Hitchcock (Blu-ray)

Geschrieben von:
Michael Boldhaus
Veröffentlicht am:
15. Dezember 2013
Abgelegt unter:
Blu-Ray

Film

(4/6)

Bild

(5.5/6)

Ton

(5.5/6)

Extras

(5/6)

Eine augenzwinkernde Hommage an den „Master of Suspense“: Sacha Gervasis Hitchcock

Kommentar zu Film, Filmmusik und Filmbuch

Entstanden nach Stephen Rebellos Sach-Buch „Hitchcock und die Geschichte von Psycho“ über die Entstehung des legendären Schockers: So wird Sacha Gervasis Hitchcock beworben. Und da liegt vielleicht auch ein mitentscheidender Grund für die zum Teil recht gemischten Kritiken, denn hier führt die Werbung letztlich doch etwas in die Irre. Der Film ist vielmehr eine eher frei gestaltete, augenzwinkernde Hommage an den im realen Leben scheuen Hitchcock (Anthony Hopkins) und in besonderem Maße auch an seine Frau Alma, geborene Reville. Alma, beeindruckend interpretiert von Helen Mirren, entstammte ebenfalls dem Filmbusiness. Sie war eine erfahrene Cutterin und Drehbuchautorin und wurde bereits in Stummfilmtagen zur Weggefährtin des jungen Alfred. An der Entstehung der Filmwerke des „Masters of Suspense“ hat sie einen nicht zu unterschätzenden Anteil. Almas wichtige Rolle wird jedoch bislang eher unterschwellig wahrgenommen und findet übrigens auch in Rebellos Buch nur in einzelnen Randnotizen Erwähnung. In Hitchcock wird ihre häufiger entscheidende Rolle dafür umso deutlicher herausgearbeitet. Da wird z.B. augenzwinkernd inszeniert, dass von ihr die Anregung stammte, die Hauptdarstellerin Janet Leigh nach bereits 30 Minuten sterben zu lassen, und ebenso erhellend ist es, wenn Hitch von Alma im Schneideraum auf das Fehlen einer effektiven, enervierenden Musikuntermalung für die revolutionäre Mordszene unter der Dusche aufmerksam gemacht wird, was der Komponist Bernard Herrmann dann beispielhaft gelöst hat. Dabei kann man verschmerzen, dass sich der Vorfall in der Realität denn doch wohl merklich anders zugetragen hat.

Exakt das ist es, worauf Hitchcock letztlich abzielt, was im Zentrum steht: Das Verhältnis der Eheleute und ihre gemeinsame Power in der Realisierung am Beispiel von Psycho (1960). Die zum Teil skurrilen Begebenheiten um die Psycho-Produktion spielen dabei eher eine gehobene Nebenrolle. Sie liefern freilich eine reizvolle Projektionsfläche, etwa die heutzutage nur noch absurd-komische Auseinandersetzung mit dem „Hays Office“, einer Zensurbehörde, für die es bereits als anstößig galt, ein schlichtes WC ins Bild zu rücken. Dazu bemerkt Hitch ironisch: „Meine Morde sind stets ein Muster an Takt und Diskretion“, und auf die pikierte Frage des Zensors, ob das (Dusch-)Mordopfer etwa nackt sei: „Die Frau wird nicht nackt sein, sie wird eine Duschhaube tragen.“

In vielem bewegt sich der Film freilich auf eher anekdotenhaftem Terrain. Dass er in seiner Schilderung einer bemerkenswerten Arbeits- und Liebesziehung außerdem häufiger rein fiktiv ist, etwa indem er eine frei erfundene Affäre Almas mit dem Drehbuchautor Whitfield Cook (Danny Huston) einflicht und sicher auch einige Klischees bedient, sollte nicht irritieren. Dem Spaß an der Sache tut dies nämlich keinen Abbruch. Dafür ist alles einfach viel zu famos inszeniert und gespielt. Anthony Hopkins und Helen Mirren dominieren in den Hauptrollen. Ihr fantastisches Spiel verleiht den verkörperten Charakteren geradezu Gesicht.

