Regisseur Stanley Kramers (1913-2001) Film On the Beach • Das letzte Ufer (1959) entstand nach der berühmten gleichnamigen „after the bomb story“ von Nevil Shute. Thematisiert wird die Situation der nach einem 3. Weltkrieg im 5. Kontinent, Australien, einzigen Überlebenden der menschlichen Zivilisation. Die bittere Erkenntnis ist hier, dass auch die von den Zerstörungen der atomaren Explosionen unmittelbar verschont Gebliebenen unausweichlich dem Strahlentod entgegen gehen. Die radioaktive Wolke breitet sich langsam aber unaufhaltsam über den ganzen Erdball aus. Den letzten Menschen bleibt nur der Massen-Suizid …
Nevil Shutes Roman und auch Kramers Film sind von der Botschaft sicher ernstzunehmender und auch ambitionierter als der etwa zeitgleiche MGM-Film The World, the Flesh and the Devil (1958, Musik: Miklós Rózsa – siehe CD-Rezension), aber trotzdem gilt wohl, dass sie in die Jahre gekommen sind. On the Beach wirkte auf mich bereits bei einer ersten TV-Ausstrahlung in den 80er Jahren etwas langatmig, süßlich und auch patiniert. Daran änderten auch Stars wie Ava Gardner, Gregory Peck und Fred Astaire kaum etwas. Im Fernsehen ist der Film seit damals übrigens kaum mehr gezeigt worden.
Ernest Gold (1921-1999) stammt aus einer sehr musikalischen Wiener Familie. Der Großvater war Schüler Anton Bruckners und später Präsident der ehedem von Johannes Brahms gegründeten „Gesellschaft für Musikfreunde“. Sein Vater hatte bei einem der letzten Sprosse der Wiener Walzer- und Operetten-Dynastie, Richard Heuberger, sein Studium absolviert. Schon mit 6 Jahren begann er das Violinenspiel und mit 8 folgte das Klavier. Später studierte er an der Musikakademie seiner Heimatstadt Wien Klavier und allgemeine Musiklehre, wobei bereits als Gymnasiast sein Interesse für das Kino erwachte. Nach dem „Anschluss“ Österreichs im Jahr 1938 emigrierte der junge Ernest nach New York, wo er im „Little Red Schoolhouse“ einen Job als Klavierbegleiter hatte, um sein Überleben zu sichern. Seine musikalischen Studien setzte er auf privater Basis fort. Bei Otto Cesana nahm er Unterricht in Harmonielehre und Tanzarrangement. Leon Barzin brachte ihm das Dirigieren bei. Mit dem Komponieren von Schlagern konnte er nicht nur seinen Unterhalt bestreiten, er hatte zusätzlich Erfolg und eroberte mehrmals Spitzenplätze in den Charts.
Weniger gut schlugen seine ersten Orchesterwerke ein. Die „Pan American Symphony“ und auch das 1943 komponierte Klavierkonzert, dem die Kritik bescheinigte, es klänge wie Filmmusik, fanden wenig Anklang. Allerdings, als Gold besagtes Klavierkonzert dem Chef des Columbia Music Departments vorspielte, begründete dies seine Karriere in Hollywood. Zu Mel Ferrers erstem Regieversuch, The Girl of the Limberlost (1945), lieferte er seine erste vollständige Filmmusik.
Die Jahre bis 1958 waren jedoch eher ein hartes Brot in Komposition, Orchestration und Arrangement für eine Vielzahl von B-Movies und können kaum als künstlerisch erfüllt bezeichnet werden. In dieser Zeit unterstützte der (auch Film-)Komponist George Antheil ihn tatkräftig bei der Weiterbildung. Gold orchestrierte und dirigierte für Antheil unter anderem die Musik zu The Pride and the Passion • Stolz und Leidenschaft (1956). Antheil vermittelte Gold an Stanley Kramer als dieser einige Minuten rockiger Musik für The Defiant Ones • Flucht in Ketten benötigte. Und so ergab es sich, dass – nach dem Tode Antheils – Kramer ihm anbot, dessen Job bei On the Beach zu übernehmen.
