Pinocchio (Platinum Edition, Blu-ray)

Geschrieben von:
Michael Boldhaus
Veröffentlicht am:
11. April 2009
Abgelegt unter:
DVD

Film

(6/6)

Bild

(6/6)

Ton

(4/6)

Extras

(5/6)

Es ist soweit! Nach Dornröschen (1959) ist nun auch Pinocchio (1940) — im Vorfeld des 70. Jubiläums 2010 — in komplett neu restaurierter Form auf Blu-ray-Disc und DVD erhältlich.

Schneewittchen und die sieben Zwerge (1937), das erste abendfüllende Zeichentrickfilmprojekt der Disney Studios, galt während der Produktionsphase vielen Insidern als „Disneys verrückte Idee“. Der überwältigende Erfolg beeindruckte aber nicht nur die Zweifler, er beflügelte auch das Disney-Team. Der Wunsch von Presse und Filmwirtschaft nach „mehr Zwergen“ wurde freilich nicht erfüllt. Der nächste abendfüllende Zeichentrickfilm sollte besser und anders sein als der erste und ursprünglich hatte man sich für [url id=2510]Bambi[/url] (1942) entschieden. Doch eine realistische Tieranimation erwies sich (noch) als zu schwierig und so kamen rasch die damals als Lehrstücke für Kinder sehr beliebten Fortsetzungskurzgeschichten um den hölzernen Hampelmann, die Marionette „Pinocchio“ des Journalisten Carlo Lorenzini (1826—1890), bekannter unter dem Pseudonym Carlo Collodi, ins Visier. Pinocchio ist in der Vorlage ein eher altkluger, vorlauter Naseweis, also ein nicht allzu angenehmer Zeitgenosse. Disney hat diesen nicht nur zu einem naiv gutgläubigen, dabei unmittelbar liebenswerten Disney-typischen Charakter umgestaltet. Er hat auch aus der Grille Jimmy (Jiminy Cricket), im Original eher ein Nebencharakter, eine bedeutende, ja entscheidende Hauptfigur gemacht, die neben dem titelgebenden Pinocchio die Handlung entscheidend mitbestimmt.

3199Wenn hier von Disney die Rede ist, dann ist damit nicht ausschließlich Walt Disney persönlich gemeint, sondern auch die im Einzelnen ungenannt gebliebenen fähigen Köpfe seines breit gefächerten Teams, das die gesamte Produktion eines Films bestritt. Disney war zwar schon die organisatorisch führende und auch entscheidende Impulse verleihende Kraft des Ganzen, aber letztlich war das erstklassige Gesamtresultat das Ergebnis kreativer Teamarbeit. Liebe zum Detail und enormer Ideenreichtum sämtlicher Beteiligter sind die Ingredienzien, die jede Szene eines Films erkennen lassen und letztlich das, was bis heute den fortwährenden Charme und zugleich die besondere Faszination einer ganzen Reihe der Disney-Filme ausmacht. Nach dem überwältigenden Erfolg von Schneewittchen waren die Disney-Studios unter Nachwuchszeichnern als Talentschmiede zur Fortbildung ganz besonders gefragt.

3200Walt Disney ließ die bereits in der Spätphase von Schneewittchen begonnene Produktion von Pinocchio nach den ersten sechs Monaten stoppen und komplett neu beginnen. Allein das vermittelt bereits einen kleinen Eindruck vom mühevollen Weg hin zu dem, was dem Zuschauer, damals wie heute, so selbstverständlich leicht und flüssig gemacht erscheint. Eine der Novitäten dieser Produktion war das Arbeiten mit dreidimensionalen Modellen (Skulpturen) der einzelnen zu animierenden Figuren.

Zwar ist Figaro, der kleine schwarze Kater mit der weißen Brust, noch nicht fotorealistisch gestaltet. Dank der Dry-Brush-Technik erscheint sein Fell aber so herrlich differenziert schattiert, das die animierte Figur deutlich lebendiger erscheint als von Cartoons normalerweise gewohnt. Und der Charme der Goldfischdame Cleo rührt mit vom echten Rouge auf den Wangen her, etwas, das bereits Schneewittchen vorexerziert hatte.