Da enttäuscht spätestens nach kurzem Eingewöhnen denn auch absolut nicht (mehr), dass Anthony Hopkins durch Howard Bergers Oscar-nominierte Silikon-Make-Ups nur bis zu einem gewissen Grade dem Original angenähert worden ist. Was die Maskenbildnerei sich bewusst sparte – im Bonusmaterial der BD erläutert – wird vom eleganten Auftritt von Hopkins, der mit Hingabe belegt, wie genau er Diktion und Körpersprache der Originalfigur einstudiert hat, mehr als wett gemacht. Derart überzeugend gelingt ihm sein Charakterporträt von Hitchcock, dass man auch den Anmerkungen im Making-of von bei den Dreharbeiten anwesenden Zeitgenossen glauben mag, die anerkennend feststellen, Hopkins sei Hitchcock. Dass der „Master of Suspense“ ähnlich wie Norman Bates immer wieder voyeuristisch durch verborgene Gucklöcher auf junge Blondinen glotzt oder auch seine Frau misstrauisch belauert, ist amüsant. Ansonsten bleibt die dunklere Seite des tyrannischen Genies freilich eher ausgespart. Dessen Portrait läuft eher auf eine mit Skurrilität gewürzte Hommage an Hitch hinaus. Köstlich ist der Beginn, der wiederum als eine Hommage, nämlich an die TV-Serie Alfred Hitchcock Presents, daher kommt, wo Hopkins alias Hitch süffisant einen der so typischen makabren Ansagetexte zelebrieren darf. Die finale Foyer-Szene wird dann zur originellen Krönung einer in Teilen schrulligen, aber sehr liebevollen Verneigung vor dem legendären Filmemacher: Hitch dirigiert mit zufriedener Miene aus der Ferne, allein über den aus dem Theater zur berühmten Duschmordsequenz schallenden Filmton, die Emotionen seines Premierenpublikums.

Helen Mirren hat mit Alma Hitchcock äußerlich praktisch keine Ähnlichkeit. Sie nimmt sich auch in der Gestaltung der Rolle einer in ihrem Wesen weitgehend unbekannt gebliebenen Person große Freiheiten und vermag trotzdem komplett zu überzeugen.

Scarlett Johanson ist nicht nur besonders schnuckelig anzuschauen. Sie ist eine ebenso solide Marion (alias Janet Leigh) wie Jessica Biel (alias Vera Miles) als deren Schwester Lila. James D’Arcy als schüchterner und etwas gehemmt wirkender Antony Perkins erscheint fast wie ein Abbild des Originals und bestreitet die Casting-Szene mit echter Bravour. Als gut gewählt erscheint auch Paul Schackman als Bernard (Benny) Herrmann, obwohl dieser leider nur in einer kurzen Szene zu sehen ist.

Newcomer Sacha Gervasi (*1966), der zuvor erst einmal auf dem Regiestuhl Platz genommen hat (mit dem Dokumentarfilm über eine kanadische Heavy-Metal-Band: Anvil! The Story of Anvil) macht, sicher auch dank der Unterstützung seines mit äußerst kompetenten Partnern besetzten Teams, eine beachtliche Figur. Zu den Schwächen des insgesamt zweifellos sehr vergnüglichen Films zählen sicherlich die diversen, zum Teil sehr großen Freiheiten im Umgang mit den historischen Fakten oder die Stellen, wo das Drehbuch sehr freimütig hinzuerfindet. Ob die mehrfach eingeschobenen albtraumhaft-imaginären Begegnungen von Hitch mit dem Serienkiller Ed Gein (Michael Wincott), welcher dem Buch „Psycho“ von Robert Bloch als Vorbild diente, zu den Top-Einfällen zählen, darüber kann man wohl am ehesten streiten. Aber dramatisieren sollte man dies nicht: Das schreckhafte nächtliche Erwachen von Hitch bei einem der ersten Einschübe mit Ed Gein wirkt nämlich derart ironisierend, dass es eventuelle Vorbehalte bereits weitgehend neutralisiert.

