Kleine Klassikwanderung 17: Eine nordische Rhapsodie, 2. Teil
Das Werk des Jean Sibelius überstrahlt (heutzutage) nahezu alles, was die nordischen Länder musikalisch zu bieten haben. Auch wenn derartige Dominanz zwangsläufig problematisch ist, eine angemessene Rezeption von Werken anderer unter Umständen behindert, so ist dies bei dem herausragenden Werk dieses großen Finnen zumindest verständlich. Auch über sein sinfonisches Hauptwerk hinaus gibt es bei Sibelius sehr viel Hörenswertes zu entdecken. Aus diesem Grund seien eingangs noch weitere acht markante Sibelius-Alben des BIS-Labels kurz vorgestellt, die sämtlich vom Symphonieorchester Lahti unter dem Dirigenten Osmo Vänskä eingespielt sind.
Bis zu dieser Wertschätzung war es allerdings ein langer, von der Popularität der eingängigen Musiken Edvard Griegs behinderter Weg. Griegs Peer Gynt und auch sein Klavierkonzert sind allerdings im Bewusstsein des Konzertpublikums immer noch stärker verankert, damit „beliebter“ und werden darum häufiger gespielt. Umso wichtiger ist es, dass sich möglichst viele Klassikfreunde eingehender mit den Kompositionen von Jean Sibelius befassen.
„Finnland erwacht“ zeigt Sibelius als politischen Komponisten, der seinem seinerzeit noch nicht eigenständigen Land, im Unabhängigkeitsstreben durch die Kraft seiner Musik beistehen wollte – Finnland besaß damals noch den Status eines zaristischen Großherzogtums. Neben drei klangschönen Liedern für Chor und Orchester zeigt besonders die 1899 entstandene „Musik zu den Pressefeiern“ den Patrioten. Hier unterlegte Sibelius Szenen aus der Geschichte Finnlands mit stimmungsvoller, teilweise tonmalerischer Musik. Und besonders das letzte Stück, „Finnland erwacht“, ist der später nur geringfügig veränderte Vorläufer eines seiner berühmtesten Musikstücke, der populären „Finlandia“ – die natürlich ebenfalls auf der CD vertreten ist. Besagte ist eben doch nicht einfach folkloristisch inspirierte Naturschilderung plus Volksfeststimmung mit hymnischem Finale – wie gerade ältere Konzertführer behaupten , sondern eindeutig ein nationalistisch geprägtes Stück. Und ebenfalls entdeckenswert ist die Begegnung mit der „Eisschmelze auf dem Fluss Oulu“. Bei diesem mit Rezitator und Chor versehenen Stück handelt es sich um ein stilistisch ebenfalls der Finlandia nahe stehendes Melodram. Rezitation und Musik wirken hier wie auch in den Liedern ausdrucksvoll zusammen und sind von ungewohnt eigenwilliger Schönheit.
Sibelius war gegenüber seinem Werk überaus kritisch, hat verschiedene seiner Kompositionen (einige sogar mehrfach) überarbeitet und dabei einige, wie die 8. Sinfonie, sogar vernichtet. Interessantes zu diesem Thema bietet das Album „Rondo of the Waves“. Neben einigen reizvollen kleineren Ausgrabungen, wie „Frühlingslied“, „Krönungsmarsch“ und „Cortège“, steht hier die dreistufige kompositorische Entwicklung der Tondichtung „Die Okeaniden“ im Mittelpunkt – in der es um sagenhafte Meeresbewohner, die Nymphen geht. Die aufschlussreiche Entwicklung umfasst eine ursprünglich dreisätzige „Suite für Orchester“, die Yale-Fassung und schließlich die endgültige Version des Stücks. Neben einigen neuen Ideen finden sich zahlreiche Motive aus der Suite in erweiterter und verfeinerter Form in der Yale-Fassung, aber längst nicht alles davon findet sich in der nochmals gründlich revidierten Letztfassung wieder. Das in der Yale-Fassung neu hinzugekommene Themenmaterial wurde größtenteils wieder verworfen und auch die Haupttonart geändert. Die bereits aus der Suitenfassung stammenden Motive erscheinen jetzt in gegenüber der Yale-Fassung nochmals veredelter Form und die Abfolge des Materials geht wieder auf die ursprüngliche Fassung zurück. Osmo Vänskä hat zur Wirkung von Yale- und Letztfassung treffend bemerkt, die eine spiegele stimmungsmäßig einen großen See, die andere einen weiten Ozean.
