Der Klassik-CD-Tipp I-2025: Antal Doráti, Philharmonia Hungarica – The Mercury Masters

Geschrieben von:
Michael Boldhaus
Veröffentlicht am:
13. Mai 2025
Abgelegt unter:
CD, Hören, Klassik, Sampler

Aufnahmen aus der frühen Phase der Philharmonia Hungarica unter der Leitung von Antal Doráti — ihres späteren Ehrenpräsidenten

Der in Budapest geborene Antal Doráti (1906—1988) stand bereits mit 18 Jahren, im Jahr 1924, als der bis dahin jüngste Dirigent in der Geschichte des Hauses am Pult der Budapester Oper. Von 1924 bis 1928  assistierte er Fritz Busch an der Staatsoper in Dresden und fungierte im Anschluss als 1. Kapellmeister an den Städtischen Bühnen im westfälischen Münster. Interessanterweise war er auch Komponist, aber von seiner Musik ist nur äußerst selten etwas zu hören: Doráti wird daher vor allem als Dirigent in Erinnerung bleiben. 1933 ging er nach Monte Carlo und startete eine internationale Karriere, die ihn später unter anderem nach New York, Washington und Dallas führte. Nach dem Krieg dirigierte Doráti neben US-Orchestern auch die bedeutendsten Klangkörper Europas, zeitweise das Orchester der BBC, die Stockholmer Philharmonie und ebenso das London Royal Philharmonic Orchestra. Beeindruckend ist die umfangreiche Liste seiner Plattenaufnahmen: mehr als 600 Einspielungen, zahlreiche mit internationalen Preisen gekürt. Viele Klassikliebhaber sind bereits seit den 1950er Jahren auf ihren frühen Entdeckungsreisen von so manchen seiner vielen besonders mitreißenden, impulsiven Darstellungen nachhaltig begeistert worden.

Derzeit erlebt Antal Dorátis umfangreicher Mercury-Katalog eine umfassende Renaissance. Neben den jeweils recht großen Box Sets  (jeweils rund 30 CDs umfassend), den Mono- sowie Stereoeinspielungen mit dem Minneapolis SO, Chicago SO sowie zwei Sets mit den Londoner Mercury-Aufnahmen, fällt das aktuellste Box-Set, bestückt mit nur 8 CDs, auf den ersten Blick fast schon unscheinbar aus. Allerdings beherbergt dieses kaum minder interessantes Material als seine größeren Schwestern, dokumentiert es doch die ganz frühe Phase der Philharmonia Hungarica. Besagtes Orchester formierte sich 1957 in Wien aus infolge des ungarischen Aufstandes geflohenen ungarischen Musikern und fand wenig später im westfälischen Marl eine neue Heimat. Die wohl mit Abstand bemerkenswerteste Leistung des Ensembles war die in den Jahren 1969 –1972 wiederum unter Dorátis Leitung realisierte seinerzeit erste Gesamtaufnahme der Sinfonien Joseph Haydns.

Dass die den ehemaligen LPs zugrunde liegenden Magnetonmaster 1:1 auf CD übertragen worden sind, erleichtert die zweifellos hübsche wie auch betont nostalgische Präsentation mit den klassischen LP-Frontcovern (die Backcover finden sich im Begleitheft). Daraus resultieren allerdings die schon etwas dürftigen CD-Spielzeiten, welche zwischen rund 40 und knapp unter 55 Minuten variieren – die Gesamtspielzeit aller 8 Tonträger beträgt denn auch nur 6 Stunden 13 Minuten. So interessant es auch ist, in den originalen Liner-Notes zu stöbern: Diese sind hier schon derart verkleinert, dass sie ohne Adleraugen zwangsläufig nur etwas aufwändig zu entziffern sind.

