Ein Grimm’sches Märchen gegen den Strich gebürstet
Disney bastelt weiter an der hauseigenen 3D-Blu-ray-Kollektion. Mit Rapunzel 3D — Neu verföhnt ist jetzt zum ersten Mal ein von Disney im Kino in 3D präsentierter Film, der Weihnachtsfilm 2010, zeitnah auf 3D-Blu-ray verfügbar. Dabei ist der deutsche Verleihtitel ein eher etwas dümmlicher, dem Erfolg nicht gerade förderlicher Marketing-Gag. Tangled heißt es deutlich pfiffiger im englischen Original, was für „verwirrt“, „verwickelt“ oder „sich verheddert haben“ steht. Daraus hätte sich wohl etwas Sinnigeres machen lassen als Rapunzel — Neu verföhnt, wobei dem Zuschauer wenigstens der besagte Föhn letztlich erspart bleibt.
Was nun auf etwas unglücklichem, falschen Fuß einsteigt, entpuppt sich freilich rasch ebenso wenig als der eventuell befürchtete überproportionierte Blondinenwitz, sondern als sehr gelungene, fantasievolle Animationsunterhaltung. Der Einfluss von John Lasseter — eines der Gründer von Pixar — als ausführender Produzent ist erfrischend spürbar. Pixar-ähnlich wird Bewährtes der Tradition, angereichert mit neuen Ideen, zu einem spritzigen Drehbuch verarbeitet. Aus diesem wird mit Hilfe innovativer Technik ein unverwechselbares wie zugleich auch emotional berührendes Gesamtergebnis, das analog zu den großen Disney-Animationsklassikern der 1930er und 1940er Jahre weitgehend zeitlos funktioniert. Die dank CGI-Technik erreichten Bildeindrücke sind dabei von einer bestechenden Räumlichkeit, die an die Brillanz von Up — Oben erinnern. Damit zeigt die Pixar-Kur hier, wie bereits bei den unglaublichen Abenteuern des putzigen kleinen Superhundes Bolt, so erfreuliche wie erfrischende Wirkung. (Pixar avancierte 2006 zum Disney-Tochterunternehmen.) Mit dem Märchen der Gebrüder Grimm hat das Spektakel nur noch wenig gemein. Aus diesem sind nur einige Handlungselemente entlehnt, um daraus ein zeitgemäßes rasantes Animationsabenteuer zu machen, das in den Actionmomenten punktuell mit etwas Indiana-Jones-Touch und somit einer Portion zusätzlichen Schmackes versehen ist.
Rapunzel, das Königskind mit dem besonderen Haar, gerät ins Visier der bösen Gothel, einer Hexe, welche das Kind zwar entführt, aber als scheinbar treusorgende Mutter in einem entlegenem, der Leser ahnt es bereits, ja, dem besagten Turm, der weder Treppe noch Türe besitzt, durchaus behütet heranwachsen lässt. Die Jahre vergehen und das entdeckungsfreudige Kind mit der mittlerweile üppigen Mähne ist fast volljährig geworden. Das unvermutete Auftauchen des Diebes Flynn Rider stürzt die anfänglich naive Maid dann in ein entscheidendes Abenteuer ihres Lebens: das Erwachsenwerden.
Rapunzel ist hier vom Bürgerkind zur Königstochter, einer Prinzessin geworden, deren goldenes Haar sogar die ultimative Quelle der ewigen Jugend darstellt, freilich nur dann, wenn es nicht geschnitten wird. Und so wächst das Haar der holden Maid über die Jahre zur Riesenmähne, die nicht nur zur regelmäßig erfolgenden Verjüngungskur für Gothel taugt. Allerlei Drolliges lässt sich außerdem mit dem Lockenschopf anstellen. So kann man sich z. B. wie an einem Lasso über Schluchten schwingen, aber damit ebenso Eindringlinge fesseln oder die Haarpracht des Nachts als Oberbettersatz benutzen. Der geläufige Märchenprinz hingegen ist zum smarten Schurken, Flynn Rider, einem Juwelendieb, degradiert worden, der auf der Flucht vor seinen Häschern den Turm erklimmt.
