Dracula: The Deluxe Edition

Geschrieben von:
Michael Boldhaus
Veröffentlicht am:
2. Juli 2021
Abgelegt unter:
CD

Score

(5.5/6)

Dracula bildet ein besonderes Highlight bei den in den letzten Jahren wieder häufiger echte Lichtblicke aufweisenden Titeln aus dem Programm des Varèse Clubs, etwa die gerade in expandierter Version besonders beachtlichen Scores zu The Cowboys, Stanley and Iris, Gremlins 2: The New Batch, Small Soldiers, Air Force One, Looney Tunes: Back In Action oder auch Babe. Die etwas älteren dieser Titel sind mittlerweile allerdings bereits wieder vergriffen.

Der Untertitel zu John Badhams Dracula (1979), „Eine Love Story“, verschiebt entscheidend den Akzent weg von den geläufigen und in den besten Fällen ebenfalls sehr atmosphärischen, unverwechselbar viktorianisch-plüschigen und zugleich blutig-bissigen Hammer-Klischees. Und zwar hin zu einer entscheidend sinnlicheren Interpretation dessen, was den berühmtesten aller Vampire umtreibt, und damit zu einem Horror-Filmerlebnis der besonderen Art. Und dies gilt letztlich auch für die Filmmusik von John Williams, die an der Gesamtwirkung von Badhams eindrucksvollem Vampirfilm einen mitentscheidenden Teil besitzt.

Dieser befand sich seinerzeit im steilen Aufwind seiner spätestens zwei Jahre zuvor mit Star Wars ∗ Krieg der Sterne (1977) prächtig in Fahrt gekommenen Komponistenkarriere. Auch wenn Star Wars als endgültiger Durchbruch angesehen wird, spätestens mit der Musik zu Steven Spielbergs raffiniertem US-Sommer-Hit des Jahres 1975, Jaws ∗ Der weiße Hai (1975), war er auch bei den Filmmusikfreunden längst in den Fokus des Interesses gerückt. Wobei sein Œuvre bereits erheblich früher einige sich vom zuvor eher Leichtgewichtigen deutlich abhebende, beachtliche Talentproben aufweist: The Reivers ∗ Der Gauner (1969), Jane Eyre ∗ Jane Eyre – Eine Frau sucht ihr Glück (Britische TV-Produktion, Deutschlandpremiere im ZDF, 1970), The Cowboys ∗ Die Cowboys (1972), The Towering Inferno ∗ Flammendes Inferno (1974). Die daran anschließende Dekade ist diejenige aus der die Top-Ten Williams’scher Filmkompositionen stammt. (Für all diejenigen, die sich eingehender mit der Entwicklung des jungen John Williams als langsam aufgehenden Stern am Hollywoodhimmel beschäftigen möchten, ist außerdem der 2009 bei FSM veröffentlichte None but the Brave ∗ Der Lohn der Mutigen – 1965 – ein echter Geheimtipp).

Bei Williams war das Auftragsbuch wohlgefüllt. Den Auftrag zur Vertonung von Dracula hatte er im Herbst 1978 erhalten als er in England mit den Aufnahmesitzungen zu Superman beschäftigt war. Für den Herbst 1979 war die Star-Wars-Fortsetzung The Empire strikes back geplant Die in diesen Jahren erfolgten Einspielungen mit dem London Symphony Orchestra hatte übrigens der befreundete André Previn initiiert, der von 1968 bis 1979 Chefdirigent des Orchesters war. Ende März 1979 war der Komponist bei Regisseur John Badham zu Gast um sich mit ihm den ersten Dracula-Rohschnitt anzusehen und musikalische Entwürfe zu konzipieren. Dabei überraschte er den Regisseur mit dem Geständnis zuvor niemals einen der Hammer-Dracula-Filme überhaupt gesehen zu haben. Im Anschluss daran sahen sich beide über eine Woche den Film täglich zusammen an und tauschten sich dazu aus. Die Aufnahmesitzungen zu Dracula erfolgten vom letzten April-Drittel bis Mitte Mai.

Verschiedentlich wird beanstandet, dass das den monothematischen Score prägende Dracula-Thema allzu häufig erscheine. Derartiges ist mir allerdings an dieser Stelle nie in den Sinn gekommen. Als vielmehr geschickt den Zuhörer in ihren Bann ziehend habe ich immer die Art und Weise empfunden, wie Williams es auch hier gelungen ist, das zentrale Thema in seine opulente Musik insgesamt raffiniert und dabei auch abwechslungsreich genug einzubinden. Das ist eben kein durchaus netter, aber in der Entwicklung und Gestaltung unüberhörbar begrenzter John Barry, bei dem häufiger bereits nach 10–15 Minuten erste Ermüdungserscheinungen eintreten und wo sich im weiteren Verlauf dann eben doch der Eindruck einstellt, dass das jeweilige Hauptthema schließlich kaum mehr variierend zu Tode geritten wird.