Dank BIS kann man inzwischen aber auch weitere entscheidend überarbeitete Werke des großen finnischen Komponisten in jeweiliger Erstfassung und endgültiger Fassung (auf derselben CD) miteinander vergleichen: Neben der 5. Sinfonie (BIS-863) und dem Violinkonzert (BIS-500), lädt die Lemminkäinensuite (BIS-1015) dazu ein. Die vorzüglichen Texte im Begleitheft (auch in Deutsch) helfen dabei auch dem Nicht-Musiker die Unterschiede herauszuhören und erleichtern so die spannenden Entdeckungsreisen. Ganz besonders vermag hierbei die dunklere und näher an Beethoven orientierte Erstfassung des Violinkonzerts zu faszinieren. Diese ist der üblichen Fassung mindestens gleichwertig und daher ebenfalls Wert, in den Konzertsälen gegeben zu werden, den Wahrheitsgehalt dieser Aussage mag jeder für sich überprüfen.
Aber auch die Ausflüge in die Schauspielmusik des Komponisten sind nicht zu verachten: Bereits im ersten Artikel ist dazu die zu Shakespeares „The Tempest“ („Der Sturm“) in Form der Konzertsuite (BIS-448) vorgestellt worden. Osmo Vänskä hat außerdem die vollständige Partitur eingespielt. Hier wird der Zauber Prosperos erstmalig in seiner originalen Form lebendig. Neben leicht veränderter Instrumentierung (nur hier gibts das originell wirkende Harmonium zu hören) treten Chor und Vokalsolisten hinzu. Bei den Aufnahmen in der Kreuzkirche zu Lahti wurden auch die Anweisungen des Komponisten, bezüglich der Aufstellung der Instrumente, genauestens berücksichtigt und verschiedene, wie das Harmonium und auch die Harfe, sind in deutlich hörbarer Entfernung vom übrigen Orchester platziert.
Das Schauspiel „Pelléas und Mélisande“ des flämischen Dichters Maurice Maeterlinck (1862-1949) inspirierte sowohl Claude Debussy als auch Arnold Schönberg. Sibelius komponierte dazu im Auftrag des schwedischen Theaters eine Bühnenmusik, die ebenfalls dank der Bemühungen von Vänskä erstmalig vollständig und auch in der originalen Instrumentierung erklingt. Letzteres gilt auch für die vertretene Karelia-Suite und außerdem findet der Entdeckungsfreudige die erstmalig vollständige Musik zu „König Christian II.“, Sibelius erstem Versuch auf dem Gebiet der Theatermusik – wiederum in der originalen Instrumentierung. Diese Komposition wurde übrigens 1901 bei den Proms unter der Leitung von Henry Wood aufgeführt und zählt damit zu den ersten Orchesterwerken von Sibelius, die international erklangen. Und zur Abrundung des Raritätenprogramms präsentiert das BIS-Album-735 noch die Bühnenmusiken zu Hofmannsthals „Jedermann“ und „Belsazars Gastmahl“ als Weltpremieren.
Sicher handelt es sich hierbei nicht um die großen Schöpfungen des berühmten finnischen Komponisten. Allerdings selbst diese in Form einzelner Nummern auskomponierten Werke zeigen, wie sorgfältig auch hierbei gearbeitet worden ist. Dies betrifft insbesondere die musikalische Reflexion der wechselnden Stimmungen des jeweiligen Schauspiels und die oftmals breiten, kantablen Melodien – so in der Nocturne aus „König Christian II.“. Erwähnenswert sind aber auch die mitunter zu verspürenden tonmalerischen Akzente, wie der Sturm im gleichnamigen Shakespeare-Stück, die dezenten Meeresstimmungen in „Pelléas und Mélisande“ und nicht zuletzt die orientalische Klangexotik in der Bankettszene von „Belsazars Gastmahl“. Insofern bereichern diese wertvollen Einspielungen das auf Tonträger zugängliche Œuvre ihres Schöpfers um weitere hörenswerte Aspekte. Und dass es auch hierzu sorgfältig abgefasste Informationen im jeweiligen Begleitheft (natürlich auch in Deutsch) gibt, das ist beim BIS-Label (fast) durchgehend Standard.
