Murnaus Nosferatu — Eine Symphonie des Grauens (1922) ist der wohl bekannteste Film des berühmten Regisseurs — siehe auch „Friedrich Wilhelm Murnau — Ein Melancholiker des Films“. Um den am 4. März 1922 im „Marmorsaal des Zoo zu Berlin“ uraufgeführten Streifen entbrannte ein Rechtsstreit mit der Witwe Bram Stokers — Autor des berühmten Vampirromans „Dracula“. Hatte sich die Produktion doch dreist über das Urheberrecht hinweggesetzt und die Filmhandlung gegenüber der (sogar im Vorspann genannten) Vorlage eher geringfügig verändert. 1924 bekamen die Stoker-Erben Recht: anstelle einer Entschädigung sollten sämtliche Kopien sowie das Original-Negativ vernichtet werden. Dieser Aktion entgingen allerdings einige Kopien, die bereits während des Rechtsstreits über die Reichsgrenzen, nach Frankreich und sogar in die USA gelangt waren. Erst seit dem Ableben von Frau Stoker 1938 hatte die Hetzjagd auf den Film ein Ende.
1995 erfolgte die erste Restauration von Enno Patalas in Zusammenarbeit mit der Cineteca del Commune di Bologna. Der vorliegenden Transit-DVD-Edition liegt eine neue 2005/06 erfolgte Restauration durch den spanischen Filmwissenschaftler und Murnau-Experten Luciano Berriatúa zugrunde. Als Hauptquelle diente die letzte erhaltene Nitro-Kopie des Films, die noch aus der Entstehungszeit stammt. Erfreulicherweise ist diese von der Cinémathèque Française stammende Kopie sehr gut erhalten, so dass auch die Originalviragen (für die Stummfilmära typische monochrome Einfärbungen) übernommen werden konnten. Weitere Verbesserungen konnten durch eine digitale Nachbearbeitung erreicht werden. Was gemacht wurde, dazu gibt ein kurzes Segment der Omnimago GmbH in der Boni-Sektion Einblicke — anstelle der Filmmusik unverständlicherweise unterlegt mit schauderhaften Synthie-Klängen. Fehlende Teile wurden aus Material des Bundesarchiv-Filmarchivs sowie aus der 1930 erstellten (allerdings nicht autorisierten) Tonfilmfassung, Die zwölfte Stunde, ergänzt. Und gegenüber früheren Restaurierungen konnten jetzt erstmals mehrheitlich die originalen deutschen Zwischentitel aus einer tschechoslowakischen Exportkopie restauriert und eingefügt werden. Und auch die rund 53-minütige Dokumentation des Restaurators Luciano Berriatúa, „Die Sprache der Schatten“, präsentiert den Film im Kontext des Murnau’schen Gesamtwerks und gibt interessante Einblicke in die Entstehung, wobei auch wichtige Schauplätze damals und heute vorgestellt werden. Dabei fehlt allerdings ein Segment, in dem eingehender über die Restaurationsarbeiten Berriatúas berichtet wird.
Man hat sich also sehr viel Mühe gegeben und das Resultat kann sich sehen lassen. Abgesehen von gelegentlichen Bildfehlern und meist kürzeren, qualitativ sichtbar schlechteren Bildfolgen kann der Käufer sehr zufrieden sein. Meist überzeugt das Bild mit gutem bis sehr gutem Kontrast und präsentiert das Gezeigte sogar mit überraschend vielen, bei sehr altem Filmmaterial selten gebotenen Details. (Ein etwas unschöner Patzer ist allerdings der unsauber, nämlich knapp vor der Musikpause (!), platzierte Layerwechsel, etwa in der Mitte des 4. Aktes, bei TT.: 69:52.)
Klar, das im Titel von Nosferatu beschworene „Grauen“ darf seit Jahrzehnten als überholt gelten. Aber auch, wenn der Film bei vielen mit modernen Produkten des Horror-Genres Vertrauten auf den ersten Blick nur noch ein müdes Lächeln hervorrufen mag, spätestens auf einen zweiten, genaueren Blick dürfte der Interessierte die Bedeutung dieses seinerzeit mit beträchtlichem Aufwand realisierten Filmklassikers, der nach heutigen Maßstäben eher als ein B-Filmprojekt einzustufen wäre, kaum noch übersehen können. Zwar wirken die melodramatischen Szenen mittlerweile antiquiert und unglaubwürdig. Jedoch das Einbeziehen der Natur(-Stimmungen) in die sich im ersten Drittel fortwährend verdüsternde Atmosphäre und nicht zuletzt Max Schrecks in kunstvollen Interieurs und ausdrucksstarker Licht- und Schattendramaturgie eingefangene Darstellung des Grafen Orlock sind nach wie vor beeindruckend. Daran ändert wenig, dass es sich beim nach der Landung des Geisterschiffs in Wismar mit seinem Sarg bei Tageslicht durch die Stadt wandelnden Orlock um einen eklatanten Logikfehler des Drehbuches handelt. Neben dem getreuen Remake Werner Herzogs, Nosferatu — Phantom der Nacht aus dem Jahr 1979, hat Murnaus Vampir-Film der ersten Stunde in unzähligen späteren Filmproduktionen seine Spuren hinterlassen.
