Rolf-Wilhelm-Interview, Teil III

Geschrieben von:
Stefan Schlegel
Veröffentlicht am:
23. Dezember 2004
Abgelegt unter:
Special

Ich bin wahrscheinlich ein Chamäleon — Ein Interview mit Rolf Wilhelm (von Stefan Schlegel), Teil III

Stefan Schlegel: Gibt es sonst irgendwelche Pläne für neue CDs? Ruf der Wildgänse (1961) sollte ja noch auf Cobra Records herauskommen.

Rolf Wilhelm: Ja der gute Knut Räppold, ein Filmmusikfan und Idealist! Die Steuer hat ihn mit irgendwelchen „Maßnahmen“ wohl furchtbar reingerissen. Er wollte so gerne weiter machen, auch Die Heiden von Kummerow (1967), aber „die Verhältnisse, die sind nicht so“ – wie es in der Dreigroschenoper heißt.

Stefan Schlegel: Gibt es davon auch das Masterband noch?

Rolf Wilhelm: Ja! Ich bekam sogar ein Master von der Kinemathek in Berlin, das Original liegt wohl noch in der DEFA. Man könnte eine schöne Suite daraus zusammenstellen.

Stefan Schlegel: Das war ja 1967 die erste Co-Produktion von West- und Ostdeutschland. Haben Sie die Musik mit dem DEFA-Orchester aufgenommen?

Rolf Wilhelm: Ja genau, ein Einzelfall, so viel ich weiß. Es war außergewöhnlich und kam, wenn ich mich richtig erinnere, wohl nur deshalb zustande, weil der Produzent Walter Koppel mit dem Kulturminister der DDR zusammen im KZ gesessen hatte und gut mit ihm bekannt war. Wir – der Produzent, der Regisseur Werner Jacobs und ich – fuhren mit dem Taxi nach Babelsberg, über die Zonengrenze, damals noch so richtig mit dem Spiegel unterm Auto, denn manche Leute haben sich ja unters Auto geklemmt, um rüberzukommen. Es waren ganz scharfe Grenzkontrollen. Da sah ich das erste Mal wieder Sanssouci und Potsdam und kam im berühmten alten Musikstudio der UFA (später DEFA) zu diesem wundervollen Orchester. Sie waren fabelhaft und sehr, sehr freundlich und korrekt. Meine Noten waren zum Teil, wie üblich, auf Transparentpapier geschrieben und lichtgepaust, fehlerfrei wie immer und lösten Begeisterung aus. Das kannte man nicht, sie bekamen immer glänzende Fotokopien, die sich rollten.

Stefan Schlegel: Es ist ja auch eine sehr schöne Musik.

Rolf Wilhelm: Die ich, zum Beispiel, sehr gerne geschrieben habe. Ich hatte das Glück, dass ich in der „Lümmelzeit“ überleben konnte und sich die Produzenten daran erinnerten, dass ich mit solchen Stoffen auch umzugehen verstand. Letzten Endes kam ich auf diese Weise auch zu den Loriot-Filmen. Da rief mich eines Tages der Produzent Horst Wendlandt an und sagte: „Der Loriot erzählt mir da irgendwas mit Wagner und so. Det kennen Sie doch, ich komm da nicht zurecht, was er will. Rufen Sie ihn doch mal an!“

Stefan Schlegel: Und das war dann die Begegnung mit Loriot.

Rolf Wilhelm: Ja, das war sie, kurz und bündig, aber mit großartigen Folgen.

Stefan Schlegel: Hat sich daraus dann eine Freundschaft entwickelt? Sie haben ja zwei Filme zusammen gemacht.

Rolf Wilhelm: Wir haben uns sehr gut verstanden, aber Herr von Bülow ist neben allem Charme wohl auch ein Eigenbrötler, lebt draußen an seinem See und ist eine „One-man-production“. Es war eine sehr schöne Zusammenarbeit, an die ich mich gerne erinnere, die auch Anklang fand, bemerkt wurde.

Stefan Schlegel: Es sind ja auch sehr witzige Filme.

Rolf Wilhelm: Es sind herrliche Filme. Aber nicht ganz einfach für einen Komponisten, weil Loriot „humoristische“ Musik hasst. Er kann zum Beispiel Fagott mit seinen glucksenden, karikierenden Tönen nicht leiden, das ist ein rotes Tuch für ihn. Ist ja auch wahrlich abgebraucht von billigen Trickfilmen.

Stefan Schlegel: Er ist ein großer Wagner-Fan.

Rolf Wilhelm: Und was für einer! Ich habe ihm zuliebe auch einiges an Wagner verfremdend eingeflochten. Man muss sich sehr gut auskennen, um das herauszufinden, so ein richtiges Ostereiersuchen: Hier ein kleines bisschen „Walküre“, da ein winziges Zitat aus „Siegfried“, aber sehr verdreht, dann wieder drei Akkorde „Götterdämmerung“ – eben um ihn zu erfreuen und Opernfans zum Schmunzeln zu bringen.

FILMMUSIK AUF TONTRÄGER UND MUSIK FÜR DEN KONZERTSAAL

Stefan Schlegel: Warum gab es eigentlich in den 60er Jahren in Deutschland im Gegensatz zu Italien oder Frankreich kaum Veröffentlichungen von Filmmusiken auf Schallplatte? Woran lag dieses geringe Interesse im Verhältnis zu heute? Heute hat sich doch sehr viel geändert.

