Kleine Klassikwanderung 52

Geschrieben von:
Michael Boldhaus
Veröffentlicht am:
15. Dezember 2014
Abgelegt unter:
Special
Kleine Klassikwanderung 52

Arnold Bax auf Chandos

Mit den am 20. und 21. Mai 2014 in den Studios der MediaCity UK im nordenglischen Salford erfolgten Einspielungen und dem zeitnah veröffentlichten Album beschließt das Chandos-Label seine besonders umfangreiche Reihe, gewidmet dem Werk des britischen Spätromantikers Arnold Bax (1883 – 1953).

Im Bekanntheitsgrad steht Arnold Bax deutlich hinter Edward Elgar, Ralph Vaughan Williams, William Walton oder Benjamin Britten zurück. In deutschsprachigen Konzertführern findet man seinen Namen bestenfalls als Randnotiz und dem entsprechend ist er im hiesigen Konzertleben nahezu unbekannt. In der Qualität und auch der Originalität steht seine Musik der seiner berühmteren Kollegen allerdings kaum nach. Neben einem typisch britischen Tonfall sind impressionistische Einflüsse unüberhörbar. Seine häufig lyrische Tonsprache ist der Spätromantik verpflichtet, was aber gemäßigte Modernität keineswegs ausschließt. Darüber hinaus besitzt seine Musik aber eben auch eine gehörige Portion an Originalität und persönlicher Handschrift, die nach einem gewissen Einhören deutlich hervortritt. Wie alle bemerkenswerten Tonsetzer ist Bax ein vorzüglicher Instrumentator. Er ist darauf spezialisiert, seine Musik häufiger aus eher kleinen Motiven mit Sinn für klanglichen Effekt und Harmonik äußerst raffiniert zu entwickeln.

Früh entwickelte Bax eine ausgeprägte Liebe zu Irland, dessen Folklore, aber eben auch seine in weiten Teilen bittere Geschichte im Verhältnis zu Großbritannien, z. B. der blutig niedergeschlagene Osteraufstand 1916 und der Bürgerkrieg von 1919 – 1921, ihren Niederschlag in Teilen seiner Musik finden – insbesondere den frühen der zwischen 1922 und 1939 entstandenen sieben Sinfonien. Diese Aussagen kann der Interessierte bereits anhand des finalen Bax-Chandos-Albums nachvollziehen, welches sich vorzüglich zum Einstieg in das Werk des Briten eignet.

In der 1920 entstandenen, so virtuosen wie eingängigen „Phantasy for Viola and Orchestra“, singt die Viola im Mittelsatz geradezu eine innige irische Volksweise, das Finale verarbeitet eine Jig und gegen Ende des Kopfsatzes findet sich eine militärisch anmutende, auf die besagten tragischen Konflikte reflektierende Passage. Die hier erstmalig vollständig vereinten „Four Orchestral Pieces“ (entstanden 1912 – 13) präsentieren neben den lyrischen und impressionistischen Einflüssen, nicht ausschließlich im Ravels „La Valse“ nahestehenden Finalstück „The Dance of Wild Irravel“, auch den Meister einer keltischen Sagenwelt entstammender phantastischer Tondichtungen und überhaupt dessen überbordende symphonische Phantasie. „Ouvertüre, Elegy and Rondo“ (1927) dürfte anfänglich vielleicht als etwas trocken empfunden werden. Ähnlich wie bei den unmittelbar etwas spröde wirkenden frühen Sinfonien, treten auch hierbei die in der raffinierten Harmonik liegenden Reize bei mehrfachem Hören markant hervor.

Das BBC Philharmonic unter Sir Andrew Davis liefert ungemein geschmeidige und zugleich ausdruckstark nuancierte Interpretationen der eingespielten Werke. Dieser Eindruck wird auch von der vorzüglichen Tontechnik nachhaltig unterstrichen.

