Unter dem Titel „Von Babelsberg bis Hollywood“ gaben sich das Deutsche Filmorchester Babelsberg — mit etwa 60 Spielern — und sein Chefdirigent, der aus New Castle stammende Amerikaner Scott Lawton, im neuen Dortmunder Konzerthaus die Ehre. Schwerpunktmäßig zielte das Programm darauf ab, die maßstabsetzenden und prägenden Einflüsse nicht allein deutscher Komponisten auf Hollywood zu verdeutlichen. Im sehr gut besuchten Haus führte Lawton — am Mittwoch, den 24. März 2004, ab 20 Uhr — sein Publikum mit unterhaltsamem Plauderton, sachkundig und humorvoll zugleich, durch ein umfangreiches Programm: Die vielschichtige Auswahl reichte von markanten Filmmusiken des „Golden Age“ — eine Waxman-Premiere inklusive — über Vertrautes von John Williams bis zu einem fast schon swingenden Stück aus Hans Zimmers Rain Man.
Den Startpunkt setzten die Babelsberger mit einem Auszug aus Frederick Hollanders Musik zur romantischen Komödie Sabrina (1954). Neben einem Hauch von Kurt Weill in der Eröffnung war es der mit viel Schmelz samtweich dargebotene Walzer, der seinen Eindruck nicht verfehlte und darüber hinaus einen wahrhaft beschwingten Einstand bildete. Der Name Frederick Hollander (ursprünglich Friedrich Hollaender) dürfte manch einem durch den berühmten Song „Ich bin von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt“ aus dem Film Der blaue Engel mit Marlene Dietrich bekannt sein.
Verstärkte Anklänge an die Unterhaltungsmusik der 20er Jahre und zugleich eine Reminiszenz an Franz Waxmans frühe Jahre in Berlin als Pianist bei den „Weintraub Syncopators“ — einer der populärsten Jazzgruppen jener Zeit — bot die folgende „Kleine Cabaret Musik“. In dieser Welturaufführung erklangen drei charmante Filmschlager, die Waxman Anfang der 30er Jahre komponierte, arrangiert für ein angemessen kleines, typisches (Kabarett-)Ensemble.
Vom Tonfilmmusikpionier Max Steiner, dessen üppige spätromantische Vertonungsstandards die Zeit des so genannten „Golden Age“ (von etwa 1932 bis 1956) besonders nachhaltig mitgeprägt haben, erklang King Kong und die weiße Frau (1933). Im vielfältigen Gebrauch des prägnanten 3-Noten-Motivs für den wohl berühmtesten Gorilla der Kinogeschichte zeigt Steiner sein Können: lässt es sowohl wuchtig martialisch als auch umgestaltet als melancholisches Liebesthema erklingen. Und auch das oftmals ausgeprägt Tonmalerische und Bildbezogene, das so genannte „Mickey-Mousing“, zeigte sich nicht allein im vom wild-rhythmischen Schlagwerk betonten Dschungeltanz, der sehr effektsicher ausgespielt, fast schon ohrenbetäubend wirkte. Auch die wuchtigen Basseffekte für den langsam näher kommenden Riesenaffen sind ja etwas, das quasi die für die Auftritte des Tyrannosauriers vorgemerkten Tiefbass-Effekte auf der Tonspur von Jurassic Park vorwegnimmt. Im Film entspricht das hier zu Hörende in etwa der zur Einstimmung im Vorspann gebotenen, wagnerisch angehauchten breitorchestralen „Schlachtplatte“, die einige wichtige musikalische Spiegelungen der Filmhandlung vorwegnimmt. Dies ist übrigens auch dramaturgisch ein besonders geschickter Einfall, zumal anschließend über rund 20 Minuten überhaupt keine weitere Filmmusik erklingt.
