Jaws

Geschrieben von:
Michael Boldhaus
Veröffentlicht am:
16. Januar 2000
Abgelegt unter:
CD

Score

(5.5/6)

Steven Spielbergs Film Jaws • Der weiße Hai (1975) gehört für mich zu den besten Action-Filmen und auch zu den überzeugendsten Arbeiten Spielbergs. Trotz einiger Schwächen und Unwahrscheinlichkeiten des Drehbuches sind hier die Bildgestaltung und auch der Spannungsaufbau beispielgebend gelungen. Daran hat allerdings auch die überaus bemerkenswerte Filmmusik von John Williams ihren wichtigen Anteil.

Als John Williams 1974 die Musik zu Jaws schrieb, war er in Hollywood kein Namenloser mehr. Allerdings konnte damals noch keine Rede davon sein, dass sein Name fast jedem Film(musik)-Freund bekannt gewesen wäre. Williams hatte in den vorausgehenden Jahren besonders durch seine Musiken zu The Reivers • Der Gauner (1969) und Jane Eyre • Jane Eyre – Eine Frau kämpft um ihr Glück (1971) auf sich aufmerksam gemacht – in Deutschland waren diese Titel allerdings bis zur Reissue-Welle der achtziger Jahre unveröffentlichte, nahezu unbekannte und schwierig zu beschaffende Raritäten. Für viele ein Stück älterer Filmmusik-Liebhaber hat die John-Williams-Story ernsthaft überhaupt erst mit Jaws begonnen: Beispielsweise war mein erster Williams auf Tonträger The Towering Inferno • Flammendes Inferno (1974), aber erstmals aufgehorcht habe ich bei Jaws – obwohl mir der Score in einigen Passagen anfänglich Hörprobleme bereitete und ich seine Bedeutung erst später erfasst habe. Was die Musik auch heute für manchen Hörer anfänglich etwas sperrig machen dürfte, sind das Fehlen breit ausschwingender Themen, wie sie wenig später zu einem der Markenzeichen des Komponisten geworden sind.

Für Williams wurde diese Komposition ein weiterer wichtiger Schritt auf dem Weg zum endgültigen Durchbruch mit Star Wars • Krieg der Sterne (1977). Der Erfolg von Jaws sollte aber auch die – mittlerweile fast 30-jährige – Zusammenarbeit mit dem Regisseur Steven Spielberg festigen, für den er rasch zum „Hauskomponisten“ avancierte. In die Annalen der Filmmusik und die Herzen vieler Filmmusik-Liebhaber ist John Williams als der eingegangen, der die romantisch-sinfonische Filmmusik wiederbelebt hat, indem er an die musikalischen Standards des „Golden Age“ anknüpfte. Die Musik zu Jaws hat noch nicht den epischen Atem wie die zu Star Wars, zeigt aber dafür eindrucksvoll, wie wirkungsvoll auch äußerst kurze Motive sein können. Das nur zwei-tönige „Hai-Motiv“, ein rhythmisch stampfendes Ostinato der Kontrabässe, ist hierfür bester Beweis: Diese Musik ist es, die, raffiniert variiert und geschickt in den musikalischen Fluss eingearbeitet, den Spannungsaufbau der Bilder eindringlich bestimmt, ähnlich wie die großen Filmmusiken Bernard Herrmanns. Das Hai-Motiv ist unmittelbar einprägsam und wird unbewusst registriert. Es signalisiert dem Zuschauer häufig eine Gefahr, die die Bilder (noch) nicht erahnen lassen.

Schon bei Jaws knüpfte John Williams an die große Hollywood-Tradition an, machte hier allerdings (stoffbedingt) keinerlei Anleihen bei Korngold, sondern primär bei Bernard Herrmann. In Teilen steht die Musik zu Jaws der Herrmanns zu Beneath the 12-Miles Reef • Das Höllenriff (1953) besonders nahe. Bei Williams spielen Harfen-Glissandi für die Untermalung der Unterwasseraufnahmen eine vergleichbare Rolle und der Kampf mit dem Hai zeigt musikalisch Ähnlichkeiten mit dem Kampf mit dem Kraken – und auch die im Finale seiner Musik zum Sequel Jaws II erklingende shantyhafte Melodie hat ihr Pendant in der Schluss-Musik von Das Höllenriff. Besonders in den motorisch-expressiven Partien sind allerdings auch Einflüsse von Komponisten wie Prokofieff und Strawinsky deutlich spürbar. Insgesamt ist die Tonschöpfung von atmosphärisch dichten Spannungs- und kraftvollen Action-Musiken geprägt, die die Handlung vorantreiben. Daneben gibt es aber auch einige (allerdings kurze) lyrische Partien (besonders schön ist hier die neo-barocke „Montage“) und modernistische Ausflüge in freitonale, klang-pointillistische Bereiche, wie in „Ben Gardner’s Boat“.