Unter anderen wirtschaftlichen (Nachkriegsinflation, Weltwirtschaftskrise) und natürlich auch entsprechend günstigeren politischen Umständen hätte Nosferatu eine europäische Tradition des Horror-Films begründen können; lange bevor Hollywood dieses Genre in den frühen 30ern zu etablieren begann. Darin liegt letztlich die Bedeutung des Films begründet, ohne, dass man unheilschwangere eher antiquiert-psychologisierende Betrachtungen bemühen muss, die auch diesen Streifen als Stein am Rand eines angeblich vorgezeichneten Weges à la „von Caligari bis Hitler“ wähnen.
Hans Erdmann (1887-1942) schrieb die Original-Musik zu Nosferatu für die kurz zuvor in Berlin gegründete Prana-Film-GmbH. Nur wenig geläufig ist die Tatsache, dass Erdmann zu den frühen Verfechtern einer speziell für den Film komponierten Musik, anstelle der üblichen, aus Versatzstücken zusammengestellten Potpourris zählte. Sein Name wird vielmehr in erster Linie mit dem im Jahr 1927 publizierten „Allgemeinen Handbuch der Filmmusik“ assoziiert, das er zusammen mit Giuseppe Becce erarbeitet hatte. Zwischen 1926 und 1928 war Erdmann jedoch nicht allein Chefredakteur der von Becce gegründeten, sich speziell dem Thema Filmmusik widmenden Zeitschrift „Film-Ton-Kunst“. Er zählte außerdem zu den Gründungsmitgliedern der „Gesellschaft der Film-Musik-Autoren“ (Gefima), welche die Interessen von u. a. Paul Hindemith, Paul Dessau und Hanns Eisler vertrat. Bereits im Jahre 1928 beteiligte sich die „Gefima“ offiziell am Musikfest in Baden-Baden, um ihren Anspruch zu unterstreichen, die Filmmusik als eine eigenständige Kunstgattung zu etablieren, eine, die eigene künstlerische Gesetzmäßigkeiten entwickeln und erproben sollte. Entsprechend wurden originale Filmvertonungen im Rahmen der Konzertreihe „Kammermusik und Filmmusik“ von Paul Dessau aufgeführt. Und Erdmann bemühte sich konkret um den filmmusikalischen Nachwuchs, indem er bereits im Jahr 1928 am Berliner Klindworth-Scharwenka-Konservatorium eine Klasse für Filmmusik leitete. Nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten wurde die Gefima, wie auch andere Verbandsorganisationen, übernommen und in den Dienst des gleichgeschalteten Kultur- und Kunstapparates des Dritten Reiches gestellt.
Lange Zeit galt die originale Nosferatu-Filmmusik als verloren. Die Musikwissenschaftlerin Gillian Bunshaft Anderson an der Library of Congress (Washington) erstellte bereits 1994 eine mit dem Film aufführbare rekonstruierte Fassung von Hans Erdmanns Tonschöpfung. Die dazu im Jahre 1995 in der RCA-Reihe „100 Jahre Filmmusik“ erschienene CD ist allerdings längst vergriffen. Für die aktuelle Restauration des Films hat Bernd Heller an diese Vorarbeiten angeknüpft und selbige im Resultat verfeinert. Davon betroffen sind wohl besonders die genaue Identifikation und Zuordnung einer Reihe in die Original-Komposition eingebundener Kinotheken-Piècen.
Hans Erdmanns Original-Musik, eine leitmotivisch organisierte Filmillustration, funktioniert besonders zusammen mit den Filmbildern sehr gut. Sie erweist sich dabei letztlich auch den späteren Musikfassungen als überlegen. Durch allzu häufige thematische Wiederholungen, die sich in erster Linie durch unterschiedliche Dynamik im Vortrag unterscheiden, zeigen sich allerdings auch Grenzen. Als absolute Kinosinfonik abseits der Bilder genossen, wirkt die musikalische Konzeption daher in voller Länge gehört in Teilen schon allzu redundant und somit ermüdend.
Bislang waren nur unzulängliche Kopien des Films mit verschiedenen neu komponierten Filmmusiken zu sehen, u. a. von Peter Schirrmann (1969 für die ARD) und Hans Posegga (1988 für das ZDF). In Form einer erwerbbaren Videofassung ist Nosferatu jetzt erstmalig mit Hans Erdmanns Filmmusik vereint worden. Damit ist die jetzt von Transit Film als Steel-Book vorgelegte restaurierte Fassung von Nosferatu nicht nur schick, sondern zugleich wahrlich cool.
Dieser Artikel ist Teil unseres Spezialprogramms zum Jahresausklang 2007.
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