Dies alles erweist sich als verflixt gut funktionierend und somit auf gelungen unterhaltsame Art an den Haaren herbeigezogen. Rapunzels Ersatzmutter, Gothel, ist nicht etwa die klassisch böse Hexe bzw. Stiefmutter à la Schneewittchen (1938) oder Cinderella (1950). Das Verhältnis der beiden Figuren ist vielmehr recht komplex und vielschichtig gezeichnet. Ebenso ist der Dieb Flynn nicht etwa nur ein simpler eindimensionaler Gauner. Zwar ist von Anfang an klar, dass er und Rapunzel sich am Ende kriegen, aber bis dahin gibt’s nicht nur so manches drolliges Actionabenteuer zu überstehen. Die beiden müssen sich, wie im richtigen Leben auch, erst aneinander gewöhnen, sich arrangieren, wobei das anfänglich noch etwas naive Rapunzel spürbar reifer und erwachsen wird. In der so neben der gewitzten Situationskomik erzeugten und zu Herzen gehenden Tiefe im freilich insgesamt spaßig inszenierten Beziehungsspektakel liegt ein mitentscheidender Teil des Reizes, den der Film gerade für die älteren Semester besitzt, welche die Kids ins Kino begleiten. Und das ist es eben, was die sehr guten Animationsfilme im besten Falle kaum altern lässt, sondern eher zeitlos macht. Wer sie bereits als Kind genossen und dabei liebgewonnen hat, der mag sie sich auch späterhin wieder ansehen und erneut für sich entdecken.
Nette Nebenfiguren mit Pfiff verleihen dem Spektakel noch zusätzlichen Charme. Da ist Pascal, ein stummes, dafür die Farbe umso freudiger wechselndes, uriges Chämelon. Dann gibt’s da noch eine Horde zuerst so finster erscheinender Räuber, die freilich disneytypisch denn doch recht viel Herz zeigen dürfen. Der Star ist allerdings das mutige wie rauflustige Ross im Polizeidienst, das auf den klangvollen Namen Maximus hört und selbst vor dem Schwertkampf nicht zurückschreckt. Zuerst jagt es den smarten Schurken, der die Krone der verschwundenen Prinzessin (Rapunzel) geklaut hat, durch den mit Steckbriefen gepflasterten Wald. Bald darauf freundet es sich mit ihm an, woraus ein überaus lustiges Gefährten-Duo resultiert.
Rapunzel — Neu verföhnt ist der 50. Animationsfilm des Studios und soll Disneys letzte Adaption eines klassischen Märchenstoffes sein. Zwar wird mit Rapunzel das Top-Niveau der glanzvollen Pixar-Produktionen noch nicht voll erreicht, aber es ist gelungen, recht dicht aufzuschließen.
Rapunzel in 3D
Rapunzels prächtiger Schopf wallt und wogt sehr originell, zum Greifen nahe, durch den virtuellen Raum. Aber das ist längst nicht das Einzige, was gerade in 3D besonders eindrucksvoll herüberkommt. So bieten gerade die recht vielfältig eingestreuten Actionteile, wie die rasante Verfolgungsjagd in einem stillgelegten Bergwerk — Indiana Jones II lässt grüßen — besonders geschickt ausgereizte stereoskopische Eindrücke. Und dann ist da noch das finale Laternenfest, bei dem Hunderte von Lampions durch die Nacht schweben, was wiederum gerade der 3D-Version eine ganz besondere, außergewöhnliche Note verleiht. Hier ist 3D mehr als eher schlichte Effektheischerei, vielmehr wird der virtuelle Raum zum die Handlung unterstützenden, mittragenden Element und damit zum klaren Pluspunkt. Dem widerspricht übrigens nicht, dass man den Film auch in 2D durchaus genießen kann. Die dann bereits auffällige, vorzügliche Plastizität der flachen Bilder ist zweifellos bereits sehr ansehnlich, aber eben keineswegs „fast“ dasselbe wie in 3D angeschaut.
