Nach der Comic-Verfilmung Adventures of Tintin • Die Abenteuer von Tim und Struppi — Das Geheimnis der Einhorn ist Altmeister John Williams ein weiteres Mal für Steven Spielberg tätig geworden, für das nicht unproblematische Weltkrieg-1-Epos War Horse • Gefährten, nach dem gleichnamigen Jugendroman von Michael Morpurgo, erschienen 1982.
Kommentar zum Film
Im Mittelpunkt der Filmhandlung steht Joe, das Schlachtross, dessen Karriere allerdings zuerst friedlich, auf der Farm der Narracots am Vorabend des 1. Weltkriegs beginnt. Der junge Albert Narracot (Jeremy Irvine), schließt mit Joe Freundschaft und gemeinsam schaffen Sie es, ein mit größeren Steinen übersätes Feld zu pflügen, obwohl Halbblüter dafür weniger gut geeignet sind. Hier ignoriert der Film zum ersten Mal bereits recht einschneidend die Logik. Pflügen im starken Regen ist schon kaum machbar und wie hier der Pflug schließlich auch noch die im Wege liegenden Steine gleich mit zersäbelt, das ist schlichtweg Unsinn.
Als der Krieg ausbricht, verkauft Alberts Vater Joe an das Militär. Und an der Front in Frankreich angekommen wirkt der Hengst bei einer wiederum völlig gegen jede militärische Logik ablaufenden Kavallerie-Attacke gegen ein deutsches Lager mit. Die angreifenden Briten werden nämlich paradoxerweise erst, wenn sie durch die Deutschen hindurch und hinter dem Lager angekommen sind, von im Wald liegenden (!) MG-Stellungen unter Feuer genommen und erleiden extreme Verluste. Dass dabei die deutschen MGs ihren eigenen Leuten zwangsläufig Friendly Fire bescheren würden, scheint niemand aufgefallen zu sein. Wenn die britischen Kavalleristen zum Angriff antreten, in einem reifen Kornfeld in schönstes Sonnenlicht getaucht ihre Pferde besteigen, dann kommt ein wenig Doktor Schiwago (1967) in Erinnerung. In Leans Film handelt es sich um weißrussische Infanterie (blutjunge Militärkadetten), die durch ein Kornfeld vorrückend von einem MG-Nest der Roten Ähnliches erleiden, aber die „schönen“ Bilder gleichen sich fast aufs Haar. Es ist dieselbe gemäldehafte, eher rückwärtsgewand anmutende Ästhetik, die auch für vergleichbare Bilder mit Technicolor-Touch verantwortlich zeichnet, wie Infanterie-Marschkolonnen und Kavallerie vor der Abendsonne.
Infolge der desaströsen Kavallerie-Attacke ist der Hengst nun auf der anderen (deutschen) Seite im besetzten Frankreich angekommen und es beginnt eine Odyssee. Joe hat in Folge Begegnungen mit Franzosen wie Deutschen, in denen die früher üblichen antideutschen Klischees ausgespart bleiben, sämtliche Figuren als unter dem Krieg gleichermaßen leidende Individuen erscheinen. Die sparsam eingestreuten Frontszenen wirken dabei auch dank der vorzüglichen Tonabmischung sehr realistisch, ohne es mit drastischen Effekten zu übertreiben. Am Schluss galoppiert der Hengst durchs Niemandsland und verfängt sich im Stacheldraht. Daraus wird er in einer völkerversöhnenden gemeinsamen Aktion zwischen einem deutschen und einem britischen Soldaten mit der Drahtschere befreit. Das wiederum mag zwar gut gemeint sein, es lässt aber wiederum beträchtlich an Logik vermissen. Natürlich wird der schwer verletzte Hengst, der erstaunlicherweise sogar noch laufen kann (!), wieder gesund und trifft schließlich unter äußerst melodramatisch-rührseligen Umständen auch den mittlerweile eingezogenen Albert wieder. Am Schluss treffen Joe und Albert wieder auf der heimatlichen Farm ein. Diese Heimkehr vollzieht sich in einer Szenenfolge, deren Gestaltung geradezu frappant an die frühe, berühmte Szene aus Vom Winde verweht (1939) erinnert, wo Scarlett und ihr Vater neben einem riesigen Baum platziert, wie dieser nur als schwarze Silhouetten erkennbar sind und auf das in glutvoller Abendsonne daliegende Tara blicken. Im Spielberg-Opus fehlen nur die dunklen Wolken, als Vorboten drohenden Unheils.
