Wallenstein

Geschrieben von:
Michael Boldhaus
Veröffentlicht am:
21. Mai 2010
Abgelegt unter:
DVD

Film

(6/6)

Bild

(3.5/6)

Ton

(3.5/6)

Extras

(3.5/6)

Denkt man an Schillers Dramentrilogie, so war Golo Mann (1909—1994), drittes Kind des Schriftstellers Thomas Mann (Autor von „Buddenbrooks“) und seiner Frau Katia, nicht der Erste, der sich mit dem Leben des halb deutschen, halb tschechischen Edelmanns aus Böhmen, des so berühmten, wie berüchtigten Albrecht Wenzel Eusebius Wallenstein (1583—1634), der ursprünglich Waldstein hieß, auseinandergesetzt hat. Der knapp 1400 Seiten umfassende Wälzer, „Wallenstein: Sein Leben erzählt von Golo Mann“ erzeugte beim Erscheinen 1971 einiges Aufsehen in den Medien. Das Buch entwickelte sich darüber hinaus mit mehr als 2 Millionen verkaufter Exemplare nicht allein zu einem Bestseller der modernen Geschichtsschreibung, sondern ebenfalls zu einem der größten Bucherfolge in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts.

3927Golo Manns „Wallenstein“ ist in einem bild- wie wortgewaltigen und zugleich kunstvoll verschachtelten Sprachstil gehalten, der auch gewisse Ansprüche an den Leser stellt. Für Mann war die Erforschung dieser berühmten historischen Figur eine Herzensangelegenheit, eine, die er bereits als junger Mann begonnen und über 30 Jahre praktiziert hat. Für ihn war Geschichtsschreibung eine psychologisierende, biografische Erzählung: ein „wahrer Roman mit Lücken“. Doch das weithin als ein Meisterwerk erzählender Geschichtsschreibung angesehene Werk erfreute sich im Kreise seiner Historikerkollegen keiner ungeteilten Zustimmung. Die mitunter spöttelnde Kritik reichte von der Bezeichnung des Autors als „Goldrähmchenerzähler“ bis zur Anspielung auf seines Vaters Roman „Lotte in Weimar“ mit „Lotte in Eger“. Was den sich dahinter verbergenden Vorwurf einer nicht streng objektiv-wissenschaftlichen Arbeitsweise in der Darstellung angeht, liefern besonders Exkurse ins Spekulative Angriffsflächen, wie die in Form eines fiktiven Monologs in den Nachtphantasien Wallensteins Wort werdenden Gedanken.

Wer Geschichte in derart akademischer, aber gewiss nicht trockener Darstellung erzählt bekommen mag, für den wird Golo Manns „Wallenstein“ in jedem Fall zur äußerst gewissenhaften, kenntnisreichen Studie, in der die ermittelten Fakten für den Leser zum faszinierend lebendigen, packenden Geschichtsszenario verdichtet sind. Hierzu passen im Übrigen auch die Feststellungen des Historikers Marcus Junkelmann, der in seinem Buch „Hollywoods Traum von Rom“ die Arbeit eines Filmregisseurs mit der des Historikers vergleicht: „In mancher Hinsicht weisen die Tätigkeiten des Historikers und des Filmemachers größere Ähnlichkeit miteinander auf, als beide Seiten es oft wahrhaben wollen. Auch der Geschichtsschreiber muss aus der Fülle seines Materials auswählen, auch er muss raffen, ordnen, Schwerpunkte setzen, in gewisser Weise dramatisieren, gerade wie seine Kollegen von der Filmbranche […]. Und natürlich bildet schon aus diesem Grund die absolute, unmanipulierte Objektivität der Darstellung für den einen wie für den anderen auch bei ehrlichstem Bemühen ein unerreichbares Ideal.“

Nur sieben Jahre nach dem Erscheinen des Buches inszenierte der Fernsehpionier Franz Peter Wirth (1919—1999) ein aus der Vorlage erarbeitetes Drehbuch des Schriftstellers Leopold Ahlsen (*1927). Ahlsen verfasste zahlreiche Hör- und Fernsehspiele, Dramen und Schulfunksendungen. Und so heißt es sinnig im Rollenvorspann „nach der Biografie von Golo Mann, erzählt von Leopold Ahlsen“.