Bereits im Jahr der Markteinführung der CD, 1983, erschien das erste CD-Album dieser feinen Chandos-Reihe mit der vierten Sinfonie, gekoppelt mit der sinfonischen Dichtung „Tintagel“ mit dem Ulster Orchester unter Bryden Thomsen. Das tonmalerische, Richard-Strauss-nahe „Tintagel“ mit seinen prächtigen Fanfaren beeindruckte den Schreiber dieses Textes seinerzeit tief, was der recht leicht zugänglichen vierten Sinfonie nur wenig später ebenfalls gelang. Diese Begegnung wurde zum Ausgangspunkt einer persönlichen Bax-Chandos-Liason, die (in Bezug auf die Alben mit den Orchesterwerken) bis heute angedauert und zu einer absolut feinen, rund 25 Alben umfassenden, üppigen Bax-Kollektion geführt hat.

Auf www.chandos.net werden für den Komponisten insgesamt rund 70 Alben ausgewiesen. Dabei sind allerdings eine Reihe von Werken sogar zweimal eingespielt, z. B. die Sinfonien unter Bryden Thomson und Vernon Handley. Ebenso sind manche der frühen Alben späterhin auch umgeschnitten, also in neuer Zusammenstellung – zum Teil zu günstigeren Preisen – wiederveröffentlicht worden. Hier lohnt es sich also, eingehender zu durchforsten.

Philip Glass: Symphony No. 4 „Heroes“

David Bowies zusammen mit Brian Eno produziertes 1977er LP-Album „Heroes“ bildet zusammen mit „Low“ (1977) und „Lodger“ (1979) die so genannte „Berlin-Trilogie“. Philip Glass’ erste Hommage an David Bowie erfolgte im Jahr 1992 zum „Low“-Album mit der Symphony No. 1 „Low“. Vier Jahre später erfolgte die zweite Verneigung vor dem Pop-Künstler mit einer Synthese für recht groß besetztes Orchester zum Album „Heroes“, mit der sechs-sätzigen Symphony No. 4 „Heroes“.

Die vorliegende Neueinspielung, interessanterweise der Mitschnitt eines Live-Konzerts, wurde in bewährte Hände gelegt. Das Sinfonieorchester Basel ist einer der renommiertesten Klangkörper der Schweiz. Sein Chefdirigent Dennis Russell Davies ist nicht nur ein Spezialist für zeitgenössische Musik, sondern zugleich ein erfahrener Glass-Interpret. Unter Davies Stabführung fand nicht nur die Münchner Uraufführung der Symphony No. 1 „Low“ statt, er leitete auch die Ersteinspielung der ihm im Übrigen sogar gewidmeten Symphony No. 4 „Heroes“ für das Label Point Music.

Freilich gibt’s von Philip Glass nun weder etwas im Stile von „Rock meets the Symphony“ noch wird zum Mitsummen eingeladen. Auch die Bezeichnung „Sinfonie“ steht hier nicht für eine Komposition im klassischen Sinne. Das Gebotene ist vielmehr typisch für die Musik des Minimalisten Philip Glass: schwierig in Worte zu fassen, unkonventionell und eigenwillig, mitunter hypnotisch, auch mal sperrig und damit in jedem Fall gewöhnungsbedürftig, allerdings gewiss nicht langweilig.

Aufgeschlossene mit etwas Wagemut bekommen hier eine aufnahmetechnisch vorzüglich geratene und interpretatorisch, dadurch dass es sich um einen Live-Mitschnitt handelt, vielleicht sogar ganz besonders unmittelbar vitale Darstellung dieses ungewöhnlichen Werks.

Verdi The Organist

Der niederländische Organist Liuwe Tamminga, Spezialist für Barockmusik, präsentiert in dieser Zugabe zum Verdi-Jubiläumsjahr 2013 einen eher unerwarteten Aspekt dieses für die italienische Oper schlechthin unverzichtbaren Komponisten. Die Eltern hatten ihren mit unübersehbarem musikalischem Talent versehenen Jungen schon früh beim alten Organisten der Heimatstadt Le Roncole (ein Vorort von Busseto) in die Lehre gegeben und hofften, er könne eines Tages in dessen Fußstapfen treten.