Rolf Wilhelm: Ja, das kann man glücklicherweise feststellen. Ich weiß es nicht, woran es damals lag. Wohl doch am mangelnden Interesse des Publikums und daran, dass sich in unseren Produktionen selten etwas fand, was in eine Art von Charts hätte kommen können. Es sind schon Platten herausgekommen, aber doch herzlich wenige, von Schlagern einmal abgesehen. Von den Nibelungen gab es lediglich eine kleine Single mit einem Bildchen drauf.

Stefan Schlegel: Aber die ist ja damals kaum auf den Markt gekommen.

Rolf Wilhelm: Das war eine Alibigeschichte des Verlegers. Meine ersten Filme waren ja reine Manuskripte – kein Verlag. Dann kamen ein paar clevere Leute drauf, dass sie, wenn sie mit dem Produzenten reden und sagen, sie übernehmen ein bisschen was von den Kosten für die Musikaufnahmen, die Verlagsrechte kriegen – und die sind ein Drittel (!) der Tantiemen des Komponisten. Der Verleger muss zwar laut GEMA eine Klavierstimme von zwei Seiten drucken, aber sagt sich: „Drucke ich eben 100 Stück. Davon kriegt er zehn, die anderen lagere ich bei mir. Die können dann schön vergammeln. 90 Blättchen nehmen wenig Platz weg, kaufen tut’s sowieso keiner, und ich habe mein Drittel!“

Stefan Schlegel: Wie schwer und wie kostenintensiv war es dann 1980, die Nibelungen-LP 14 Jahre nach der Uraufführung des Films zusammen mit Richard Kummerfeldt auf den Markt zu bringen?

Rolf Wilhelm: Er hatte sich entschlossen, die LP zu machen, und tat es mit viel Liebe und Sorgfalt aus reinem Idealismus. Auch Tarabas, Via Mala, Tonio Kröger, Doktor Faustus, Hiob (1977) wurden von ihm sorgältig produziert. Kummerfeldt hat mich für die LP regelrecht „erfunden“, und ich war und bin ihm sehr dankbar dafür.

Stefan Schlegel: Haben Sie es gern gesehen, dass die Musik dann doch noch auf Platte herauskam?

Rolf Wilhelm: Natürlich war das eine große Freude für mich, damals wie heute. Wir haben uns oft getroffen bei ihm drüben in Saarbrücken. Seinen vier LP-Produktionen verdanke ich das Interesse der Filmmusikfans, die sich bis dato mehr an Winnetou hielten, mit Recht, denn die Musik passt großartig zu den genial besetzten und inszenierten Filmen von Harald Reinl, die für mich echte Filmgeschichte sind.

Stefan Schlegel: Sie haben ja mit Reinl insgesamt an vier Filmen zusammengearbeitet. War das Zufall oder waren Sie befreundet?

Rolf Wilhelm: Wir mochten uns sehr gerne, kamen prächtig miteinander aus. Natürlich entstehen Freundschaften während der Arbeit, aber dann geht halt jeder wieder seinen Weg, man verliert sich oft jahrelang aus den Augen, freut sich umso mehr, wenn man wieder zusammenarbeiten kann.
Es hatte übrigens schon ein paar Jahre vor Reinls Schatz im Silbersee mal Karl May-Verfilmungen gegeben mit dem Viktor Staal. Hier gedreht in den Isar-Auen – das war etwas dürftig und überhaupt kein Erfolg. Ich will mich nicht loben, aber wie oft habe ich zu den Filmproduzenten gesagt: „Es gibt doch zwei Stoffe, die man unbedingt machen müsste: Karl May und Krimis – Leute, lest doch endlich mal einen Edgar Wallace!“ Blieb lange unbeachtet, dann aber…!
Es gibt ein Orchesterstück von mir mit dem Titel „Kriminalroman für Orchester und Fünfschussrevolver in fünf Kapiteln“, angeregt von einer Karikatur von Saul Steinberg: Ein großes Orchester, in welchem ganz hinten ein Musiker sitzt, der eine Pistole in die Höhe hält. Und genau das habe ich realisiert in der „Woche der leichten Musik“ 1962 in Stuttgart. Das war herrlich! Wie das Publikum hochhüpfte, als da im Konzertsaal tatsächlich geschossen wurde!

Stefan Schlegel: In welchem Stil haben Sie das komponiert gehabt?

Rolf Wilhelm: In sinfonischem Filmmusik-Stil, so wie ich das gerne mit großem Orchester „getrieben habe“. Es endet, nach gewaltiger Steigerung abbrechend, mit einem schüchternen Celesta-Signet „Fortsetzung folgt“.

Stefan Schlegel: Der einzige richtige Krimi, den Sie vertont haben, war ja 1963 Scotland Yard jagt Dr. Mabuse, obwohl dieses Genre mit den ganzen Wallace-Filmen damals äußerst populär war. Haben Sie sich bewusst aus dieser Welle rausgehalten und sind nur wegen Paul May, der hier die Regie hatte, reingeraten?

Rolf Wilhelm: So ist es, diese Filme wurden von anderen Kollegen vertont bei Produktionen, zu denen keine Verbindung bestand, sozusagen „andere Baustelle“. Ehrlich gesagt, hatte ich Scotland Yard jagt Dr. Mabuse nicht so gern, der Film an sich sagte mir nicht zu.

Stefan Schlegel: Es war wohl nicht Ihre Linie.

Rolf Wilhelm: Es war auch Paul Mays Linie nicht, es war „in“ damals, und er musste auch leben. Die Zusammenarbeit mit ihm war wie immer sehr gut, aber wir beide waren schon glücklicher gewesen. Ich bekam auch wenig Zeit, musste einen Arrangeur nehmen, der mich nicht sehr gut verstand, kurzum: eine Arbeit, die unter keinem glücklichen Stern stand.