Dies alles ist dank der überaus sorgfältigen, detailgetreuen Ausstattung in nostalgisch wirkende Bilder von großem Reiz verpackt. Hier wird aber nicht bloß das Zeitkolorit der ausgehenden 50er und frühen 60er überzeugend wieder lebendig. Ebenso sorgen eine Reihe geschickt platzierter Anspielungen (wie die sich am Schluss auf Hitchcocks Schultern niederlassende Krähe) und Zitate – etwa aus Foreign Correspondent Der Auslandskorrespondent (1940) in der Eröffnungsszene – für Momente, die den wissenden Zuschauer zusätzlich schmunzeln lassen.

Gerade im Umfeld des großen Erfolgs von North by Northwest Der unsichtbare Dritte (1959) war die Produktion des seinerzeit im Krimi-Genre völlig aus dem Rahmen des Gewohnten fallende Psycho ein extremes Wagnis, das nicht nur die eng mit Hitchcock assoziierten Paramount-Studios scheuten. Hitch produzierte daher schließlich mit eigenen, im Vergleich eher bescheidenen Mitteln. Auch wenn es Gervasis Film so andeutet: Das Vermögen des Meisters war bei allem Wagnis nie wirklich ernsthaft gefährdet. Dafür war Hitchcock einfach ein zu guter Geschäftsmann. Er verzichtete auf die Elite der Stars, besetzte die Rollen mit guten Schauspielern der B-Kategorie sowie talentiertem Nachwuchs und arbeitete mit dem mit seinem Arbeitsstil vertrauten und daher komplett auf ihn eingespielten Team seiner erfolgreichen TV-Serie Alfred Hitchcock Presents, die ab 1962 The Alfred Hitchcock Hour hieß. Nicht von ungefähr besitzt der in nur 30 Drehtagen in Schwarzweiß aufgenommene Film eine Ästhetik, die an seine TV-Arbeiten erinnert.

Hitchcock auf BD

Der Eindruck bei Auge und Ohr der BD belegt unmittelbar, dass die technische Umsetzung sehr überzeugend gelungen ist. Einem fast durchweg knackigen Schärfeeindruck stehen neben den warmen wie satten Farben eine ausgeprägte Detailvielfalt sowie sehr guter Kontrast und Schwarzwert unterstützend zur Seite. Ebenso fein gibt sich der zwar nicht dröhnende, aber dezent effektreiche, kristallklare Surroundsound.

Die 130 Filmminuten sind in 52 Kapitel unterteilt! Da muss wohl keiner mehr erst noch großartig mit Hilfe der Fernbedienung vor- und/oder zurückspulen, um gewünschte Szenen aufzufinden: Das ist wirklich selten komfortabel und optimal gelöst.

Sehr zufriedenstellend ist auch die Situation bei den Boni: Buchautor Rebello hatte an der endgültigen Drehbuchfassung entscheidenden Anteil und scheint, glaubt man dem von ihm und Regisseur Gervasi bestrittenen, informativen Audiokommentar, am gesamten Projekt beträchtlichen Spaß gehabt zu haben. Er erklärt auch die beträchtliche Verschiebung der Akzente gegenüber der Buchversion: „Mein größtes Anliegen war, dass der ‚Making of‘-Aspekt als Hintergrund für eine Geschichte dienen würde, die sich um die komplexe persönliche und professionelle Beziehung von Alfred und Alma Hitchcock dreht“.