Anschließend stand wiederum eine Komposition Franz Waxmans auf dem Programm. Die zweiteilige, gut kompilierte Suite aus dem Horrorklassiker Frankensteins Braut (1935) rief den Zuhörern nicht allein vielfach aufgegriffene Musikstandards des Horrorkinos ins Bewusstsein. Überhaupt ließ diese Aufführung eine selten gespielte, aber auch heutzutage immer noch brillante Filmvertonung von einem der ganz großen Könner des Metiers erklingen. Das Orchester folgte den wechselnden Stimmungen dieser farbig instrumentierten Musik in geschmeidiger Fahrt, ließ dabei sowohl das Unheimliche als auch das Groteske und ebenso die bizarre Schönheit des weiblichen Monsters überzeugend Klang werden.
Die Filmmusik des Ungarn Miklós Rózsa ist im Bewusstsein vieler sicher ganz besonders mit einer seiner größten historisierend angelegten Kinovertonungen verknüpft: Ben-Hur (1959). Die viersätzige Konzert-Suite wurde engagiert und mit viel Drive dargeboten und besonders die ersten beiden Sätze („Prelude“ und „Love Theme“) empfand ich als besonders gelungen. Das „Prelude“ bekommt eine (wie hier) gegenüber der gehetzt wirkenden Filmversion langsamere Interpretation sehr gut — ähnlich wie in der seinerzeit zum Film erschienenen Nachspielung unter Carlo Savina. Hingegen, sowohl „Rowing of the Galley Slaves“ als auch „Parade of the Charioteers“ erschienen mir im gewählten Zeitmaß doch etwas schnell, was sich allerdings durch den jeweiligen szenischen Bezug erklären lässt. In der zugehörigen Filmszene untermalt die Musik nämlich nicht eine auf Tempo angelegte Kampfaktion, sondern vielmehr eine vom Admiral der Flotte, Quintus Arrius, als Belastungsprobe angeordnete Übung. Das im Original merklich langsamere Zeitmaß verdeutlicht m. E. eindringlicher das qualvolle, von Monotonie geprägte bittere Los der Sträflinge und wirkt somit überzeugender. Allerdings hält sich auch manche der Nachspielungen nicht an derartige filmische Vorgaben, was ähnlich für die im Original spürbar langsamere Parade der Wagenlenker gilt. Der ursprünglich eher behäbige, breit angelegte Festmarsch tendierte bei Scott Lawton denn etwas zum Geschwindmarsch. Wie auch immer, wer hierbei den Bildbezug eher weniger im Hinterkopf hatte, der dürfte kaum entsprechende Bedenken verspürt haben.
Nach der Pause gab es zum Abkühlen kräftig frische Seebrise und salzige Meeresluft in Bronislaw Kapers prachtvoll-tonmalerischer Musik zur 1962er 70-mm-Farbfilmversion der Meuterei auf der Bounty. Hier handelt es sich in vielem um eine im Tonfall sehr britisch angehauchte Partitur, die neben Edward Elgar, Frank Bridge, Ralph Vaughan Williams auch an Malcolm Arnold und Benjamin Britten erinnert. Auch hier fanden die Babelsberger unter ihrem Maestro sowohl in den Meeresstimmungen als auch in den dramatischen Spannungsmomenten exakt die richtige Balance aus unmittelbar tonmalerischem Bildbezug und breit ausschwingender Melodie.
Wie gut mitunter die vom klassischen Repertoire gewohnte Instrumentalsolo-Virtuosität und Filmmusik harmonieren, wurde anschließend mit Ernest Golds berühmtem Hauptthema aus Exodus — arrangiert als Orchesterfantasie für Cello und Orchester — und John Williams Sieben Jahre in Tibet geschickt vorexerziert, wobei der Williams schon unmittelbar, also auch im Film, stark von Cellosoli geprägt ist. Der Cellist stellte das tief Emotionale dieser beiden stimmungsmäßig verwandten, recht melancholischen und durch die Filmstoffe auch ein wenig multikulturell angehauchten Musiken gekonnt heraus, wobei sich verstärkt das Feeling eines Cellokonzerts einstellte.