Der große finnische Komponist hat sich die Worte seiner Kritiker letztlich derart zu Herzen genommen, dass er für die rund drei letzten Lebensjahrzehnte (musikalisch) völlig verstummte. Ein Vorfall, der in der Musikgeschichte nahezu einmalig ist, allerdings ein Pendant in Gioacchino Rossini besitzt. Dieser konzentrierte sich nach der Komposition seiner Oper „Wilhelm Tell“ doch lieber auf die Produktion lukullischer Genüsse und bemerkte dazu, dass die einzigen Bücher, welche die Menschheit wirklich glücklich machen könnten, die Kochbücher seien …
Halvorsen: Fossegrimen & Norways Greeting to Theodore Roosevelt
Der Norweger Johan Halvorsen (1864-1935) dürfte international wohl ausschließlich durch seinen effektvollen sinfonischen Marsch „Einzug der Bojaren“ geläufig sein. Die Einspielung der Bühnenmusik zu „Fossegrimen“ bietet Gelegenheit, das Blickfeld ein Stück zu erweitern. Die titelgebende Figur ist ein virtuos die Fiedel spielender Wassergeist, der im Lande der tausend Wasserfälle (Norwegen) beheimatet ist. Zum mit Trollen, Gnomen und allerlei komischen Kauzen bevölkerten Stück erklingt eine reizvolle, farbige und sehr melodische Musik. Diese ist von Folklore inspiriert und wird durch ihre Nähe zur Musik Edvard Griegs spontan als überaus ohrenfreundlich empfunden. Sowohl klangsinnlich als auch virtuos wird die ausdrucksvolle Hardanger Fiedel eingesetzt. Daneben setzen die Gesangseinlagen durch die uns ungewohnt und eigenwillig erscheinende Klangmelodie der norwegischen Sprache markant-eigenwillige und zugleich charmante Akzente.
Diese ansprechende Gelegenheitskomposition zu Theodore Roosevelts Norwegenbesuch im Jahr 1910 „Norways Greeting to Theodore Roosevelt“ verarbeitet ansprechend die amerikanische Nationalhymne sowie den Yankee-Doodle. Sie ist eine hübsche Ergänzung des Programms und wird ebenso wie die schöne Bühnenmusik vom Litauischen Nationalorchester in Riga unter Terje Mikkelsen effektvoll dargeboten, wobei das Album auch klangtechnisch tadellos ist. Auch in diesem, keineswegs banalen Stück setzt die Hardanger Fiedel typisch norwegische Akzente. Im etwas sparsamen Booklet gibts zu alledem immerhin noch passable Infos, wiederum auch in Deutsch (ebenfalls zu beziehen über www.klassik-center.de).
Henning Wellejus: Orchestral Works
Der Däne Henning Wellejus (•1919) ist über die Grenzen seiner Heimat hinaus wohl nur Experten geläufig. Die auf dem Marco-Polo-Label dacapo veröffentlichte, rund 80-minütige Werkschau präsentiert den Dänen als Schöpfer leicht zugänglicher, melodisch und auch volkstümlich inspirierter Sinfonik zwischen Klassik und Unterhaltung.
Das neoklassizistisch gehaltene Oboenkonzert folgt im ersten und dritten Satz der überlieferten Sonatensatzform. Der zweite hingegen ist von einem Hauch von Blues durchweht. Im „Concerto choréographique“ finden sich ebenso Einflüsse amerikanischer Musik (G. Gershwin und L. Anderson), Teile sind von Swing und Jazz beeinflusst. Der Traditionalist Wellejus zeigt sich dafür in den klassischen Formbezeichnungen der einzelnen Sätze. So findet sich im zweiten, „Scherzo mit Trio“, im besagten Trio ein reizender Tanz, eine für Holzbläser gesetzte pastorale „Musette“. Und auch der dritte Satz, ein Wiegenlied mit Bluescharakter, besitzt beträchtlichen Charme. Das Lied erklingt zuerst in einer gestopften Trompete und wird anschließend von den Instrumenten des Orchesters förmlich gesungen. Aus dem Ballett „Der Schwan“ fasste der Komponist Teile zur Suite „Die Freunde unserer Kindheit“ zusammen. Hier wird den Märchenfiguren Hans Christian Andersens ein reizendes, klangsinnliches Denkmal gesetzt. Dabei kommt auch Tonmalerisches zum Zuge. So gleitet die kleine Meerjungfrau im 6/8-Takt schwebend im Wasser dahin und Hans wird mit blechern und schräg klingenden Einwürfen der Trompeten sowie den schrulligen Off-Beats tölpelhaft, wie eine Comic-Figur gezeichnet. Das Lied der Nachtigall spiegelt sich in Soli der Flöte und der Violine. Und der den Reigen beschließende Schweinehirt, wird durch Variationen über das bekannte Volkslied vom lieben Augustin treffend charakterisiert.