Stefan Schlegel: Unterscheiden sich Ihre anderen Konzertwerke stilistisch sehr und gehen in eine ganz andere Richtung?

Rolf Wilhelm: Die jetzigen ja. Ich wurde von einem Musikerkollegen, seltsamerweise einem Tubisten, so vor über 15 Jahren einmal bei einer Aufnahme folgendermaßen angesprochen: „Wir schreiben jetzt Ende November; im Juni ist in Washington drüben ein Kongress der Tubisten und Euphoniumspieler aus aller Welt. Ich möchte dich bitten, mir bis dahin ein Konzert für Tuba und sinfonisches Bläserensemble zu schreiben, das in diesem Rahmen mit der Air-Force-Band uraufgeführt wird.“
Nun, ich habe ihm das Konzert geschrieben, war drüben dabei, und seitdem geht es um die Welt, wird gerne gespielt, von Dänen, Amerikanern, Japanern u. v. a. – unfassbar!. Man weiß das hier gar nicht, aber es gibt wundervolle Brass Bands – etwa in der Qualität wie in dem Film Brassed Off. Und durch den Tubisten habe ich noch einen brillanten Euphoniumsolisten kennengelernt. Der ist „Nummer Eins“, reist durch die Welt und wird bestaunt, weil er halt ein unglaublicher Musiker ist. Mein Tubist hat mich bei einem dieser Kongresskonzerte mal zusammen mit ihm in eine Besenkammer gesperrt und befohlen: „Du spielst ihm jetzt vor, und du schreibst ihm was.“ Das war der Anstoß zu einem weiteren dieser Konzerte, in modernem sinfonischem Stil geschrieben.

Stefan Schlegel: Aber es geht nicht in Richtung Neue Musik à la Stockhausen oder Boulez.

Rolf Wilhelm: Nein, das wäre eine andere Sparte. Meine Stücke gehören zur sogenannten Gehobenen Unterhaltungsmusik, sind konsumierbar, nicht zu lange und sollen Freude bereiten, den Solisten keine artistischen Kunststücke abverlangen. In dieser Manier habe ich schon viel geschrieben, auch für kleinere Ensembles, zum Beispiel für das Philip Jones Ensemble auch Etüden, Quartette, es gibt viele Möglichkeiten der Besetzung.

Stefan Schlegel: Haben sie dabei teilweise auf Themen zu Ihren Filmmusiken zurückgegriffen?

Rolf Wilhelm: Nein, das ist eher „absolute“ Musik, keine Programmusik. Jetzt soll ich für einen ausgezeichneten Solisten „Vier Jahreszeiten“ für vier verschiedene Instrumente schreiben, die er beherrscht. Mal sehen…

Stefan Schlegel: Haben Sie beim Komponieren überhaupt daran gedacht, dass dieses oder jenes Stück auch unabhängig vom Film gespielt werden könnte?

Rolf Wilhelm: Eigentlich nicht, denn es war nicht damit zu rechnen, dass es konzertante Aufführungen geben würde. Das Einizige, was es in der ersten Zeit an Filmmusik außerhalb des Kinos gab, war der „Plattenkramer“ Jimmy Jungermann beim Bayerischen Rundfunk. Der hatte eine Sendung über Neues vom Film (den Titel habe ich leider vergessen) etwa zweimal im Monat, in der 5-10-Minuten-Querschnitte aus den neuesten Filmen immer willkommen waren. Aber ansonsten war nicht damit zu rechnen, dass ein Orchester sich für Filmmusik interessiert hätte. Erst jetzt gibt es in Berlin die „Filmphilharmonie“, die solche Konzerte mit großem Orchester plant, wohl auch schon durchgeführt hat. Eines ist projektiert – da wurde ich angesprochen – mit dem Thema ‘Heimat’. Man denkt dabei u. a. natürlich an die „ewig singenden Wälder“. Aber das ist nicht leicht zu realisieren, denn es müsste das ganze Orchestermaterial wiederhergestellt werden.

Stefan Schlegel: Die Partitur haben Sie selbst?

Rolf Wilhelm: Ja, die Partituren habe ich alle.

Stefan Schlegel: Es ist ja auch sehr verschieden bei den Komponisten. Gerade im Ausland: Manche haben ihre Partituren, manche nicht…

Rolf Wilhelm: Ich weiß, manche mussten sie abliefern. Im Ausland, z. B. in Frankreich und Italien, wurden sie wohl verlegt. Dort wurde auch alles sehr viel höher bewertet, ich glaube fast, auch staatlich gefördert. Keine schlechte Idee…

Stefan Schlegel: Aber Sie durften sie behalten?

Rolf Wilhelm: Es wollte sie auch niemand haben, wozu denn auch? Notenlesen gilt bei vielen Menschen als eine Art Geheimcode…

FILMMUSIK ALS „SEELENKONTRAPUNKT“

Stefan Schlegel: Gab es Filmmusiken, mit denen Sie nicht zufrieden waren oder die Sie vom heutigen Standpunkt aus anders angehen würden?

Rolf Wilhelm: Sicher könnte ich heute manches anders machen, allein von den besseren technischen Voraussetzungen her. Aber ganz unzufrieden bin ich wohl mit kaum einer, ich kann sie mir schon noch anhören, tu’s nur wirklich äußerst selten. Lieber was Neues schreiben!

