Wall•E (Blu-ray)

Geschrieben von:
Michael Boldhaus
Veröffentlicht am:
9. April 2009
Abgelegt unter:
Blu-Ray

Film

(6/6)

Bild

(6/6)

Ton

(5.5/6)

Extras

(6/6)

Wenn Roboterherzen schneller schlagen

Was ist ein Wall•E? Das Kürzel steht für Waste Allocation Load Lifter Earth-Class, also für Müll-Sortierer-Lastenheber der Baureihe Erde und damit für einen Roboter. Wall•E ist aber zugleich der Titel des neuen Pixar-Animationsfilms von Regisseur Andrew Stanton. Und was haben sich die Pixar-Leute dieses Mal einfallen lassen? Nun, eine humorige Endzeitversion im Cartoongewand, eine, die dementsprechend nicht wirklich düster ist, sondern vielmehr unterhaltsam ein Stück Gesellschaftskritik intelligent verpackt an den Mann und/oder die Frau bringt. Ähnlich wie Die Unglaublichen wendet sich auch Wall•E besonders ausgeprägt an die Erwachsenen als Zielgruppe. Allerdings gilt hier, wie schon in den Tagen der wahren Disney-Klassiker: Auch die Kleinen dürfen getrost sitzen bleiben.

3193In ferner Zukunft ist die Erde unbewohnbar, zum mit dem Abfall der ehedem menschlichen Zivilisation übersäten Müllplaneten geworden. Nur einer ist in dieser trostlosen, von Sandstürmen heimgesuchten Wüste fortwährend tätig: Wall•E. Und der räumt auf, indem er tagein, tagaus den Müll zu Würfeln verpresst und diese zu gewaltigen Türmen stapelt. Einziger Gefährte ist die Kakerlake Hal. In Hal spiegelt sich analog der Ratte Remy in Ratatouille erneut der ironische Bruch mit der Disney-Tradition. Dahinter versteckt sich aber zugleich eine Anspielung auf HAL 9000, den denkenden, sprechenden und auch mordenden Bordrechner in Stanley Kubricks 2001 — Odyssee im Weltraum (1968).

In seiner Unterkunft hat der kleine Blechkamerad eine ganze Reihe faszinierender Fundsachen zusammengetragen. Darunter ist auch ein BH, aber ganz besonders hat es Wall•E eine Videokassette mit dem Gene-Kelly-Musical Hello Dolly (1969) angetan. Besonders an „Put on Your Sunday Clothes“ kann er sich kaum sattsehen.

Als ihm die von einem Raumschiff abgesetzte Roboterdame Eve (Extraterrestrial Vegetation Evaluator = Extraterrestrische Vegetations-Erkunderin) begegnet, ist es um die tägliche Monotonie geschehen, geraten die Schmierstoffe in der Mechanik mächtig in Wallung. Als Eve wieder abgeholt wird, folgt ihr unser kleiner Müllroboter ins Weltall und an Bord des riesigen Raumschiffes Axiom. Dort leben die seit Jahrhunderten von der Erde geflohenen Menschen und führen ein behäbiges, zur Fettleibigkeit führendes, allerdings eher langweiliges Luxusdasein. Den ganzen Tag schwebt man von Robotern versorgt auf Liegesesseln durch die Gegend und lässt sich medial dauerberieseln. Jeder der Passagiere ist derart abgestumpft, dass eine von Wall•E zufällig ausgelöste Berührung zweier Insassen (John und Mary) für diese schon zu einer völlig ungewohnten neuartigen Erfahrung wird.

3194Wall•E hatte Eve zuvor ein ganz besonderes Fundstück seiner täglichen Müllräumaktionen gezeigt: ein zartes grünes Pflänzchen, Zeichen für wieder erwachende Vegetation. Für Eve bedeutet dies die Erfüllung des Auftrags ihrer Konstrukteure. Doch an Bord der Axiom löst diese Fundsache nicht das aus, was sie eigentlich sollte: die Rückkehr der Axiom und ihrer Passagiere zum Heimatplaneten Erde. Dem stellt sich nämlich der HAL-9000-ähnliche Bordroboter, der hier „Otto“ heißt, in 2001-Manier entgegen. Otto handelt in geheimem Auftrag der „Buy ‛n Large Corporation“, die ehedem die ganze Welt mit ihren Konsumprodukten beherrschte — in der Boni-Sektion gibt’s übrigens lustige Werbespots besagter Corporation zu sehen.