Darüber hinaus sind noch rund 93 Minuten Features (sämtlich in HD) versammelt, die weder übermäßig redundant konzipiert sind noch durch zu dick aufgetragene Werbung langweilen. Überwiegend liefern sie gute bis sehr gute Einblicke in den Entstehungsprozess. Zum besonders Hervorzuhebenden zählt das ausführliche Making-of „Besessen von Hitchcock: Die Entstehung des Films“ (ca. 29 Minuten). „Hopkins wird zu Hitchcock“ (rund 13 Minuten) beobachtet die Arbeit des Maskenbildners und erklärt warum man „nur“ eine optimale Synthese anstelle einer möglichst exakten Reproduktion des Originals angestrebt hat. Im geradezu köstlichen „Kinospot: HANDY AUS!” kann Anthony Hopkins dann auf besonders witzige Art beweisen, wie überzeugend er trotzdem herüberkommt. „Handy-Videos der Produktion von Sacha Gervasi“ (rund 14 Minuten) ist eine zwar nicht durchgehend, aber in Teilen schon sehr unterhaltsame Zusammenstellung spaßiger Momentaufnahmen vom Dreh. Alles in allem ist jemand, der sich hiermit beschäftigt hat über die wichtigsten Aspekte bei der Filmproduktion und die Intentionen der Macher deutlich besser informiert als die meisten, die Hitchcock zuvor im Kino gesehen haben. Das ist eben auch ein Aspekt, bei dem gutes Bonusmaterial seine Trümpfe ausspielen und eine Bereicherung sein kann.

Elfman-Freunde aufgepasst! Die meisten Boni-Features sind geradezu omnipräsent mit der Filmmusik unterlegt. Gelegentlich wird deren Wirkung dabei durch gezielte Schnitte noch zusätzlich betont. Wer nicht bereits durch das Anschauen des Films auf die Musik aufmerksam geworden ist, dem dürfte diese spätestens nach eingehenderem Studium der Boni kaum mehr aus dem Kopf gehen.

Danny Elfmans Musik zu Hitchcock auf Sony Classical

Hitch und Psycho (1960) als wichtige Elemente einer Filmhandlung legen die Assoziation mit dem Komponisten Bernard Herrmann nahe, dem Hitchcock seine prägnantesten Filmmusiken verdankte. Danny Elfmans große Verehrung für Herrmann ist in vielen seiner Musiken unüberhörbar. Darüber hinaus hat er bereits für das enttäuschende 1998er Psycho-Remake (Regie: Gus Van Sant) die Herrmann’sche Originalmusik eingerichtet und eingespielt. Damit schienen die Weichen eindeutig gestellt.

Beim ersten Hören meinte ich denn auch ausgeprägte Herrmann- Anklänge attestieren zu dürfen. Allerdings zeigte sich schnell, dass dies nicht ganz stimmig ist. Zwar scheinen die zum Teil betont unruhigen Streicherlinien, etwa in „The Premiere“, klar auf Psycho zu verweisen. Allerdings gehört Derartiges zugleich eindeutig zu Elfmans persönlichen Stil. Beim näheren Hören trat ein betont romantischer, wiederum Elfman-typisch mit Herrmannesquen Untertönen durchsetzter Gestus der Musik umso deutlicher hervor. Neben einem anfänglichen Hauch von Psycho war nun vor allem eine gewisse Nähe zur obsessiven Leidenschaft aus Vertigo (1958) spürbar.

Allerdings dominiert insgesamt waschechter Elfman eindeutig vor ausgeprägter Herrmann-Hommage das im Wesentlichen um zwei zuerst etwas unscheinbare Themen kreisende musikalische Geschehen. Die Art und Weise, in der der Komponist mit diesen Themen einfalls- und abwechslungsreich gestaltet, verrät zwar auch Elfmans ohnehin eindeutige Herrmannverehrung. Sie spiegelt aber wiederum mindestens ebenso seinen persönlichen Stil wider: etwa im träumerischen Einsatz der Celesta, oder wenn er das musikalische Material zum eleganten Walzer formt („Paramount /Out the Gate“). Neben einzelnen Soli von Violine, Cello und Harfe treten im streicherdominierten Klangteppich häufiger das Klavier und die bereits erwähnte Celesta hervor. In der recht transparenten Orchesterbesetzung bleiben insbesondere großes Schlagwerk sowie das schwere Blech ausgespart. Nur hin und wieder sind eher dezent knarrende Fagotte zu hören. Einzelne Passagen rufen insbesondere Elfmans Musik zu The Wolfman (2010) in Erinnerung. Das steht allerdings nicht etwa für Horrorfilmmusik. Elfmans feinsinnige Komposition lässt zwischendurch auch das Makabre anklingen. Sie bietet aber ebenso genügend emotional-warme Momente, welche das insgesamt doch sehr innige Verhältnis von Alma und Alfred zum Ausdruck bringen.

