, bei der nur der Gang zum Richtplatz und die Arbeit des Scharfrichters für meinen Geschmack etwas zu hastig geraten sind. Anschließend gibt’s Klingendes aus Moskau: spektakulär und ungewöhnlich im so schicksalhaften Kalten-Kriegs-Jahr 1962 (siehe dazu Thirteen Days). Der Vladimir Horowitz Schüler Byron Janis am Piano gibt zusammen mit dem Moscow Philharmonic Orchestra unter Kyril Kondrashin Klavierkonzerte von Prokoffieff (Nr. 3) und Rachmaninoff (Nr. 1). Es folgen zwei Alben unter dem Dirigenten Frederick Fennell. Die Kopplung „Screamers & March Time“ ist eingespielt mit dem von Fennell gegründeten „Eastman Wind Ensemble“, einer renommierten US-Bläserformation. Was hier über rund 65 Minuten aus den Boxen schallt, ist eine zweifellos schmissig-virtuos und zugleich sehr „amerikanisch“ dargebotene Revue aus Militär- und Zirkusmärschen. Allerdings sollten nur eingefleischte Fans derartiger Programme die insgesamt 28 Stücke auf einen Sitz genießen. Für alle anderen empfiehlt sich sparsamere Dosierung, aber dann macht das Album einigen Spaß. Ebenfalls unter Fennells Leitung, dieses Mal zum Großteil mit dem Eastman Rochester „POPS“ Orchestra eingespielt, findet sich eine Light-Music-Kompilation, gewidmet dem Komponisten Leroy Anderson (1908-75), Sohn schwedischer Immigranten. Auch wenn der Name dieses Komponisten hierzulande wenig geläufig ist, manche der hier versammelten, unmittelbar eingängigen Titel sind auch im Hörgedächtnis des hiesigen Publikums verankert, z. B. „Sleigh Ride“, „Blue Tango“ und auch das drollige Stück für Schreibmaschine und Orchester „The Typewriter“.

Nochmals Byron Janis, dieses Mal als Interpret der Klavierfassung von Mussorgskys „Bilder einer Ausstellung“ gekoppelt mit der Ravel’schen Orchesterfassung mit dem Minneapolis Symphony Orchestra unter Antal Dorati, das mittlerweile unter der Bezeichnung Minnesota Orchestra firmiert. Des Weiteren erklingen bekannte Gitarrenkonzerte von Rodrigo und Vivaldi. Das späterhin berühmt gewordene Gitarren-Quintett „Los Romeros“ hat diese im Jahr 1967 im geschichtsträchtigen texanischen San Antonio (siehe Alamo 2004) eingespielt. Hier handelt es sich übrigens um eine der letzten Stereo-Aufnahmen, die nach dem legendären Mercury-Living-Presence-Aufnahmeverfahren erfolgten. Die beiden folgenden Alben sind vom berühmten ungarischen Cellisten Janos Starker dominiert, für den Miklós Rózsa übrigens 1968 sein Cellokonzert komponierte. Cellokonzerte und Konzertstücke für Cello und Orchester, insgesamt die Schlachtrösser des Repertoires von Schumann, Lalo, Saint-Saĕns, Dvořák, Bruch und natürlich Tschaikowskis „Variationen über ein Rokokko-Thema“ stehen auf dem Programm. Diese Aufnahmen spiegeln die frühe Ära des Cellisten Starker auf Tonträger wider und sind schon deswegen unwiederbringliche Audio-Schätze.

Die beiden folgenden CDs präsentieren den Dirigenten Antal Dorati ganz in seinem Element: farbig, temporeich und dynamisch geht es zur Sache, sowohl bei den Ungarischen Rhapsodien Liszts, der Rumänischen Rhapsodie Nr. 1 von Enescu als auch beim Nussknacker-Ballett Tschaikowskis. Letztgenannte Einspielung ist m. E. auch nach rund 44 Jahren eine der schönsten Aufnahmen auf dem Markt. Eine Einspielung der Streicherserenade, 1958 mit der Philharmonia Hungarica in Wien, bildet dazu nicht allein eine sinnvolle Ergänzung. In Anbetracht der bedauerlichen Auflösung dieses renommierten Klangkörpers im Jahr 2002 macht diese Aufnahme das Set zusätzlich interessant.