Eine zu umschiffende Klippe des Auftrages war die Forderung des Regisseurs, das eingängige und sehr populäre australische Volkslied „Waltzing Mathilda“ fortwährend im Score zu verwenden. Gold war anfänglich ziemlich verärgert, widerstand aber der Versuchung, den für sein Fortkommen wichtigen Auftrag hinzuschmeißen. Er entschloss sich vielmehr, aus dem Song die musikalische Substanz herauszuarbeiten und gestaltete das Lied in Form eines vielfältigen und ausgeklügelten Variationssatzes, machte es zum Rückgrat seiner Musik zu On the Beach – wobei er daneben auch mehrere eigene Themen mit einwob.
Zum Problem mit „Waltzing Mathilda“ bemerkte Ernest Gold im Juli 1981 im Rahmen eines Interviews durch den österreichischen Komponisten und Musikkritiker Hans Martin: „Es wurde eine große Herausforderung für mich. Ich war ein besserer Komponist als ich den Job beendet hatte“. Das Resultat beweist hörbar große Meisterschaft und steht auf vergleichbarer Ebene wie ähnlich geartete Scores, z. B. Newmans Love Is a Many-Splendored Thing, How the West Was Won und Herrmanns Joy in the Morning. Erfreulicherweise zeigte sich auch die Oscar-Jury sehr angetan und sprach dem Komponisten einen der zwei für den Film vergebenen Oscars zu.
Die Original-Musikbänder zu On the Beach sind verschollen. Erfreulicherweise existieren die dem repräsentativen alten Stereo-LP-Schnitt zugrunde liegenden Bänder noch und sind außerdem in klanglich vorzüglichem Zustand.
Als Zugabe präsentiert die FSM-CD noch Golds Musik zur – in den letzten Kriegstagen in Oberitalien angesiedelten – Komödie The Secret of Santa Vittoria • Das Geheimnis von Santa Vittoria (1969). In diesem ebenfalls von Regisseur Stanley Kramer in Szene gesetzten Film versucht die Bevölkerung eines Bergstädtchens listenreich ihre umfangreichen Weinvorräte vor dem Zugriff der auf dem Rückzug befindlichen Deutschen zu sichern. Golds Musikbeitrag ist der filmischen Posse angemessen, kurzweilig, ironisch und gelegentlich auch von dezentem Mickey-Mousing geprägt. Neben einem bittersüßen, breit-melodischen Love Theme enthält der Score eine in ihrem überzogenen Pomp gelungene teutonische Marschparodie und ebenso eine Dinner Music mit Wiener Charme. Auch hier wurden die sehr sauber klingenden Stereo-Master des LP-Albums herangezogen.
Mit On the Beach (5 Sterne) kann The Secret of Santa Vittoria (3½ Sterne) qualitativ nicht gleichziehen. Es ist aber in jedem Fall eine sehr nette Zugabe, die zeigt, wie handhabungssicher der bislang auf CD praktisch nicht existente Ernest Gold auch mit Komödienstoffen umzugehen verstand. Golds überwiegend romantische Musiken sind geprägt von warmen großen Melodiebögen und stehen in ihrem Charme Max Steiner recht nahe.
Christopher Gordons Musik zur TV-Miniserie
Im Jahr 2000 entstand als TV-Miniserie ein Remake von On the Beach, zu der sinnigerweise der wenig bekannte australische Komponist Christopher Gordon einen (sogar) exzellenten Musikbeitrag lieferte. Leider ist dieser vom Filmmusik-interessierten Publikum weitgehend übersehen worden. Gordon, überraschte auch zur TV-Miniserie Moby Dick (1998) mit einem breit angelegten sehr guten Score. Auch für On the Beach setzte er einen groß besetzten Klangkörper und auch reizvolle Instrumentalsoli ein, wobei insbesondere das Cello reizvoll verwendet wird. Daneben kommen Holzbläser, Viola, Trompete und Klavier sowie Knabensolo und gemischter Chor zum Einsatz.
Über rund 74 Minuten präsentiert die Varèse-CD eine brillant ausgeführte, dramatische Filmmusik, die zugleich kraftvoll-episch und sensibel-gefühlvoll daherkommt. Ein Score, der nicht in die Kategorie „peppige Abenteuerfilm-Vertonung“ passt, sondern ein mit einprägsamen Themen durchsetzter, feinfühliger Abgesang auf eine sterbende Welt ist.
Auch wenn Christopher Gordon nicht zu den sehr geläufigen Komponisten gehört, seine Musik zu On the Beach zählt zu den besten Filmmusiken des Jahres 2000 und hat es verdient, in vielen Filmmusikkollektionen – auch mit Verspätung – einen Platz zu finden.
Mehrteilige Rezension:
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