Blutsbrüder / Die Spur des Falken (Karl-Ernst Sasse I)

Geschrieben von:
Michael Boldhaus
Veröffentlicht am:
27. Dezember 2006
Abgelegt unter:
CD

Score

(3.5/6)

Klingende Neuigkeiten von den Western „made in DDR“!

Bereits 2002 erschienenen musikalische Einblicke speziell in die späten DEFA-Indianerfilmproduktionen auf Tonträger: Der Scout/Präriejäger in Mexiko (1983 und TV 1988) sowie der Main Title aus Die Spur des Falken auf dem Album „Wigwam, Weste(r)n, weiße Wölfe“. Jetzt ist nachgelegt worden: In Zusammenarbeit von „Cinema Musica“ mit dem Alhambra-Label ist man nun zu den Wurzeln Sasse’scher Westernvertonungen zurückgegangen. Die beiden ersten Sasse-Alben auf Alhambra vereinen jetzt offenbar die vollständigen Kompositionen zu Spur des Falken (1968)/Blutsbrüder (1975) sowie Weiße Wölfe (1969) / Ulzana (1974) nebst einigen Source-Cues und Outtakes.

Zu den beiden jeweils praktisch randvoll bestückten Alben gilt Ähnliches wie im Artikel aus dem Jahr 2002 zu Der Scout. Auch beim nun musikalisch vollständig vorliegenden Westernquartett begegnet einem sowohl die relative Vielseitigkeit Sasses in der Gestaltung, eine Mixtur aus hübsch gemachtem, partiell sogar recht experimentell Folkigem als auch die Nähe zu Elmer Bernsteins Die glorreichen Sieben. Besonders witzig und auch originell wirkt dabei Die Spur des Falken, dessen betont orchestrale Musik in vielem eine fast schon 1:1-Stilkopie besagter glorreicher Sieben darstellt. Man könnte hier zwar von unverschämtem Kopieren sprechen, aber das ginge wohl eher in die falsche Richtung. Im Zusammenwirken mit einem „Marsch der Kavallerie“, der sich als eine drollige Variante des „Gary Owen“ (siehe auch They Died with their Boots On) entpuppt, trifft m. E. das Adjektiv „augenzwinkernd“ es hier deutlich besser — was auch mit Sasses Äußerungen zu den Arbeitsbedingungen im Interview-Text des Begleitheftes gut zusammenpasst.

Als Fortsetzung von Spur des Falken ist die Musik zu Weiße Wölfe der zum ersten Film eindeutig verwandt, und auch die beiden prägenden Hauptthemen aus der Vertonung zum Vorläuferfilm werden zitiert. Davon sticht die musikalische Dramaturgie von Ulzana und Blutsbrüder deutlich ab. Sasse setzt auf ein kleines primär folkiges Ensemble aus Gitarre, Mundharmonika, ethnischen Flöten und entsprechenden Trommeln, die auch solistisch agieren. Gelegentlich tritt eine kleine Blechformation hinzu, um den Actionmomenten mehr Drive zu verleihen. Im Ansatz ist das nichtsinfonische Konzept dem von John Williams zu The Missouri Breaks (1976) verwandt.

Im betont folkigen und teilweise auch romantischen Tonfall der Blutsbrüder finden sich vereinzelt poppige Beats der Sixties sowie wiederum eine ironische Replik eines bekannten Originals, hier des berühmten Folksongs „Oh Susanna“. Besonders sparsam und kühl vertont ist dagegen Ulzana. Hier finden sich kaum Spiegelungen westerntypischer Americana, vielmehr wird das Ethnische der indianischen Ureinwohner — natürlich in stilisierter Form — besonders betont, wobei außerdem atmosphärische klangliche Verfremdungen einbezogen werden. Partiell erinnern einige experimentelle Momente an Klangwirkungen in Kompositionen Ennio Morricones.

In den beiden Begleitheften hält Matthias Weckeßer Lesenswertes zu den jeweiligen DEFA-Western bereit. Der biografische Abriss zum Komponisten nebst Interview aus dem Jahr 1999 ist in beiden Heften identisch. Die Musiken werden jeweils in ordentlichem, recht klarem Mono präsentiert. Die jeweils fast 80 Albumminuten sind natürlich hoch erfreulich, machen sie dem Interessierten doch die kompletten Scores als interessante Studienobjekte zugänglich. Entsprechend sind die beim Hören in einem Rutsch zwischendrin zu verzeichnenden Längen komplett verzeihlich. Hier hilft, wie so oft, Programmieren.

Der in Bremen geborene Karl-Ernst Sasse (1923-2006) wirkte seit 1959 als Chefdirigent des DEFA-Sinfonieorchesters und kam so zur Filmmusik. Seit 1967 arbeitete er als freischaffender Komponist in Potsdam-Babelsberg und hat im Laufe seiner Karriere zahlreiche Bühnenmusiken komponiert und an einer riesigen Anzahl (ca. 450) von Filmvertonungen mitgewirkt. Erst nach der Wende ist sein Name auch über die Grenzen der DDR bekannter geworden. Dafür war die Musik zum TV-Mehrteiler Sachsens Glanz und Preußens Gloria entscheidend, in der er sich im gelungenen historisierenden Tonfall mit vergleichbaren Arbeiten Georges Delerues ohne Schwierigkeiten messen kann. In den 1990er Jahren schrieb er beachtliche Neukompositionen für verschiedene Stummfilmklassiker wie Die Austernprinzessin, Die Puppe (Ernst Lubitsch, beide 1919), Der müde Tod (Fritz Lang, 1921), Der letzte Mann (F.W. Murnau, 1924) und Der Golem, wie er in die Welt kam (Paul Wegener, 1920). Auf Tonträger ist Karl-Ernst Sasse derzeit fast nicht vertreten. Die wenigen CD-Veröffentlichungen der 90er zu Die Austernprinzessin, Die Puppe, Der Golem, wie er in die Welt kam und Sachsens Glanz und Preußens Gloria sind längst vergriffen und das gilt mittlerweile auch für die 2002 auf Cobra-Records veröffentlichte DEFA-Westernmusik zu Der Scout.

Insofern sind die jüngsten Alben mit DEFA-Westernmusiken Karl-Ernst Sasses hoffentlich nur ein Anfang, dem auch aus Vertonungen anderer Filmgenres noch so manche ausgrabungswürdige Perle folgen möge.

Dieser Artikel ist Teil unseres umfangreichen Programms zum Jahresausklang 2006.

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Mehrteilige Rezension:

Folgende Beiträge gehören ebenfalls dazu:


Komponist:
Sasse, Karl-Ernst

Erschienen:
2006
Gesamtspielzeit:
78:28 Minuten
Sampler:
Alhambra
Kennung:
A 8955

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