Mit einem qualifizierten Ensemble erstklassiger Darsteller ging man ans Werk. Mit Schauspielern, die es in bester Theatertradition nicht nur verstehen mit Ausdruck zu sprechen, sondern außerdem durch eine wohlbalancierte Mimik und Gestik Situationen glaubwürdig und zugleicht packend zu gestalten.

3928Allen voran Rolf Boysen in der Titelrolle — der übrigens am 31. März 2010 seinen 90. Geburtstag beging. Er besitzt nicht nur eine markante Stimme. Boysen vermag es darüber hinaus in ganz besonderem Maße den gesprochenen Worten zusammen mit seinem physischen Auftreten meisterlichen Ausdruck zu verleihen. Keiner der insgesamt hochkarätigen Besetzungsliste zeigt Schwächen, aber insbesondere Rolf Boysen sticht hervor, indem er der Figur des Herzogs von Friedland eine geradezu unverwechselbare Präsenz und Aura verleiht: Rolf Boysen ist Wallenstein! Ihm zur Seite stehen z. B. Romuald Pekny als Kaiser Ferdinand II., Werner Kreindl als Bayernherzog Maximilian I., Ernst Fritz Fürbringer als General Tilly und Wolfgang Preiss als Graf Thurn.

Zur Riege erstklassiger Darsteller kommt noch eine entsprechende Akkuratesse in den anderen Dingen hinzu, die eine gelungene Produktion auszeichnen. So hat man die Drehorte äußerst sorgfältig ausgewählt. Dabei war es nur in Ausnahmefällen möglich, an Originalschauplätzen zu filmen. Meist musste zum historischen Ort der Handlung eine in etwa entsprechende Alternative gefunden werden. Da bekam dann der Architekt Götz Weidner meist noch einiges zu tun, denn immer war etwas wegzumogeln, damit in der Gesamtansicht keine unhistorischen Objekte störten. Im in Böhmen, nahe der österreichischen Grenze gelegenen Örtchen Slavonice war der mittelalterliche Marktplatz noch praktisch im Original erhalten — was übrigens in etwa auch heutzutage noch gilt. So konnte dort ein Feldlager im Stil des Dreißigjährigen Krieges nachgestellt werden.

Noch zu erwähnen wäre ein weiterer entscheidender Kostenfaktor in der Umsetzung historischer Stoffe: die in beträchtlicher Zahl benötigten originalgetreuen Kostüme, für etwa 50 tragende Rollen, etwa 100 Episodenrollen sowie für die immerhin etwa bis zu 400 Komparsen. Bereits damals war dafür im Schnitt zwischen 4000 und 8000 DM zu veranschlagen. Alles in allem belief sich der Produktionsaufwand auf schon seinerzeit sehr beachtliche 6 Millionen DM. Schlachttableaus mussten freilich ausgespart bleiben. Doch auch dies wird recht geschickt kaschiert, indem man verschiedentlich kleinere militärische Formationen Kavallerie oder Infanterie ins Bild rückt oder in Fähnleinstärke Gefechtsübungen durchführen sieht. Der renommierte Kameramann Gernot Roll sorgte darüber hinaus für häufiger prachtvolle gemäldeartige Bildkompositionen, die in ihrem Glanz an klassische Leinwandepen erinnern, z. B. bei Szenen in der bayrischen Residenz oder beim Kurfürstentag zu Regensburg 1630.

3929Neben der sorgfältigen, auf historische Genauigkeit Wert legenden Kostümierung, der Ausstattung sowie den entsprechend gewählten Drehorten kommt aber noch ein weiterer Punkt zum Tragen. Leopold Ahlsen hat in den von ihm aus Golo Manns Erzählung erschaffenen Dialogen die verschnörkelte Sprache der Zeit, das Barockdeutsch mit den typischen Archaismen in Teilen des Vokabulars sowie der gezierten Syntax — im Rahmen des sinnvoll Machbaren — gespiegelt. Das sorgt in beträchtlichem Maße für Atmosphäre. Es unterstreicht gegenüber dem Zuhörer/-schauer die große zeitliche Distanz zum abgebildeten historischen Geschehen und damit zugleich das Gefühl von Authentizität.

Eugen Thomass (1927—2009), ein versierter Filmkomponist, der insbesondere für das Fernsehen gearbeitet hat, schuf zum Vierteiler eine sparsame Musikbegleitung, die in erster Linie auf adaptierte Originale der Ära der Filmhandlung setzt.