Alles was es zu sehen gibt ist im wahrsten Wortsinn handgemacht, inklusive der schon beachtlichen Glitzer- und Weichzeichnereffekte (für die an Schneewittchen erinnernde „Blaue Fee“), welche heutzutage der Computer so perfekt zu generieren vermag. Die Größenverhältnisse und Kameraperspektiven, die dramaturgischen Effekte, der Einsatz von „Licht und Schatten“ und ebenso die reizenden Ideen, wie der in einer Streichholzschachtel übernachtende Jimmy Grille. Alles passt geradezu perfekt zusammen und ist gegenüber dem Vorläufer Schneewittchen verfeinert und verbessert. Grandios ist die aufwändige Multiplanszene (Kapitel 8), in der die Kamera nicht „nur“ zoomt, sondern auch in der Horizontalen Schwenks ausführt. Die „kleine“ Szene von nur einer knappen Minute Dauer verursachte damals Kosten von stolzen rund 48.000 $.

3201Pinocchio bewahrt das Episodenhafte der Vorlage Collodis und bildet somit das wohl vielfältigste und kontrastreichste Produkt der Disney-Animationsfilme. Die Handlung erstreckt sich über außergewöhnlich viele, in Stil und Stimmung sehr differenziert gehaltene Schauplätze, bevölkert mit ebenso vielfältigen Charakteren — etwas, das zweifellos die Pixar-Macher, nicht nur bei Toy Story 2, beeinflusst hat. Neben dem idyllischen Städtchen, in dem Gepetto lebt, ist da der Jahrmarktscharakter von Strombolis Marionettentheater. Außerdem gibt es die dunklen unheimlichen, dem Kinohorror entlehnten Stimmungen auf der Vergnügungsinsel „Pleasure Island“, wo ungezogene Jungen in Esel verwandelt werden. Und ganz besonders bemerkenswert ist die Brillanz der ausgefeilten Wasser- und Unterwasserszenen in der Sequenz mit Nostromo dem Wal. Vieles hiervon diente als Vorbild für Arielle die Meerjungfrau aber sicher auch für die Animatoren bei Pixar für Findet Nemo. Drollig ist (nicht nur) dabei auch das augenzwinkernd Widersinnige: so wenn Jimmy Grille, in einer großen Luftblase befindlich, nach seinem dicht vorbeischwimmenden Hut greift, worauf die Luftblase wie „leck geschlagen“ voll Wasser läuft. Auch die Textur des Wassers, die Brechung der Wellen etc. sind weniger fotorealistisch denn impressionistisch. Trotzdem kollidiert das so einfallsreich Unrealistische nie wirklich mit dem Empfinden des Zuschauers. In der Disney’schen Unterhaltungswelt von Pinocchio beißt sich einfach nichts.

Aber nicht nur das Visuelle, auch die Musik ist überaus anspruchsvoll ausgeführt — siehe dazu auch den Artikel zur 2003er DVD-Edition. Neben den glitzernden Klängen der Celesta bereitet auch ein Synthesizer-Vorläufer, das Novachord, der blauen Fee den Weg. Das wichtigste Leitmotiv ist der zu Beginn und am Schluss gesungene berühmte Song „When You Wish upon a Star“. Selbst die verschiedenen anderen eingestreuten Songs sorgen aber nicht etwa für Brüche. Sie sind derart vorzüglich integrierter Bestandteil, dass die Handlung durch sie nicht angehalten, sondern sogar mit vorangetrieben wird. Die Juroren der Academy of Motion Picture Arts and Sciences haben es wohl entsprechend empfunden. Pinocchio erhielt nämlich in den Musikkategorien ungewöhnlicherweise sogar gleich zwei Oscars: für die Musik und den besten Song.

3204All das zuvor Beschriebene gibt es nun in perfekter Präsentation mit den aktuellen Platinum-Editionen von Blu-ray-Disc und (mit Einschränkungen) auch von DVD zu sehen und, für den der mag, auch ausgiebig zu studieren. Eines war nicht erst bei der 2003er DVD-Edition gewiss: Um zumindest den allermeisten Finessen des Films auf die Spur zu kommen, braucht es erheblich mehr als nur einen Durchgang.