Zum Abschluss geht es nochmals ins Moskau des Jahres 1962: Das Album „Balalaika-Favorites“ mit dem 80-köpfigen russischen Balalaika-Ensemble „Osipow“ besitzt nicht etwa Musikantenstadl-Niveau, sondern hat Folkloristisches und auch Klassisches vom Feinsten, nämlich in raffinierten und klangschönen Arrangements, dargeboten mit Esprit im Gepäck. Schon mal den berühmten „Hummelflug“ von Nikolai Rimski-Korsakow aus der Oper „Das Märchen vom Zaren Saltan“ auf Balalaikas gespielt gehört? Dieses und auch die anderen, eben keineswegs saccharinig, sondern spritzig wirkenden Stücke ließen bereits die CD-Version in den 90er Jahren dieser besonders knackig klingenden Aufnahme zu einem Renner der Mercury Living Presence Reihe werden.

Beethoven als Unterhaltungskomponist: Mödlinger Tänze

Eine überaus reizvolle Ausgrabung von cpo, die sich auch zur Ergänzung des oben vorgestellten Strauß-Zyklus eignet. Ludwig van Beethoven, geradezu das Sinnbild für die abendländische Sinfonie-Tradition und damit für „ernste Musik“, wird hier einmal ganz anders, nämlich als Komponist von Tanzmusik für die Wiener Salons präsentiert. Nun, die oftmals übermäßig streng, ja dogmatisch gehandhabte Unterscheidung zwischen so genannter U- und E-Musik ist primär eine kontinentaleuropäische Erfindung des bildungsbürgerlichen Denkens im ausgehenden 19. Jahrhundert. Nicht nur Beethoven wäre darüber sehr verwundert, wenn nicht gar verärgert gewesen. Erfreulicherweise kommt dies auch hierzulande langsam aus der Mode.

Unter den dem Album den Namen gebenden „11 Mödlinger Tänze(n)“ finden sich auch frühe Walzer, und neben Menuetten sind auch Deutsche Tänze — als Vorform des Walzers — vertreten. Darunter finden sich originelle Einfälle, wie der überraschende, charmante Auftritt eines Posthorns (Track 24) oder auch eine verblüffende Ähnlichkeit zum bekannten Volkslied vom Bauern der im Märzen die Rösslein einspannt (Track 16). Auch hier befindet man sich also nur unweit der Wiege des Wiener Walzers.

Das L’Orfeo Barockorchester unter Michi Gaigg agiert kompetent im Sinne historischer Aufführungspraxis und liefert schwungvolle und mitreißende Darbietungen.

Neues von Felix Weingartner auf cpo

Nach den in Klassikwanderung 24 vorgestellten ersten beiden SACDs des Weingartner-Zyklus auf cpo, hat selbiger mittlerweile Zuwachs bekommen. Inzwischen kann der Interessierte bei zwei weiteren SACDs zugreifen. Mit den Sinfonien 2 und 3 bekommt der Entdeckungsfreudige zwei umfangreiche Vertreter der Gattung geboten — Nr. 3 besitzt mit rund 65 Minuten gar Bruckner’sche Ausmaße. In beiden Fällen handelt es sich um Musik, die etwas schwieriger zugänglich ist als die auf den Vorläufer Alben veröffentlichten Sinfonien 1 & 4. Drei oder vier Hördurchgänge reichen nicht aus, sich das Werk komplett zu erschließen, hierfür ist vielmehr mehr Zeit notwendig. Dafür gibt es allerdings bei jedem Hören auch wieder Interessantes zu entdecken. Von den beiden „Füllern“ ist die Strauss nahe „Lustige Ouvertüre“ etwas leichter gewichtig. Besonders zu empfehlen (auch für den auf Weingartner Neugierigen) ist das in der Konzeption den Liszt’schen Tondichtungen, im Ausdruck Bruckner, Reger und Rachmaninoff nahe stehende Stück „Das Gefilde der Seligen“ — ebenfalls nach einem Gemälde von Böcklin.