Stefan Schlegel: Gab es Filmangebote, die Sie ablehnten, wenn jemand auf Sie zukam und sagte, Herr Wilhelm machen Sie doch diesen Film für mich?

Rolf Wilhelm: Ich glaube eher nicht, habe aber kein gutes Gedächtnis für negative Dinge. Wenn ja, dann sicher nicht so, dass ich behaupten könnte: „Hoi, ich habe abgelehnt“ (lacht). Diese Tenorarie möchte ich nicht von mir geben.

Stefan Schlegel: Denken Sie, dass Filmmusik nur illustrativ untermalend oder kommentierend eingesetzt werden sollte?

Rolf Wilhelm: Da sollten wir uns zunächst über die Definition der Begriffe einigen! Ich glaube, dass es wesentlich mehr Möglichkeiten für Filmmusik gibt als die beiden genannten: Sie kann ebenso gut karikieren, ironisch wirken, an Vorangegangenes erinnern, Beziehungen herstellen etc. Es kommt ganz auf die Absicht, den gesamten Stil der Inszenierung, den Stoff an. Ideen, Vorwegnahmen oder Erinnerungen, Gedanken, innerer Entschluss, all das lässt sich mit Geschick (noch besser: Können) musikalisch gut ausdrücken und kann der Szene so eine weitere Dimension hinzufügen. „Seelenkontrapunkt“, meine Theorie von der Therapie! Sie erinnern sich?

Stefan Schlegel: Hätten Sie sich nicht noch mehr Arbeiten im epischen Genre à la Nibelungen gewünscht?

Rolf Wilhelm: Natürlich, keine Frage.

Stefan Schlegel: Denn es kam ja dann Ende der 60er Jahre doch nicht mehr soviel nach.

Rolf Wilhelm: Das stimmt, aber nur fast: Diese Stoffe wurden seltener, aber nach den Lümmelfilmen gab es schon noch einige „Orchesterfilme“: Als Mutter streikte (1974), Abelard (1975), Die wunderbaren Jahre (1979), nicht zu vergessen der sinfonische Höhepunkt: Doktor Faustus, die beiden „Loriot’s“, 1989 dazwischen Rosamunde, in der sich alles findet: 20er Jahre-Jazz, Sinfonik und reine Elektronik.

Stefan Schlegel: Aber nach Amerika hat es Sie auch nicht gezogen, um dort eventuell bessere Chancen zu erhalten?

Rolf Wilhelm: Ich fühlte mich hier sehr wohl, es hat mich auch niemand gefragt. Ich war sehr stolz, als ich beim Schlangenei mit Dino De Laurentiis zu tun hatte und immerhin in der Variety die Möglichkeit zum Vorschlag für den Oscar fand. Vielleicht hätte ich gerne in den USA gearbeitet – ich wäre nicht der erste europäische Export gewesen.

Stefan Schlegel: Aus Frankreich oder Italien hatten Sie auch nie Angebote bekommen?

Rolf Wilhelm: Nein, weder noch. Warum auch, es gab doch genügend ansässige Kollegen dort, die bestens integriert waren. Meine Arbeit hat sich hier abgespielt, mir ging es prächtig. Eine Anfrage aus dem Ausland wäre schmeichelhaft gewesen, ohne Zweifel eine Ehre, aber mir ging es hier doch sehr gut!

Stefan Schlegel: Haben Sie noch irgendwelche Pläne oder würden Sie gern etwas machen, zu dem Sie nie die Gelegenheit hatten? Gibt es irgendwelche unerfüllt gebliebenen Wünsche?

Rolf Wilhelm: Eigentlich nicht. Auf der Haben-Seite steht soviel Positives, dagegen verblasst das Soll. Es haben sich viele Traumziele realisiert: Einmal stand ich sogar auf dem Podium im Goldenen Saal des Musikvereins in Wien und nahm mit den Wiener Symphonikern meine Musik zu Don Carlos (1961) auf – die verfilmte Aufführung des Burgtheaters, für das ich auch einige Bühnenmusiken schrieb, auch Vorstellungen dirigiert habe. Wiederum ein erfüllter Jugendtraum.

Stefan Schlegel: Haben Sie dafür eine eigene Musik geschrieben?

Rolf Wilhelm: Ja, wieder einmal mit großer Freude für „meinen“ Profesor Stöger.

Stefan Schlegel: In welcher Art?

Rolf Wilhelm: Sinfonische Musik mit historischem, spanischem Kolorit, Sologitarre, zum Teil auch Bearbeitungen von Lautenmusik aus dieser Zeit von Philipp II.

Stefan Schlegel: Sehr viele Musik oder eher weniger?

Rolf Wilhelm: Es ist zwar eine Theateraufzeichnung, aber doch mit relativ viel Musik. Es gibt eine lange Titelouvertüre, Zwischenakte, Akzente, einen Abspann, und eine lange Szene mit dem Aufstand in Madrid und dem Tod des Posa. Eine sehr getragene, düstere Musik, dem Stück entsprechend.

Stefan Schlegel: Gibt es davon noch ein Masterband?

Rolf Wilhelm: Ja, das gibt es, sogar das Original.

Stefan Schlegel: Das mal auf CD herauszubringen, wäre auch ein Projekt.

