Atlantis/The Power
Miklós Rózsa und Russel Garcia, mit zwei Filmmusiken zu George-Pal-Produktionen vereint auf einer CD. Der Name des Produzenten ist im Gedächtnis der Liebhaber von Science-Fiction und Fantasy besonders mit zwei Filmen verknüpft: The War of the Worlds (1953) und The Time Machine (1960). Besonders der Letztgenannte besticht auch heutzutage noch durch seine liebevolle und atmosphärisch besonders gelungene Umsetzung. Regisseur Simon Wells Remake aus 2002 erweist übrigens George Pals Film respektvolle Referenz. Atlantis: The Lost Continent • Atlantis, der verlorene Kontinent (1962) hingegen ist schlichtweg ein lächerlicher Film, ein krudes Konglomerat aus Sandalenepos und Science-Fiction-Kino, bei dem sogar ein paar kleinere Szenen aus Quo Vadis (1951) eingeschnitten sind. Es lohnt nicht über diesen ausschließlich als Lückenfüller im Ferien-TV-Programm taugenden Streifen allzu viele Worte zu verlieren. Wer trotzdem (oder gerade deswegen) neugierig geworden ist, der findet im wiederum liebevoll gemachten Begleitheft die infolge eines Streiks bei MGM chaotischen Hintergründe und Begleitumstände dieser Produktion eingehender beleuchtet.
Bei Filmmusikkennern ist der Name des Komponisten Russel Garcia (•1916) in erster Linie mit der Tonschöpfung zum 1960er The Time Machine verknüpft, für die er zwei unvergessliche melodische Themen beigesteuert hat. Garcia hat nur eine handvoll Filme komplett selbst vertont — die meisten Credits erhielt er als Teil eines Teams. Darüber hinaus arbeitete im Team als Bandleader, Arrangeur und Songschreiber. Seine Musik zum Atlantis-Film verfügt zwar nicht über melodische Einfälle von vergleichbarer Qualität wie zur Zeitmaschinenverfilmung. Allerdings, auch diese Musik zeigt in der Handhabung der hier ebenso anzutreffenden beiden Haupt-Themen den soliden Handwerker, der sein Geschäft versteht. Zweifellos ist die Musik das mit Abstand Beste des Films und auch die Investition in das vorliegende Album wert. Der Score erinnert in den Actionpassagen merklich an die kurz zuvor komponierte Musik zu The Time Machine und wartet neben einem recht majestätischen Thema für die antike Welt von Atlantis mit einigen Fanfaren sowie einem ansprechenden Liebesthema auf. Auch wenn, wie bereits erwähnt, den Themen die ganz große Durchschlagskraft fehlt, sie vermögen zu gefallen und sind außerdem gut verarbeitet. Hübsch eingearbeitete Klischees, wie ein Hauch von Debussys „La mer“ oder archaisierendes Flair in den Fanfaren, verleihen der Komposition weitere ansprechende Akzente.
Die vollständige Musik konnte von den sehr gut erhaltenen Stereo-Magnettonfilmelementen in beachtlicher Qualität transferiert werden.
