Vom Uhrmacher-Lehrling zum Klang-Zauberer: Der Komponist Benjamin Frankel
Benjamin Frankel wurde ein Jahr nach William Alwyn und Alan Rawsthorne 1906, als Sohn polnisch-jüdischer Immigranten in London geboren. Obwohl sich bei dem jungen Benjamin – ebenso bei seinen zwei Geschwistern – starke musikalische Begabung zeigte, wäre es den Eltern nicht in den Sinn gekommen, dass eines ihrer Kinder einmal eine musikalisch-künstlerische Laufbahn einschlagen würde. So wurden zwar die musikalische Neigungen der Kinder gefördert, aber Benjamin nach Abschluss der Grundschule im Alter von 14 Jahren zu einem Uhrmacher in die Lehre gegeben. Auf die besondere Begabung des jungen Frankel, der sich zuvor bereits für das Violinspiel begeistert hatte, wurde der amerikanische Klaviervirtuose Victor Benham aufmerksam. Er überzeugte davon auch die Eltern und nahm den Jungen für zwei Jahre kostenlos in die Lehre – wobei der begabte Schüler und sein Mentor die letzten 6 Monate dieser Zeit in Köln verbrachten.
Mit siebzehn Jahren kehrte Frankel aus dem von Inflation geschüttelten Deutschland nach London zurück und begann ein Studium an der Guildhall School of Music – dem Direktor dieser Institution widmete er 1942 seine charmante „Youth Music“. Er wirkte dort ab 1946 selbst als gefragter Lehrender. Tagsüber ging er seinen Studien nach, und nachts erarbeitete er das Geld hierfür, indem er in Nachtklubs als Geiger und Pianist in Jazz-Bands auftrat und nicht zuletzt indem er als Arrangeur arbeitete, unter anderem für das BBC-Tanzorchester von Henry Hall, unter dessen Leitung er auch als Geiger auftrat. Hieraus ergab sich ein Engagement im Londoner West End, wo er die musikalische Leitung in den Shows von Noel Coward und C. B. Cochrane übernahm.
Wie auch William Alwyn leistete Benjamin Frankel Pionierarbeit für den britischen Tonfilm und komponierte für Radio Parade of 1935 seine erste Filmmusik – wobei sinfonisches Talent hier weniger gefragt, ihm vielmehr sein Können als Arrangeur von Tanzmusik von Nutzen war. Insgesamt lieferte der Komponist die Musik zu über 100 Produktionen für Film, Theater und Fernsehen – interessanterweise entstand der Hauptteil dieser Tonschöpfungen (knapp 80 Partituren) in den Jahren 1944 bis 1958. Sicher waren es auch die günstigen finanziellen Aspekte, die den Komponisten bewogen haben dürften, der Arbeit für den Film soviel Raum einzuräumen und seine Ambitionen als „seriöser“ Komponist zurückzustellen. So entstanden in diesen Jahren neben einer Reihe von Kammermusiken nur wenige Werke für den Konzertsaal. Seine erste überzeugende sinfonische Filmmusik lieferte er 1945 für den Film The Seventh Veil • Der letzte Schleier, dessen Geschichte um das Verhältnis einer psychisch gestörten Pianistin (Ann Todd) zu ihrem schroffen Vormund (James Mason) von Trivialpsychologie und Kitsch geprägt ist. Der allerdings gut gespielte Film bietet Raum für klassische Musikeinlagen der Pianistin, aber auch für Frankels mit Gespür für dramatischen Effekt komponierte Musik. In dieser Zeit begann auch das, was in der Literatur als das „Golden Age“ des britischen Kinos bezeichnet wird. Im Zuge dieses Aufschwunges bekam auch Frankel zunehmend Aufträge Filme zu vertonen, wobei sich enge, zum Teil freundschaftliche Kontakte zu vielen Regisseuren und Produzenten entwickelten – der Komponist dürfte zudem der bestbezahlte britische Filmkomponist seiner Zeit gewesen sein.
Erste Anerkennung als seriöser Komponist erlangte er erst während der Kriegsjahre; besonders mit den Uraufführungen seiner ersten vier Streichquartette und weiteren Kammermusiken. Weiter gefiel auch eines seiner wenigen frühen Orchesterwerke die leichte Overtüre „May Day“. Mit dem 1951 entstandenen Violinkonzert – dem Andenken an die „sechs Millionen“ gewidmet – gelang dem stets überzeugt zu seiner jüdischen Herkunft stehenden Komponisten nicht nur ein persönlicher Kommentar des Holocaust und dazu der künstlerische Durchbruch, sondern überhaupt ein erstes sinfonisches Meisterwerk. Es ist auf den ersten Blick überraschend, dass Frankels bedeutendes sinfonisches Hauptwerk und seine einzige Oper sämtlich aus seinen letzten 15 Lebensjahren und damit aus der Zeit ab 1958 stammen.
Doch zunächst zurück zu seiner Laufbahn als Filmkomponist. In den Arbeiten für den Kinofilm zeigen sich alle Merkmale, die auch die seriösen Kompositionen auszeichnen. Dazu zählen eine erfindungsreiche, eingängige Melodik und eine intensive, chromatische Harmonik, die mit großem Sinn für Klangfarben einhergehen. Frankels Instrumentationen und kompositorische Arbeit sind immer durch große handwerkliche Meisterschaft und Feingefühl geprägt, was sowohl für die dramatischen als auch für die leichten Kompositionen gilt, die allesamt mit vergleichbarer Sorgfalt ausgeführt worden sind. Nach 1958 schuf der Komponist nur noch Musik für zehn Kinofilme neben einigen Fernsehmusiken – darunter auch die erste konsequent zwölftönig komponierte Horrorfilmmusik überhaupt zu Hammers Curse of the Werewolf • Der Fluch von Siniestro (1960).
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