Das in mannigfaltigen Wandlungen omnipräsente Dracula-Thema hingegen entwickelt spätestens nach einigen Hördurchgängen beträchtlichen Charme, wird geradezu zum Ohrwurm. Dabei handelt es sich um eine melancholische, in Moll gehaltene Melodie, die in der dazu passenden Ausformung sowohl zum perfekten Höhepunkt des Scores als auch zum besonders verführerischen Liebestod wird. Besonders eindrucksvoll ist hierzu bereits die ausgeprägte Schlagkraft der Filmversion von „Main Title & Storm Sequence“ (CD 1, Track 1), wo nicht nur bei der ersten Präsentation des Dracula-Themas das Schlagwerk wesentlich markanter hervortritt, sondern auch der Eintritt in die eröffnende Sturmsequenz durch die merklich kraftvolleren Bassfiguren der Kontrabässe erheblich eindringlicher und dramatischer erfolgt als in der LP-Fassung (CD 2, Track 1). Die alternative Version dieses Stücks (CD 1, Track 25) unterscheidet sich nur im finalen dissonanten Schlussakkord, ab 1:40 Minuten, während das davor zu Hörende praktisch identisch mit der (matteren) LP-Version ist.

Der in blutrotes Laser-Licht getauchte Liebesakt bildet musikalisch den Höhepunkt und wird von Williams in freier Anlehnung an Wagners im Ausdruck ekstatischem Bühnenwerk „Tristan und Isolde“ musikalisch geradezu zum klangsinnlich erfahrbaren Orgasmus gesteigert. Eine gewisse Verwirrung erzeugt nun allerdings Williams’ zumindest überraschende Entscheidung, zwei unterschiedliche Versionen desselben Stücks in der Musikauswahl des LP-Albumschnitts, sogar direkt hintereinander platziert, unterzubringen (CD 2, Tracks 5+6). Die komplette ursprüngliche „Love Scene“ findet sich dort umbenannt in „Night Journeys“ (CD 2, Track 5) und ist auch dank der nur hier enthalten kurzen Frauenchorpassage (von 2:54 bis 3:08 Minuten) die wohl erotischste der insgesamt vier in der vorliegenden Deluxe Edition vertretenen Fassungen. Eine späterhin erheblich umgearbeitete und um die erste Hälfte auf 2:09 Minuten gekürzte Fassung hat Williams dann als „The Love Scene“ (CD 2, Track 6) ebenfalls in den Albumschnitt übernommen. Die ungekürzte Version der umgearbeiteten Fassung befindet sich hingegen auf CD 1, Track 26 als „The Love Scene (Extended Version)“. Die im Film verwendete Musik zur Liebesszene wiederum ist zusammenmontiert aus dem Material beider Fassungen und als „Night Journeys (Film Version)“ auf CD 1, Track 13 zu finden. Hier ist im Vergleich mit der ursprünglichen Version von „Night Journeys“ (s.o.) das Fehlen der kurzen Frauenchorpassage besonders auffällig.

Ich hatte bereits zuvor durchaus ein Faible für den mit knapp 37 Minuten recht kurzen LP-Albumschnitt. Die alte MCA-LP und ebenso die 1990er Varèse-CD waren in der Wirkung allerdings durch ihren engen und muffigen Klang merklich beeinträchtigt. Bei der wiederum bei Varèse erschienenen Deluxe Edition zu Dracula erstrahlt nun insbesondere die im Film verwendete Musik auf CD 1 in einem zwar nicht ganz die Topkategorie vergleichbarer Editionen (etwa zu E.T. oder auch Close Encounters Of The Third Kind) erreichenden, aber dank sorgfältiger Nachbearbeitung der nicht perfekten Tonelemente sehr überzeugenden, satten Klang und in breitem Stereo-Panorama. Qualitativ nur ein Tickchen dahinter einzuordnen ist die Neuausgabe des LP-Albumschnitts auf CD 2, der, abgenommen von einer besseren Quelle, dem offenbar (wie ja auch im Falle von E.T.) einzig erhalten gebliebenen britischen LP-Album-Master, nun ebenfalls mehr als nur ordentlich klingt. Die Williamsmusik jetzt in wirklich neuem Glanz hören zu können, das bereitet sehr viel Freude. Und diese Aussage beinhaltet auch, dass man sich erst jetzt die individuell möglichst perfekte Version der Komposition selbst zusammenstellen kann.