„Verdi als Organist – und für Organisten“ steht über dem erfreulicherweise sogar in Deutsch enthaltenen Begleithefttext. Und dieser Titel macht zugleich die Philosophie des Albums deutlich. Das sehr gut klingende Album präsentiert nämlich Werke des Großmeisters der italienischen Oper in geschickten Arrangements für Orgel und damit ein ebenso außergewöhnliches wie originelles Orgelkonzert. Vom Opernerstling „Oberto“ bis hin zum „Falstaff“ ist für Entdeckungsfreudige vieles darin enthalten.

Liuwe Tamminga spielt nicht nur auf der restaurierten Orgel von San Michele in Roncole, sondern darüber hinaus auch auf zwei weiteren Orgeln in Verdis Heimatregion, auf denen der junge „Peppino“ einst vorgetragen hat: Trevozzo in Piacenza und Saliceto di Cadeo. Verdi klingt hier schon sehr ungewohnt, aber zugleich interessant. Für den versierten Freund von Orgelmusik finden sich im Begleitheft nicht nur Fotos der einzelnen Orgeln, sondern darüber hinaus auch detaillierte Angaben zu jedem hier zu hörenden Vertreter der Gattung „Königin der Instrumente“. Darüber hinaus wird ausführlich erläutert, welche Bedeutung die Orgel über die Tatsache hinaus, dass er seine Karriere als Kirchenmusiker begann, auch in Verdis Opernschaffen besitzt.

Der Ring – ein orchestrales Abenteuer

Orchesterstücke aus dem „Ring“ sind zwar nicht neu und das gilt ebenso für Versuche eine Art von „Ring-Sinfonie“ zu schaffen: dafür stehen z. B. Lorin Maazels „The Ring without words“ auf Telarc oder Henk de Vliegers Arrangement „The Ring, an orchestral Adventure“ auf Chandos. Anlässlich des (neben Verdi- auch) Wagner-Jahrs 2013 förderte das Kultursekretariat NRW Gütersloh eine Konzertreihe „Der Ring – ein orchestrales Abenteuer“, für die der 1956 in Hannover geborene Andreas Tarkmann eine spezielle eigene Fassung erarbeitet hat, die nun auch als Doppel-SACD-Album unter dem etwas nüchternen Titel „Der Ring – symphonisch“ erschienen ist.

Das Ergebnis sind rund 92 Minuten einer rein orchestralen Synthese aus den vier Opern des Wagner-Rings, welche über die geläufigen Präsentationen von Highlights (etwa Walkürenritt, Siegfrieds Rheinfahrt und Trauermarsch) hinausgehen möchte. Tarkmann hat sich in seiner speziellen Zusammenstellung besonders darum bemüht, auch in dieser stark verknappten Darstellung der Dramaturgie dieses außergewöhnlichen, rund 15 Stunden Aufführungsdauer erfordernden Giganten der Gattung Oper gerecht zu werden. Dem kommt die geläufige analytische Feststellung zum von Leitmotivik beherrschten Wagner-Ring als eine Sinfonie mit eingebetteten Singstimmen entgegen. Das zentrale Problem liegt neben der Gestaltung der erforderlichen hinzu komponierten Übergänge eben auch in dem, was man unter Umständen zu viel weglässt.

Die Nordwestdeutsche Philharmonie Herford unter Daniel Klajner übernahm die Ausführung für die Konzertreihe, deren ausgewählte Mitschnitte sich auf den beiden SACDS des Albums befinden. Die in den Live-Darbietungen zusätzlich enthaltene, erklärende Moderation wurde hier allerdings weggelassen.

Nicht jedes Detail vermag völlig zu überzeugen, etwa in den mitunter etwas unpräzisen Einsätzen des Blechs oder in den mehrstimmig malträtierten Ambossen im Rheingold, die hier doch etwas enttäuschend blass erscheinen. Verschiedentlich wird zwangsläufig denn auch mal deutlich, dass gegenüber dem Original mit deutlich reduzierter Orchesterbesetzung gearbeitet wird. Den Wagner-Ring auf Diät zu setzen, hat natürlich den Vorteil, dass eine derartige Bearbeitung ohne Probleme weit verbreitet aufgeführt werden kann. Ansonsten ist der Orchesterklang gut ausgeleuchtet.

