The Day after Tomorrow

Geschrieben von:
Michael Boldhaus
Veröffentlicht am:
16. Juni 2004
Abgelegt unter:
CD

Score

(2/6)

Kommentar zum Film

Deutschland im Sommer 2004: Aus Angst vor Filmpiraterie geben sich jetzt auch hierzulande die US-Blockbuster zeitgleich mit den USA-Kinostartterminen die Klinke in die Hand. Nach Troja nun The Day after Tomorrow — wobei am vergangenen Donnerstag der dritte Harry-Potter-Film ebenfalls an den Start ging. Ob derartiges Bombardement mit teuren Filmproduktionen in dieser hierzulande traditionell eher weniger umsatzträchtigen Jahreszeit gut funktioniert, bleibt abzuwarten. Offenbar wird immer mehr (auch in den USA) darauf abgezielt, das Geschäft innerhalb weniger Tage (am ersten Wochenende) zu machen. Durch derartiges Verheizen hat ein Film nicht allein überhaupt keine Gelegenheit mehr, seinen Zulauf durch Mund-zu-Mund-Propaganda zu verbessern. Auch die Kinobranche stöhnt zunehmend über allzu rigorose Forderungen der Verleihe, die das Geschäft an der Kinokasse dramatisch beeinträchtigen. Und das Publikum? Es wird im Zusammenwirken mit einem vergleichbar überhitzten DVD-Markt zunehmend mit audiovisuellen Reizen überflutet. Ob dies vielleicht nur das Vorspiel zu einer möglicherweise für mehr als nur die Kinobranche erneuten großen Krise ist? Soweit die fragende „Botschaft“ des Rezensenten.

Roland Emmerichs Film The Day after Tomorrow hat ebenfalls eine Botschaft im Gepäck, nämlich die der Klimakatastrophe infolge ökologischen Raubbaus. Der Film versucht sich in der Gratwanderung, sein ernstes Thema in Form einer spektakulären Unterhaltung unters Volk zu bringen. Und sicher, die überwiegende Mehrzahl der tricktechnischen Effekte ist weitgehend überzeugend geraten, so die sich über L. A. bildenden und anschließend die City verwüstenden Wirbelstürme, die gigantische New York überschwemmende Flutwelle, und eingeschränkt gilt dies auch für den finalen Kälteschock. Das entscheidende Dilemma dieses Films offenbart jedoch der „Rest“, die allein übermäßig banal-simple und nicht vor allzu viel unhaltbarem (nicht zu verwechseln mit „unterhaltsamen“) Blödsinn zurückschreckende Story. Immerhin geht es hier eindeutig um rationale, physikalische und damit wissenschaftlich erklärbare Phänomene und damit sollten sich die Macher bei der freien Gestaltung eines derartigen Szenarios bei der Effektheischerei nicht übergroße Freiheiten gestatten, um die Glaubwürdigkeit nicht völlig ad absurdum zu führen. Und damit ist nun sicher nicht ein eher trockenes und/oder bierernstes Dokumentarspiel-Szenario gefordert, aber der hier gebotene Aufguss von Independence Day strotzt allzu arg vor Unmöglichem. Nicht allein wie locker man per pedes vor der anrückenden Flutwelle davonläuft, ist einfach nur gediegen.

Doch damit nicht genug: Zusätzlich wird die naiv-schlichte Plotte kräftig mit Patriotismus-Soße, der Marke „echt“ statt „un“-amerikanisch übergossen. Hier kriegt auch der schlichteste Ami der traumatischen Post-Irak-Krieg-Arä wieder die tapferen wahren Helden geboten, die er für das Wiedererlangen des unkritischen Selbstbewusstseins benötigt.

Papa Hall, seines Zeichens Klimatologe (Dennis Quaid), rettet Sohnemann Sam aus dem mehr als allein saukalten New York. Dabei macht er sich mit lächerlich unzureichender, nicht einmal auf Arktis-Standard ausgelegter Ausrüstung und von nur zwei Getreuen begleitet, dazu noch teilweise zu Fuß auf den Weg. Übernachtet wird im schlichten Camping-Zelt (Hightech-Spirituskocher inklusive) und durch die Gegend stolpert man mit gegen die extreme Kälte weitgehend ungeschützten Gesichtern. Und das in einer Region, wo der Film zuvor sogar einen absoluten Temperaturschock, mit sogar deutlich niedriger als 100 Grad Celsius unter dem Gefrierpunkt von Wasser suggeriert! Abgesehen davon, dass man in einem nur normal isolierten noch dazu großen Raum eines Wolkenkratzers bei anschließend extremer Dauer-Kälte von vielleicht „nur“ minus 60 bis minus 70 °C mit allein einem schlichten Kaminfeuer (wie hier gespeist mit Büchern) wohl kaum tagelang wird überleben können, kommt es noch toller: Nachdem Vater und Sohn sich im apokalyptischen Chaos wieder gefunden haben, wird per Funk die frohe Botschaft weitergeleitet und der mittlerweile in Mexiko residierende Präsident schickt die Air Force vorbei, die neben der Gruppe um Sohnemann und Papa auch noch weitere Überlebende rettet. Wenn dann eine Reihe Transportflugzeuge auf den Hubschrauber-Landeplätzen der Hochhausdächer (!) landet und ihnen die Überlebenden entgegen strömen, ist der Öko-Clash-Kitsch nahezu perfekt. Letzteres gilt wohl spätestens bei der optimistisch-verharmlosenden Schlussansprache des Präsidenten.

