Ratatouille, oder: Ratte(n) an den Kochtopf!
Kommentar zum Film
Im Zentrum von Regisseur Brad Birds Ratatouille steht das Rattenmännchen Remy, das einen für seine Spezies besonders ungewöhnlichen und gewagten Wunsch realisieren möchte: die Zubereitung feinster Gerichte und sonstiger kulinarischer Genüsse. Wie sein Vorbild Auguste Gusteau möchte Remy Chefkoch in einem Feinschmecker-Restaurant erster Klasse werden.
Auch dieses mittlerweile achte Produkt der CGI-Animationsfabrik Pixar erweist sich seinen Vorläufern als mindestens ebenbürtig. Was Franz Everschor bereits im Jahre 2003 in seinem Buch „Brennpunkt Hollywood“ feststellte, nämlich dass Pixar-Produktionen sich neben den Franchise-Produkten der Majors wie echte Perlen in einer Auslage voller glitzerndem Modeschmuck ausnehmen, kann man immer noch stehen lassen. Sämtliche bisherigen Filme, von Toy Story (1995) bis hin zu Cars (2007), sind trotz ihrer sehr unterschiedlichen, auch mal sehr experimentellen Sujets (z. B. Monster AG) vergleichbar hochwertig geraten. Damit belegen die Teams um Pixar-Gründer John Lasseter eine mittlerweile über bald anderthalb Jahrzehnte anhaltende, geradezu erstaunliche Kreativität und Schöpfungskraft von praktisch gleichbleibend hoher Qualität.
Natürlich hat die Technik in dieser Zeit Fortschritte gemacht. Etwas, das sich an den einzelnen Filmen an zunehmender Detailfreudigkeit und tricktechnischer Raffinesse festmachen lässt. Aber allein ein Mehr an technischer Brillanz ist kein objektives, gerechtes Kriterium für eine höhere Bewertung. Im Gegensatz zu den Animationsprodukten der Konkurrenz besitzen in den Pixar-Filmen die Sujets und ihre Protagonisten einen ganz besonderen Zauber: Ja, hier darf man durchaus von Pixar-Magie sprechen. Diese beruht zu entscheidenden Teilen auf den erstklassigen Drehbüchern, aber auch darauf, dass die animierten Charaktere derart ausgefeilt inszeniert sind, dass sie quasi belebt und damit beseelt wirken. (Regisseur Brad Birds Drehbuch zu Ratatouille erhielt zu Recht eine Oscarnominierung.)
Der Zauber von Ratatouille beginnt mit der überaus originell-ungewöhnlichen, keineswegs simplen und/oder schlicht vorhersehbaren Fabel, einer, die in die Welt der Feinschmeckerrestaurants und 5-Sterne-Köche führt. Dabei gehört der mutige Held der Story einer Tiergattung an, die eindeutig negativ besetzt ist: Remy ist eine Ratte. Da geht z. B. der an einer Stelle erhobene Vorwurf von zu viel Disney direkt ins Leere. Ratten gehören zwar wie Mäuse zur Gattung der Nager, sie spielen jedoch in den Disney-Klassikern (nicht allein denen mit der Maus) keineswegs eine nur annähernd vergleichbare Rolle. Bestenfalls treten sie eher hinterhältig in Kurzauftritten in Erscheinung. Und dann noch ein genus rattus, ein traditionell mit Schmutz und Pest identifiziertes Tier, als gaumenverwöhnender Chefkoch? Auch das wäre beim alten Disney völlig undenkbar gewesen. Hier sind die Ratten anders: im individuellen Verhalten überzeugend menschelnd und im Rudel eine hilfsbereite Familie.
Remy besitzt zwar in der Gestaltung eindeutig vergleichbaren Charme wie Micky Maus, ist aber trotz der großen Augen plus niedlichen Ohren und Stupsnase keine platte Kopie dieses Vorbildes. So läuft das Rattenmännchen im Gegensatz zu den übrigen Mitgliedern des Rattenclans bevorzugt auf den Hinterbeinen, um die Vorderpfoten für die Handgriffe beim Kochen sauber zu halten: „Ich habe keine Lust, mir andauernd die Pfoten zu waschen. Hast du dir schon mal überlegt, dass wir auf denselben Pfoten rumlaufen, mit denen wir essen oder was wir uns so alles in den Mund stecken? Wenn ich esse, dann möchte ich nicht rausschmecken, wo ich überall war“, erzählt Remy seinem dezent übergewichtigen Brüderchen Emile. Ebenso findet sich die für diese Gattung so charakteristische Dehnbarkeit und Flexibilität der Körper. Ratten können sich nämlich infolge der großen Elastizität ihrer Rippen durch engste Löcher zwängen oder auch zu Miniaturbällen zusammenrollen.
