Die Story des neuen Films von Steven Spielberg, Minority Report, spielt in einer Gesellschaft der nahen Zukunft. Geplante Morde können von „Pre-Crime“, einer Spezial-Organisation der Polizei – die mit Hilfe modernster parapsychologischer Methoden, sogenannten PreCogs arbeitet – „vorausgesehen“ und mit Hilfe der Pre-Crime-Cops (wie dem von Tom Cruise verkörperten John Anderton) verhindert werden. Anderton ist Leiter und ein fast schon fanatischer Anhänger des Pre-Crime-Projekts, zumal er davon überzeugt ist, dass damit der Mord an seinem Sohn Sean hätte verhindert werden können. Eines Tages gerät er selbst ins Visier des Pre-Crime-Systems, da die PreCogs ihm den zukünftigen Mord an dem Mann unterstellen, der die Schuld am Tod seines Sohnes trägt. Allerdings ist er diesem Mann bislang überhaupt noch nicht begegnet…
Zum faszinierenden Zukunfts-Thriller mit Noir-Touch um Vorbestimmung und freie Willensentscheidung schrieb John Williams eine Musik, die es dem Hörer auf Anhieb nicht gerade leicht macht. Hier begegnet ihm nicht der bei vielen Filmmusik-Sammlern besonders beliebte Komponist breit-melodischer Themen in typischem glanzvoll-üppigem Klanggewand sowie heroisch-strahlender Bläsersätze; er wird vielmehr mit einer merklich anderen, auf Anhieb deutlich schwerer zugänglichen Tonsprache konfrontiert. Entsprechend der Filmhandlung erweist sich die Musik zu Minority Report über weite Strecken als ein überaus dunkler, mitunter harsch und modern-dissonant gehaltener Score. Der Einfluss Bernard Herrmanns ist – insbesondere in den ausgedehnten, merklich an Psycho erinnernden Streicherpartien – deutlich zu spüren. Insgesamt erinnert die kühle Musik zum einen an frühe Williams-Scores, wie an die besonders herrmannesque Klangwelt zu The Fury (1978) und in den sehr atmosphärischen atonal-dissonanten und psychologisierend gehaltenen Thriller-Passagen ein wenig an Black Sunday (1972), aber auch an Jaws (1974). Zum anderen wird man eindeutig an vergleichbar dunkle Kompositionen der 90er, wie Nixon (1995) und Sleepers (1996) erinnert. Im partiell minimalistischen Anstrich, den (allerdings sparsam) eingestreuten Vokalisen sowie der etwas stärker als üblich eingesetzten – dabei sehr überzeugend eingearbeiteten – Klang-Synthetik gibt es Parallelen zu A.I. – Artificial Intelligence.
Natürlich findet sich auch in Williams’ neuestem Score gewohnt gute motivische Arbeit: Im ersten Track „Minority Report“ erklingt schon zu Beginn das wohl für die „Spyders“ und das Pre-Crime-Projekt Stehende. Hierbei handelt es sich um eine schnelle, eher rhythmische Tonfolge, die fortwährend (primär) in den Streichern und Bläsern erscheint und dem Hörer in vielfältiger Form fortlaufend wiederbegegnet. Markant ist auch die ausgedehnte (knapp 7-minütige) und infolge ihrer ausgedehnten Percussions finster-brachiale Actionpassage „Anderton’s Great Escape“, die auf Vergleichbares in Star Wars: Episode II – Attack of the Clones verweist.
In jedem Fall sollte der Hörer, der in Sachen John Williams nicht ausschließlich auf reinen Wohlklang aboniert ist, keineswegs achtlos am vom Komponisten sehr gut zusammengestellten CD-(Hör-)Album zu Minority Report vorübergehen. Die durch die ungewöhnlichen (oftmals ethnisch anmutenden) Vokalisen teilweise albtraumhaft-visionären Klänge (z. B. in „Visions of Anne Liveley“) vermögen mit etwas Geduld sehr wohl ihre Reize zu entfalten. Der auch in diesem Film vorhandene – etwas verharmlosend und mitunter auch etwas kitschig wirkende – Spielberg-Touch schafft Raum für einen komödiantischen Einschub à la Lex Luthor Superman: The Movie) in „Eye-Dentiscan“, aber auch für eine anfänglich etwas unscheinbar erscheinende lyrisch-warme Melodie („Sean’s Theme“), die schrittweise beträchtlichen Hör-Charme entfaltet.
Minority Report dürfte wohl kaum in der Lage sein, unter Williams-Fans den gleichen Stellenwert zu erreichen, wie z. B. die Musiken zu Superman: The Movie, Harry Potter and the Sorcerer’s Stone und zu den Star-Wars-Filmen. Hier zeigt sich Vergleichbares, wie bei den harmonisch deutlich moderneren und ebenfalls spröden Film-Noir-Scores eines Miklós Rózsa aus den 40er und 50er Jahren; diese bereiten dem Hörer, der von Rózsas im üppig romantisch-melodischen Stil vertonten Bibel-Epics und Kostümfilmen herkommt, anfänglich ähnliche Hörprobleme.
Im Umfeld der „gefälligeren“ John-Williams-Musiken ist es sicher nicht ganz einfach, dem eher modernistisch-sperrigen Score zu Minority Report auf Anhieb voll gerecht zu werden. In jedem Fall beweist diese keinesfalls lieblos ausgeführte Musik, dass sich der Altmeister eben doch nicht allein auf die beliebte und gefällige klangliche Üppigkeit festlegen lässt, sondern auch bereit ist, entsprechend düsteren Film-Stoffen das zu geben, was sie brauchen. Etwas, was sich letztlich bereits in der Musik zu A.I. – Artificial Intelligence zeigte, was aber dort – insbesondere in der CD-Album-Version – durch das im letzten Drittel etwas übermäßig eingesetzte (leicht süßliche) Thema für die Mutterliebe des Roboter-Jungen David stark übertüncht worden ist.
Unterm Strich ist Minority Report eine interessante moderne Variante klassischer Film-Noir-Scores, nicht allein eines Miklós Rózsa, sondern auch eines Adolph Deutsch The Maltese Falcon) und Roy Webb (The Seventh Victim – siehe Rezension The Cat People).