Mit knapp 39 Minuten erscheint das CD-Album von Sony-Classical in der Spielzeit recht nostalgisch auf solide LP-Länge konzipiert. Aber diese im CD-Zeitalter eher bescheidene Auslastung ist dennoch kein Makel. Im Gegenteil! Die Musik agiert hier in erster Linie atmosphärisch, schmiegt sich eng ans Bild und besitzt eher begrenzte Entfaltungsmöglichkeiten. Die meisten der insgesamt 26 (nicht filmchronologisch angeordneten) Tracks sind sehr kurz. 14 rangieren zwischen einer und nur zwei Minuten Spieldauer, acht dauern sogar weniger als eine Minute. Besonders markant ragt dabei der mit über drei Minuten längste Track „Explosion“ heraus, dessen klanglicher Ausbruch zusätzlich durch eine Passage mit sehr exotisch anmutendem Schlagwerk überrascht. Trotz ihrer Kürze wirken die einzelnen Stücke aber keineswegs wie ein eher blasses Underscoring. Sie gehen vielmehr im – nicht chronologischen Albumschnitt – sehr gut fließend ineinander über. Am Schluss platziert ist das Thema aus Charles Gounods berühmtem „Trauermarsch für eine Marionette“, der als markante Titelmusik für die TV-Serie Alfred Hitchcock Presents fungierte. Eine sehr stimmungsvolle Piece, die man ebenso passend (wie im Film) als Auftakt verwenden, also an den Anfang stellen kann.

Elfmans Hitchcock zieht, besonders bei etwas eingehenderem Hören, den Hörer in zunehmendem Maße in seinen Bann. Das Album zeigt sich schließlich als durchgehend sehr feine Sache, die klar abseits ausgelutschter Routine angesiedelt ist. Es verdient zweifellos fette vier Cinemusic.de-Sterne.

Zusätzlich lesenswert: Stephen Rebellos Studie zur Entstehung von Psycho

Stephen Rebellos minutiöses Buch „Hitchcock und die Geschichte von Psycho“ aus dem Jahr 1990 über die Entstehung des Schockers ist parallel zum Film von Regisseur Sacha Gervasi jetzt erstmalig auch in deutscher Übersetzung (bei Heyne) erschienen. In einem Vorwort zur aktuellen Ausgabe erläutert Rebello wiederum, was in Sacha Gervasis Film Hitchcock gegenüber dem Buch so deutlich anders ist, bezeichnet diesen als eine Liebesgeschichte über der das Schlachtermesser schwebt.

Ausgehend vom realen Fall des Serienkillers Ed Gein und der Verarbeitung des Falles in Robert Blochs Buch beleuchtet das sehr flüssig und spannend zu lesende Buch detailliert, wie es letztlich zu Hitchcocks Psycho kam. Mit Peggy Robertson, Hitchs Produktionsassistentin während seiner Jahre bei den Universal-Studios, die ihm den entscheidenden Hinweis auf Blochs Buch gab, bis zur den Film äußerst geschickt vermarktenden Werbekampagne, wird dabei einmal mehr deutlich, dass Film-Machen die Leistung eines Teams ist. Dabei spielt der sehr gut herausgearbeitete zeitliche Kontext und damit der so andere Zeitgeist, eine entscheidende Rolle. Erscheint doch Vieles von dem, was damals noch Tabu war, mehr als ein halbes Jahrhundert nach der Premiere nur noch grotesk. Nacktheit, Sex und Perversionen durften insbesondere auf der Leinwand höchstens unterschwellig angedeutet werden. Allein zu zeigen, dass jemand von der Toilette kommt und dabei ein WC ins Bild zu setzen, war absolut verpönt.