Den weiteren Ablauf des zweiten Teils dieses sehr gelungen Abends in der neuen „Philharmonie für Westfalen“ bildete neben Hans Zimmers Rain Man ein zugkräftiger Mix bekannter John-Williams-Musiken. Kompetent und farbig interpretierte Stücke aus Jurassic Park, Harry Potter, E.T. sowie der schmissige „Raiders March“ aus Indiana Jones waren im Angebot und wurden vom Publikum mit zunehmender Begeisterung aufgenommen. Besondere Erwähnung verdient hier die raffinierte sinfonische Adaption von „Leaving Wallbrook“ aus Hans Zimmers im Original vollsynthetisch (zum Teil mit Samples) ausgeführter Musik zu Rain Man. Die rockigen Elemente waren hier raffiniert auf einen umfangreichen Schlagzeugpart übertragen, der von drei Spielern derart virtuos ausgeführt wurde, dass schon ein Hauch von Big-Band-Sound durch den Saal wehte. Im Kontrast mit der beschließenden Fuge für Streicher resultierte eine sehr überzeugende, ja mitreißende Wirkung, die das Original m. E. entbehrt.
Für den anhaltenden Applaus (gemixt mit einzelnen Bravo-Rufen) revanchierten sich Scott Lawton und seine Mannen mit Henry Mancinis jazzigem Pink-Panther-Thema in einer angemessen virtuosen und zugleich komödiantischen Interpretation. Spätestens hier bewiesen der Saxophonist und seine ihn unterstützenden Kollegen, dass das Filmorchester Babelsberg auch im Big-Band-Swing zu Hause ist.
Im weitgehend informativen Programmheft findet sich erfreulicherweise ein ansprechender, in das Programm des Abends einführender Text, was ebenso für John Waxmans Anmerkungen zur Uraufführung von „Eine kleine Cabaret Musik“ gilt. Enttäuschend ist hingegen der (als Hilfestellung für den eher Filmmusik-unerfahrenen Konzertbesucher gedachte) diskografische Artikel „Der CD-Turm zu Babel(sberg) — Zur Diskografie“. Das an sich sehr lobenswerte Ziel wurde nämlich vom betreffenden Autor völlig verfehlt. Das hier zu Lesende ist vielmehr fast durchweg unpräzise, oftmals irreführend und mitunter auch eindeutig fehlerhaft. So werden nicht nur Dirigenten, Orchester und Musikzusammenstellungen falsch zugeordnet, es werden sogar noch CDs empfohlen, die bereits seit x Jahren vergriffen sind!
Aber das bleibt letztlich ein wohl eher von wenigen registriertes und somit insgesamt kleineres Wermutströpfchen. Vielmehr resultiert der eindeutig positive Gesamteindruck eines filmharmonischen Konzerts, das sowohl den aktiv beteiligten Musikern und ihrem Dirigenten als auch dem langsam in Fahrt kommenden Publikum zweifellos viel Spaß gemacht hat. Und auch die vorzügliche Akustik des Dortmunder Konzerthauses hatte daran ihren Anteil. Diese sorgte für ein opulentes und zugleich gut ausgeleuchtetes Klangbild, das auch die vielen Feinheiten in der Instrumentierung nicht verdeckte, sondern hörbar werden ließ.
Abzüglich der Pause bleiben (ähnlich wie auch schon beim Malcolm-Arnold-Konzert im Oktober 2002) für den Besucher knapp zweieinhalb Stunden eines sehr gut bis erstklassig dargebotenen Musikprogramms. Eines, das live erfahrbar machte, was Kenner schon länger wissen: Filmmusik bietet ebenfalls Klassiker, allerdings einer anderen, der besonderen Art. Im Vergleich mit üblichen Konzertabenden von rund 90 Minuten kann man jedenfalls sagen: „Hier gabs echt was (Edles) fürs Geld!“