Dies alles lässt, nicht nur aufgrund der erwähnten massiven Logiklöcher, den Zuschauer denn doch etwas ratlos zurück. Es wird nicht so recht klar, was Regisseur Spielberg sich dabei nun gedacht hat und was er bezwecken wollte. Was anfänglich wie eine dauerhafte Liäson zwischen Albert und Joe anmutet, zerfällt wenig später in eine episodische Erzählung, in der Albert bis kurz vor Schluss verschwunden ist und neue Figuren kommen und gehen ohne dass sie einen besonders nachhaltigen Eindruck hinterlassen. So ist der als deutscher Sympathieträger eingeführte David Kross (Krabat) bereits nach nicht einmal 20 Minuten wieder aus dem Szenario entfernt. Im Buch von Michael Morpurgo tritt das „War Horse“ Joe als aus der Tier-Perspektive und damit völlig unpolitisch, ideologiefrei und sachlich berichtender Chronist der Ereignisse auf. Das ist etwas, was einem beim Betrachten des Films nicht recht deutlich zu werden vermag. Dabei ist das Spielberg-Opus handwerklich zweifellos erstklassig gemacht. Neben bildgewaltiger Inszenierung in Kombination mit vorzüglicher Kameraarbeit ist auch die ungewöhnliche Sorgfalt in der Ausstattung bemerkenswert. Man sieht z. B. beim Ziehen der Kanonen die deutschen Soldaten nicht nur mit originalgetreuen deutschen Weltkrieg-I-Stahlhelmen versehen, sondern diese sind zum Teil auch mit der damals neuartigen, seitlich eingehakten zusätzlichen Stirnpanzerplatte ausgerüstet. Das ist ein Detail, das in Weltkrieg-I-Filmen praktisch immer vernachlässigt wird. Ob das zweifellos Ansehnliche in Spielbergs War Horse jedoch für einen wirklich guten, gar preiswürdigen Film ausreicht, das mag jeder für sich entscheiden.
Die Musik zu War Horse von John Williams
Im Gegensatz zum nur in Teilaspekten befriedigenden Film ist die Musik von Altmeister John Williams eine besonders feine, runde Sache geworden. Auch War Horse ist sicher eher ein resümierendes Alterswerk eines großen Könners des Metiers als ein nochmaliger Aufbruch zu neuen Ufern. Im Umfeld des aktuellen US-Blockbuster-Scorings betrachtet, steht dem Interessierten somit ein sehr nostalgisch geprägtes Hörerlebnis alter Schule ins Haus.
Die zweite Williams-Filmmusik des Jahres 2011 empfängt mit ausgedehnt pastoralem Flair, dessen betont britische Färbung ganz besonders auf Ralph Vaughan Williams verweist. Die stilistischen Bezüge zur Musik des großen britischen Tonsetzers passen zur Zeit der Filmhandlung und sorgen somit für ein überzeugend typisches klangliches Flair von Joes Heimat, der unverwechselbaren englischen Landschaft. Und ähnlich wie das Spätwerk von Ralph Vaughan Williams eher Reminiszenzen an vorausgegangene Werke enthält denn Novität, so bewegt sich auch John Williams bei War Horse auf insgesamt vertrauten Pfaden. Dies freilich, ohne dass man hierbei von ausgetretener Routine sprechen mag. Besonders stark fühlt man sich dabei an Born On The Fourth Of July (1989), Far And Away (1992) und Saving Private Ryan (1998) erinnert.
Die Freunde der so markant-typischen, unmittelbar einprägsamen Williams-Themen werden in War Horse besser bedient als bei Tintin. Maestro Williams präsentiert neben verschiedenen Motiven mindestens vier breiter angelegte Gedanken, von denen zwei die besonders bestimmenden Hauptthemen bilden. Das eröffnende Flötensolo in „Dartmoor 1912“ gemahnt stark an Vaughan Williams Tondichtung The Lark Ascending. Die sich im Anschluss entfaltende Streichermelodie, deren Arrangement an Greensleeves von Vaughan Williams erinnert, steht für Joeys Heimat, die Region Dartmoor und die Narracot-Farm. Entsprechend bedeutend ist das für die Freundschaft zwischen Joe und Albert stehende Thema, das erstmals im letzten Drittel des bereits genannten „Bringing Joe Home and Bonding“ (Track 3) erklingt.