Rolf Wilhelm: Sicher wäre das schön, aber ich kann es niemandem ernsthaft zumuten, Studio-Produktionskosten wegen einer CD auf sich zu nehmen, an der lediglich ich, ein paar Freunde und meine liebenswerten Filmmusikfans ihre Freude hätten, die kommerziell jedoch wohl chancenlos wäre.
Es gibt schon ein paar geeignete Stücke, die ich vorschlagen könnte.: Doktor Faustus auch mal in einer längeren Fassung. Die LP-Kopplung mit dem Tonio Kröger ist zwar gelungen, aber es steckt noch viel Musik drin im Faustus. Die Heiden von Kummerow sind eine hübsche Musik, geeignet für eine Suite, es fände sich noch einiges, denke ich…

Stefan Schlegel: Aber wer macht es?

Rolf Wilhelm: Ja, wer produziert es? Wer nimmt das finanzielle Risiko in Kauf? Es ist keine Musik für die Ewigkeit, kann allenfalls für Sammler, Studenten und Filmmusikfans von Interesse sein, sich für Zulasungsprüfungen eignen. Ich besitze sogar ein paar Magisterarbeiten oder Staatsexamensprüfungen für künftige Musiklehrer von Ödipussi und Faustus. Das ist sehr ehrenwert, aber „what for“? So hoch schätze ich das nicht ein.

Stefan Schlegel: Wissen Sie, wie hoch die Verkaufszahlen der Cobra-CDs oder des Bear-Family-Samplers mit Ihrer Musik etwa waren?

Rolf Wilhelm: Keine Ahnung, ich habe darüber keine Unterlagen, vermutlich waren sie nicht überragend. Am besten gegangen sind natürlich die Videocassetten mit Loriot, da bin ich sozusagen „das U-Boot“ – wie man die B-Seite von erfolgreichen Schlagern auf der A-Seite in der Branche nennt.

Stefan Schlegel: Da sind’s ja nicht Sie, der die Verkaufszahlen ausmacht, sondern der Name Loriot.

Rolf Wilhelm: Das ist ja klar. Aber immerhin war es eine große Ehre, dabei gewesen zu sein, weil Wendlandt keinen anderen Ausweg sah als mich (lacht).

Stefan Schlegel: Also gibt es auch seitens Bear Family keine weiteren CD-Pläne mit Ihren Musiken?

Rolf Wilhelm: Auch das weiß ich leider nicht, bin skeptisch, ob die Querschnitte sich gut verkauft haben, es gibt ja mehrere von anderen Kollegen. Ich finde sie fabelhaft und informativ, freue mich über meinen auch besonders, weil er – fast wie beim Hausierer mit dem Bauchladen – ein Angebot ist mit einem gewissen „was soll’s denn sein oder darf’s ein bisschen mehr sein.“ Es zeigt vielleicht die Entwicklung der Filmmusik, wohin sie gegangen ist, wo sie abgeglitten und wie Phönix aus der Asche wieder hochgestiegen ist. Filmmusik muss eben doch aufwändig sein, Emotionen erwecken. Loriot und ich waren uns da einig: Wir wollten „Kintoppmusik“. Das sollte richtig schön und voll sein. Und keine falsche Bescheidenheit!

Stefan Schlegel: Gab es dabei keine Budgetprobleme?

Rolf Wilhelm: Nein, das war kein Problem. Der Aufwand war auch nicht so gewaltig. Ich konnte die Musik an einem Tag aufnehmen.

Stefan Schlegel: Es war ja auch nicht soviel Musik drin in den Filmen.

Rolf Wilhelm: Richtig, beim zweiten fiel sogar ein bisschen was weg in der Mischung.

„IM DIENST EINER SACHE“

Stefan Schlegel: Welchen Stellenwert besitzt überhaupt für Sie die Filmmusik und wie würden Sie sie einordnen?

Rolf Wilhelm: Letzten Endes fußen wir auf der Tradition der Bühnenmusik, der Oper, der Konzertmusik und zum Teil der Volksmusik. Gerade in der Island-Szene in den Nibelungen ist das Motiv eines norwegischen Fischerliedes, der „Strilevise“, drin. Wunderbare Folklore! Das ist legitim, denn in Tschaikowskys Sinfonien sind sehr viele russische Volkslieder verarbeitet. Das weiß nur kaum jemand. Im „Feuervogel“ ebenso.

Stefan Schlegel: Das ist ja etwa bei Rózsa ganz ähnlich, der bei seinen epischen Filmen musikhistorische Studien betrieb und authentische Themen der jeweiligen Zeit in seine Musik miteingearbeitet hat.

Rolf Wilhelm: Sehen Sie, das ist eben der richtige Weg. Beim Faustus hatte ich viel Zeit, mich vorzubereiten und mich ausgiebig in die Literatur zu stürzen. Es war hochinteressant, die literarischen und musikalischen Zusammemhänge herauszusuchen und sich auch mit Brittens Werk auseinanderzusetzen. Eigentlich ist es eine Frage des Interesses und auch der Gewissenhaftigkeit der Arbeit gegenüber. Meiner Meinung nach muss man sich bei einer solchen Aufgabe mit dem gesamten kulturellen Umfeld der betreffenden Epoche beschäftigen. Das ist wirklich wichtig, außerdem ein Genuss und Gewinn für einen selbst.

Stefan Schlegel: Kommt dann die Inspiration hauptsächlich vom Stoff oder von den Bildern?

Rolf Wilhelm: Sicher von beidem. Nur nach dem Drehbuch könnte ich nicht komponieren, ich liefe Gefahr, meine „eigene Inszenierung“ zu entwickeln und läge damit möglicherweise ganz konträr zu dem, was ich schließlich zu sehen bekomme. Drum ging ich immer ganz gerne auch mal ein bisschen „schnuppern“ im Atelier bei Dreharbeiten. Aber natürlich gibt das Bild die entscheidende Inspiration.
Gewiss vermittelt das Drehbuch den ersten Eindruck, führt zu ersten Skizzen, auch guten Themen, aber die Feinarbeit, die wirkliche Musik zum Bild bereits vor dem fertigen Schnitt zu schreiben, halte ich für umöglich, zumindest nicht bei meiner Arbeitsweise: für mich unvorstellbar.