Wie im Fall von Dornröschen ist auch der Eindruck, den die beiden aktuellen Pinocchio-Editionen hinterlassen, vergleichbar vorzüglich. Die 2003er-Edition ist gewiss nicht schlecht, aber eben doch sichtbar nicht so gut wie die neuen Ausgaben. In ganz besonderem Maße belegt zwangsläufig die Blu-ray die Perfektion des neuen Transfers, aber auch die gute „alte“ DVD zeigt in dieser Neuausgabe eindeutige Verbesserungen. Besonders im A-B-Vergleich werden die auf hohem Qualitätslevel anzusiedelnden Unterschiede ersichtlich. Das Bild vermag bei Kontrast, Schärfe und Farbe zu punkten, hat eindeutig die Nase vorn. Details verschwinden auch bei der älteren DVD-Ausgabe nicht zu früh im Schwarz. Der jetzt verbesserte Kontrastumfang lässt allerdings selbst im Halbdunkel angesiedelte Details deutlicher und klarer hervortreten. Ebenso hat die Farbgebung qualitativ ein entscheidendes Quäntchen zugelegt. Alles erscheint nicht zwangsläufig einfach bunter, sondern frischer und auch untereinander farblich stimmiger. Hinzu kommen das jetzt praktisch eliminierte, im älteren Transfer sehr dezent erkennbare Flächenrauschen, sowie die hier und da Technicolor-typischen, in Form farbiger Fleckchen erkennbaren leichten Kopienschäden sowie dezente Reste von Verschmutzungen. Das ist es, woraus unterm Strich der eindeutige Zuwachs an Brillanz resultiert. Und diese neue Qualitätsdimension macht nicht nur besonderen Spaß, sie besitzt zugleich Suchtpotenzial. Dass das Bessere nun mal der Feind des Guten ist, wird hier einmal mehr unter Beweis gestellt.

Besonders etwas eingehendere Vergleiche machen den Qualitätssprung deutlich. So ist z. B. im komplexen Multiplanshot in Kapitel 8 (s. o.) bei der 2003er Edition bei genauerem Hinsehen etwa im Zentrum des Bildes ein rechteckiger „heller Schatten“ (vermutlich eine Spiegelung) deutlich zu erkennen. Davon ist in der Neuausgabe praktisch nichts mehr übrig geblieben. Man muss schon zwei-, dreimal durchlaufen lassen, um davon ganz vereinzelt (!) noch geringe Spuren ausfindig zu machen — wer’s nicht weiß, der merkt es eh nicht!

3202Im Kino ist Pinocchio nie in dieser Vollkommenheit zu sehen gewesen. Ob man beim Restaurieren oder besser Herausretuschieren von Fehlern soweit gehen darf, dass das Resultat besser aussieht als bei der Premiere 1940, daran dürften sich die Geister scheiden. Ich meine, es ist im vorliegenden Fall schon in Ordnung. Immerhin wird hier ja nicht eine typische Eigenart eines älteren Filmtricks nachträglich beschönigt: z. B. die Fäden, an denen das Flugzeug im Finale von Goldfinger im Kino sichtbar hing, entfernt. Der auf Perfektion nachweislich so versessene Walt Disney hätte wohl an den Resultaten derartiger High-Tech-Restauration vergleichbare Freude, wie sie zweifellos auch viele der Käufer der vorliegenden Platinum-Edition haben werden.

Auch der alte, freilich saubere Mono-Lichtton hat gegenüber früheren Ausgaben nochmals ein Stückchen zugelegt. Echte Stereoeffekte gibt’s dabei natürlich zwangsläufig nicht. Der sehr saubere Ton weist jetzt aber noch ein kleines zusätzliches Plus an (artifizieller) Räumlichkeit auf. Schade ist allerdings, dass auch dieses Mal nur die sicher recht kindgerechte, passable Neusynchronisation aus den 70er Jahren enthalten ist. Leider bekommt man dazu nicht die dichterisch deutlich elegantere und anspruchsvollere 1951er Erstsynchronisation noch obendrauf mitgeliefert. Derartiges leistet etwas unglücklich der immer noch anzutreffenden Meinung Vorschub, es handle sich hier um ein reines Produkt für Kinder. Und gerade das ist es doch, dem Walt Disney immer entschieden entgegengetreten ist. Zu Recht sah er in seinen Animationsfilmen Unterhaltungen für alle Generationen im Allgemeinen und für die ganze Familie im Besonderen.