Man könnte diese zwischen 1950 und 1994 entstandenen, anmutig komponierten und versiert instrumentierten Werke zur Gattung „Light Music“ zählen, allerdings gibt es in Dänemark (wie ja auch hierzulande) keine derartige Tradition. Das Dänische Rundfunkorchester unter Peter Ettrup Larsen sowie die Solisten Morten Zeuthen (Cello) und Nette Stormlund Demant (Oboe) führen kompetent und von solider Klangtechnik unterstützt durch das Programm, und im Begleitheft gibts (auch in Deutsch) solide Informationen.
Geirr Tveitt (1908-1981)
Das Œuvre des norwegischen, aus Hardanger stammenden Komponisten Geirr Tveitt ist (nicht nur) hierzulande bislang noch allzu wenig bekannt. In den letzten Jahren hat erfreulicherweise das BIS-Label damit begonnen, diesem bemerkenswerten Tonsetzer eine Reihe zu widmen. Vermutlich hat das relativ spät entdeckte „hauseigene“ Interesse (nicht allein) des schwedischen Labels an den Musiken dieses Klangschöpfers auch mit der schwierigen Partiturensituation zu tun. Etwa vier Fünftel (mehr als 300 Werke) des gesamten Schaffens des Komponisten wurde nämlich im Jahr 1970 bei einem großen Brand seines Wohnhauses am Hardangerfjord vernichtet. Dies konnte überhaupt nur passieren, weil Tveitt seine Kompositionen nur selten als wirklich vollendet betrachtete, und, um sie fortwährend verändern zu können, einen Großteil seiner Partituren zu Hause aufbewahrte. Auch wenn somit vieles aus seinem Schaffen als unwiederbringlich verloren gelten muss, so sind doch infolge glücklicher Zufälle eine Reihe von Materialien (Tonaufzeichnungen und auch Manuskriptteile) wieder aufgetaucht. Natürlich bereiten die sich dabei oftmals zeigenden Unterschiede in den Fassungen beim Einrichten Probleme. Trotzdem ist es gelungen, einige wichtige Werke, wie die „Sonnengottsymphonie“, die Material des Balletts „Die Träume des Baldur“ enthält, zu rekonstruieren und vollständig zu restaurieren. Man darf also wohl gerade von BIS noch auf manche klingende Ausgrabung dieses Komponisten hoffen.
Geirr Tveitt gehörte zu den am besten ausgebildeten norwegischen Komponisten seiner Generation. Als junger Mann studierte er zwischen 1928 und 1930 am berühmten Leipziger Konservatorium und lebte 1932-33 in Wien und Paris, wo er mit zahlreichen Komponistenkollegen in Kontakt kam. Die Kompositionen des jungen Mannes erregten Aufsehen und die Uraufführung seines 1. Klavierkonzerts erfolgte 1931 sogar mit dem Symphonieorchester des Leipziger Rundfunks.
Zwar ist Tveitts Musik nicht derart urwüchsig und auch weniger sperrig als die seines isländischen Kollegen Jón Leifs, dafür ist sein – wie man heute sagen könnte – musikalisches Weltbürgertum besonders bemerkenswert: Derart viele unterschiedliche Einflüsse europäischer Komponisten des frühen 20. Jahrhunderts spiegeln sich in seiner Musik. Die virtuos gehandhabten Stilvorbilder werden aber kaum epigonal gehandhabt, sie treten vielmehr zusammen mit fest in der heimatlichen Tradition Verwurzeltem zu einem originellen Personalstil mit originärer Handschrift amalgamiert und verschmolzen in Erscheinung. Besonders auffällig sind neben dem (auf die norwegische Volksmusik zurückgehenden) typisch nordischen Tonfall, der unüberhörbare französische Impressionismus Ravelscher Prägung. Neben der Klarheit der Musik Charles Koechlins sind Einflüsse der russischen Nationalisten (Mussorgsky bis Glasunow) und besonders in den Klavierkonzerten von Prokofjew und Bartók spürbar. Und allgemein gilt dies auch für bedeutende britische Kollegen, von Alwyn, Bax, Britten über Holst bis zu Vaughan Williams.