Rapunzel 3D — Neu verföhnt auf 3D Blu-ray
Die Präsentation dieser wie gewohnt mit zwei Blu-ray-Discs bestückten, neben der 3D-Blu-ray noch mit einer zweiten Standard-Blu-ray mit der 2D-Fassung des Films aufwartenden Edition ist einfach vorzüglich. Diese Aussage gilt sowohl für die 3D- wie auch die 2D-Fassung. In beiden Fällen ist das farbenfrohe Bild praktisch durchweg gestochen scharf, sehr kontrastreich und äußerst detailfreudig, wobei es auch in dunkleren Szenen nicht zu offensichtlichen Qualitätsverlusten kommt.
Ohne Frage erscheint bereits das 2D-Bild brillant und bereitet entsprechend Freude. Der richtige Spaß kommt aber erst in der grandiosen 3D-Version zum Tragen. Auch wenn der Zuschauer praktisch nie mit aus dem Bild nach vorn heraus tretenden Dingen unter Beschuss genommen wird, verleiht die so natürliche und harmonische Räumlichkeit der Bilder der Handlung eindeutig zusätzlichen Reiz, erhöht allgemein den Spaßfaktor. Dass Ghosting-Effekte nur ganz vereinzelt auftreten, unterstreicht dies noch.
Zum praktisch perfekten Bild kommt eine auch in Deutsch, als DTS-HD 5.1 Mix, vorzüglich räumlich ausbalancierte Tonkulisse hinzu, die in den Actionsequenzen druckvoll und trotzdem detailfreudig, also nicht einfach lärmend erscheint und gerade in den ruhigen Teilen auch feinste akustische Details nicht unterschlägt.
Die Ausstattung mit Boni ist für Disney-Verhältnisse freilich recht schlicht geraten. Überhaupt finden sich Boni nur auf der zweiten Disc mit der 2D-Version des Films. Darunter ist das knapp viertelstündige „Making of eines Märchenfilms“, wenn auch eher promomäßig als aufschlussreich gestaltet, immer noch das interessanteste Feature. So dürften sich die zur Feier dieses 50. abendfüllenden Animationsfilms als einziger zusätzlicher Bonus vertretene, zweiminütige Disney-Film-Collage die meisten Käufer kaum häufiger als einmal ansehen.
Das Filmmusikalbum
Der achtfache Oscar-Preisträger Alan Menken (Arielle, die Meerjungfrau, Die Schöne und das Biest) hat nun auch die Disney’sche Leinwandmär um Rapunzel mit professionell gefertigten, recht stimmungsvollen Musical- wie auch Scoreeinlagen versehen. Das zu Hörende ist durchaus ansprechend gemacht: Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Das von EMI vertriebene CD-Album mit seinen rund 60 Minuten Lauflänge bildet zum Film in jedem Fall ein besonders passendes Souvenir. Die Songs gehen in Teilen nämlich nicht nur gut ins Ohr, sondern sie sind für die deutsche Verleihfassung auch noch durchaus ansprechend eingedeutscht worden. Wer also Rapunzel schätzen gelernt hat, der sollte sich rechtzeitig sein Exemplar der deutschen CD-Ausgabe sichern.
Fazit: Das erst kürzlich zu den unglaublichen Abenteuern des drolligen kleinen weißen „Super-Hundes“ [url id=3281]Bolt[/url] Angemerkte gilt auch bei Rapunzel 3D — Neu verföhnt, und da sogar in noch ausgeprägterem Maße: Auch wenn die Topliga der Pixar-Produktionen derzeit noch nicht erreicht wird, Disneys Animationskino hat kräftig aufgeholt. Der etwas banale deutsche Titel (Neu verföhnt) und auch der nicht allzu inspirierende Kinotrailer lassen kaum erahnen, welch wirklich charmantes Disney-Animationsprodukt sich dahinter verbirgt: Rapunzel mit dem langen Haar schwebt mitunter nicht nur gekonnt ohne hinabzustürzen über den Abgrund, sondern erweist sich überhaupt als eine herzig haarige Angelegenheit zum Kuscheln.
Zur Erläuterung der Wertungen lesen Sie bitte unseren Hinweis zum Thema „Blu-ray-Disc versus DVD“.
Dieser Artikel ist Teil unseres Spezialprogramms zu Pfingsten 2011.
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