An der vorzüglichen Wirkung der Musik hat wiederum das Sinfonieorchester Basel unter Mark Letonja im Zusammenwirken mit einer makellosen Tontechnik den entscheidenden Anteil. Die scharfsinnigen analytischen Texte Eckhard van den Hoogens sind auch bei den beiden neuen Veröffentlichungen wieder überaus aufschluss- und hilfreich diese den traditionellen Rahmen zwar aufgreifende, aber ebenso fortwährend sprengende Musik zu entdecken und zu begreifen. In flüssigen, auch dank humorvoller Einsprengsel locker gehaltenen Texten erhält der Leser wertvolle Hinweise, die sowohl den zeitlichen Kontext (das Umfeld: Strauss, Reznicek, Schreker, Bruckner, Mahler) als auch die individuelle Entstehungsgeschichte der jeweiligen Werke erhellen. Dabei wird zugleich deutlich, wie unzulänglich die von den tradierten Konzertführern verwendeten Beurteilungsschemata für diese Art von Musik sind.

Alles in allem ist das bisher vom cpo-Weingartner-Zyklus Erschienene nicht allein exquisit, sondern bereits auszeichnungsverdächtig.

Klangsinnlich-üppige Exotik aus Dänemark: Ludolf Nielsen — Lakschmi-Ballett

Über die Grenzen Dänemarks ist Ludolf Nielsen (1876-1939) im Gegensatz zu seinem Landsmann Carl Nielsen, mit dem er jedoch nicht verwandt ist, bislang nahezu unbekannt geblieben. Dafür lässt die von cpo ausgegrabene Ballettmusik „Lakschmi“ umso mehr aufhorchen. Hört man das vor reizender exotischer Klangpracht fast schon strotzende „Lakschmi-Ballett“, Hintergrund für eine indische Liebesgeschichte, kommt einem unmittelbar die „Scheherazade“ Rimskij-Korsakows in den Sinn. Ob der Komponist — damals Musiker im Tivoli-Orchester — diese überhaupt gekannt hat, ist jedoch eher unwahrscheinlich. Entsprechend erstaunlich ist, dass Nielsen zwar als Musiker ausgebildet, im Komponieren wie Orchestrieren aber reiner Autodidakt war. Neben diesem in üppigen spätromantischen Klangfarben gehaltenen, rund einstündigen melodisch tänzerischen Ausflug in ein märchenhaftes Indien steht noch eine ebenso charmante Zugabe auf dem Programm: die Ouvertüre zur Oper „Isabella“. Ein effektvoll auf eine opulente Steigerung des Klangapparates hin angelegtes Stück, das ebenso als Zugabe zum Ballett aber auch zum Einstimmen auf Ludolf Nielsen taugt.

Das australische Queensland Sinfonie Orchester unter dem Dirigenten Richard Mills ist manchem Filmmusikfreund sicher über die Varèse-Waxman-Reihe der 1990er — „Legends of Hollywood“ — geläufig. Waren die Ergebnisse, besonders der frühen Einspielungen, in Teilen etwas durchwachsen, umso mehr überzeugte das Ensemble im cpo-Benjamin-Frankel-Zyklus — siehe „Music for the Movies (Vol. 2)“ — ebenfalls unter Werner Andreas Albert. Und auch in der vorliegenden Einspielung erweist sich das Orchester aus „Down Under“ unter Alberts Dirigat als adäquater geschmeidiger Klangkörper. Im Zusammenwirken mit einer den Klangraum sorgfältig ausleuchtenden Tontechnik sowie einem kompetenten, sehr informativen Text im Begleitheft präsentiert das Album somit zwei insgesamt begrüßenswerte Ausgrabungen der dänischen Musikgeschichte. Eine unmittelbar ins Ohr gehende und darum vielleicht besonders verlockende Ausgrabung. Mehr noch: eine Entdeckung, die neugierig auf mehr des bislang nahezu unbekannten Ludolf Nielsen macht.

Dieser Artikel ist Teil unseres umfangreichen Programms zu Pfingsten 2006.

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