Die Strahlkraft der vorzüglich ausgeführten Dracula-Musik unterstützt die Wirkung der Bilder und der wechselnden Stimmungen und damit die gesamte Film-Dramaturgie auf eine hervorragende Art und Weise. Das ist etwas, was der Kino- und Filmmusikfreund heutzutage nur noch ganz selten geboten bekommt. Und im Gegensatz zu den in aller Regel abseits der Filme kaum mehr funktionalen eher monoton-minimalistisch gefärbten Sounddesigns unserer Tage, besitzt sie auch abseits ihrer eigentlichen Funktion noch eine weitere Daseinsberechtigung, indem sie sowohl auf Tonträger als auch im Konzertsaal ihre Wirkung nachhaltig zu entfalten vermag.

Anlässlich der bereits im Herbst 2018 erschienenen Neuausgabe dieser frühen Williams-Musik, Dracula – The Deluxe Edition, gilt dies in besonderem Maße. Lange Zeit galten die originalen Studiobänder der Aufnahmesitzungen als verloren, erst 2009 gab es eine erste Spur, allerdings mit dem Vermerk „Mono“. Erfreulicherweise zeigte sich dann bei eingehenderer Recherche, dass sich neben Mono auch die wohl letzte Kopie (annähernd) vollständiger Stereobänder mit in den Kartons befand, also beim Einlagern offenbar falsch deklariert worden war. Zusätzlich konnte ein 4-kanaliger 35 mm pre-dub lokalisiert werden, eine Vorabmischung der Musik die zum Anlegen an den Film dient und damit letztlich Teil des Zusammenfügens sämtlicher Tonelemente zum fertigen Film-Soundtrack ist. Die naheliegende Vorstellung, dass letztlich alles was an Musik eingespielt worden ist, sämtliche einzelnen Takes eines Stücks sowie sämtliche verwendeten Overlays (hier z.B. der Frauenchor in der Musik zum Liebesakt) sich am Schluss zusammen vereint in einer Box befinden, ist jedoch viel zu simpel gedacht.

Die Arbeit des auf diesem Gebiet mittlerweile langjährig erfahrenen Mike Matessino war auch hier von unschätzbarem Wert. Matessino, der bereits seit dem Jahr 2002 diverse derartige Projekte betreut hat, kennt sich inzwischen in den verschiedenen Studio-Standorten von Universal sehr gut aus. Dass er auch das Vertrauen der Verantwortlichen besitzt, verhalf in diesem Fall zum mitentscheidenden Durchbruch (siehe Anhang), die wohl letzte überhaupt noch vorhandene Kopie Stereo-Tonmaster aufzuspüren. An den verfügbaren Materialien hatte freilich der Zahn der Zeit Spuren hinterlassen, und da kam der versierte Toningenieur zum Zuge, dem es auch dank des technischen Fortschritts bei der Klangrestauration gelungen ist, vorhandene Defekte weitestgehend zu beseitigen.

Zum guten bis sehr guten Klang kommt die edle Präsentation hinzu: die Slimeline-Doppel-CD-Hülle befindet sich zusammen mit einem aufwändigen mit viel Informationen und feinem Bildmaterial aufwartenden 36-seitigen Begleitheft im Pappschuber. Die Herausgabe sämtlicher Williamsmusiken im Original möglichst komplett in technisch auf der Höhe der Zeit befindlichen, sorgfältig produzierten Ausgaben strebt damit ihrer Vollendung entgegen. Im selben Jahr wie Dracula, 2018, folgte noch The Cowboys. 2019 bescherte die Disaster Movie Soundtrack Collection neben der Wiederveröffentlichung von The Poseidon Adventure und der erweiterten Wiederveröffentlichung zu The Towering Inferno im Falle von Earthquake zur LP-Albumnachspielung erstmalig auch die Originaleinspielung hinzu. Und bei all diesen war wiederum Mike Matessino maßgeblich beteiligt. Damit ist jetzt, was John Williams’ Kinofilmkompositionen anbelangt, nahezu alles unter Dach und Fach. Mir fehlt allerdings noch folgender Titel in komplettierter und klanglich aufpolierter Version zur vollumfänglichen Zufriedenheit: Die überaus charmante frühe Williamsmusik zu The Reivers ∗ Der Gauner (1969).

weiterführender Link:

  • Wer tiefer in die interessanten und komplexen Hintergründe der im obigen Artikel nur stark verkürzt dargestellten abenteuerlichen Produktionsgeschichte von „Dracula – The Deluxe Edition“ eintauchen möchte, wird beim rund 40-minütigen Interview auf Soundcloud fündig: „Mike Matessino on Dracula and John Williams“.

© aller Logos und Abbildungen bei Varèse Sarabande. (All pictures, trademarks and logos are protected by Varèse Sarabande.)

Komponist:
Williams, John

Erschienen:
2018-10-22
Gesamtspielzeit:
108:52 Minuten

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