Die Ereignisse werden im Kontext der Vorbedingungen betrachtet sowie Verlauf und Motivationen der Beteiligten exzellent analysiert und herausgearbeitet. Die TV-Umsetzung von Golo Manns Wallenstein wird so zum faszinierenden Zeitbild, indem zwar sicher nicht jedes Detail stimmt, das aber insgesamt doch sehr stimmig erscheint. Im TV-Vierteiler wird der Zuschauer im ersten Teil mit den zum großen Krieg führenden Hintergründen vertraut gemacht. Wallenstein spielt dabei zuerst nur eine gehobene Nebenrolle. Er wird behutsam eingeführt, wobei das späterhin in vielem so Bedeutende des späterhin Herzogs von Friedland dann ab dem zweiten Teil besonders klar hervortritt.

Golo Mann zeichnet das Leben Wallensteins allerdings längst nicht nur unter dem Aspekt seines militärischen Aufstiegs zum kaiserlichen Generalissimus. Er zeigt ihn zugleich als versierten Organisator, was sich allerdings nicht auf das Heereswesen beschränkte. Er war außerdem ein ökonomisch fähiger Kopf, mit ausgeprägtem Sinn fürs Geschäft. Den allermeisten seiner konfessionell eher fanatischen Zeitgenossen war er im Weitblick beträchtlich voraus und besaß das Zeug zum Staatsmann. Wallenstein war allerdings kein Gutmensch und würde heutzutage wohl kaum zu den Sympathieträgern zählen. Im Umgang mit seinen Mitmenschen war er nämlich keineswegs zimperlich, besaß ein unangenehm herrisches, schnell jähzorniges Auftreten. Im Ausnutzen von „Gelegenheiten“ sich zu bereichern, war er besonders geschickt und rücksichtslos: „Was ich nicht nehme, nimmt sich ein anderer“. Indem er Situationen klar und nüchtern beurteilte und entsprechend pragmatisch handelte, gelang es ihm wiederum, die Gier im Zaum zu halten, wenn er daraus Nutzen ziehen konnte. Er schaute nicht auf die Religionszugehörigkeit, sondern allein auf die Fähigkeiten derer, welche er anwerben wollte. Indem er gute Behandlung und guten Lohn garantierte, gelang es ihm dauerhaft, fähige Handwerker ins Land zu holen und die Wirtschaft in einem bislang ungeahnten Maße anzukurbeln. Wallenstein war nicht nur in der Lage, eine für die damalige Zeit unerhörte Streitmacht von 80.000 Mann aus dem Boden zu stampfen. Er baute dafür auch ein Versorgungssystem aus eigenen Manufakturen, eine spezielle „Rüstungsindustrie“ inklusive eines Netzes von Verkehrswegen (gut ausgebauter Straßen etc.) auf: Seit der Antike hatte es Derartiges so nicht mehr gegeben. Das Herzogtum Friedland wurde so zu einem für seine Zeit modernen Musterländle und sein Landesherr bald zum vermögendsten und auch mächtigsten Mann des Reiches, zu einem, der es wagte, sogar dem Kaiser zu widersprechen. (Dass Wallenstein im Verlauf seinen Herrschaftsbereich noch durch das Fürstentum Sagan und das Herzogtum Mecklenburg erweiterte, sei nur angemerkt.) „Invita Invidia — Dem Neide zum Trotz“ war der von ihm selbst gewählte Wahlspruch.

Natürlich musste für die TV-Adaption — die allerdings in vielem durchaus Kinoqualität besitzt — aus der umfangreichen Vorlage Manns ausgewählt werden. Vieles musste komplett entfallen, anderes stark, mitunter bis zur geschickt platzierten Randbemerkung verkürzt werden. Das Kunststück, daraus einen für sich genommen immer noch stimmigen Handlungsrahmen zu erhalten, ist Leopold Ahlsen perfekt gelungen. Der TV-Vierteiler bringt auch ein paar sicher spekulative, aber interessante Details vom „Zukunftweisenden“ des Generalissimus geschickt verpackt in mitunter nur kleine Dialoge herüber, z. B. in der Frage an den Herzog: „Meint Ihr’s im Ernst, dass die Tüchtigkeit herrschen sollte und nicht die Geburt? Ja, wäre es ohne Vernunft?“ Dafür war er allerdings ganz besonders scharf darauf, durch vom Kaiser verliehene Titel aus der Masse hervorgehoben zu werden, um über seinen Mitmenschen zu stehen.