Das seinerzeit zum Film veröffentlichte MCA-LP-Album (später auch auf CD erschienen) ist ein speziell eingespieltes typisches Williams-Hör-Album — hier von knapper Spieldauer (ca. 35 Minuten) —, in dem vor allem die lyrischen Passagen etwas breiter auskomponiert sind als in der originalen Film-Musik-Version. Der neuen Decca-CD – veröffentlicht zum 25-jährigen Jubiläum des Films – liegen nun die Master der Original-Film-Einspielung zu Grunde. Die CD bietet mit ihren ca. 51 Minuten rund 16 Minuten mehr an Musik als die alte LP-Version. Die Unterschiede zwischen den beiden aktuellen Jaws-CD-Editionen sind unter dem Strich eher marginal, denn dramatisch zu nennen. Die Decca-CD fasst einige Musikteile zusammen und besteht aus 20 Tracks. Die Varèse-CD mit McNeelys Neueinspielung hat 24 Tracks, die Musik-Stücke scheinen allerdings strenger chronologisch angeordnet zu sein – z. B. erklingt die originelle, formstrenge „Shark Cage Fugue“ in der Decca-Fassung viel zu früh (Decca: Track 4, Varèse: Track 20).

John Williams und seine Mannen lieferten 1975 eine packende Interpretation der Musik, der McNeely und das Royal Scottish National Orchestra hörbar gut nachgeeifert haben. Allerdings klingen beide Versionen merklich unterschiedlich. McNeelys Neueinspielung präsentiert ein breitorchestrales, recht natürliches und dazu hervorragend durchhörbares Klangpanorama, die Original-Version von Williams hingegen ist mehr von einem zwar ordentlichen, aber etwas trockenen und leicht verhangenen Studio-Sound geprägt. Die Film-Einspielung ist klangtechnisch sicher nicht schlecht, allerdings für ihre Zeit nicht optimal realisiert worden. Die Decca-Toningenieure haben das Mögliche getan, um aus den Master-Tapes das Beste herauszuholen, und das Resultat klingt denn auch hörbar besser als die früheren LP- und CD-Ausgaben – wobei hier allerdings einige leichte Bandfehler, aber auch Nebengeräusche der Musiker (Notenblättern) hörbar sind. Der Vergleich zeigt deutlich, dass manche klanglichen Details in der McNeely-Fassung klarer hörbar sind, in der Williams-Version „der weiße Hai hingegen in deutlich trüberem Wasser schwimmt“: hier klingt alles ein Stück unschärfer und verwaschener.

Varèse hatte seine Neueinspielung der Musik unter dem Dirigat von Joel McNeely schon länger geplant und bereits im Kasten als die Decca-Version überraschend angekündigt wurde – eiskalt erwischt, nennt man das wohl. Auch wenn jetzt viele interessierte Sammler (verständlicherweise) wohl zuerst zum Original der Jaws-Musik greifen werden, die Varèse-Neueinspielung ist ebenfalls einen Zugriff wert!

Fazit: John Williams berühmte Musik zu Steven Spielbergs Film Jaws ist nicht nur ein Prä-Star-Wars-Klassiker, sondern eine für ihre Zeit frische, dazu von einiger Originalität und Modernität geprägte und auch heute noch ausgezeichnet wirkende Filmkomposition. Diese liegt jetzt erstmals in (gleich) zwei vollständigen Versionen auf CD vor: Zum einen in der Original-Einspielung unter John Williams auf Decca und zum anderen als Neueinspielung unter Joel McNeely auf Varèse. Beide Versionen sind interpretatorisch annähernd gleichwertig, klanglich liegt die Varèse-CD jedoch eindeutig vorn – diese wartet darüber hinaus mit einem deutlich informativeren Booklet auf. Der Sammler hat die Qual der Wahl zwischen zwei vergleichbar hochwertigen CD-Ausgaben der Jaws-Musik. Meine Empfehlung lautet hier analog wie im Fall Superman: wem die Musik am Herzen liegt, sollte sich beide Versionen zulegen.


Mehrteilige Rezension:

Folgende Beiträge gehören ebenfalls dazu:


Originaltitel:
Der weiße Hai

Komponist:
Williams, John

Erschienen:
2000
Gesamtspielzeit:
51:18 Minuten
Sampler:
Decca
Kennung:
467 045-2

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