Elektra

Geschrieben von:
Michael Boldhaus
Veröffentlicht am:
5. September 2017
Abgelegt unter:
Klassik

Zwei Decca/Solti-Klassiker des Opernrepertoires: „Elektra“ & „Salome“

Neben Soltis schon legendärer Gesamteinspielung der Wagner’schen Ring-Opern (1955–1965) zählen in jedem Fall die beiden Skandalstücke „Salome“ und „Elektra“ von Richard Strauss zu seinen herausragenden Operngesamtaufnahmen der 1960er Jahre: „Salome“ wurde 1961, „Elektra“ 1966/67 produziert. Dabei vermag der bereits in der Mitte der Fünfzigerjahre außerordentlich hochwertige Decca-Stereo-Sound auch heutzutage zu überzeugen. Die inzwischen ebenfalls längst legendäre Birgit Nilsson, intonierte zwar technisch nicht durchgehend immer völlig perfekt, aber diese geringfügigen „Mängel“ treten gegenüber den regelmäßig von einer unübertroffenen Wucht im Ausdruck geprägten Auftritte praktisch komplett in den Hintergrund. Ihre geradezu bestechende Präsenz kommt auch bei den beiden vorliegenden Einspielungen ungemein packend zum Tragen. Dabei ist aber auch das übrige Ensemble höchstwertig gewählt: etwa Gerhard Stolze, der die Partie des lüsternen Herodes gekonnt schmierig und gallig vorträgt, oder Regina Resnik, deren Klytämnestra geradezu furchterregend und verstörend ist.

Der der Nilsson immer wieder attestierte „Stahl in der Stimme“, Soltis temperamentvolles Dirigat der vorzüglich disponierten Wiener Philharmoniker und nicht zu vergessen John Culshaws außergewöhnlich sorgfältige, die Möglichkeiten der Stereophonie faszinierend auslotende Klangregie bilden die tragenden Elemente dieser Strauss-Einspielungen. „Elektra“ ist zugleich eines der letzten Decca-Opernprojekte, welches Culshaw noch betreute. Man sollte aber auch den Aufnahmeort, die akustisch vorzüglichen Sophiensäle in Wien, dem insgesamt im wahrsten Wortsinn unvergesslichen Gesamtresultat noch mit hinzurechnen. Für manche Kritiker geht das von Culshaw zusammen mit Decca-Tontechnikern wie Roy Wallace und Kenneth Wilkinson entwickelte „SONICSTAGE-Konzept“ allerdings zumindest punktuell zu weit. Aber auch wenn man z.B. einige der Echo-Effekte in der „Elektra“ durchaus als etwas zu künstlich empfinden kann, vermag der Schreiber dieses Artikels hier unterm Strich keinen wirklich essentiellen Makel zu attestieren. Vieles ist nun mal Geschmacksache, und es gibt Konkurrenzaufnahmen, die zwar ein Stück anders funktionieren, aber ebenfalls in einer oberen Liga zu positionieren sind, z. B. Herbert von Karajans weniger voluminös und damit für manch einen wohl auch „natürlicher“ klingende „Salome“, 1977 produziert von EMI, aber interessanterweise technisch betreut vom hier nun ohne Culshaw auf seine Art zweifellos ebenfalls edel arbeitenden Decca Aufnahmeteam in den Sophiensälen. Dass John Culshaw allerdings immer eindeutig eine dem jeweiligen Opernwerk angemessene akustische Darstellung anstrebte, dafür steht z.B. die völlig stimmig, nämlich nur sehr sparsam auf verräumlichende Effekte setzende Karajan-Tosca aus dem Jahr 1962: Das im Vorspiel zum dritten Akt musikalisch gespiegelte morgendliche Erwachen der ewigen Stadt etwa ist hier geradezu traumhaft, wie ein dreidimensionales filmisches Panorama, umgesetzt.

Derart bis in feinste Details faszinierend durchhörbar aufgefächert wie bei Solti und Culshaw bekommt man den komplexen spätromantischen Orchesterklang der „Salome“ und der „Elektra“ kaum anderweitig zu hören. Ebenfalls praktisch nicht zu toppen ist die so ungemein kraftvoll und hitzig ausmusizierte expressive Wucht der „Elektra“. Zudem sind beide Operngesamtaufnahmen erfreulicherweise wirklich vollständig, d.h. dass die im Opernbetrieb lange Zeit üblichen Striche entfallen, auf die nicht einmal der Richard-Strauss-Verehrer Karl Böhm verzichtet hat. In beiden Fällen daher superlativisch von Strauss’schen Sternstunden zu sprechen, das ist wohl kaum zu hoch gegriffen.

Erfreulicherweise ist man beim Remastering behutsam vorgegangen und hat nicht riskiert, den Klang durch übertriebene Eingriffe zu verfälschen. So vermag die aktuelle Ausgabe gegenüber der jeweiligen bereits sehr guten CD-Vorläufer-Edition qualitativ leicht zu punkten, kann nochmals dezente Verbesserungen in puncto Klarheit und Dynamik verbuchen. Dass sich neben den üblichen CDs auch noch eine Blu-ray Audio mit an Bord befindet, ist zweifellos etwas, das auf die High-Tech-Freaks abzielt. Zwar ist der Standard der Blu-ray Audio (und ebenfalls der SACD) dem noch aus den ausgehenden 1970ern stammenden CD-Standard in den Daten zwangsläufig haushoch überlegen. Inwieweit sich allerdings aus den natürlich schick und werbewirksam aussehenden erheblich höheren Zahlenwerten ein für den jeweiligen Hörer überhaupt noch realistisch wahrnehmbarer Zugewinn ergeben kann, dies wird nicht nur in der Produktwerbung völlig überspitzt dargestellt. Ohne an dieser Stelle tiefer einsteigen zu wollen, ist es in jedem Fall sinnvoll die alten, vom Zahn der Zeit bedrohten analogen Bandaufnahmen mit Hilfe des jeweils zur Verfügung stehenden modernsten digitalen Speicherformats zu übertragen und somit dauerhaft für zukünftige Generationen zu sichern. Das ermöglicht es nämlich, dank systembedingt zur Verfügung stehender höherer technischer Reserven, Audiosignale noch präziser und sicherer als zuvor auf die digitale Ebene zu übertragen. Für den Käufer besitzt die Blu-ray-Präsentation allerdings auch abseits sämtlicher Qualitätsdiskussionen einen klaren Vorteil: Da sich alles auf einem einzigen Datenträger befindet, entfallen bei der Wiedergabe aus der Kapazitätsgrenze der CD resultierende unschöne Unterbrechungen.

Noch einen zusätzlichen Pluspunkt bildet in meinen Augen die sehr geschmackvolle Präsentation der als Hardcoverbuch produzierten Opern-Sets, bei dem die Discs in an den Buchdeckeln angebrachten Papptaschen untergebracht sind. Neben dem Libretto findet sich darin jeweils ein lesenswerter, in das Werk einführender Essay.

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Mehrteilige Rezension:

Folgende Beiträge gehören ebenfalls dazu:


Komponist:
Strauss, Richard

Erschienen:
2017/07
Gesamtspielzeit:
107:56 Minuten
Sampler:
Decca
Kennung:
483 1494 (2 CDs + BD-Audio)
Zusatzinformationen:
Wiener Philharmoniker, Dirigent: Georg Solti

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