Und dieses Mal wartet Pinocchio endlich auch hierzulande mit umfangreichen Bonusmaterialien auf. Dabei bilden das informative Making-Of sowie der Videokommentar mit Animator Eric Goldberg und den Filmhistorikern Leonard Maltin und J. B. Kaufman das für den Filmfreund Interessanteste. Im durchweg lockeren Plaudern der drei wird man auf bemerkenswerte Details im Film hingewiesen. Beispielsweise auch auf einen kleinen Anschlussfehler: Wenn Pinocchios Finger beim Spiel mit der Kerze entzündet wird, dann fehlt Gepetto für ein paar Momente die Nachtmütze, die er in der Szene davor trägt. Die Kommentatoren nehmen es mit Humor. Interessanterweise fällt der Fehler im gekonnt dynamischen Geschehen eh kaum auf. Als Blu-ray-Privileg kann man sich im so genannten Cine-Explore-Modus zu den im Kommentar erläuterten Infos zusätzlich erklärende Bilder einblenden lassen. Auf der Filmdisc findet sich schließlich ein ansprechendes Ratespiel, wo der Pinocchio-Freund seinen Wissensstand in verschiedenen Schwierigkeitsstufen spielerisch überprüfen kann.

Im rund einstündigen Making-Of ist natürlich ausgiebig von Disneys „Nine Old Men“ die Rede. Diese neun waren die Topanimatoren jener Jahre, die den Stil besonders ab Schneewittchen prägten. Erfreulicherweise wird an dieser Stelle aber ein wichtiger Aspekt nicht unterschlagen. Die damals mit ca. 30 Lenzen selbst noch jungen Old Men standen nämlich auf den Schultern von verdienten Zeichnern wie Norm Ferguson, Fred Moore, Bill Tytla und Art Babbitt. Diese Pioniere hatten die Ästhetik der Disney-Cartoons der 1930er entwickelt. Das ist wahre Tradition.

3203Die Blu-ray-Edition verfügt exklusiv noch über „Disney View“: Dabei handelt es sich um einen virtuellen Rahmen für das auf 16:9-TV-Geräten ansonsten zwangsläufig schwarze Balken verursachende Akademieformat (1 : 1,37) von Pinocchio. Ob man diese Funktion nun nutzen mag, bleibt Geschmackssache. In keinem Fall sollte man das Bild formatfüllend aufblasen. Dabei werden nämlich zwangsläufig oben und unten beträchtliche Bildteile abgeschnitten oder das Bild wird verzerrt: Derartiges verfälscht eklatant, ja ruiniert den Bildeindruck!

An den Kinokassen war Pinocchio übrigens deutlich weniger erfolgreich als Schneewittchen und die sieben Zwerge, dessen lineare Handlungskonstellation breitere Zuschauerkreise sicher unmittelbarer anzusprechen vermag als die ausgeprägt künstlerische, in Teilen experimentellere Gestaltung des Nachfolgers. Ist aber deswegen Schneewittchen auch der bessere Film? Wohl kaum. Ein sehr ähnliches Phänomen begegnet einem übrigens erst jüngst wieder bei Pixars Wall••E im Vergleich zu Ratatouille.

So bleibt schließlich noch anzumerken, dass für den Herbst 2009 Schneewittchen und die sieben Zwerge angekündigt ist. Vorab gibt’s davon im Vorprogramm bereits einen viel versprechend aussehenden Trailer zu sehen.

Fazit: Auch bei den aktuellen Platinum-Editionen von Pinocchio auf Blu-ray und DVD steht alles zum Besten. Neben der die Spitze bildenden Blu-ray zeigt der neue Transfer auch auf DVD klare Verbesserungen. Für den Interessierten, der in nicht zu ferner Zukunft an den Kauf eines Blu-ray-Players denkt, hat man sich bei Disney etwas einfallen lassen: Pinocchio gibt es als „Blu-ray Sonder-Edition“, d. h. im Blu-ray-Set ist noch ohne Aufpreis (!) eine Spielfilm-DVD mit enthalten. Das nennt man aber doch wohl der Suchtausbreitung (s. o.) gezielt Vorschub leisten, oder?

Zur Erläuterung der Wertungen lesen Sie bitte unseren Hinweis zum Thema „Blu-ray-Disc versus DVD“.

Dieser Artikel ist Teil unseres Spezialprogramms zu Ostern 2009.

© aller Logos und Abbildungen bei WALT DISNEY PICTURES.


Mehrteilige Rezension:

Folgende Beiträge gehören ebenfalls dazu:


Erschienen:
2009
Vertrieb:
Walt Disney Studios Home Entertainment
Kennung:
Platinum Edition BGH 0042804 (2 Blu-ray-Discs + 1 DVD)
Zusatzinformationen:
USA 1940

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