Der blaue Engel

Geschrieben von:
Michael Boldhaus
Veröffentlicht am:
2. Dezember 2005
Abgelegt unter:
DVD

Film

(4.5/6)

Bild

(4/6)

Ton

(2.5/6)

Extras

(5/6)

Der blaue Engel

„Nimm dich in acht vor blonden Frauen, sie haben so etwas Gewisses“, sang die Schauspielerin, der Josef Vilsmayer in seinem Film Marlene (2000) ein charmantes Denkmal gesetzt hat. Die Rede ist natürlich von Marlene Dietrich (1901-1992). „Ihr Name beginnt wie ein Liebeslocken und endet wie ein Peitschenknall“ sagte Jean Cocteau über die preußische Madonna, die zum einzigen glamouröse Weltstar avancierte, den der deutsche Film bisher hervorbrachte.

Entdeckt hat sie der amerikanische Regisseur Josef von Sternberg Ende 1929 in Berlin, doch niemand bei der Ufa wollte die angeblich untalentierte Revuesängerin einsetzen. Sternberg setzte sich durch und begründete mit dem ebenso berühmt gewordenen Film Der blaue Engel sowohl den Weltruhm der Dietrich als auch den des Romanciers Heinrich Mann, auf dessen im Jahr 1905 erschienenen satirischen Roman „Professor Unrat“ der Film beruht.

In der berühmten Geschichte vom Tingeltangel-Mädchen Lola Lola und dem Gymnasiallehrer Professor Rath nimmt Mann die verlogene Spießermoral der wilhelminischen Ära aufs Korn. Ein altmodisch biederer und betulich wirkender Lehrer erliegt selbst den Reizen der frechen „Lola Lola, dem Liebling der Saison“, vor der er seine Schüler schützen will. Professor „Un-Rat“ wird zur tragikomischen Figur: Er muss den Schuldienst quittieren und heiratet seine Lola, die dies eher belustigt. Er muss schließlich erkennen, dass der Athlet Mazeppa (Hans Albers) Lolas neuer Favorit ist. Emil Jannings gelingt es den Abstieg Raths vom geachteten Gymnasiallehrer zum Clown einer Kabaretttruppe und dessen tragischen Untergang sehr überzeugend darzustellen. Seine eindringliche Darstellung des Professors „Un-Rat“ ist nur anfänglich komisch und gerät (trotz gewisser Überzeichnung) letztlich zur erschütternden Charakterstudie. Marlene Dietrich verkörpert ebenso eindringlich einen amoralisch und kühl erscheinenden Frauentyp, der mit seinen Verehrern kalt lächelnd zu spielen vermag.

Auch filmisch ist Der blaue Engel dank geschickten Ausleuchtens bemerkenswert. Regisseur Sternberg und die Kameraleute Günther Rittau und Hans Schneeberger schafften in ihrem Erzähl- und Inszenierungsstil eine vom Theater eindeutig abgesetzte Künstlichkeit der Bilder, deren in der Lebendigkeit des Gezeigten liegende Qualität erst späterhin als kinotypisch anerkannt wurde. Die als Hintergrund der Handlung dienende (wohl norddeutsche) Kleinstadt unterstreicht noch das Artifizielle. In ihren unwirklich übersteigerten, caligaresken Kulissen mit verwinkelten Gassen, abgelichtet in oftmals schiefen Perspektiven, spiegelt sich der Geist des Expressionismus. Für die UFA wurde Der blaue Engel zum weltweiten Riesenerfolg, der zusätzlich beträchtliches internationales Renommee einbrachte.

Zum 100. Geburtstag der Dietrich im Jahr 2001 hat Universum Film Der blaue Engel als Doppel-DVD-Edition veröffentlicht. Man bekommt aber nicht nur den Film zu sehen, sondern Obendrein gibt’s noch ein charmantes Kuriosum par Excellence dazu: die für den US-Markt parallel gedrehte englische Fassung The Blue Angel. Das Bonusmaterial bietet übrigens auch den Parallel-Vergleich einer Szene aus beiden Fassungen. Hier kann man sich die mehr oder weniger dezenten Unterschiede beider Versionen verdeutlichen.