Die Hardanger Fiedel dürfte gerade wegen ihrer Verwendung in Howard Shores Musik zur Film-Trilogie The Lord of the Rings einen gewissen Bekanntheitsgrad erreicht haben. Sie ist nicht nur ein sehr dekorativ aussehendes Instrument, ihre zusätzlichen (nicht mit dem Bogen gespielten) „unteren“ Resonanzsaiten – Bordunsaiten, wie bei der Viola damore – verleihen den angestrichenen Tönen ihren ganz besonders typischen, markant-eigenwilligen Reiz. Tveitt hat für die Hardanger Fiedel zwei herrliche Solo-Konzerte geschrieben, die Arve Moen Bergset mit dem Stavanger Sinfonieorcherster unter Ole Kristian Ruud virtuos und klangschön erklingen lässt. Zu Beginn des zweiten Konzerts, „Drei Fjorde“, symbolisieren die zwei einleitenden Akkorde des Orchesters sowie die vielfältig schimmernden Klänge der Hardanger Fiedel tonmalerisch das glitzernde Lichterspiel auf dem Folgefonn Gletscher am Hardanger Fjord. Als Zugabe ist das „Symphonische Gemälde für Orchester“, Nykken, vertreten, das in bester Programmmusiktradition komponiert ist. Dieses knapp 16-minütige stimmungs- und temperamentvolle und natürlich auch tonmalerisch gehaltene Werk eignet sich ebenso wie die beiden Konzerte für die Hardanger Fiedel vorzüglich zum Einstieg bei diesem Komponisten.
„Hundert Volksmelodien aus Hardanger“ ist der etwas irreführende Oberbegriff für insgesamt (nur) vier existierende Orchestersuiten – aus jeweils 15 Stücken und damit aus insgesamt 60 Piècen bestehend , deren Themen auf folkloristischem Material basieren. Diese Musik zählt zum Beliebtesten dieses Komponisten. Neben den Suiten 1 & 2 präsentiert das BIS-Label die Nr. 4 (Hochzeitssuite) und Nr. 5 (Trolltonar-Suite) – die übrigen Stücke sind offenbar verschollen. Dem Hörer präsentiert sich in den 60 Volksweisen ein vielschichtiges und überaus farbiges orchestrales Programm, das stimmungsmäßig von lyrisch elegischer Naturstimmung bis zur orchestralen Tour de Force in einigen musikalischen Bildern des ländlichen Lebens reicht. Auch Tonmalerisches spielt dabei eine nicht unbedeutende Rolle. Dabei geht es auch mal derb zur Sache: so im „Fyllesnakk“ aus der Hochzeitssuite, das außerdem den allein spöttisch gemeinten Untertitel „Hommage an die Atonalität“ trägt. Da klirren Gläser, da wird vom Orchester gerülpst, gefurzt und ein Betrunkener fällt gar polternd zu Boden. Die raffinierte Instrumentierung der Stücke (auch die Hardanger Fiedel ist mit von der Partie) verdient es, besonders erwähnt zu werden. Sie verhilft der vielseitigen Musik zum ständig wechselnden, aber immer treffsicheren Ausdruck, schafft die Voraussetzungen für ein klangliches Fest erster Güte.
Die beiden folgenden Werke zählen zu denen, die aus der Asche des katastrophalen Brandes von 1970 wie der legendäre Phönix wiedererstehen konnten. Die sinfonische Dichtung „Prillar“, entstanden 1931, stammt noch aus der Leipziger Zeit des Komponisten, ist aber nie aufgeführt worden. Prillar steht für das norwegische Volksinstrument „Prillarhorn“, ein Ziegenhorn mit einem Rohrblatt aus Wacholder. Das Werk trägt den Untertitel „Musik in norwegischen Tonleitern für Orchester“. Bereits hier finden sich einige beliebte und charakteristische Stilismen des Komponisten, wie die von der Hardanger Fiedel inspirierten rhythmischen Ostinato-Figuren. Prillar ist ein ausdrucksstarkes und kaum Hörprobleme bereitendes kühnes Werk, das den Hörer mit so manchem raffinierten Effekt überrascht, wie die besondere Klangfarbe und wie die Echos, welche hier durch Kombinieren von Horn und Trompete entstehen.
Das Material der 1958 uraufgeführten „Sonnengottsymphonie“ entstammt (s. o.) zwar dem abendfüllenden Ballett „Die Träume des Baldur“, ist allerdings farbenprächtiger instrumentiert als die aus dem Jahr 1938 stammende Ballettkomposition des gerade 30-Jährigen. Die Musik reflektiert hier eine in Norwegen in sagenhafter Zeit angesiedelte Handlung, sie ist dem entsprechend von stilistischen Archaismen charakterisiert, die ihr eine historische klangliche Färbung verleihen sollen.