Nun, bis es schließlich doch gelingt, Otto auszuschalten und die Menschheit wie auch Wall•E und Eve zurück zur Erde zu geleiten, müssen noch eine ganze Reihe gewohnt einfallsreich und turbulent zugleich in Szene gesetzter Dinge passieren. Dass dabei im Science-Fiction-Endzeit-Sujet auch der klassische Disney-Charme nicht auf der Strecke bleibt, ist natürlich Ehrensache. Die trotz des ungewöhnlichen Sujets so Disney-typisch inszenierte Szene der zwei schwerelos im Weltraum schwebenden verliebten Roboter ist nur eine von mancherlei drolligen Köstlichkeiten. Gegen Wall•E und Eve können andere Droiden, z. B. R2-D2 und C-3PO aus dem Star-Wars-Imperium, denn doch nicht mithalten.

Typisch für derartige, völlig aus dem Computer stammende Produktionen ist die hohe Bildqualität bereits der DVD-Ausgabe. Allerdings sieht auch hier die Blu-ray wieder ein entscheidendes Portiönchen besser aus. Satte Farben, erstklassige Kontraste und bestechende Detailschärfe sprechen hier eine eindeutige Sprache. Dass der vorzügliche Ton im dts-6.1-Format keine Wünsche offen lässt, sei da nur angemerkt.

3195Erstklassig ist darüber hinaus das auf den Doppel-Disc-Editionen vertretene sehr umfangreiche Bonusmaterial. Natürlich gibt’s hier viel zu den Hintergründen zu sehen, selbst die feine Filmmusik von Thomas Newman bleibt nicht ausgespart: „Anmerkungen zu einem Soundtrack“. Für Infos zur CD bitte hier klicken.

Sehr aufschlussreich und originell zugleich ist das knapp 18-minütige Feature „Sound Design im Animationsfilm — Welten aus Tönen erschaffen“. Tontechniker und Tongestalter Ben Burtt erläutert darin nicht nur die modernen Klangdesigns. Er führt den Zuschauer auch zurück zu den Wurzeln der modernen Sounddesigns, zur Arbeit der Pioniere in den 30er-Jahren. Damals erlaubten die nicht nur sperrigen, sondern zugleich schwergewichtigen Apparaturen zur Tonaufzeichnung es noch nicht, außerhalb der Studios Klänge aufzuzeichnen. Und so entwickelten die Tontechniker ein ganzes Sammelsurium von Maschinen, um die verschiedensten Klänge möglichst realistisch mechanisch zu erzeugen. Erfreulicherweise sind offenbar die meisten davon erhalten geblieben. Das gestattet dem Interessierten hochinteressante und zugleich amüsante Einblicke. Es schafft zugleich ein Bewusstsein dafür, wie bedeutend bereits die ausgefuchste Arbeit der Tonpioniere in den Disney-Studios an der Gesamtwirkung der Filme war. Deren Fantasie und zugleich mechanisches Geschick beim Austüfteln der die gewünschten Klänge erzeugenden meist verblüffenden Apparate stehen denen der Animatoren kaum nach. Ein schönes Beispiel dafür ist die bereits in The Old Mill (1937) eingesetzte Regenmaschine von Jimmy McDonald.

Darüber hinaus gibt’s einen hörenswerten Audiokommentar von Regisseur Andrew Stanton, und weitere aufschlussreiche Blicke hinter die Kulissen, z. B. in „Die unvollkommene Linse: Wie der Look von Wall•E geschaffen wurde“ oder „Das Leben einer Einstellung: Dekonstruktion des Pixar-Arbeitsprozesses“.

3196Eine absolute Boni-Perle ist jedoch die mit rund 85 Minuten im Spielfilmformat daherkommende Dokumentation „Die Pixar Story“. Pixars Werdegang und damit zugleich die Entwicklung der Computeranimation sind hier umfassend erläutert. Natürlich werden auch die „neun alten Männer“ erwähnt, die für die Gestaltung der abendfüllenden Disneyfilme insbesondere der späten 30er und 40er Jahre verantwortlich zeichneten, wie Frank Thomas und Ollie Johnston.

Da bekommt man große Lust, sich die in kurzen Ausschnitten zu sehenden frühen Pixar-Kurzfilme, die Toy Story den Weg bereiteten, auch einmal komplett anzuschauen. Hier verschafft die ebenfalls in beiden Formaten erhältliche „Pixars komplette Kurzfilm Collection“ Abhilfe. 13 Kurzfilme aus den Jahren 1984 bis 2007, von Die Abenteuer von Andre & Wally B. (1984) bis Lifted (2007) sind hier vereint und werden auf Wunsch auch mit informativem Audiokommentar gezeigt. Zwar haben die allerersten, noch aus den 80ern stammenden Kurzfilme in Sachen HD-Tauglichkeit zwangsläufig nichts zu bieten, aber ab der Nummero fünf wird es schon erheblich besser.

