Als im Sommer des Jahres 1993 Steven Spielbergs Dinosaurier-Spektakel Jurassic Park in die Kinos kam, staunte die Welt. Denn auf der Leinwand sah das Publikum keineswegs plumpe und sich ruckartig bewegende Dinosaurier, sondern weitestgehend sehr überzeugende, flinke Urviecher, die selbst die Schauspielkünste von Sir Richard Attenborough (John Hammond) und Jeff Goldblum (Dr. Ian Malcolm) im wahrsten Sinne des Wortes in den Schatten stellten.
Hatte man zuvor ausschließlich mit Hilfe der Stop-Motion-Technik und beweglichen Modellen (z.B. aus Knetgummi) versucht, den Urzeitgiganten neues Leben einzuhauchen, war es nun mit Hilfe von Computern gelungen Dinosaurier in einer Art digital neu zu erschaffen, wie es vorher noch nie mit Lebewesen aus Fleisch und Blut gelungen war. Die Anzahl der computererzeugten Dinos im Film von 1993 war aber natürlich viel geringer als in den beiden Nachfolgern.
Doch was uns noch vor acht Jahren erstaunte, ist heute fast schon selbstverständlich geworden: In Großbritannien rennen geklonte Schafe durch die Gegend, in den USA wollen Wissenschaftler Menschen klonen, und im Kino gehen Schiffe in Echtzeit unter, verwandeln sich Menschen in Roboter und werden tote Schauspieler zu neuem Leben erweckt: Der voranschreitenden Technik sei Dank!
Und zu einem Abenteuerspektakel wie Jurassic Park, das bei der Verleihung der Academy Awards 1994 dreimal siegte und den Box-Office-Hit E. T. bei weitem überflügelte, gehörte natürlich auch eine bombastische Filmmusik. Wie immer wandte sich Steven Spielberg an seinen alten Freund und Weggefährten John Williams. John Williams verlieh durch seine Musik, die wie immer mit großem Orchester und teilweise mit einem Chor im Hintergrund eingespielt wurde, jener geheimnisvollen Insel im Pazifik den gewissen Hollywood-Touch. Deswegen ist seine Komposition – wie es sich für einen Abenteuerfilm gehört – laut, triumphierend und auch beängstigend, aber nicht so tiefgehend wie zum Beispiel Schindler’s List oder Saving Private Ryan.
Wie bereits bei den Star-Wars-Episoden setzte John Williams in seiner Komposition auf Leitmotive. Insgesamt tauchen in Jurassic Park fünf Motive bzw. Themen auf, die auch für The Lost World: Jurassic Park und Jurassic Park III wichtig sind.
- Das „Insel-Thema“ hören wir zum ersten Mal, wenn der Hubschrauber Isla Nublar erreicht. Das Motiv liegt in den Bläsern und wirkt abenteuerlich und heroisch zugleich. Es strahlt Freude, Jubel und Triumph aus.John Williams lässt dieses Motiv leise in der Szene vor der Abfahrt der Tourwagen erklingen, in vollem Glanz erstrahlt es, wenn diese das „Jurassic Park Gate“ passieren. Weitere Auftritte: im Bunker (Robert Muldoon und Ellie Sattler brechen zum Generatorenhaus auf), im Kontrollzentrum (Lex hat das Computersystem wieder hochgefahren) und in der Empfangshalle des Besucherzentrums (im Finale).
- Das aus vier Tönen bestehende „Raptor-Motiv“ bildet eine Art musikalischen Rahmen für den Film. Bei der Titeleinblendung „Jurassic Park“ erscheint es zuerst und zuletzt am Schluss der End Credits. Es wirkt besonders in tiefen Lagen sehr unheimlich und steht für Gefahr, Unheil, Tod und Verderben.Weiteres Erscheinen: bei der T-Rex-Jagd mit dem Jeep, das Loch im Raptorengehege, Muldoons Tod, Küchenszene, Finale im Besucherzentrum.
- Das Jurassic-Park-Thema begleitet in voller Pracht (großes Orchester) die Begegnung der Besuchergruppe mit dem Brachiosaurier, die Nacht-Szene auf dem Baum und leitet nach dem finalen Abflug in die End Credits über. Dieses Motiv erklingt feierlich und sehr nobel.
- Das „Abenteuer-Motiv“ hat nur zwei kurze Auftritte. Es ist sehr unauffällig und besteht aus Bewegungen in den Bläsern. Zunächst begleitet es das Auffinden Ian Malcolms durch den „Rettungstrupp“ (Robert Muldoon und Ellie Sattler), dann umrahmt es die Parallelhandlung Ellie Sattler im Generatorenhaus/Alan Grant und die Kinder auf dem Starkstromzaun.
- Das „Geburt-Motiv“ hat ebenfalls nur zwei Auftritte wenn es um die Raptorenbabys geht (einmal in der Brutstation, dann in freier Wildnis).
