Hanussen / Der rote Rausch
Klingendes vom deutschen Kino der 50er und frühen 60er Jahre. Mit den Musiken zu Hanussen (1955) und Der rote Rausch (1962) hat das Label Bear Family nach der 2003 erschienenen Immenhof-Kompilation jetzt ein weiteres klingendes Andenken auf den Markt gebracht — siehe auch „Deutsche Filmkomponisten“.
In Der rote Rausch war der junge Klaus Kinski nach seinem Debut in Helmut Käutners Ludwig II. (1955) zum ersten Mal in einer Hauptrolle auf der Kinoleinwand zu sehen. Kinskis Darstellung eines irren Triebtäters, der im zwanghaften „Roten Rausch“ zum Frauenmörder wird, erregte beträchtliches Aufsehen. Die Filmstory beruht auf einem zeitgenössischen Illustriertenroman.
In Hanussen führte O. W. Fischer (zusammen mit Georg Marischka) Regie und verkörpert zugleich eine schillernde Figur der Weimarer Zeit, den legendären Hellseher und Hypnotiseur Hanussen, der auf der Plakatwerbung als „Der Prophet des Teufels“ bezeichnet wird.
Hans-Martin Majewski zeigt sich auch in den beiden vorliegenden Filmvertonungen als tadelloser Handwerker, als einer, der sich darauf verstand, der Atmosphäre des jeweiligen Films ein überzeugendes musikalisches Pendant zu schaffen. In Der rote Rausch bleibt er zeittypisch dem Big-Band-Jazz der 50er und frühen 60er verpflichtet. Wobei die Big-Band-Sounds auch, aber nicht nur, für reine Hintergrundmusik eingesetzt werden, z. B. für einen Mambo, Tango und Charleston. Mit jazzigen Variationen über eine motivische Tonfolge sorgt er darüber hinaus zum einen geschickt für stimmungsvolle, latent bedrohliche Atmosphäre und setzt zum anderen durch partiell hinzutretende Streicher dezent gefühlvolle Akzente für die späteren weiblichen Opfer. Die mörderischen Visionen des Killers, „Stief hat Visionen“, verdeutlicht Majewski durch geschickte Handhabung einfacher Mittel, indem er motivische Einwürfe von Saxophon etc. über mit Hilfe eines Saiteninstrumentes (vermutlich einer Zither oder eines Klaviers) erzeugten Klangflächen erklingen lässt. „Stiefs Märchenerzählung für Hanni“ schafft dazu einen kinderliedhaft und so zugleich unschuldig wirkenden Kontrast.
In der Musik zu Hanussen agiert ein ähnlich zusammengesetztes Ensemble und auch hier setzt der Komponist in vergleichbarer Weise atmosphärische Akzente. In den knapp 36 Minuten Score ist der Anteil der primär als Source-Cues fungierenden Stücke und Arrangements adaptierten Musikmaterials recht hoch. Darunter findet sich viel jazzige Unterhaltungsmusik, dieses Mal mit Foxtrott und Paso Doble etc., natürlich stimmig im klanglichen Gewand der wenig goldenen, eher „Brüllenden Zwanziger“. Ebenso wenig fehlt ein eleganter Walzer, in „Einweihungsparty in Hanussens Wohnung“. Als Titelmusik fungiert das „Perpetuum mobile“ von Johann Strauß (Sohn) in einer originellen Version für Orchestrion. Dieser berühmte „Musikalische Scherz“ scheint auch später noch mehrmals, dann jedoch orchestral, wie schicksalhaft auf. Besagter bildet auch den Einstieg in „Hanussen übersiedelt nach Berlin“, eine neben dem Strauß-Stück Beethoven, Paul Lincke und Friedrich Holländer zitierende Musikmontage. Dazu gibt’s mit ziemlicher Sicherheit eine aus historischem Bildmaterial zusammengefügte Bildmontage der Metropole zu sehen. Zu den Bildern liefert der Komponist passende musikalische Assoziationen in ähnlicher Weise, wie man es auch aus Hollywoodproduktionen kennt. Am Schluss suggerieren (auch ohne Bild) die in martialische Marschrhythmik eingebetteten Fanfarenstöße unweigerlich einen NSDAP-Aufmarsch und das Stück mündet in einen dissonanten Schlussakkord.
Dem titelgebenden Hanussen ist ein recht breit angelegtes melodisches Thema zugeordnet, das wie das Porträt eines sensiblen und einfühlsamen Charakters wirkt. In den weniger als 15 Minuten umfassenden Teilen, die man als zentrale, unmittelbar auf die Handlung bezogene Musik ansehen kann, bekommt es allerdings zwangsläufig keine Gelegenheit, eingehender variiert und verarbeitet zu werden. Damit offeriert die Filmmusik zu Hanussen weniger einen unmittelbar erkennbaren musikdramaturgischen Zusammenhang, wirkt in erster Linie wie eine Revue aus rein bildbezogener, stilistisch heterogener Hintergrundmusik. Dabei ist diese unterm Strich sicher unmittelbar eingängiger als die eher spröden, jazzigen Klänge zu Der rote Rausch, dessen Sounds dafür allerdings interessanter herüberkommen.
Die hier zumindest annähernd vollständig präsentierten Filmvertonungen sind mit „nur“ rund 21 (Der rote Rausch) und rund 36 Minuten (Hanussen) recht kurz. Die ebenfalls bei anderen Majewski-Filmmusiken erkennbare Sparsamkeit beim Unterlegen von Film mit Musik — in der Regel um 30 Minuten — liegt wohl auch in den beim deutschen Nachkriegskino meist chronisch knappen Musikbudgets mit begründet. Als weiterer Beitrag zur derzeit eher unterrepräsentierten Majewski-Diskografie ist das Album sehr willkommen und darüber hinaus in jedem Fall ein interessantes Studienobjekt, bei dem es auch klanglich — sehr frisches und klares Mono — nichts zu bemängeln gibt.
Im umfangreichen 44-seitigen Begleitheft gibt’s Bear-Family-typisch Infos zu den Filmen — leider nicht zur Musik — nebst üppigem Bildmaterial, zusammengestellt aus Stand- und Aushangfotos sowie Plakatmotiven. Darunter findet sich beispielsweise ein originelles Fundstück in Form eines Werbezettels des Verleihs, der sich respektvoll an die „Herren Theaterbesitzer“ wendet: „Ob Sie ans Hellsehen glauben oder nicht — eine Voraussage können wir machen, die mit Sicherheit eintrifft: Hanussen wird einer der größten Kassenschlager! Diese Voraussage wird um so schneller in Erfüllung gehen, wenn Sie schon heute ihr Publikum auf diesen neuen O. W. Fischer Film neugierig machen, indem Sie schon heute dieses Kleinplakat aushängen.“ Na, wenn das nicht Nostalgie pur ist, dann weiß ich nicht.
Dieser Artikel ist Teil unseres umfangreichen Programms zum Jahresausklang 2006.
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