Dazu ist unbedingt die knapp 24 Minuten dauernde Dokumentation „Die Pixar Kurzfilme: ein kurzer Rückblick“ sehenswert. Letztere ergänzt die vorstehend genannte Pixar-Doku in den Boni von Wall•E zusätzlich, ohne dass die Menge an Überschneidungen zu groß ist. Anfänglich waren sie nur eine Hardwarefirma bei Lucasfilm, deren Mitarbeiter der ersten Stunde letztlich bei Tron anknüpften. Über die Jahre ging daraus dann das eigenständige Animationsstudio hervor, das wir heute kennen.

3197Aber trotz der noch unübersehbaren Unzulänglichkeiten der animierten Erstlinge begeistern auch dort bereits der von Anfang an vorhandene Einfallsreichtum sowie die von Film zu Film ersichtlichen technischen Fortschritte. So wird auch der Werdegang der Pixar-Crew eindrucksvoll erkennbar. Freunde des 1986er Kurzfilms Luxo Jr. • Die kleine Lampe finden darüber hinaus auch die 4 zusätzlichen drolligen Kurzfilme mit den zwei Bürolampen, die seinerzeit für die Sesamstraße produziert worden sind.

Auch im vorliegenden Fall ist die Blu-ray, trotz der mit 53 Minuten relativen Kürze des Hauptprogramms, letztlich die bestechendere Wahl, macht doch gerade sie die Qualitätszuwächse noch deutlicher.

Da muss abschließend auch noch etwas zu den beiden feinen Kurzfilmen im Bonusmaterial von Wall•E gesagt sein: Da ist zum einen Presto, wo ein etwas sehr selbstgefälliger Zauberer von seinem ausgehungerten Kaninchen (das aus dem Zylinder) umwerfend temporeich und originell Rücksichtnahme und damit Teamgeist beigebracht bekommt. Das besitzt schon beträchtliche Klasse, mag man sich öfters mal anschauen. Wobei der immerhin knapp 8-minütige Film um einen Kollegen unseres kleinen fleißigen Müllroboters, den Schweißarbeiten ausführenden BurnE, klar den Vogel abschießt. Dieser Film knüpft raffiniert an eine Szene gegen Ende des Wall•E-Films an, in welcher besagter kleiner Schweißroboter kurz bei Reparaturarbeiten an einer Positionslampe an der Axiom zu sehen ist. Der Kurzfilm liefert nun einen Teil des Films quasi nochmals, allerdings aus anderer Perspektive, der von BurnE. Welch frustrierende Erlebnisse dieser kleine Kerl beim Reparieren des Positionslichts verkraften muss, war den Zuschauern bislang komplett entgangen. Das, was man dazu nun zu sehen bekommt, ist absolut hitverdächtig.

3198Fazit: Bei der diesjährigen Oscarverleihung hat Wall•E, der mittlerweile neunte Film der Pixar-Crew, ein weiteres (inzwischen zum vierten) Mal die begehrte Trophäe für den besten Animationsfilm ergattert. Es ist zwar schon so, dass die Roboterromanze unmittelbar nicht ganz denselben Knuddelcharme entwickelt wie z. B. die Abenteuer von Remy dem Rattenmännchen. Doch das dürfte sich bereits beim zweiten Durchlauf merklich bessern.

Zwar ist es auf dem Müllplaneten Erde sehr staubig und darum mitunter auch mal gewollt unscharf. Aber da, wo Schärfentiefe angesagt ist, da zeigt sie der Film auch, insbesondere von Blu-ray. Drum gilt auch hier: Vorsicht! Besser nicht zulange hinsehen, so man Blu-ray derzeit nur im Laden gezeigt bekommt. Es könnte süchtig machen!

Zur Erläuterung der Wertungen lesen Sie bitte unseren Hinweis zum Thema „Blu-ray-Disc versus DVD“.

Dieser Artikel ist Teil unseres Spezialprogramms zu Ostern 2009.

© aller Abbildungen bei PIXAR ANIMATION STUDIOS und DISNEY.

Regisseur:
Stanton, Andrew

Erschienen:
2008
Vertrieb:
Walt Disney Studios Home Entertainment
Kennung:
BGY 0042304 (2 Blu-ray-Discs)
Zusatzinformationen:
USA 2008

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