Stefan Schlegel: Aber es gibt ja auch eine andere Vorgehensweise beispielsweise in der Zusammenarbeit von Ennio Morricone mit Sergio Leone. Man hat ja oft gelesen, dass Leone Morricones Musik schon während der Dreharbeiten vorlag und sich so die Schauspieler zum Teil nach der Musik bewegen konnten.

Rolf Wilhelm: Ah ja, das ist dann eine Art Playback-Verfahren, fast schon Choreographie, das kann ich mir sehr gut vorstellen. Wenn die beiden Kollegen diesen Weg gegangen sind, taten sie’s mit großem Erfolg. Ennio Morricone ist natürlich auch ein mit allen Wassern der Musik gewaschener Vollprofi und schreibt auch sehr gute konzertante Musik.

Stefan Schlegel: Was halten Sie überhaupt so von Morricone?

Rolf Wilhelm: Er ist ein großer Kollege! Er hat fabelhafte, wirklich unverwechselbare Musik geschrieben, die aus jedem Hotelgedudel – was ohnedies eine Plage ist – sofort herausragt und erkannt wird. Ich würde ihn gerne einmal treffen und Erfahrungen mit ihm austauschen.

Stefan Schlegel: Und die Franzosen wie Philippe Sarde?

Rolf Wilhelm: Selbstverständlich auch, es gibt überall wunderbare Kollegen, so auch bei den modernen Amerikanern, die ich oft aufrichtig bewundere.
Ich weiß nicht, ob Sie das kennen: Es gibt ein Notenblatt mit der Notation des Donauwalzers von Johann Strauß, auf dem darunter in berühmter Handschrift steht: „Leider nicht von mir. Johannes Brahms.“ So empfinde ich zum Beispiel bei der ForrestGump-Musik, die ist großartig. Auch Basic Instinct von Jerry Goldsmith hätte ich gerne geschrieben – viele seiner Arbeiten, die ich sehr bewundere. Hätten wir beide zum Vergleich denselben Auftrag erhalten (reine Fiktion), wäre es doch interessant gewesen, was er und was ich komponiert hätte. Ich glaube, wir hätten uns gut verstanden und wären oft zu ziemlich identischen Ergebnissen gekommen. Das wäre ein interessantes, lehrhaftes Experiment gewesen.

Stefan Schlegel: Es gab ja schon einmal so ein ähnliches Experiment, als David O. Selznick für Duell in der Sonne mehrere Filmkomponisten ein Thema schreiben ließ und das beste davon auswählte. Schlussendlich hat er sich dann für Dimitri Tiomkin entschieden.

Rolf Wilhelm: Das wusste ich nicht, eigentlich ist’s auch einleuchtend, vorausgesetzt, die erforderlichen Mittel sind vorhanden. Ich finde es nachahmenswert…
Was ich an der Filmarbeit so besonders schätze, ist die Vielfalt der Stoffe. Keiner gleicht dem anderen, es sei denn, man tappt in eine Serie rein, aber selbst da gibt es immer wieder eine neue Herausforderung und neue Überlegungen. Es beginnt stets mit weißem Notenpapier, Bleistift, Radiergummi und Lineal für die Taktstriche. Dann folgt, was ich als „Schwangerschaft des Gehirns“ bezeichne: ein ständiger Prozess musikalischer Vorstellungen, die bald zu ersten Aufzeichnungen führen und in der fertigen Partitur enden. Dieses „immer wieder von vorne beginnen können“, die Möglichkeit, neue Lösungen zu finden, sich nicht wiederholen zu müssen, ist anregend, vor allem, wenn man nicht auf etwas festgelegt ist.

Stefan Schlegel: Zum Beispiel Henry Mancini war ja regelrecht auf Komödien festgenagelt.

Rolf Wilhelm: Ja, er hätte sich vielleicht gerne mal was anderes gewünscht. Das ist auch wieder so eine Sache: Handelt es sich dabei um das, was einem besonders liegt, kann man zufrieden sein. Chopin soll auf die Frage, warum er keine Oper schreiben würde, geantwortet haben: „Ich habe einen kleinen Garten, aber in dem bin ich König“ – und das war er mit seiner herrlichen Klaviermusik in der Tat. Wer jedoch mehr Freude an Vielseitigkeit und Abwechslung findet, ist mit Film-, Fernseh-, Bühnenmusik besser bedient und wohl damit glücklich. Und das war ich und bin ich.

Stefan Schlegel: Ihnen lag folglich schon daran, möglichst vielseitig zu schreiben?

Rolf Wilhelm: Ja, genau die permanente Abwechslung hat mir wohl getan. Immer nur melancholische „Tarabasse“ zu schreiben, die doch recht negativ sind und einen selbst deprimieren, hätte ich nicht so gerne gewollt.

Stefan Schlegel: Ist das auch anstrengender?