Da vermögen ein recht viel versprechender Einstieg und auch ein paar gekonnt inszenierte ironische Momente nicht allzu viel zu retten: so, wenn die gegenwärtige Regierungsadministration mit ihrer Ablehnung des Kyoto-Protokolls auf’s Korn genommen wird und auch wenn die Amerikaner auf der Flucht vor der Kälte gen Süden fluten und über ihren eigenen Grenzzaun „illegal“ nach Mexiko hineinschwappen. Immerhin erlässt Mr. (Vice-)President Mexiko für die Genehmigung zur amerikanischen Invasion großzügig die Schulden. Nett ist auch eine augenzwinkernde Anleihe bei Bruckheimers Armageddon (Penner mit Bello) und ebenso eine im tiefgefrosteten New York an die Schlusssequenz von Planet der Affen (1968) erinnernde Einstellung mit der nur noch teilweise aus Schnee und Eis herausragenden Freiheitsstatue.

Gut gemeint, aber letztlich schlecht gemacht? Hieran dürften sich wohl die Geister extrem scheiden. Ist möglicherweise gerade diese Art von weitgehend hirnlosem Popcornkino für breiteste Schichten jenseits des großen Teichs besonders geeignet, einen vielleicht sogar längerfristig wirksamen Denkanstoß anzuregen? So lautet das letztlich doch etwas kopfschüttelnd-ratlose Fazit des Rezensenten, der dem Spektakel noch 2 Sterne zugesteht. Ob recht eindrucksvolle und alles in allem vielleicht 30 spektakulär unterhaltsame von insgesamt 125 Minuten ausreichen, dem Film über einen Kinobesuch hinaus Anerkennung zu zollen, muss jeder für sich entscheiden.

Die Filmmusik

Ähnlich begrenzt mitreißend wie der Film ist die Musik von Harald Kloser (Marlene) geraten. Was der Käufer des Albums über rund 40 Albumminuten zu hören bekommt, ist ein eher spannungsarmer, weitgehend ruhig und getragen dahinplätschernder Score. Einer, der vielleicht im Film dem alten filmmusikalischen Leitsatz nacheifert, dass eine gute Filmmusik die sei, welche der Zuschauer nicht bemerke. Da, wo es kurzeitig etwas temperamentvoller zugeht, kommt etwas David Arnold in den Sinn, und die ausgiebigen streicherdominierten Sätze erinnern an Media Ventures, beispielsweise an Last Samurai und K-19. Ganz besonders frappant ist aber die Ähnlichkeit mit The Thin Red Line: wer mag, vergleiche hier mit dem „Main Title“ (in Klosers fehlt selbst das leise tickende Geräusch nicht!) und anschließend mit „Journey to the Line“.

Unterm Strich wirkt The Day after Tomorrow daher eher wie ein (noch passabler) Klon, denn als einigermaßen eigenständig entwickelte Filmmusik. Der Käufer erhält dazu ein auch thematisch recht blasses Höralbum. Eine Musik, die trotz nur knapp 40 Minuten Spieldauer eher ermüdend vor sich hinplätschert und dem Film im bescheidenen Rang nicht nachsteht.

Komponist:
Kloser, Harald

Erschienen:
2004
Gesamtspielzeit:
38:26 Minuten
Sampler:
Varèse Sarabande
Kennung:
VSD-6572

Weitere interessante Beiträge:

Gidon Kremer: Le Cinema

Gidon Kremer: Le Cinema

Cinema Serenade 2

Cinema Serenade 2

Hearts in Atlantis

Hearts in Atlantis

Frank Bridge – Orchestral Works, Vol. 1

Frank Bridge – Orchestral Works, Vol. 1

Cinemusic.de