Ein halbes Jahr nach Jurassic Park überraschten uns Steven Spielberg und John Williams mit Schindler’s List. Dieser Film war das absolute Gegenteil zu dem Dino-Blockbuster. Ähnlich verlief es mit The Lost World: Jurassic Park. Im Sommer jagte Steven Spielberg wieder Menschen über eine Insel im Pazifik, im Winter erzählte er die Geschichte vom Sklavenaufstand auf der Amistad. Interessant ist, dass er für seine Scores zu diesen „ernsten“ Filmen für den „Oscar“ nominiert wurde (bei Schindler’s List gewann er auch), dass sich aber die Adventure-Scores besser verkaufen ließen.
The Lost World: Jurassic Park ist Steven Spielbergs zweiter Aufbruch zur Dino-Insel. Die Handlung spielt nun auf Isla Sorna, einer benachbarten Insel von Isla Nublar.John Williams komponierte eine Musik, die sich sehr stark vom weitgehend lyrisch-melodischen Jurassic-Park-Score unterscheidet. Einzig das Insel-Motiv ist als Erinnerung an den alten Jurassic Park übernommen, ansonsten dominieren harte, brutale Einwürfe der Bläser über einer percussion-bestimmten Grundstimmung. Die „Themenpark-Idylle“ wird von der Charakterisierung einer wilden, abgelegenen tropischen Insel abgelöst.
John Williams führt als neues Thema das „Lost World“-Thema ein. Alleine von seinem gesamten Aufbau unterscheidet sich dieses Thema gewaltig von den eher ruhigen Melodien aus Jurassic Park. Mit einer ständig antreibenden Bewegung in den Pauken beginnt das Stück; nach dieser vielleicht fremd und ungewohnt anmutenden Eröffnung setzt dann das Orchester ein, das zunächst in tiefer Lage das Thema über den rhythmischen Untergrund legt. Der Melodieaufbau ist eher atonal und nicht so eingängig wie bei Jurassic Park. Die Rauheit und Wildnis der Insel spiegelt sich auch im ständig wechselnden Taktmaß der Musik wider.Dieses Thema erscheint bei der Ankunft des Rettungstrupps und begleitet die Szenen mit vor gefährlichen Dinos flüchtenden Menschen. In der Szene auf dem Schiff (der T-Rex frisst Ludlow und wird später von Sarah Harding betäubt) erklingt es zum vorletzten Mal, bevor es schließlich in den End Credits seinen letzten eindrucksvollen Auftritt hat.
Viel unauffälliger dagegen ist allerdings ein viertöniges Motiv, mit dem der Film beginnt. Ähnlich wie das Raptoren-Motiv aus Jurassic Park steht es vor allem für Unheil. Besondere Verwendung findet dieses Motiv in den Szenen der Raptorenjagd, in der Arbeitersiedlung und zu den finalen Szenen mit dem Tyrannosaurier in San Diego.
Wie auch bei den Superman– und Jaws-Fortsetzungen begnügte sich John Williams beim dritten Saurier-Insel-Aufguss damit, allein die Themen zu liefern. Den Score schrieb Don Davis (z. B. The Matrix, Beast). Es ist erstaunlich, wie geschickt er die bekannten „Jurassic Park“-Motive übernimmt. Zwar spielt Jurassic Park III wie The Lost World: Jurassic Park auch auf Isla Sorna – d. h. Davis hätte streng genommen das Material aus The Lost World: Jurassic Park adaptieren müssen – doch verwendet er primär zwei der Jurassic-Park-Themen (Insel- und Jurassic-Park-Motiv) und legt damit in seinem Score besonderen Wert auf einen Wiedererkennungseffekt beim Kinogänger. Hinzu kommen kurze Zitate des Geburts- und Abenteuer-Motivs, und schaffen ständige Verbindungen zum ersten Film der Saurier-Spektakel-Reihe. Teile von Don Davis’ Komposition gehen allerdings weitgehend im Dinosauriergebrüll unter. Wie auch immer: Dieser Film lebt unter musikalischen Aspekten primär durch die beeindruckende Vorarbeit von John Williams.
Zum Schluss noch ein paar persönliche Anmerkungen. Jurassic Park war der erste Kino-Film, den ich im Leben gesehen habe. Die Soundtrack-CD war dazu meine erste CD überhaupt, die Klaviernoten (ein Geburtstagsgeschenk) fast ein Heiligtum. Ich wuchs mit Jurassic Park auf und begeisterte mich vor allem für die Filme von Steven Spielberg, die ich mir dann nach und nach im Fernsehen anschaute. Erst viel später bemerkte ich, dass mir nicht so sehr die Handlung des jeweiligen Filmes durch den Kopf ging, sondern vielmehr die Musik. Ich interessierte mich seitdem besonders für den Komponisten John Williams.
Für mich sind die Scores zu den ersten beiden Jurassic-Park-Filmen immer noch die wichtigsten in meiner CD-Sammlung. Denn John Williams gelingt es mit seiner Musik einfach perfekt, die Stimmungen von Jurassic Park und The Lost World: Jurassic Park so einzufangen, dass der Film auch in der Musik lebendig wird und bleibt. Und das ist ja auch eine der wichtigen Funktionen guter Filmmusik.