Aber es kommt noch besser. So ist der in vielem auch von den guten klassischen Disney-Traditionen durchsetzte Hintergrund der Filmhandlung nicht nur oberflächlich klischiert gespiegelt. Nein! Ratatouille hat eindeutig mehr im Gepäck als ausschließlich unterhaltsame Comedy-Aspekte. So ist der Film zugleich eine überaus geistreiche wie augenzwinkernd kritische Reflexion auf die sich hinter den Fassaden der elitären und streng hierarchisch organisierten Nobel-Gastronomie verbergenden, mitunter bizarren Verhältnisse. Dies spiegelt sich in den pfiffigen Dialogen, die sowohl witzig-originell sind als auch mit Momenten voller Poesie aufwarten. Das gilt auch für die (mitunter geschmähte) deutsche Synchronfassung, die nicht nur den Geist des englischen Originals sehr gut bewahrt, sondern auch in der Auswahl der deutschen Sprecher eine glückliche und damit erkennbar sorgfältige Hand beweist. Beispielsweise wenn Remy zwischendrin vom ihm wie ein Dschinni erscheinenden Geist des verstorbenen Meisterkochs Auguste Gusteau Ratschläge und Hinweise erhält. So, wenn er anfangs hungrig etwas zu essen stehlen will: „Remy, du bist ein Koch! Der Koch erschafft, der Dieb, der rafft. Du bist kein Dieb! Das Essen wird schon kommen, Remy. Das Essen kommt immer zu denen, die leidenschaftlich kochen!“
Jeder kann kochen!“ niemand möge sich allein aufgrund seiner Herkunft Grenzen bestimmen lassen! Dies ist das erfrischend-unkonventionelle Credo von Remys Vorbild Gusteau. Da steckt nicht nur der „Amerikanische Traum“ dahinter. Manch einer mag in der Grundkonstellation der Geschichte, „Lebe deinen Traum!“, etwas arg Abgedroschenes sehen. Aber gerade wie fantasievoll dieses Klischee hier umgesetzt wird, macht nicht zuletzt den Charme des Ganzen aus.
Ganz nebenbei (oder doch nicht?) wird der Zuschauer aller Altersgruppen von den Vorzügen guten Essens überzeugt, ist er doch mittendrin in einem pfiffigen Plädoyer gegen Fast-Food-Gewohnheiten. Dass diese reizende Liebeserklärung für „Slow Food made in France“ gerade daher kommt, woher auch die berühmtesten Fast-Food-Ketten stammen, lässt allein schon schmunzeln. Dabei findet besagtes Plädoyer ohne belehrend erhobenen Zeigefinger, vielmehr in Form überzeugender, witziger Dialoge statt (s. o.). Pappa Django, übrigens eine enorm markante Ratte, vertritt dabei den eher traditionellen, pragmatischen Standpunkt: „Essen ist Treibstoff! Hauptsache der Tank ist voll, sonst macht’s der Motor nicht lange.“
Aber auch Django wird schließlich zur Genussratte bekehrt, wie auf eine ganz besondere Art der hagere, zuerst so verbissene, menschenfeindliche Gastronomie-Kritiker, versehen mit dem sinnigen Namen Anton Ego. Remy versetzt nämlich den gefürchteten Ego mit einem vorzüglich kreierten Ratatouille schließlich zurück in die Kindheit und erinnert ihn so an die Kochkünste seiner Mutter — ein wiederum gewiss klassischer, aber doch so herzerwärmender und damit zeitloser Moment großen Gefühlskinos. Die anschließend so selbstironische wie warmherzige Selbstbetrachtung des Kritiker-Daseins in der als Monolog zu hörenden Kritik des geläuterten Ego ist ein Meisterstück, das die Kids kaum irritiert, aber gerade die erwachsenen Zuschauer begeistert. Spätestens hier dürften sich auch beim letzten Zweifler die anfangs vielleicht misstrauisch gekräuselten (Ratten-)Härchen wieder wohlig glatt legen. Aber bis es dazu kommt, müssen manch turbulente Abenteuer überstanden und schließlich sogar der gesamte Rattenclan als Küchenpersonal rekrutiert werden. Letzteres freilich nicht, ohne dessen Mitglieder zuerst mit Hilfe eines Dampfspülers den erforderlichen Reinheitsgeboten dieses für diese Spezies so untypischen Betätigungsfeldes anzupassen.