Auch wenn die krasse Wirkung der Duschmordsequenz auf weite Teile des damaligen Publikums im Verbund mit dem entrüsteten Aufschrei vieler Kritiker oder gar der von der katholischen Kirche ins Leben gerufenen „Legion of Decency“, für den Slasher-Nachwuchs heutzutage kaum noch verständlich erscheinen mag: Im Rückblick präsentiert sich Psycho als geradezu revolutionär. Es ist nicht nur die erfolgreichste Produktion im gesamten Schaffen von Alfred Hitchcock. Es ist zugleich derjenige Film, der für den modernen Kino-Horror überhaupt erst den Weg bereitet hat.

Rebello versucht nicht, dem mittlerweile fast in Einzelbildbetrachtungen zerlegten und so fast schon zu Tode (über-)interpretierten Psycho noch etwas Analytisches hinzuzufügen. Dafür geht er über die Premiere des Films hinaus. Der Autor streift auch die nachfolgenden Hitchcock-Produktionen und versucht zu erklären warum dem Regisseur nicht mehr ein vergleichbarer Erfolg gelang. Ebenso beschäftigt er sich mit dem prägenden Einfluss des Films auf die weitere Entwicklung des Thriller-Horror-Genres bis Ende der 80er Jahre. Das weitere Schicksal der wichtigsten mit Psycho verbundenen Personen wird im Anhang, „nach Psycho“ angerissen. Eine komplette Hitchcock-Filmografie sowie eine Auswahlbibliografie beschließen den Band.

Rebellos Buch, das auf unzähligen Interviews mit den an Psycho Beteiligten beruht, ist eine brillante, anekdotenreiche Studie, vergleichbar Francois Truffauts 1966 erstveröffentlichtem „Mr. Hitchcock, wie haben Sie das gemacht?“ (ebenfalls bei Heyne erhältlich). Man muss durchaus kein vorbehaltloser Hitchcock-Jünger sein, um an diesen beiden so aufschlussreichen Publikationen seine Freude zu haben, selbst wenn man hier und da auch mal etwas kritischer lesen muss.

Fazit: Regisseur Sacha Gervasis Film ist nicht die wohl von vielen erwartete, möglichst seriöse biografische Studie über den „Master of Suspense“ im Umfeld der Entstehung von Psycho. Er erlaubt vielmehr sehr humorvoll und leichtfüßig inszenierte Einblicke hinter die Kulissen: in die Ehe des Herrn Hitchcock. Garniert und illustriert mit Ereignissen um die Psycho-Produktion wird der Blick auf Alfred und Alma zur sehr nostalgisch angehauchten filmischen Eskapade und letztlich auch zur liebevollen Hommage an den legendären, fülligen Maestro. Das Anschauen dieser insgesamt sehr amüsanten Filmkomödie mit ihren makabren Untertönen bereitet beträchtlichen Spaß, auch wenn man sie, wie bei Komödien ja häufiger vorkommend, nicht allzu ernst nehmen sollte.

Ein besonderes Verdienst des Films ist es zweifellos, das bereits 1990 erstmalig veröffentlichte, bemerkenswerte Buch von Stephen Rebello zu den Hintergründen der Produktion von Psycho nun endlich auch dem hiesigen Publikum zugänglich zu machen.

Außerdem bietet sich das CD-Album mit Danny-Elfmans Musik an. Es funktioniert nicht nur als angenehmes klingendes Souvenir zum Film oder auch stimmungsvolle Hintergrunduntermalung zur Buchlektüre. Es hinterlässt vielmehr auch für sich allein einen nachhaltig überzeugenden Eindruck.

Weiterführender Link:

Wie geschickt der aufsehenerregende 1960er Psycho im Anschluss an die Premiere vermarktet worden ist, zeigt das You-Tube-Video: How Hitchcock Got People To See Psycho.

Zur Erläuterung der Wertungen lesen Sie bitte unseren Hinweis zum Thema Blu-ray-Disc versus DVD.


Mehrteilige Rezension:

Folgende Beiträge gehören ebenfalls dazu:


Regisseur:
Gervasi, Sacha

Erschienen:
2013
Land:
USA 2012
Vertrieb:
20th Century Fox Home Entertainment
Kennung:
5544399

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