Der Klassik Tipp V/21: André Previn – The Warner Edition: Complete HMV & Teldec Recordings

Andre Previn - The Warner Edition
Geschrieben von:
Michael Boldhaus
Veröffentlicht am:
22. September 2021
Abgelegt unter:
Klassik

André Previn – Die umfangreiche CD-Edition von Warner-Music

André Previn (1929–2019) zählt zu den besonders universellen Dirigentenpersönlichkeiten der Musikgeschichte. Der in Berlin als Andreas Ludwig Priwin Geborene emigrierte mit seinen Eltern 1939 über Paris nach Los Angeles. Dort entdeckte er bereits im zarten Alter von 12 seine Neigung zum Jazz und begründete damit zugleich seine spätere Karriere als Jazzpianist. Dass er erst 18-jährig seine Karriere in Hollywood im Music Department von MGM begann, ist weniger geläufig. Indem er für den Konzertpianisten Jose Iturbi ein Jazz-Stück für den Film Holiday in Mexico (1946) einrichtete, machte er zudem erste Schritte auf dem Weg zum späterhin ebenso hoch geschätzten Arrangeur. Dafür stehen besonders die jeweils mit einem Oscar bedachten Bearbeitungen für vier  Musical-Verfilmungen: George Gershwins Porgy and Bess (1959, Regie: Otto Preminger), Frederick Loewes My Fair Lady (1964, Regie: George Cukor) und Gigi (1958, Regie: Vincente Minelli) sowie Marguerite Monnots Irma la Douce (1963, Regie: Billy Wilder). Zu Previns originalen Filmvertonungen zählt neben The Four Horsemen of the Apocalypse * Die vier apokalyptischen Reiter (1962, Regie: Vincente Minnelli) u. a. Billy Wilders erst gefloppte, aber mittlerweile längst zum Klassiker avancierte pfiffige Kalter-Kriegs-Komödie Eins, Zwei, Drei (1961).

Bereits früh begann aber auch sein Engagement für die klassische Musik. Den diskografischen Einstieg markierte 1952 ein LP-Album für Kinder, „The Story of a Piano“ (RCA Victor), wo er die Geschichte eines Klaviers, das vom Debut in der Carnegie Hall träumt musikalisch u.a. mit Schumanns „Träumerei“ illustrierte. Mitte der 1950er Jahre spielte er zusammen mit Lukas Foss Mozarts vierhändige Klavierkompositionen ein. Seine Dirigentenkarriere begann 1962 beim St. Louis Symphony Orchestra. 1964 begann seine Londoner Phase mit dem Royal Philharmonic, und ein Jahr später startete die langandauernde Affäre mit dem London Symphony, dessen Chefdirigent er von 1968 bis 1979 war. Während seiner langen Karriere gelang es ihm immer wieder, den „Abgrund“ zwischen ernsthafter und populärer Musik elegant zu überwinden und so perfekt Entertainment mit hoher Kunst zu verbinden. Dank seiner pädagogischen Fähigkeiten vermittelte er (vergleichbar mit Leonard Bernstein) mit Hilfe des Fernsehens Klassik einem breiten Publikum. Davon zeugen etwa die beiden LP-Alben zur gleichnamigen TV-Serie „André Previns Music Night“, die im opulenten Warner-Box-Set die CDs 38 & 50 bilden. Dabei ist übrigens auch das von Previn komponierte Titelthema zu besagter TV-Show mit vertreten.

Womit wir beim zentralen Punkt angelangt sind, der eleganten Warner Edition, die Previns Einspielungen für HMV (EMI) & Teldec auf insgesamt 95 CDs und damit Einspielungen der Jahre 1971 bis 1987 in einem bereits rein äußerlich eindrucksvollen Box-Set vereint. Als Numero 96 fungiert eine Bonus-Disc: „André Previn – A Memoir“, mit einem Porträt von Jon Tolansky. Das Begleitheft wartet mit einem kurzen Porträt des Dirigenten und einer chronologisch geordneten Übersicht über die vertretenen Alben auf – zur Übersicht gibt’s hier das der Box beigefügte orange gehaltene Faltblatt.

Fast durchgehend sind die ursprünglichen LP-Veröffentlichungen 1:1 auf CD übertragen, was in der Optik jeweils eine den alten LP-Covern besonders nahe kommende, betont nostalgische Präsentation ermöglicht. Hierzu muss zudem fairerweise angemerkt werden, dass ein im Verhältnis LP zu CD aus zwei mach eins abgesehen von den beiden Jazz Alben (s.u.), nicht bloß die Kapazitätsgrenzen der Datenträger überschritten, sondern überhaupt zu wenig sinnvoll erscheinenden Kopplungen geführt hätte. Der insgesamt überaus faire Preis des umfangreichen Box-Sets und erst Recht die Relation zu den in LP-Zeiten fälligen Kosten für die Anschaffung der LP-Ausgaben sollte an dieser Stelle überzogene Kritik verstummen lassen.

Das vorliegende Box-Set erweist sich als faszinierendes klingendes Füllhorn aus der besonderen Blütezeit Previns und ist zugleich eine exzellente Hommage an das Multitalent, wobei neben dem Dirigenten insbesondere der Pianist sowohl in der Klassik als auch im Jazz zum Tragen kommen. Dieses klingende Vermächtnis besteht aus durchweg guten bis sehr guten und einer Reihe auch heutzutage immer noch besonders beachtlichen Aufnahmen, wobei im Mittelpunkt seine Arbeit mit dem London Symphony Orchestra steht.