Und wenn in (Track 3) auf der Farm der Narracots eine Ente ihren Auftritt erhält, spiegelt Williams dazu, wie auch bei anderen Gelegenheiten, die Stilismen Prokofjews. Hier gerät das von Figuren der Querflöte umspielte Oboenthema geradezu zur augenzwinkernden Anspielung auf „Peter und der Wolf“. Zugleich ist Track 3 ein schönes Beispiel dafür, wie geschickt Williams seine Themen handhabt, indem er sie auch quasi ineinanderfließend besonders elegant miteinander zu verknüpfen versteht.
Im mittleren Drittel, wenn der Krieg das Geschehen bestimmt, treten die genannten tragenden Themen praktisch völlig zurück. Ein an ein militärisches Trompetensignal erinnerndes Kriegsmotiv betritt das Geschehen. In „Joes new Friends“ kehrt die pastorale Stimmung nur kurzzeitig zurück, um die Tragik in der militärischen Auseinandersetzung der Nationen in „Pulling the Canon“ und „No Mans Land“ mit betont rhythmischen und Williams-typischen Action-Standards kulminieren zu lassen. Hierbei klingt es auch ein wenig nach Star Wars: Episode III — Revenge of the Sith. Wobei im Höhepunkt von „No Mans Land“ eine trotzige Variante des Dartmoor-Themas in den Hörnern aufscheint, wenn Joe versucht von den deutschen Linien zu den englischen durchzubrechen. Das zwischen beiden Stücken platzierte „The Death of Topthorn“ bietet dazu einen fast choralhaft anmutenden, etwas an Barber gemahnenden betont elegischen Kontrast.
Die letzten drei Albumtracks „The Reunion, Remembering Emilie und Finale & The Homecoming“ bilden das letzte Drittel des Albums. Sie sind ein stimmungsvolles und klangschönes Resümee der Filmkomposition und wären zusammen mit dem vorangestellten Eröffnungsstück „Dartmoor 1912“ bereits in der Lage, als rund 20-minütige große Konzertsuite ein Eigenleben zu führen. Sehr emotional, dabei jedoch klare Distanz zur Kitschgrenze haltend, führt und fasst Williams auf seine ganz unverwechselbare Art hier noch einmal das Wichtigste der Komposition, darunter natürlich die beiden tragenden Themen, das für Dartmoor und das für die Freundschaft von Albert und Joe stehende, delikat zusammen.
Wertungstechnisch ist es sicher sinnvoll, die drei letzten Williams-Musiken zusammen zu betrachten. Ich denke, dass im Kontext [url id=3091]Indiana Jones und das Königreich des Kristallschädels[/url] bei glatten vier Cinemusic.de-Sternen stimmig platziert ist. Tintin und War Horse halten diesen Level nicht nur, sie liegen m. E. letztlich doch noch eine deutliche Nuance darüber. Dabei vermögen diese beiden allerdings, insbesondere bei den ersten Höreindrücken individuell sicher deutlich unterschiedlich zu gefallen. Bei eingehenderer Beschäftigung muss man beiden aber ein vergleichbar hohes Maß an Professionalität und kompositorischer Eleganz in der Gestaltung und Ausführung attestieren. Für alle drei Werke gilt im Übrigen, dass sie virtuoses klassisches Orchesterhandwerk bieten, wie man es anderweitig derzeit kaum noch zu hören bekommt. Somit erachte ich für War Horse und letztlich auch Tintin viereinhalb Sterne als passend.
Fazit: John Williams (•1932) belegt nach Adventures of Tintin • Die Abenteuer von Tim und Struppi — Das Geheimnis der Einhorn auch mit seiner Musik zu War Horse • Gefährten, dass er keineswegs zum „alten Eisen“ gehört. Er beweist vielmehr aufs Neue, dass die alte Komponistenschule Markantes zu bieten hat. Diejenigen, die besonders die so Williams-typischen, markanten Themen schätzen, kommen hier in ganz besonderem Maße auf ihre Kosten. Für sie dürfte War Horse insbesondere wegen seiner über weite Strecken ausgeprägten klanglichen Schönheit das Zeug zum Top-Filmmusikalbum der letzten Zeit besitzen.
Dieser Artikel ist Teil unseres Spezialprogramms zu Ostern 2012.
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