Rolf Wilhelm: Nein, denn das liegt mir ja komischerweise. Vielleicht habe ich ja eine schwermütige Seele – ich weiß es nicht und wüsste nicht woher. Aber es war natürlich auch ein interessanter Stoff und dadurch, dass ich in Wien aufgewachsen und definitiv zur Musik gekommen bin – es waren die entscheidenden Jahre von 10 bis 18 etwa – kann ich mich in solche Stoffe vielleicht besonders gut einfühlen. Ich stamme aus einer halb bayerischen, halb österreichischen Familie, fühle mich in beiden Mentalitäten zuhause, finde die Vielseitigkeit so schön. Auch als ich noch rauchte, blieb ich nicht konsequent bei einer Marke, das wäre mir wirklich zu langweilig und fantasielos gewesen. Wozu gibt es denn die Vielfalt auf der Welt? Können Sie sich vorstellen, mit einer Sorte von etwas täglich Benutztem durchs Leben zu kommen? Dies nur nebenbei.

Stefan Schlegel: Die leichten Sachen sind also daher nicht unbedingt leichter zu schreiben?

Rolf Wilhelm: Wirklich leicht zu schreiben ist eigentlich kaum was. Außer in dem Moment, wo man inspiriert und euphorisch ist, da geht es schon leichter von der Hand. Leicht Ironisches, Fröhliches gehört bei mir dazu, entspricht meinem Charakter vielleicht mehr, aber eben auch die Schwermütigkeit. Ich bin wahrscheinlich ein Chamäleon. Ich kann nichts dafür – es ist eine Spielart der Vererbung, irgendein Gen-Effekt, der einen zwingt, dass man so völlig der Musik verfällt (und auch leider immer Musik im Kopf hat, was quälend werden kann).

Stefan Schlegel: Ich finde, dass Sie in Ihren sinfonischen Filmmusiken schon herauszuhören sind und dass es da immer wiederkehrende Stilelemente gibt.

Rolf Wilhelm: Herzlichen Dank für das Kompliment. Das spräche von einer persönlichen Handschrift, so dass man sich nicht fragen muss, wer um Himmels Willen könnte der Komponist sein. Wenn mir das gelungen sein sollte, wäre ich sehr glücklich.

Stefan Schlegel: Gerade bei vielen neuen Filmmusiken stört mich persönlich doch sehr, dass es keine Handschrift mehr gibt und viele Komponisten sich nur noch an Temp Tracks anlehnen. Der Druck scheint heutzutage ziemlich stark zu sein.

Rolf Wilhelm: Das berichten eigentlich alle jungen Kollegen, es scheint ziemlich unerfreulich zu sein. Sie sind wohl viel abhängiger, Dienstleistende, arbeiten weisungsgebunden. Das grenzt fast an Sklavenarbeit – unbegreiflich.

Stefan Schlegel: Das würden Sie wahrscheinlich auch nicht mehr gerne machen wollen.

Rolf Wilhelm: Bestimmt nicht! Wer andere Zeiten erlebt hat, gar die unvergesslichen mit Bergman, kann sich nicht so knebeln und kommandieren lassen. Ich war an demokratische Zusammenarbeit mit einem Team von Fachleuten gewöhnt. Sie ließen mir freie Hand, ich konnte meine Persönlichkeit einbringen und in Übereinstimmung mit ihnen meinen Beitrag leisten. Wenn so viele Leute, die sich für kompetent halten, es jedoch nicht unbedingt sind, oft von Musik sehr wenig verstehen, mit Vorschriften und Ratschlägen zur Hand sind, kann man da noch unbeschwert arbeiten? Was zum Teufel berechtigt sie dazu? Mir fiele nicht im Traum ein, einem Regisseur dreinzureden, obwohl es manchmal angebracht gewesen wäre.
Filmkomponist ist ein schöner Beruf; ich muss ihn nicht mehr ausüben. Nicht unter den jetzigen Umständen mit den Abhängigkeiten und den Vorschriften. Es käme mir recht albern vor, wenn ich erst einmal eine Bewerbung oder eine Probe meines Könnens ablegen sollte. Außerdem bin ich zu alt dazu, will keinen Termindruck haben. Mein ruhigeres Leben ist viel zu schön. Es gibt so viele interessante Dinge, die darauf warten, entdeckt zu werden.

Stefan Schlegel: Sie haben ja auch genügend geleistet in all den Jahrzehnten.

Rolf Wilhelm: Es reicht. Mein Gott, wenn ich diese 10 Meter an Kassetten mit Partituren anschaue – es sind zwar nicht ganz alle da, aber es reicht auch so. Da wird also die Spedition was zu tun kriegen, wenn die Kinemathek in Berlin dies, zusammen mit anderen Dokumenten, eines Tages abholt.

Stefan Schlegel: Wird die Stiftung Deutsche Kinemathek den Nachlass übernehmen?

Rolf Wilhelm: Ja, das ist so vorgesehen. Ich wollte „meine Kinder“ nur noch ganz gern eine Weile um mich haben, weil ich hier und da mal Lust habe, etwas nachzusehen, zu ordnen. Man vergisst natürlich viel. Gerade bei ganz alten Filmen ist das sehr unterhaltend, da habe ich wirklich keine Ahnung mehr. Sicher, den Titel weiß ich schon noch, aber was sich dann auf der Strecke abspielt, ist oft überraschend. Das sind seltene „Ausflüge in die Vergangenheit“, ist jedoch nicht meine Hauptbeschäftgung, um Himmels Willen! Für so großartig halte ich meine Arbeiten nicht. Alles, was wir so schreiben in unserem Metier, wird gering vor einer Generalpause bei Mozart. Die ist immer noch besser als alles, was wir so verbrechen.

Stefan Schlegel: Aber Sie hatten früher nie das Bedürfnis gehabt, nur noch absolute Musik zu schreiben wie viele andere Komponisten, die der Meinung sind, dass ihre Musik im Film untergehen würde.