Der Interessierte ist eingeladen, sich völlig zwanglos auf eine vielschichtige musikalische Reise zu begeben. Er begegnet dabei Einspielungen, die in ihrer Zeit besonders einflussreich waren, etwa die brillante Darstellung der seinerzeit noch nicht im Repertoire angekommenen Turangalîla-Sinfonie (Olivier Messiaen). Das gilt ähnlich auch für die drei Rachmaninow-Sinfonien – wobei die Zweite sogar ungekürzt eingespielt worden ist – und ebenso für die vollständigen Prokofjew-Ballette „Romeo und Julia“ und „Cinderella“. Ebenso fein geraten sind die Prokofjew-Sinfonien 1, 5 & 7 sowie die wuchtige, auf Filmmusik beruhende  Kantate „Alexander Newsky“. Ebenso ausdruckstark wie feinsinnig interpretiert sind die Schostakowitsch Sinfonien 4, 5, 6, 8, 10 & 13. Die fein akzentuierten Darstellungen der drei berühmten Tschaikowski-Ballette, „Schwanensee“, „Dornröschen“ und „Der Nussknacker“ aus den 1970ern zählen längst zum zeitlos Schönen im Kanon des breiten Angebots an Einspielungen. Den Nussknacker gibt’s  gleich zweimal: Neben der 1972er Version mit dem London Symphony nochmals aufgenommen im Jahr 1986 mit dem Royal Philharmonic. Dass Previn sich auch bei Richard Strauss sehr gut schlägt, belegen der fast schon filmmusikalisch anmutende „Till Eulenspiegel“, „Don Juan“ (beide mit den Wiener Philharmonikern) und auch die kraftvoll akzentuierte Alpensinfonie, versehen mit Breitwandeffekt (mit dem Philadelphia Orchestra). Auch die Berlioz-Einspielungen, etwa die effektvoll vorgetragene „Symphonie fantastique“, die mitreißend gespielten Ouvertüren oder das in den äußeren Effekten etwas zurückgenommene und somit schlanker als häufig zu hören angelegte Requiem (Grande Messe des Morts) zählen zweifellos zum Hervorzuhebenden. Die elegante Gesamtaufnahme der fünf Klavierkonzerte von Camille Saint-Saëns mit dem Pianisten Jean-Philippe Collard und dem von Previn geleiteten Royal Philharmonic zählt bereits seit den 1980er Jahren zu den Klassikern.

Neben Exemplarischem von Britten, Walton, Lambert und Vaughan Williams präsentieren die beiden Alben „The Dicky Bird & The Owl“, bestückt mit Liedern und Balladen der Viktorianischen Ära, eine hierzulande weniger geläufige Facette von Previn, das zeitlebends praktizierte Engagement für die britische Musik. In diesem Zusammenhang muss auch die fulminante Darstellung von Holsts „Die Planeten“ genannt werden. Dahinter stehen die fein nuanciert ausmusizierten, von elegant schimmernden Orchesterfarben bestimmten Interpretationen von Werken der französischen Impressionisten Debussy und Ravel nicht zurück. Hier ist Previn unüberhörbar in seinem Element: u.a. beim Ballett „Daphnis und Cloe“, das hier nicht nur als „Suite Nr. 2“, sondern auch in einer faszinierenden Gesamtaufnahme vorliegt. Auch Ravels reizende Kinder-Oper „L’Enfant et les sortilèges“ macht hierbei eine gute Figur.

Einspielungen mit anderen Orchestern, etwa das Violinkonzert und die klangschön interpretierte 2. Sinfonie von Jean Sibelius mit dem renommierten Pittsburgh Symphony Orchestra sind ebenso unbedingt hörens- wie entdeckenswert. Dieses Violinkonzert gehört dabei zu den insgesamt 8 CDs im Box-Set welche der Geiger Itzhak Perlman als Solist bestreitet. Darunter finden sich neben den nachfolgend erwähnten beiden Jazz-Alben auch die seinerzeit noch Raritäten darstellenden Violinkonzerte von Erich Wolfgang Korngold und Julius Conus.

Previn, den Jazz-Pianisten, bekommt man in den zwei CDs mit dynamischen Gershwin-Interpretationen zu hören, aber ebenso in den mit Eigenkompositionen bestückten pfiffigen Alben „A Different Kind of Blues“ und „It’s a Breeze“. Und gewissermaßen als Triplet gesellt sich dann noch die charmante Ragtime-Kompilation „The Easy Winners“, mit Ragtimes von Scott Joplin hinzu – wiederum zusammen mit Itzhak Perlman realisiert. Das Konzert für Sitar und Orchester von und mit Ravi Shankar ist ein sehr unterhaltsames Kuriosum, welches als CD 1 die so eindrucksvolle wie umfang- und abwechslungsreiche musikalische Rundreise eröffnet – übrigens noch ergänzt um ein paar kürzere Probenausschnitte. Das Gebotene geht über das vorstehend Angerissene natürlich noch ein gutes Stück hinaus, und das sorgt insgesamt für beträchtlichen Hörspaß. Nur Einzelnes hat mich weniger überzeugt, etwa die für mein Empfinden etwas behäbige und allzu pathetisch anmutende Darstellung von Beethovens Fünfter. Das ist aber letztlich immer auch eine Sache des persönlichen Geschmacks. Schließlich bildet diese CD-Kollektion aber auch im klangtechnischen Sine eine praktisch durchweg opulent klingende wahrhafte Schatzkiste.

© aller Logos und Abbildungen bei Warner Music & Warner Music. (All pictures, trademarks and logos are protected by Warner Music).)

Erschienen:
2021-04
Sampler:
Warner Music
Kennung:
96-CD-Set
Zusatzinformationen:
diverse Orchester, Dirigent: André Previn

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