Die Manns/Speer und Er
Bereits rechtzeitig zum Weihnachtsgeschäft 2005 erschienen auf dem Label Ilusion Records zwei TV-Vertonungen auf CD, die auf den brillanten zeitgeschichtlichen Betrachtungen von Heinrich Breloer und Horst Königstein beruhen: Die Manns und Speer und Er.
Die Gebrüder Hans P. und Ernst Ströer sehen sich als „Nomaden der Musik“ und dabei zugleich als besonders unkonventionelle Grenzgänger der deutschen Musikszene: vom Mainstream-Pop über Disco, Funk, Jazz und Rock bis hin zu avantgardistischen Klangexperimenten. So übernahmen die Ströer Brüder Programmgestaltung und musikalische Leitung der „German KunstDisco Seoul“, des offiziellen deutschen Kulturbeitrags zum Olympic Arts Festival bei den Olympischen Sommerspielen 1988 in Seoul/Südkorea. Ebenfalls entstanden Alben mit dem Rocksänger Udo Lindenberg sowie die Udo-Orchester-CD „Belcanto“ mit dem Deutschen Filmorchester Babelsberg.
Hans P. Stroer beschreibt im Begleittext der CD die ausgiebigen Vorbereitungen dieses Vertonungsprojektes. Neben der ausführlichen Liste mit Musikstücken, zu denen sich Thomas Mann in seinen Schriften detailliert geäußert hat, war die Begegnung mit Elisabeth Mann von entscheidender Bedeutung. Elisabeth Mann konnte besonders zuverlässige Auskünfte zu dem im Hause Mann gepflegten musikalischen Repertoire zur Verfügung stellen. Und so diente letztlich ein Motiv aus dem Horntrio op. 40 von Johannes Brahms als Basis für das Elisabeth zugewiesene Hauptthema der Erinnerung. Für das Thomas Mann zugeordnete Thema hat Ströer ein Fragment des Lohengrinvorspiels auskomponiert.
Als Gegenpol zur in vielem klassischen Orientierung dienen der Jazz und südamerikanische Rhythmik. Letztere verweist auf die brasilianischen Wurzeln der Familie und findet Anwendung in der musikalischen Gestaltung der Drogenexzesse von Klaus und Erika. Jazzige Spiegelungen der zuvor klassizistisch vorgestellten Themen reflektieren auf die Manns in der Emigration, auf die Jahre im amerikanischen Exil. Hinzu kommen noch einige Source-Cues, die Zeitkolorit vermitteln. Darunter befinden sich Originalstücke, aber auch Neuinterpretationen, wie die frechen Kabarett-Songs der „Pfeffermühle“ — mit Katharina Thalbach, Sophie Rois und Dagmar Aigner, Gesang.
Bei Speer und Er hat Bruder Ernst Original-Filmdialoge (abgenommen direkt von der Filmtonspur, also mit den zur betreffenden Szene gehörenden Geräuschen) und Teile der Filmmusik zu einem Höralbum miteinander verwoben. Derartiges ist nun keineswegs grundsätzlich neuartig. In der Geschichte der Filmmusik auf Tonträger hat es schon so manche (meist allein ärgerliche) Veröffentlichung gegeben, bei der Filmmusik und Filmdialoge miteinander kombiniert worden sind. Das gilt auch für die Compact-Disc-Ära: wobei manchem die US-CD von Angela´s Ashes in den Sinn kommen dürfte.
Für die vorliegende Veröffentlichung würde ich beim Ergebnis keinesfalls von ärgerlich, aber schon von eigenwillig sprechen. Das Resultat ist in gewissem Sinne wie „neu komponiert“. Es folgt nicht chronologisch dem Handlungsablauf, sondern setzt vielmehr schlaglichtartige Akzente auf bestimmte Aspekte der beiden titelgebenden Charaktere. An einzelnen Stellen zusätzlich integrierte verfremdete Geräusch-Effekte verstärken im Zusammenwirken mit den in weiten Teilen synthetisch wirkenden Orchestersounds den Eindruck einer Collage. Im Begleittext schreibt Ernst Ströer dazu: „Als ich die sechs Stunden Speer und Er zum ersten Mal sah, spürte ich, wie präzise die Filmmusik der Handlung folgt: Wie sie speziell das gesprochene Wort äußerst subtil begleitet und dabei immer an besonderen Brennpunkten bis zur Untrennbarkeit damit verschmilzt.“ In der „Untrennbarkeit“ von Dialog und Musik markiert er damit zugleich das m. E. vielleicht entscheidende „Problem“ dieses Albums.
Die Musik wirkt im Gestus eher verhalten, brütend und wird häufiger von marschartigen Einwürfen des Schlagwerks bestimmt. Neben über weite Strecken sehr atmosphärischen Klängen, gibt es auch stärker thematisch orientierte Passagen. Es finden sich darunter auch einige lichte, fast schon schöne Momente, wie Speers Erinnerung an den Berghof. Wie oben geschrieben ist das Resultat gewiss nicht einfach schlecht, aber schon sehr gewöhnungsbedürftig. Es dürfte in erster Linie wohl für Diejenigen interessant sein, die einen Draht zur TV-Serie haben. Dann dürften unmittelbar nebeneinander stehende Momente der Kompilation Ernst Ströers, wie „Hitlers letzte Tage“ und „Speers erste Begeisterung für Hitler“ besonders viel Eindruck machen.
Das Album zu Die Manns ist im Vergleich dazu zweifellos das klassischere der beiden. Es kommt dem (im positiven Sinne) „Gewohnten“ bei Filmmusik-Alben sicherlich deutlich näher. Eingespielt wurden die orchestralen Teile von der Europäischen Filmphilharmonie unter Frank Strobel. Die CD beeindruckt nicht allein mit ihrem eingängigen Hauptthema, allerdings ist auch hier die Musik vom Bild gelöst eben doch nur in Teilen eigenständig wirksam. Die sinfonisch orientierten Wertungskriterien von Cinemusic.de sind daher in beiden Fällen entsprechend ungeeignet. Beide Veröffentlichungen sind verstärkt der Kategorie „klingendes Souvenir zum Film“ zuzurechnen.
Bezug ist über das Internet möglich bei www.stroerbrosmedia.de oder in ausgewählten Fachgeschäften, deren Adressen über die Homepage www.stroerbros.de abgerufen werden können.
Dieser Artikel ist Teil unseres umfangreichen Programms zu Pfingsten 2006.