Doch auch dies ist noch längst nicht alles, was der Film abseits stimmungsvoller, rasant und pfiffig gemachter Action zu bieten hat. Vielmehr verstecken sich hinter der so verblüffend realistisch gestalteten Oberfläche, hinter den brillanten Bildern eine Fülle feiner Zitate und Anspielungen, die sämtlich zu entdecken mehr als zwei oder drei Durchgänge erfordert. Und natürlich zeigen die Pixar-Macher auch in Ratatouille, was sie zwischenzeitlich hinzugelernt haben, was dank einer ständig verbesserten Animationstechnik mittlerweile machbar ist. Da verblüfft bereits, wie flink und damit rattentypisch Remy sich seinen Weg von der Kanalisation, durch schmale Spalte und Kanäle bahnt, bis er ganz oben auf einem Dachfirst angekommen verzückt ein traumhaftes Paris-Panorama erleben kann. Ein Knaller ist kurz darauf seine drollige, eher unfreiwillige, rasante erste Erkundung der Restaurantküche. Das absolute Highlight bildet jedoch die über verkehrsreiche Straßen sowie sich auf und an der Seine entlang rasant entwickelnde Verfolgungsjagd. Wie Remy hier vor dem schurkischen Küchenchef Skinner wichtige Papiere in Sicherheit bringt, gerät zur abwechslungsreichen tricktechnischen Parade par excellence. Alles sprüht vor Einfallsreichtum und überrascht mit zahlreichen unerwarteten Gags, scheinbar von der Kamera beobachtet aus oftmals überraschender Perspektive. Dabei begeistert zugleich nicht allein die außergewöhnliche Detailvielfalt, auch der ausgeprägte fotorealistische Touch fasziniert. Das entscheidend Besondere folgt auf dem Fuße. Der sich bei vergleichbaren Gelegenheiten häufig einstellende fade Nachgeschmack bleibt komplett aus: Nichts ist reiner Selbstzweck, alles dient vielmehr einer insgesamt liebenswerten und warmherzigen Kinounterhaltung. So spürbar durchdacht, dabei fantastisch elegant und scheinbar verspielt ist hier alles in Szene gesetzt.
Wenn die Pixar-Gang aus dem kalifornischen Emeryville zu Werke geht, dann steht neben Innovation aber eben auch immer (Disney-)Tradition und damit verbunden augenzwinkernde Hommage mit auf dem Programm. So gibt es mancherlei Szenen von geradezu fantastischer farblicher Vielfalt. Und wenn Remy leidenschaftlich Geschmackseindrücke beschreibt, bestimmen farbliche Eruptionen den visuellen Eindruck. Darin kann man bereits einen Hauch von Fantasia (1940) vermuten. Wenn das Rattenmännchen allerdings bei der rasant in Szene gesetzten Evakuierung des Rattenclans aus der ländlichen Behausung einer schießwütigen Omi in der Kanalisation zusammen mit seinem geliebten Kochbuch in einen Strudel gerät, dann sind die Parallelen zur Zauberlehrlingsepisode mit Micky Maus aus dem genannten 1940er Klassiker unübersehbar. Und wenn Remy den unbeholfenen, tollpatschigen Küchenjungen Linguini an den Haaren führend zum meisterhaften (Marionetten-)Koch werden lässt, dann mag man darin eventuell Pinocchio (1941) erkennen oder aber auch „nur“ augenzwinkernde, natürlich rattenscharf gewürzte Satire sehen. Und im in einem eher flächigen Stil animierten, ausführlichen Abspann fühlt man sich an den Zeichenstrich des Karikaturisten Al Hirschfeld (1903-2003) erinnert.
Ein Hinweis auf das 60-minütige CD-Album mit Michael Giacchinos feiner Filmmusik darf natürlich nicht fehlen: Wer mehr darüber erfahren möchte, der klicke bitte hier.
Bücher zu Ratatouille
Bei SchneiderBuch sind zwei Bücher zum Disney-Pixar-Event erschienen. Kurioserweise handelt es sich beim mit dem viel versprechenden Titel „Das große Buch zum Film“ werbenden Band um einen ziemlichen Flop. Abgesehen vom Einband finden sich darin nämlich keinerlei Filmbilder. Vielmehr ist die aus der Sicht von Remys Bruder erzählte Filmstory im Stil eines Comics eher bescheiden schlicht zeichnerisch illustriert worden. Aber nicht allein das Fehlen von Bildmaterial aus dem Film sowie die die Original-Figuren nicht überzeugend spiegelnden Zeichnungen sind enttäuschend. In der Nacherzählung finden sich außerdem einige erstaunliche Abweichungen von der Filmhandlung. So durchsiebt die militante Omi aus dem Landhaus hier nicht wie im Film die Decke durch Herumballern mit der Flinte und bringt diese so letztlich zum Einsturz. Um denselben Effekt zu erzielen, darf sie im Buch kurioserweise nur mit dem Regenschirm darin herumstochern.