Als eine nette Zugabe gesellen sich noch zwei weitere LP-Archivschätze des Philips-Labels hinzu: Die im Oktober 1957 in den Rosenhügel Film Studios – übrigens der Heimstatt der Sissi-Filmtrilogie – zusammen mit Bartóks Divertimento für Streicher monaural eingespielten „Ungarischen Volkstänze, Op. 18“ von Leó Weiner, sowie das im September 1974 in der St. Bonifatiuskirche in Marl realisierte Bartók-Album mit der „Musik für Saiteninstrumente, Schlagzeug und Celesta“ und der „Tanz-Suite“. Diese beiden CDs bilden zugleich eine Klammer zu den zeitlich dazwischen liegenden Mercuryaufnahmen. Dabei zählen etwa die Ungarischen Volkstänze Weiners zu den im Set neben sehr Bekanntem vereinzelt auch  anzutreffenden Raritäten. Ein kleiner Vorgeschmack auf den späteren Haydn- Zyklus ist auf CD 6 vertreten, mit den tadellos vorgetragenen Sinfonien Nr. 94  & 103.

Als wie bedeutend man die nicht unumstrittene Philharmonia Hungarica nun letztlich einstufen mag, ist bei den hier vereinten sehr frühen Tonaufnahmen m.E. kaum bedeutsam, denn hier zeigt sich das Orchester in jedem Fall von seiner untadeligen, besten Seite. Mir sind beim Durchhören jedenfalls keinerlei markante Schwachstellen aufgefallen, wodurch sich das gesamte Hörerlebnis als ungetrübte Entdeckungsreise durch letztlich rund anderthalb Dekaden der frühen Geschichte dieses Klangkörpers gestaltete. Die transparent und durchsichtig gehaltenen Interpretationen und auch wie in den rhythmisch stets besonders akzentuierten Darstellungen die dynamischen Kontraste besonders wirkungsvoll herausgearbeitet werden, das begeistert immer wieder.

Die Titel zweier Mercury-LP-Alben bringen das hier Gebotene besonders treffend auf den Punkt: „Musica Hungarica“ (CD 1) und „Wienerwalzer Paprika“ (CD 3). Damit gemeint ist die bei Dorati stets ein gewichtiges Standbein im Repertoire bildende, feurig interpretierte ungarische Musik. Dies kommt auch in der feinen Walzerkompilation zum Ausdruck, indem diese besonderes charmant gespielte k. u. k. Kompilation neben dem typisch österreichisch-wienerischen eben auch das ungarische Element nachdrücklich betont und so trefflich abgeschmeckt wird. Und das eben nicht bloß mit Franz Lehárs Walzer aus der Lustigen Witwe, sondern zusätzlich mit dem Walzer aus Emmerich Kálmáns berühmter Operette „Die Csárdásfürstin“ sowie dem heutzutage nur noch wenig geläufigen Hochzeitswalzer aus Ernst von Dohnányis (1877–1960) – Großvater des Politikers Klaus von Dohnányi – praktisch vergessener Tanzpantomime „Der Schleier der Pierrette“.

Alle 8 versammelten CDs klingen zudem mindestens gut bis vorzüglich, wobei die im Zentrum stehenden 6 Mercury-LP-Alben, eingespielt im Juni 1958 im großen Saal des Wiener Konzerthauses, akustisch von besonders brillanter Qualität sind. Den LP-Ausgaben war es zwangsläufig noch nicht vergönnt, derart gut zu klingen, eine Aussage, die abgeschwächt auch noch für manche der frühen digitalen Überspielungen Gültigkeit besitzt. Es ist daher in meinen Augen stets eine ganz besondere Freude, derart exzellente frühe HiFi-Stereoaufnahmen, in ihren aktuellsten High-Tech-Remasterings und damit in Vollendung zu hören.

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Originaltitel:
Antal Doráti, Philharmonia Hungarica – The Mercury Masters

Erschienen:
2025/03
Land:
Australien
Sampler:
Universal Music Australia
Kennung:
Mercury Living Presence Eloquence, ELQ 4845517

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