Offenbar sind die zur Verfügung stehenden Materialien nicht mehr in besonders gutem Zustand. Wie besonders im ersten Viertel des Films an Rest-Artefakten erkennbar, ist partiell entweder nicht optimal gearbeitet worden oder die digitalen Fehlerkorrekturprogramme sind an ihre Grenzen gestoßen. Was die Nachbearbeitung beim Bild bewerkstelligen konnte, ist unterm Strich aber schon beachtlich, reicht von Befriedigend bis Gut. Das in der Werbung zur DVD-Edition bemühte Attribut „vollständig restaurierte Fassung“ wirkt hierbei allerdings doch etwas zu hoch gegriffen. Auch wenn die Brillanz des Bildes der Restaurationen von Metropolis oder Dr. Mabuse, der Spieler nicht annähernd erreicht wird (werden konnte?), sind doch die Finessen der Inszenierung und der effektvollen Kameraarbeit jetzt fast durchweg erheblich besser erkenn- und nachvollziehbar als früher. Der Ton dieses allerersten Ufa-Tonfilms ist besonders überzeugend. Dank sorgfältiger Nachbearbeitung kommt er sogar erfreulich klar und sauber herüber.

Die Begegnung mit The Blue Angel wirkt heutzutage letztlich haarsträubend: Abgesehen von Jannings bringt kaum einer der Schauspieler ein akzeptables Englisch zuwege. Neben dem teilweise starken Akzent überrascht, dass die Dialoge noch zu etwa einem Drittel in Deutsch gesprochen werden. Dabei dürfte letztlich kaum ein Betrachter ernst bleiben können: Schmunzeln, ja, auch herzhaftes Lachen ist für manch einen wohl kaum zu vermeiden. Dass selbst international die deutsche Fassung (wie in den Infos vermerkt) die beliebtere ist, ist denn auch nur allzu verständlich.

Sehr aufschlussreich und damit wertvoll ist der zur deutschen Fassung wählbare Audikommentar des Filmhistorikers Werner Sudendorf. Dieser hält auch für den, der Der blaue Engel bereits zu kennen glaubt, noch so manch Wissenswertes und Überraschendes bereit.

Der Film begründete nicht nur den Ruhm der Dietrich als Vamp, sondern machte auch Friedrich Hollaender (den späteren Frederick Hollander) als Song-Komponisten berühmt, denn wer kennt nicht die berühmten Songs wie „Ich bin die fesche Lola“, „Nimm dich in acht vor blonden Frauen“ und natürlich „Ich bin von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt“. Und mit von der Partie ist auch eine der populärsten Jazzgruppen im Berlin jener Zeit, die „Weintraubs Syncopaters“. Wie Hollaender sollte auch ein bei besagter Jazzformation als Pianist tätiger Schlesier späterhin Hollywood bereichern: Franz Wachsmann, der ebenfalls vor den Nazis floh und im US-Exil seinen Nachnamen in Waxman änderte.

Wer sich mit Der blaue Engel beschäftigen möchte, dürfte mit der vorliegenden DVD-Edition sehr zufrieden gestellt werden, auch wenn das auf dem Cover angegebene Bildformat von 1 : 1,19 (entgegen den Angaben zur Restaurierung im Faltblatt, s. u.) dem TV-Vollbild von 1: 1,33 angepasst worden ist. Immerhin ist man dabei behutsam vorgegangen und hat auffällige Beschneidungen des Bildes vermieden — hierzu siehe auch Das Testament des Dr. Mabuse.

Das Bonusmaterial hält recht ausführliche Infos auf Texttafeln mit mehr als 30 Biografien sowie einer Chronik zur Filmproduktion bereit. Interessant ist auch die Probeaufnahme der Dietrich zu Der blaue Engel. Zur deutschen Fassung ist außerdem ein Audiokommentar vom Leiter der Marlene-Dietrich-Collection, Werner Sudendorf, abrufbar. Eine Fotogalerie, zwei Trailer (aus den 1930er und 1960er Jahren) sowie einige Auszüge aus Bühnenauftritten der Dietrich aus den 1970ern runden den soliden Eindruck ab. Ein dreiseitiges Faltblatt fungiert als Begleitheft: Es verschafft Überblick über das auf den beiden DVDs Gebotene und wartet zudem mit knappen Produktionsnotizen auf.

Weiterführende Links:

Dieser Artikel ist Teil unseres umfangreichen Programms zum Jahresausklang 2005.

Erschienen:
2001
Vertrieb:
Universum
Kennung:
(2-DVDs) 74321 83974 9
Zusatzinformationen:
D 1930

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