Rolf Wilhelm: Einiges in dieser Richtung habe ich schon geschrieben, wir sprachen bereits darüber, aber ich verspüre zuviel Ehrfurcht vor den großen Meistern, um mich ganz in die „wahre“ absolute Musik zu wagen. Einmal habe ich mich sogar ernsthaft mit Opernplänen beschäftigt, habe aber bald bemerkt, dass ich selbst nicht wirklich dahinter stand, nicht ganz davon überzeugt war. So ließ ich’s mit den Entwürfen bewenden.

Stefan Schlegel: Sie haben sich also lieber in den Dienst einer Sache gestellt?

Rolf Wilhelm: So kann man es ausdrücken, ja. Eine Oper zu schreiben ist eine ungeheuerliche Anstrengung, will durchgestanden sein. Allein das Erstellen eines Klavierauszugs: ein grausames Geschäft! Endlose pingelige Korrekturarbeiten von Partitur, Klavierauszug, Material, da sollte man schon mehr als hundertprozentig hinter seinem Elaborat stehen. Das wäre mir wohl nicht gelungen, dazu bin ich zu kritisch. Man benötigt einen Verleger, eine Bühne, die sich interessiert – kurz und gut: Ich zitiere meinen über alles geliebten Johannes Brahms, der einmal sagte: „Lieber heiraten, als eine Oper schreiben.“ Ich habe mich für das erstere entschieden und geheiratet, eine Familie gegründet (lacht). „Schuster bleib bei Deinen Leisten“ ist eine hübsche alte Spruchweisheit.
Und was sinfonische Kompositionen anbelangt, so ist es für einen als Filmkomponisten eingereihten (ich sage nicht: abgestempelten) doppelt schwer, aufgeführt und ernst genommen zu werden. Als ich in Stuttgart für längere Zeit als Gastdirigent des Rundfunkorchesters gearbeitet habe, konnte ich zu den vorbestimmten Werken öfters auch eigene aufnehmen, die auch gesendet wurden. Mit diesem Orchester, das sehr gut war (aber auch schon lange aufgelöst ist), konnte ich eine schöne Fernsehmusik beisteuern zu Deutschland, deine Schwaben (1969). Das waren fünf oder sechs Sendungen mit Willy Reichert nach den Geschichten von Thaddäus Troll. Eine liebenswürdige Unterhaltungs-Sendung, die sehr erfolgreich war und für alle an der Produktion Beteiligten eine wahre Freude. Daraus könnte man eine hübsche CD-Fassung erstellen.
Aber um wieder auf die sinfonische Musik zurückzukommen: Den ganz originellen „Kriminalroman für großes Orchester“ hat damals keiner gespielt, genauso wie Filmmusik. Das Interesse erwachte erst jetzt, die Nachfrage nach den Partituren setzte ein, als eine Kette von Orchestern gegründet wurde,die neben Produktion von neuen Filmmusiken auch Konzerte mit älteren geben. Allerdings kommen die meisten dieser Konzerte über Star Wars und andere Klassiker aus Amerika nicht hinaus. Dass es hier auch Leute gibt, die das konnten, ist völlig in Vergessenheit geraten. Da heißt es dann: „Was? Deutsche Filmmusik? Was soll ich damit?“ Dass sich das langsam ändert, ist wirklich höchste Zeit.
Nur dafür Stücke zu schreiben und mit großer Selbstkritik und Feilarbeit anzufertigen, damit sie dann nicht gespielt werden, fand ich zu albern. Dazu war ich zu wenig überzeugt von mir und ziehe, ehrlich gesagt, freie Tage fern vom Schreibtisch, absolut vor.

Stefan Schlegel: Möchten Sie vielleicht zum Abschluss noch etwas sagen?

Rolf Wilhelm: Es ist schön, dass jetzt langsam auch im Fernsehen gute Musik wieder merklich zunimmt, dass es bald ein Ende hat mit diesem „Wühltisch im Schnäppchen-Kaufhaus“, denn so klang es mir in den Ohren. Hoffentlich gibt es bald wieder Arbeit für viele erstklassige Orchestermusiker, mit denen zu arbeiten ich ein halbes Jahrhundert das Glück hatte. Hoffentlich verbessert sich das Niveau der Drehbücher für Fernsehproduktionen aller Art, damit auch meine jungen Kollegen wieder daran partizipieren können, die Zeit der „Styropor-Dialoge“ vorbei ist, das Fernsehen wieder attraktiver wird, weniger „Gemeinplätzchen“ gebacken und serviert werden. Es wäre an der Zeit.

Stefan Schlegel: Herr Wilhelm, vielen herzlichen Dank für das Interview.

Rolf Wilhelm: Gern geschehen, ich danke Ihnen meinerseits sehr herzlich. Über all dies, was mich bewegt, und all das, woran ich mich gerne erinnere, mit Ihnen gesprochen zu haben, war mir ein großes Vergnügen. Lassen Sie mich nur noch Eines nachholen, das mir am Herzen liegt: Der berühmte Lyriker Reiner Kunze, einer der lautersten und sensibelsten Menschen, denen ich je begegnete, und dessen Verfilmung von Die wunderbaren Jahre ich 1979 vertonen durfte, hat es in einem seiner Bücher formuliert, was ich auch als Motto meines Lebens beglückend empfinde: „Musik bedeutet immerwährendes Asyl.“

Dieser Artikel ist Teil unseres umfangreichen Rolf-Wilhelm-Specials.

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