In einem Punkt allerdings war der Herzog in ganz besonderem Maße ein Kind seiner Zeit: Er besaß nämlich einen ausgeprägten Hang zur Astrologie, wollte die Zukunft im Vorhinein kennen. Ahlsen arbeitet auch diesen Anachronismus im in vielem aufgeklärten, rationalen Wesen Wallensteins sehr schön heraus, im Dialog mit dem berühmten Astronomen und Astrologen Johannes Kepler, wo dieser eher abschätzig davor warnt, allein auf die Sterne zu vertrauen, die Zukunft läge in den Dingen selbst.

Golo Mann und ebenso der TV-Vierteiler spannen den zeitlichen Rahmen bis zur Ermordung des seinen Gegnern unliebsam, ja gefährlich erscheinenden Herzogs, der Frieden machen will und damit in Opposition zum Kaiser steht, am 25.2.1634 in Eger. Es entsteht ein faszinierendes Zeit-Bild der ersten Hälfte des Dreißigjährigen Krieges, das in den jeweiligen Motivationen und den daraus resultierenden Handlungen der Akteure zudem bemerkenswert allegorische Züge besitzt. Dabei ist die packende Fernsehverfilmung nicht zuletzt dazu geeignet, auf das Buch Golo Manns neugierig zu machen.

Wallenstein auf DVD

3930Das DVD-Set präsentiert den ZDF-Vierteiler in sehr ordentlicher Bildqualität. Farben und Kontrast sind gut, für die Schärfe gilt das besonders für vorn im Bild platzierte Personen, in deren meist prächtigen Kostümen auch so manches Detail erkennbar ist. Besonders in dunkleren Szenen hingegen wirken die Konturen häufiger recht weichgezeichnet, was nicht einfach durch entsprechende Filter gewollt ist. Hier zeigen sich halt die Grenzen der der Produktion offenbar als Ausgangsmaterial zugrunde liegenden Videomaster. Diese sind für sich genommen solide. Sie liegen aber qualitativ unterhalb der Möglichkeiten des DVD-Standards und sind erst recht im Zeitalter von High-Definition nicht mehr auf der Höhe der Zeit. Insofern präsentiert diese DVD-Edition den Wallenstein „nur“ in freilich sehr respektabler klassischer TV-Qualität. Nichts zu beanstanden gibt’s beim überaus klaren und voll wirken Mono-Ton.

Auf DVD 4 gibt’s als Bonus ein sehenswertes Porträt, „Golo Mann, porträtiert von Günter Grass“, das etwa 1968 entstanden ist. Das in Schwarz-Weiß aufgenommene Videomaterial kann sein Alter nicht verleugnen. Qualitativ ist es nur passabel, bewegt sich auf mittlerem VHS-Niveau. Aber dafür handelt es sich inhaltlich um ein wertvolles Zeitdokument. Hinzu kommt ein nicht nur optisch sehr ansprechend gestaltetes 24-seitiges Begleitheft, das neben Bildmaterial aus zum Zeitpunkt der Erstausstrahlung von ZDF und ORF herausgegebenen Presseinfos zusammengestellt ist. Neben einem Abriss zum historischen Hintergrund plaudern sowohl der Drehbuchautor Leopold Ahlsen als auch der Produzent Helmut Pigge unterhaltsam und informativ aus dem Nähkästchen.

Fazit: Endlich! Nachdem es sämtliche Weihnachtsvierteiler längst auf das Medium DVD geschafft hatten, ist jetzt ebenfalls der exquisite Wallenstein-Vierteiler in einer sehr ordentlichen DVD-Edition greifbar. Es bleibt freilich zu hoffen, dass das ZDF mittelfristig dem beim TV-Klassiker So weit die Füße tragen praktizierten Beispiel folgt und auch das Filmmaterial des Wallenstein neu abtasten lässt, damit so auch dieses Highlight des TV-Dokumentarspiels für die HD-Ära salonfähig wird.

Zur Erläuterung der Wertungen lesen Sie bitte unseren Hinweis zum Thema „Blu-ray-Disc versus DVD“.

Dieser Artikel ist Teil unseres Spezialprogramms zu Pfingsten 2010.

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Erschienen:
2010
Vertrieb:
Pidax Film, S.A.D. Home Video
Kennung:
4-DVD-Set
Zusatzinformationen:
D, 1978

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