„Willkommen in Remys Welt“ hingegen schneidet besser ab. Dieses Buch verfügt erfreulicherweise nicht nur über Filmbilder. Auch Glenn Dakins Einführung in die Figuren des Films (übersetzt von Antje Göring) ist recht ansprechend. Wäre außerdem noch die Filmstory entsprechend umgesetzt mit enthalten, wäre das Ganze eine runde Sache. So ist es mit seinem Umfang von nur 48 Seiten mit 9.95 nicht gerade preiswert.
Ratatouille auf Standard-DVD und Blu-ray-Disc
Wie zu erwarten, ist auch diese Festplattenproduktion bereits auf Standard-DVD eine (ratten-)scharfe, nicht nur beim Bild, gezeigt im korrekten Scope-Format (1:2,35), qualitativ hochwertige Angelegenheit. Das, was es dazu auf der mittlerweile als Siegerin aus dem Formatkrieg hervorgegangenen Blu-ray-Disc zu sehen gibt, erweist sich sogar als eine ganz besonders „haarige“ Angelegenheit. Geradezu bestechend detailfreudig erscheint hier nämlich nicht allein die vielfältige Haarpracht der Nager. Überhaupt verleiht die erheblich bessere Auflösung, wie auch das Fehlen von das Auge irritierenden Kompressionsartefakten, dem Gezeigten insgesamt ein sichtbares Quantum mehr an Brillanz. Eben genau das, was beim hoch auflösenden Großbildfernsehen den entscheidenden Unterschied und damit den Qualitätsvorsprung ausmacht.
Bereits der deutsche 5.1-Dolby-Digital-EX-Ton der Standard-DVD vermag in seiner detaillierten Räumlichkeit voll für sich einzunehmen. Für die Blu-ray-Verwandte gilt das erst recht. Besagte verfügt darüber hinaus noch über den Tonstandard dts sowie neben deutscher und englischer auch über eine französische Tonfassung.
Beim Bonusmaterial schneidet die Blu-ray-Variante dank einem Mehr an Quantität gegenüber der Standard-DVD-Einzel-Disc-Edition ebenfalls besser ab — die Standard-DVD-Special-Edition ist in diesem Punkt dank spezieller Bonus-Disc natürlich zwangsläufig überlegen. Zu sehen gibt’s: den drolligen (im Kino vor dem Hauptfilm gezeigten) Kurzfilm Lifted, eine lustige Betrachtung zur Sozialgeschichte von Ratte und Mensch in Dein Freund die Ratte, und neben einigen unveröffentlichten Szenen weitere nette Gaben wie „Film und Delikatessen“, „Zum Andenken an Dan Lee“ sowie „Gusteaus Gourmet-Spiel“.
Fazit: Ein weiteres Mal hält Pixar die Spitzenposition im Animationskino. Auch das neueste Festplattenprodukt ist eine nicht allein visuell brillant und virtuos inszenierte Top-Unterhaltung, geeignet für alle Altersstufen. Neben keinesfalls überzogenem, vielmehr charmantem Gefühlskino werden wiederum geschickt und liebevoll verpackt eine Reihe traditioneller Werte und Botschaften augenzwinkernd vermittelt. Das alles ist der auf der einen Seite bewährt traditionelle, aber zugleich so erfrischend zeitgemäß gehandhabte Stoff, aus dem (auch) Ratatouille gemacht ist. Eine an sich völlig unglaubliche Geschichte wird so fast glaubwürdig. Last but not least handelt es sich dabei um einen Film, der zugleich eine charmante Liebeserklärung an Paris, laut Auguste Gusteau „die schönste Stadt der Welt“, ist.
Remy kocht nicht nur erstklassig, der Film mit ihm besitzt m. E. das Zeug zum Klassiker. Wenn man ist, was man isst, dann sollte man nur gute Sachen essen, nicht wahr? Wenn da nicht bereits in Erwartung von WALL•E prompt der Magen zu knurren beginnt.
Zur Erläuterung der Wertungen lesen Sie bitte unseren Hinweis zum Thema „Blu-ray-Disc versus DVD“.
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