Nicht allein wer finanziell auf Nummer sicher gehen will, kann auch zu den ebenfalls sehr soliden Geirr-Tveitt-Einspielungen auf dem Niedrigpreislabel Naxos greifen – siehe auch das Naxos-Special. Das Royal Scottish National Orchestra unter der Leitung von Bjarte Engset hat unter anderem zwei sorgfältig produzierte Alben mit den derzeit verfügbaren Klavierkonzerten Tveitts vorgelegt. Håvard Gimse interpretiert die Konzerte 1, 4 & 5. Zusammen mit seiner Kollegin Gunilla Süssmann spielt er außerdem die als Doppelkonzert konzipierten „Variationen über ein Volkslied aus Hardanger“. Kurz erwähnt seien das für den 20-Jährigen erstaunlich reife und virtuose 1. Klavierkonzert und ebenso das Klavierkonzert Nr. 4, „Aurora Borealis“. Letzteres entpuppt sich als eine von Nordlicht und Sternschnuppen funkelnde musikalische Studie des Nachthimmels. Etwas verwirrend sind bei letztgenanntem Album die gegenüber den korrekten Angaben auf dem Rückcover auf dem Labelaufdruck der CD völlig vertauschten Tracktitel. Sowohl die (natürlich knapper angelegten) Begleithefte der Naxos-Reihe als auch die der vorgestellten BIS-Alben warten mit insgesamt überzeugender bis vorbildlicher Informationsdichte auf.
Die Musik von Geirr Tveitt verdient besondere Aufmerksamkeit. Ihr oftmals frei rhapsodischer und für uns zugleich exotisch anmutender nordischer Tonfall, macht die generell frisch und vital daherkommenden Kompositionen des Norwegers zwar nicht ausschließlich, aber auch für den Filmmusikfreund besonders reizvoll.
Suomalainen Kansanlaulu (Finnische Volkslieder)
Das letzte Album in dieser Runde entstand wiederum mit dem Symphonieorchester Lahti unter der Leitung des Dirigenten Osmo Vänskä, der dem Leser der Cinemusic.de-Klassikwanderungen inzwischen nicht mehr unbekannt ist. Das vorliegende Album steht den im letzten Artikel der Reihe vorgestellten Alben „Finnish Hymns, Vol. 1 & 2“ nahe. Dieses Mal handelt es sich allerdings musikalisch um rein Nordisches: um eine Sammlung finnischer Volkslieder, die rein instrumental, keineswegs altmodisch oder behäbig, sondern vielmehr in frisch und farbig ausgeführtem klanglichem Gewand dargeboten werden. In zwei Fällen stammt übrigens auch hier das Orchesterarrangement vom Dirigenten Osmo Vänskä.
Das rund 70-minütige Programm kann sich wirklich hören lassen. Das hier präsentierte Tableaux finnischer Volkslieder – wobei es verschiedene melodische Perlen zu entdecken gibt – in klangvoller sinfonischer Bearbeitung ist weit abseits von Kitsch angesiedelt. Die ausgesprochene Vielseitigkeit und die Fülle an klanglicher Raffinesse zeigt vielmehr, mit wie viel Liebe die Arrangeure hier zu Werke gegangen sind. Dass dabei auch der Humor nicht zu kurz gekommen ist, zeigen die „Quatre Hommages“: Hier sind vier Lieder augenzwinkernd im Stil von Strawinsky, Kodaly, Bach & Co. sowie Kuula ausgeführt. Aufgrund der Originalität und Rarität der hier versammelten charakteristischen, volkstümlichen Melodien gerät das Album geradezu zum Geheimtipp für musikalisch entdeckungsfreudige Nordlandreisende.
Dass dieses schöne Kuriosum in erster Linie für den finnischen Binnenmarkt eingespielt wurde, zeigt die weniger international als BIS-üblich angelegte Aufmachung. Auf der CD gibts einen englischen Titelaufdruck und das Begleitheft wartet mit einem knapp gehaltenen englischen Text auf. Alles Übrige ist allein in Finnisch vertreten.
Lesen Sie hierzu die Kleine Klassikwanderung 12: Eine nordische Rhapsodie, 1. Teil
Mehrteilige Rezension:
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