Im lesenswerten Begleithefttext schreibt Andreas Tarkman, dass er gern noch mehr Musik aus dem „Siegfried“ eingearbeitet hätte, darauf mit Rücksicht auf die bei Konzertabenden gewohnte Spielzeit von etwa 90 Minuten denn doch verzichtet habe. Schade! An vielleicht 15 oder auch 20 Minuten mehr an Musik sollte ein solches Projekt nicht scheitern. Neunzig Minuten als generelle Grenze für einen Abend in der Philharmonie sind m. E. denn doch per se etwas zu mager. Insofern würde ich ein Nachbessern begrüßen.

Florent Schmitt: Ballett „Le Petit Elfe Ferme-l’œil“

Der aus dem lothringischen Blâmont stammende Florent Schmitt (1870 – 1958) galt in den ersten beiden Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts als einer der führenden Komponisten Frankreichs. Aus dieser Zeit stammt das Ballett „Le Petit Elfe Ferme-l’œil“, das aus einer im Jahre 1912 als Fingerübung für die Klavierausbildung konzipierten siebensätzigen Suite hervorging. Für die 1924 uraufgeführte Orchesterfassung hat der Komponist die vierhändige Klaviersuite fast um das Doppelte erweitert. In der knapp 40-minütigen Ballettversion hat Schmitt die Träume des kleinen Hjalmar, welche ihm das Sandmännchen über eine Woche lang beschert (nach Hans Christian Andersens Märchen Ole Lukøje), in so bezaubernde wie berauschende Klänge gefasst. Das belegt die superbe Ersteinspielung mit dem Orchestre National de Lorraine unter der Leitung von Jacques Mercier, erschienen auf dem französischen Label Timpani.

Die in vielfältigen, üppigen Orchesterfarben so herrlich leuchtende Musik entpuppt sich als eine Art Schwesternstück zu Maurice Ravels Kinder-Ballett Ma mère l’oye (Mutter Gans), dessen Entstehungsgeschichte ebenfalls Parallelen aufweist. Schmitts Kinder-Ballett besitzt nicht nur vergleichbaren Charme, es ist auch musikalisch mindestens ebenso reichhaltig. Enthalten sind u. a. ein charmant-wehmütiges Ammen-Lied (Aline Martin, Mezzosopran) sowie das eine äußerst prachtvolle musikalische Chinoiserie bildende Finale. Das macht es umso weniger verständlich, wieso diese absolut feine Komposition so lange Zeit übersehen worden ist.

Als Zugabe gibt’s das 1949 entstandene „Introït, récit et congé“, das sich als ein kleines, hochvirtuoses Cellokonzert entpuppt (Henri Demarquette, Violoncello). Dass das aus dem ehemaligen Munitionsdepot entstandene Konzerthaus „Arsenal“ im lothringischen Metz offenbar eine Top-Akustik besitzt, unterstreicht die exzellente, auf der Höhe der Zeit befindliche Aufnahmetechnik.

Dass Schmitt wohl kein sehr feinfühliger Zeitgenosse, vielmehr durch seine polemischen Zwischenrufe berüchtigt war und darüber hinaus als Nazisympathisant mit zumindest antisemitischen Anwandlungen gelten muss, sollte nicht wie im Begleithefttext der CD unterschlagen werden. Dies sollte aber einer vorurteilsfreien Auseinandersetzung mit seinem reichhaltigen Œuvre nicht im Wege stehen und erst Recht nicht vom Erwerb des Geheimtipps dieser Klassikwanderung abhalten.

Arranging Bach“: Gerhard Gnann an den Orgeln des Freiburger Münsters

Der Orgelvirtuose Gerhard Gnann spielt Musik Johann Sebastian Bachs in den eher nüchternen originalen sowie in betonter schwelgerischen romantischen Arrangements von Charles-Marie Widor, Sigfrid Karg-Elert und Arno Landmann.

