Dass die Erdoberfläche zu rund 70 % aus Wasser besteht, weiß fast jeder Heranwachsende, aber die wahren (Tiefen-)Dimensionen der Ozeane und was sich in ihnen verbirgt, das ist trotz ambitionierter früherer Arbeiten, wie denen von Jacques Costeau, bislang nur ansatzweise überhaupt erforscht worden. Verblüffende Tatsache ist: Wir wissen über die Meere unseres aus dem All betrachtet so unverwechselbar blau bis türkis funkelnden Planeten weniger als über die Oberfläche des Mondes. Wer macht sich schon bewusst, dass der tiefste Punkt im Ozean rund 11 Kilometer unter dem Meeresspiegel liegt — so tief wie der Mount Everest und der Mont Blanc zusammen hoch sind? Und dass rund 60 % der Weltmeere Tiefen größer als 1500 Meter aufweisen, Zonen, in denen völlige Dunkelheit herrscht? Wer ahnt schon, dass beispielsweise das auf Fischmärkten angebotene weiße Fleisch des aus diesen tiefen Regionen stammenden Granatbarsches von einem Tier stammt, das vermutlich 150 Jahre alt werden kann; und wer hat zuvor die wie eine exotische farbige Blüte anmutenden Röhrenwürmer zu Gesicht bekommen?
Das Wasser ist nicht allein die Wiege des Lebens, die Ozeane unseres Raumschiffs Erde beherbergen insbesondere in den dunklen Regionen der Tiefsee Geheimnisse, die niemals zuvor je ein Mensch gesehen hat. Die Erforschung dieser im wahrsten Wortsinn düsteren Welten der Meere steht immer noch am Anfang, hat aber bereits zu faszinierenden Erkenntnissen geführt. Der Zuschauer begegnet im finsteren Abgrund durchscheinenden, außergewöhnlichen Lebewesen. Diese sind von mitunter grotesker Häßlichkeit, wirken wie nicht von dieser Welt und sind zum Teil mit rasiermesserscharfen Zähnen ausgerüstet. Andere wiederum zeigen, wenn in der Dunkelheit Licht auf sie fällt, beeindruckende Farben und/oder erzeugen Licht durch biochemische Reaktionen.
Eine Voraussetzung, in großen Wassertiefen von über 4000 Metern überhaupt derartige Aufnahmen machen zu können, ist modernste Technik. Immerhin bedeuten jeweils 10 Meter Wassertiefe eine Druckzunahme von einer Atmosphäre — was einer zusätzlichen Belastung von 1 kg pro Quadratzentimeter entspricht. So kommen gewaltige Drücke und entsprechend große auf die Fläche wirkende Kräfte zusammen, für die ein normaler menschlicher Taucher einfach nicht mehr geschaffen ist.
In der Serie werden neben der Tiefsee und dem weiten offenen Ozean, die Meere der gemäßigten (Temperatur-)Zonen und ebenso die Polarmeere charakterisiert. Und außerdem gibt es Einblicke in das Leben an Felsküsten, auf Korallenriffen und in die Vielfalt der tropischen Mangrovensümpfe und Seegraswiesen — wichtige Puffer zwischen zerstörerischem Ozean und Land. Insgesamt entsteht ein beeindruckendes Gesamtbild, bei dem urwüchsige Pracht und Schönheit und ebenso gnadenloser Überlebenskampf sowie Naturgewalt dicht nebeneinander stehen.
Unter den ehrgeizigen und teuren Naturfilmprojekten der BBC markiert Unser blauer Planet zusammen mit dem eng verwandten und ebenfalls von Alastair Fothergill realisierten Kino-Event Deep Blue derzeit zweifellos die Topliga. Das Gezeigte kommt in Form einer lehrreichen und zugleich unterhaltsamen High-Tech-Wissenschaftsshow daher: die zum Teil sehr aktuellen Erkenntnisse sind sorgfältig populärwissenschaftlich aufbereitet und werden keineswegs betulich, sondern vielmehr sehr lebendig und damit packend präsentiert. Bekanntes, wenig Geläufiges und Unbekanntes passiert Revue. Kaum etwas davon erscheint einem als Déjà-vu. Das gilt selbst für die die TV-Serie eröffnenden Bilder der Meeresbrandung — ein toller Moment dieser Bilderfolge ist links neben dem Titelblatt zum ersten Kapitel des Begleitbuchs abgebildet. Hier schaut die Kamera aus ungewöhnlicher Perspektive, nämlich von der Seite in die sich brechende Welle hinein: der verblüffte Zuschauer ist (natürlich besonders im Film) förmlich mit dabei, wie der Wellenkamm überschlägt und das Objektiv kurzzeitig im Brecher und damit unter Wasser verschwindet.
Mehrteilige Rezension:
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