Der Begriff D-Day lässt viele sicher prompt an Cornelius Ryans 1959 erschienenen und 1962 verfilmten vorzüglichen Buchklassiker The Longest Day • Der längste Tag und natürlich Spielbergs Saving Private Ryan • Der Soldat James Ryan denken. Die BBC-Dokumentation D-Day, 6.6.44 — Entscheidung in der Normandie ruft denn auch beide vorstehend genannten Filme in Erinnerung, knüpft aber in erster Linie an Ryans Buch an. Bereits Ryan setzte eine Reihe markanter Schicksale einfacher Menschen, die an besagtem 6. Juni 1944 im Mittelpunkt des Geschehens standen, ins Zentrum seiner auch heutzutage unverändert packenden Geschichtsstudie. Ebenso vermerkt der BBC-TV-Doku-Spielfilm im Vorspann: „Die wahre Geschichte einiger, die dabei waren“. Die im Rahmen des 60. Jahrestages der alliierten Invasion in der Normandie von verschiedenen TV-Sendern gezeigten Sendungen beleuchteten zum Teil auch wenig bekannte Tatsachen rund um dieses den Zweiten Weltkrieg entscheidende Event.
Der jetzt auch als DVD vorliegende Beitrag der BBC wurde auf ProSieben ausgestrahlt und fokussiert auf die Ereignisse besagten „längsten Tages“. Dan Parry, Redakteur der renommierten BBC-News, begann Mitte 2002 — anlässlich des 60. Jahrestages im Jahr 2004 — mit Nachforschungen für das D-Day-Projekt. Die Ergebnisse seiner Arbeiten hat der Regisseur Richard Dale in einer Mischung aus Dokumentarfilmmaterial und Spielszenen zu einem Doku-Spielfilm zum Thema gestaltet. Etwas problematisch wirkt die zum Teil ungünstige Besetzung mit Schauspielern, die mit den zu verkörpernden historischen Figuren — beispielsweise Feldmarschall Erwin Rommel — praktisch überhaupt keine Ähnlichkeiten aufweisen. Das Gebotene erinnert an die Dokumentarspiele früherer TV-Zeiten, wobei das im Verhältnis zu den o. g. Kinoproduktionen natürlich deutlich bescheidenere Budget durch den Einsatz moderner Computer-Tricks in Teilen recht ordentlich kaschiert wird. Nette Einblicke in die Produktion liefern die im Zusatzmaterial der DVD untergebrachten drei jeweils rund 5-minütigen Making-Of-Segmente.
Die im Umfeld des 60. Jahrestages vermehrt im TV gezeigte Pegasus-Brücke über den Kanal von Caen, als besonders wichtiges Ziel der Fallschirmjäger, erhält in Der längste Tag einigen Raum. Im BBC-Doku-Spielfim wird diese nicht weiter erwähnt, dafür wird ein lange Zeit als top secret gehandelter Vorfall beleuchtet: die im Vorfeld der Invasion durchgeführte Landungs-Übung Exercise Tiger. Hierbei kam es durch Angriffe deutscher Schnellboote zu fatalen Material-Verlusten und neben unzähligen Verletzten zu rund 750 Toten. Ebenso wird über die Erschießung inhaftierter Resistance-Angehöriger durch die SS im Gefängnis von Caen am Invasionstag berichtet. Die Szenen auf Omaha-Beach haben zwar nur einen Hauch von Der Soldat James Ryan im Gepäck, die Bemerkungen eines noch lebenden Zeitzeugen verleihen ihnen dafür umso überzeugendere Eindringlichkeit und Intensität.
D-Day, 6.6.44 — Entscheidung in der Normandie ist mit seinen knapp 95 Minuten nur etwa halb so lang wie die filmische Umsetzung von Ryans „Der längste Tag“. Der Doku-Spielfilm vermittelt zwar einen durchaus passablen Eindruck vom Ablauf der wichtigsten Ereignisse, aber zwangsläufig wird darin vieles nur knapp gestreift und auch manch wertvolles Detail ausgelassen, das im breiter angelegten Begleitbuch erfreulicherweise zu finden ist. Dieses wartet neben den Haupttexten mit reichlichen Illustrationen aus authentischem Bildmaterial und Faksimile-Abdrucken wichtiger, oftmals bislang unveröffentlichter Zeitdokumente auf. Es wird damit auch für sich allein ein interessanter Beitrag zu diesem entscheidenden Kapitel des Zweiten Weltkriegs.
Die polyband-DVD sammelt mit dem rund 30-minütigen Segment „Interviews mit Zeitzeugen“ einige Pluspunkte. Filmmusikfreunde werden sich bei der DVD über die rund 40 Minuten Filmmusik (15 Tracks) freuen, die ebenfalls im Zusatzmaterial anwählbar sind. Allerdings handelt es sich bei Alan Parkers Komposition eher um eine etwas blasse Routine-Angelegenheit, denn um große Filmmusik — auch der edle Klangkörper Royal Philharmonic Orchestra vermag daran nichts zu ändern. Neben erträglich Pathetischem mit schlichten Chor-Vokalisen greift der Komponist zur Charakterisierung des deutschen Generalfeldmarschalls Rommel gar — wenig überzeugend — auf das Adagietto aus Mahlers 5. Sinfonie zurück. Insgesamt empfinde ich die musikalische Untermalung im vorliegenden Fall als die angestrebte dokumentarisch-realistische Wirkung beeinträchtigend, da sie dem Gezeigten einen merklichen (künstlichen) Spielfilm-Touch verleiht.
Unterm Strich ist der BBC-Doku-Spielfilm ein solide gefertigter und (besonders im Zusammenwirken mit der Buchversion) durchaus respektabler Beitrag zu einem berühmten Kapitel der Geschichte des Zweiten Weltkriegs. In seiner Machart geht er aber, abgesehen von einzelnen modernen Computer-Tricks, über gute TV-Dokumentarspiel-Konventionen kaum hinaus. Hier handelt es sich also letztlich „nur“ um einen Beitrag unter vielen anderen, der dem bereits in ähnlicher Form Gezeigten allein vereinzelt neue Details hinzufügt. Die spektakuläre Wirkung der ungewöhnlichen BBC-Naturdokus wie The Blue Planet darf man hier nicht erwarten.