Gnann interpretiert virtuos, klar und ausdrucksstark. Dank der edlen Tontechnik wird auch die außergewöhnliche Akustik des Freiburger Münsters spürbar. In Arno Landmanns Version der Violin-Chaconne d-Moll lässt er alle vier Orgeln zusammen erklingen, was bereits im üblichen Stereo beeindruckt, aber ganz besonders in der noch überzeugender verräumlichten SACD-Surround-Version. Der sicher nicht unbeabsichtigte klangliche Breitwandeffekt macht das auch als Werbung für den Freiburger Münster gedachte Album zugleich zum opulenten Demonstrationsobjekt für die Orgelfreunde unter den HiFi-Enthusiasten.

Music for Alfred Hitchcock

Wenn der äußerst vielseitige, im Aufnahmestudio wie in Opern- und Konzerthäusern renommierte amerikanische Dirigent John Mauceri (*1945) etwas anpackt, dann hat es immer Hand und Fuß. Neben vorzüglichen Klassik-Projekten, etwa der Korngold-Oper „Das Wunder der Heliane“ aus der Decca-Reihe „Entartete Musik“, ist es aber auch die Musik für die tönende Leinwand, die es dem New Yorker angetan hat. Das Toccata-Label präsentiert dazu den Live-Mitschnitt eines filmharmonischen Konzerts des Danish National Symphony Orchestra unter Mauceris Leitung, aufgenommen am 23. und 24. November 2012 in Kopenhagen.

Sicher gibt es diverse CD-Kompilationen, die sich der Musik zu Hitchcock-Filmen widmen und etwas grundsätzlich Neues, also dem versierten Filmmusikfreund bisher Unbekanntes, hat der aktuelle Sampler auch nicht im Gepäck. Allerdings wendet sich diese CD trotzdem nur auf den ersten Blick als klingendes Souvenir an diejenigen, die beim Livekonzert dabei gewesen sind. Die interpretatorisch und zugleich klanglich absolut vorzüglichen Darbietungen machen das sorgfältig und liebevoll produzierte Album zu einem „Geheimtipp“, der auch in so mancher zum Thema bereits gut bestückter Sammlung doch noch ein sogar exklusives Plätzchen finden dürfte. Das Programm des Konzerts ist in jedem Fall äußerst versiert zusammengestellt und vereint zwangsläufig die musikalische Chréme aus dem Hollywood des „Golden Age“.

Insbesondere die Suiten aus Franz Waxmans „Rear Window“, Arthur Benjamins „Storm Clouds Cantata“ aus der 1956er Version von The Man who knew too much und ebenso das noch vom Komponisten Bernard Herrmann höchstpersönlich für das 1969er LP-Album „Music From The Great Hitchcock Movie Thrillers“ arrangierte, rund 15-minütige „Psycho – A Narrative for Orchestra“, sind im Konzertsaal bisher entweder noch gar nicht aufgeführt oder in jedem Fall absolute Raritäten. In der „Storm Clouds Cantata“ beindrucken zudem der vorzügliche Danish National Concert Choir sowie die Sopranistin Klaudia Kidon.

John Mauceri dirigiert das sehr abwechslungsreiche Programm mit leidenschaftlicher Emphase, effektvoll und vorwärtsdrängend. Der edlen Klangtechnik ist es (insbesondere unter dem Aspekt Live-Recording bemerkenswert) famos gelungen das häufiger opulente Klangbild mit seinen komplexen Schichtungen vorzüglich transparent abzubilden. Absolut mitreißend im wörtlichen Sinne erfahrbar wird z. B. so die Vorspannmusik zu North by Northwest, wo John Mauceri und das hochpräzise aufspielende Orchester in der Lage sind, dem geradezu halsbrecherischen Tempo Herrmanns in der Originaleinspielung annähernd Paroli zu bieten. Abgesehen von Esa-Pekka Salonens Herrmann-Sony-Album kann hier keine der übrigen Einspielungen des Marktes mithalten. Danny Elfmans „End Credits“ zu Sacha Gervasis amüsanter Studie Hitchcock (2012) bilden zur versammelten Golden-Age-Prominenz einen überzeugenden und zugleich augenzwinkernden Schlusspunkt.