Der einige Jahre später produzierte The Power • Die sechs Verdächtigen (1968) zählt nicht zu den besonders erfolgreichen Pal-Produktionen. In seiner mit Telekinese operierenden Spionage-Thriller-Story ist der Film selbst heutzutage ein durchaus unterhaltsamer Wegbereiter für Brian de Palmas The Fury (1978, Musik: John Williams). Miklós Rózsas Musik zählt zur Gattung gehobene Routine, wie sie dem Komponisten zwischendurch immer wieder abverlangt worden ist. Wie in vergleichbaren Fällen (Green Fire, Valley of the Kings, Tribute to a Bad Man) hat er sich auch dieses Mal handwerklich völlig souverän und mit spürbarem Pfiff aus der Affäre gezogen. Für Rózsa war dies nach seinem Ausscheiden bei MGM, nach The V.I.P. (1963), das letzte Mal, dass er für MGM einen Film vertonte. In den Spannungsmomenten finden sich der Rózsa-typische Noir-Touch von Musiken wie zu Double Indemnity, The Killers oder The World, the Flesh and the Devil. Außerdem wartet The Power mit einer besonders originell wirkenden instrumentalen Beigabe auf: dem so typisch ungarischen Cimbalom. Rózsa, der das Instrument und den damit verbunden Touch von Zigeunermusik nicht besonders schätzte, war über diesen auf George Pal zurückgehenden „Einfall“ wenig begeistert. Möglicherweise ist der Produzent dazu nicht allein durch die Tatsache angeregt worden, dass einer der Protagonisten des Spielfilms gebürtiger Ungar ist, sondern auch durch John Barrys seinerzeit recht populäres Cimbalom-Thema zu The Ipcress File (1965). Wie auch immer, in jedem Fall zählt Rózsas sehr einprägsames „Zigeuner-Thema“ zu den markanten des Maestros und verleiht dem Score einigen Reiz. In seiner Autobiografie „A Double Life“ kommentierte er den Fall jedenfalls ironisch: „Das Cimbalom erwies sich als nicht in der Lage, für mich zum zweiten Theremin zu werden.“
Zwei Stücke der Suite stechen ganz besonders hervor. In „Death in the Centrifugue“ spiegelt der Komponist das im Bild Gezeigte geschickt tonmalerisch in seiner Musik: Ein Simulator, zum Trainieren der Auswirkungen von Beschleunigungskräften auf Piloten, gerät infolge Sabotage außer Kontrolle. Das einer Zentrifuge ähnelnde Gerät rotiert immer schneller, mit schließlich für den Insassen tödlicher Frequenz. In „The Merry Go Round“ gelingt es Rózsa ebenso perfekt, die infolge telekinetischer Kraft bei der Hauptfigur erzeugten Halluzinationen in Töne zu fassen und damit hörbar werden zu lassen: Hier gerät ein zirkusähnlich anmutender dissonanter Walzer völlig außer Rand und Band — was in der collageartigen Ausführung übrigens ein wenig an Charles Ives erinnert (siehe Klassikwanderung 20).
Die originalen Magnettoneinspielungen zu The Power sind infolge Zersetzung unwiederbringlich verloren. Die von Tony Thomas auf einer Citadel-LP im Jahr 1978 erstmalig veröffentlichte rund 30-minütige stereophone Suitenzusammenstellung basiert auf Material aus Rózsas Privatarchiv. Sie fasst glücklicherweise die Höhepunkte und wichtigen Teile der Musik perfekt zusammen. Allein das Masterband der Suite existiert noch und konnte dieser (übrigens erstmalig völlig legalen) Veröffentlichung von Musik aus The Power zugrunde gelegt werden. Der Klang ist für eine Kopie unbekannter Generation auf Standard-Magnettonband dank dezenter Aufbereitung recht ordentlich. Im Vergleich mit den meisten anderen FSM-Alben (z. B. den o. g. Rózsa-Musiken) muss man allerdings gewisse Abstriche hinnehmen: Insgesamt ist das Klangbild zwar weitgehend sauber und recht transparent, es fehlt ihm allerdings ein merkliches Quantum an Frische und Dynamik.
Unterm Strich zählt auch dieses aus dem Hause FSM stammende Album zu denen, auf die man nicht verzichten sollte. Diese Aussage gilt zwar für Rózsa (Wertung: dreieinhalb bis vier Sterne) in etwas größerem Maße, aber auch Garcias Musik (Wertung: dreieinhalb Sterne) ist mehr als eine eher verzichtbare Zugabe. Die Tatsache, dass es außer Russel Garcias 1987er Neueinspielung von The Time Machine praktisch nichts von diesem Komponisten auf Tonträger zu kaufen gibt, macht seinen hier erstmalig vollständig (!) veröffentlichten Score zu Atlantis: The Lost Continent zur willkommenen kleineren Perle.
Dieser Artikel ist Teil unseres umfangreichen Programms zu Ostern 2006.