Herbert Kegel auf CD: Eine kleine Auswahl
Das Repertoire verfügbarer Interpretationen Herbert Kegels auf Tonträger ist in den letzten Jahren nicht allein durch Veröffentlichungen hierzulande deutlich gewachsen. Besonders in Japan erscheinen zunehmend Mitschnitte seiner Konzerte. Die nachfolgend vorgestellten CDs sollen im Fall Kegel eine Hilfe zum Einstieg sein: Der Interessierte findet hier eine Reihe besonders markanter und wichtiger Aufnahmen auf problemlos erhältlichen CD-Alben.
Schwerpunkt der ausgewählten Titel bilden die auf dem Label „Berlin Classics“ (www.edel.de) erschienenen Einspielungen unter Kegel. Darunter finden sich neben einer Reihe von vorzüglichen Digitalaufnahmen aus den 1980er Jahren bis in die frühen 1960er Jahre zurückreichende analoge Stereo-Aufnahmen aus DDR-Produktion. Aber auch an den Analog-Schätzchen gibt es nichts wirklich Entscheidendes zu bemängeln: Dank sorgfältiger Nachbearbeitung klingen selbst die ältesten Vertreter durchweg frisch und präsent, mit nur geringfügigem Grundrauschen. Neben der anschließend vorgestellten Auswahlbox finden sich weitere Einzeltitel, die als markante Ergänzung und Abrundung der in der Box präsentierten Auswahl gedacht sind.
Im Mittelpunkt der Berlin-Classics-Aufnahmen steht die 15-CD-Box „Herbert Kegel — Legendary Recordings“. Dies ist eine besonders preiswerte, umfangreiche Kompilation zum Reinschnuppern: Highlights Kegelscher Dirigierkunst mit Werken von insgesamt 20 Komponisten. Bei der in Stecktaschen einer aufklappbaren stabilen Kartonbox enthaltenen CD-Kollektion handelt es sich aber (neben Vivaldi-Konzerten, der „Symphonie fantastique“ von Berlioz und Mahlers 1. Sinfonie) in erster Linie um eine hochinteressante Sammlung besonders wichtiger Werke des 20. Jahrhunderts: Hierfür stehen sowohl Schönbergs „Gurre-Lieder“ sowie seine Oper „Moses und Aron“, Pendereckis „Threnos“, Brittens „War Requiem“, Bergs Violinkonzert und Orchester-Bruchstücke aus „Wozzeck“ aber auch wenig Bekanntes, wie Goldmanns 1. Sinfonie, Schenkers „Landscapes für großes Orchester“, das „Poem für Viola & Streicher“ von Meyer und Dessaus „Meer der Stürme“. Des Weiteren sind Werke von Bartók, Sibelius, Orff, Mussorgsky, Webern, Hindemith, Prokofjew, Schostakowitsch und Strawinsky vertreten. (Beim sehr günstigen CD-Durchschnittspreis von ca. 2,60 bis 3 sollte der Käufer entsprechend maßvoll sein und im nicht enthaltenen Begleitheft kein Manko sehen.)
Bei Brittens „War Requiem“ handelt es sich um eine vorzügliche Interpretation aus dem Jahr 1989, die auch im Zusammenhang mit Brittens Lob (s. o.) besonders hörenswert ist. Carl Orff war von Kegels Darstellung seiner zentralen Werke ebenfalls sehr angetan: die Opern „Der Mond“ und „Die Kluge“ sowie die die berühmten „Carmina Burana“ zu „Trionfi“ ergänzenden Chorwerke „Catulli Carmina“ und „Trionfo di Afrodite“. Jedes dieser Werke besitzt einen eigenen (eigenwilligen) Klangkosmos, der sich nicht immer so unmittelbar und leicht erschließt wie bei den fast volkstümlich gewordenen „Carmina Burana“ (diese sind sowohl in der Sammelbox als auch im Trionfi-Doppel-CD-Album vertreten). Gerade deren elektrisierende Darstellung dürfte vielleicht so manchen auch weniger erfahrenen Hörer davon überzeugen, dass er sich bei Kegel (nicht nur) in Sachen Orff in den allerbesten Händen befindet.
Bergs „Bruchstücke aus der Oper Wozzeck“ sind sogar eine Katalog-Rarität und zugleich erstklassige Einstiegshilfe in die Klangwelten der wohl berühmtesten Oper der Moderne. Hierbei handelt es sich übrigens um eines der ganz großen Opernwerke des 20. Jahrhunderts, das sich nach ausgiebigem Einhören nicht allein als zeitloses musikdramatisches Meisterwerk beweist und zugleich als eine der lyrischsten Kompositionen der Avantgarde der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Wer hier auf den Geschmack kommt, sollte nicht zögern, zur ausdruckstarken Gesamteinspielung unter Kegel zu greifen; ein auch klanglich sehr überzeugender Live-Mitschnitt, bei dem sich das Publikum erfreulicherweise nicht störend „geräuschvoll“ bemerkbar macht.
Mussorgskys „Bilder einer Ausstellung“ in Ravels berühmter Orchesterfassung zählt wie die „Carmina Burana“ zu den auch für Klassik-Neulinge leicht zugänglichen Werken, bei denen sich ein Eindruck von „genauso ist es richtig!“ auch für den weniger Erfahrenen oftmals unmittelbar einstellt, nämlich dank des stimmigen und damit mitreißenden Effekts. Ebenso packend ist der Geniestreich des jungen Schostakowitsch (1. Sinfonie) geraten, aber auch die anfänglich sehr spröde wirkende Vierte (Sinfonie) von Sibelius vermag zu packen. Dies gilt vergleichbar für die eingängige 1. Sinfonie Mahlers und auch die stimmungsvoll interpretierte „Symphonie fantastique“ von Berlioz. Entstehungsgeschichtlich noch weiter zurück, in das 18. Jahrhundert, reichen die 1970 eingespielten Vivaldi-Konzerte und Sinfonias. Gerade hier zeigen Kegels eher sachlich und unromantisch wirkende Herangehensweise und die wiederum betont klar akzentuierten Linien der Musiken ihn als einen Vorreiter moderner Vorstellungen von Werktreue und Aufführungspraxis.
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