Nur ganz vereinzelt könnte man marginale Vorbehalte vorbringen: etwa, dass die so typisch rau und schrill anmutenden Effekte in den Bläsern und damit das unverwechselbare „Tiomkin-Feeling“ hier denn doch ein wenig gedämpft erscheint. Derartiges ist jedoch in erster Linie Geschmacksache und kann daher die unüberhörbare Eleganz und sehr hohe Qualität der Darbietungen keinesfalls spürbar beeinträchtigen. Erfreulicherweise sind auch kaum Nebengeräusche auszumachen. Und so merkt man, außer durch den zu Recht hörbar begeisterten Applaus im Anschluss an die absolut fein gegebene Storm-Clouds-Kantate, nahezu überhaupt nicht, dass es sich um einen Live-Mitschnitt handelt. Bis auf das rund 10-minütige „Spellbound-Concerto“ Miklós Rózsas wartet das mit 81 Minuten randvoll gepackte CD-Album übrigens mit sämtlichen Darbietungen des Konzerts auf.

Ebenso bemerkenswert wie die musikalische Seite ist das umfangreiche Begleitheft, mit dessen gehaltvollen Texten (von Dirigent John Mauceri und John Riley), bei denen auch der sehr gut aufgehoben ist, der zum Gebotenen nur wenig weiß. Dabei ist allerdings schon etwas schade, dass es in dem an sich vorbildlichen Heft nicht auch ein paar Bilder von diesem exzellenten Konzertevent gibt, das im Übrigen seltsamerweise auch im Internet kaum Spuren hinterlassen hat.

Alles in allem verbleibt für dieses mit unübersehbarer Sorgfalt produzierte Album eine dicke Empfehlung, zählt es doch zu den überzeugendsten Hitchcock-Filmmusik-Samplern auf dem Tonträgermarkt.

Zwei Weihnachtsalben: Christmas around the world & Böhmische Weihnachten

Den Abschluss bilden zwei Kompilationsalben von Berlin Classics mit Musik für das populärste christliche Fest des Jahres.

„Christmas around the world“ ist nun sicher kein absolut seltener Titel für diese international bestückte, trotzdem nicht alltägliche weihnachtliche musikalische Zusammenstellung. Es sind die 10 Musiker der 1974 ins Leben gerufenen Bläserformation „German Brass“, welche zusammen mit dem Windsbacher Knabenchor das insgesamt 29 Titel umfassende Programm so bemerkenswert bestreiten. Hier sind hörbar erstklassige Profis aus der Blechbläsersektion am Werk, deren so virtuosem, wie elegantem Spiel man getrost das im opulenten Begleitheft zu lesende „Blech zu Gold für die Ohren“ attestieren mag. Dazu bilden die Sänger des Windsbacher Knabenchors optimale Partner. Neben der das Klangbild vorbildlich aufgefächert abbildenden Tontechnik, sind es aber auch die geschickten Arrangements und Übergänge des Leiters von German Brass, Enrique Crespo, welche den Charme dieser prächtig klingenden Zusammenstellung entscheidend mitbestimmen.

So mancher Leser dürfte bei Lüdwig Güttler direkt die Bilder assoziieren, welche den berühmten Trompetenvirtuosen und Spezialisten für Barockmusik mit der kleinen Piccolo-Trompete zeigen. Das Album „Böhmische Weihnachten“ geht auf ein Programm zurück, das Güttler erstmalig 2012 in der Dresdner Frauenkirche aufführte. Verschiedenes davon ist als Liveaufnahmen auf dem vorliegenden Album mit enthalten. Mit ausdrucksstarken, zum Teil strahlend prächtigen Klängen von wenig geläufigen Tonsetzern des 17. Jahrhunderts (wie Pavel Josef Vejvanovský, Romanus Weichlein oder Johann Georg Neruda) belegen die Kompositionen eindrucksvoll, dass die Böhmische Musikgeschichte eben nicht erst bei Smetana und Dvořák beginnt. Über die 65 Minuten Albumspielzeit ist hier ein so stimmungsvoll dargebotenes wie abwechslungsreiches und dabei gewiss nicht alltägliches Programm weihnachtlicher Festtagsmusik des Barock im Angebot, das zu den heutzutage mit dem Fest der Liebe assoziierten, bekannt-beliebten Melodien zugleich einen markanten Kontrast liefert.

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