The Sand Pebbles (Varèse Club)

Geschrieben von:
Michael Boldhaus
Veröffentlicht am:
24. August 2002
Abgelegt unter:
CD

Score

(6/6)

The Sand Pebbles • Kanonenboot am Yangtse-Kiang (1966) ist die filmische Umsetzung des Romans von Richard McKenna — erschienen: international 1962, in Deutschland 1964 unter dem Titel „Die Sandjacken“. Die Story des Films ist angesiedelt im von Unruhen erschütterten China der 20er Jahre des vergangenen Jahrhunderts. Vor dem Hintergrund revolutionärer Ereignisse in einem seit dem Opiumkrieg von ausländischen Mächten ausgebeuteten, zugleich von innerem Aufruhr zerrissenen Landes tritt der Maschinen-Maat Jake Holman (Steve McQueen) seinen Dienst auf dem kleinen US-Kanonenboot „San Pablo“ an. Dort freundet er sich mit dem ebenfalls im maschinentechnischen Dienst tätigen Frenchy Burgoyne (Richard Attenborogh) an. Beide werden zu Protagonisten im elegant gestalteten filmischen Mikrokosmos, der symbolisch und zugleich allegorisch die tragischen Ereignisse und Wirren einer gewalttätigen Epoche widerspiegelt.

Robert Wises in vielem eher kühler und realistisch angelegter Film kommt ohne Happy-End aus. Er erteilt Fanatismus, Rassismus, Kolonialismus, Nationalismus und überzogenem Patriotismus eine klare Absage, erweist sich als zeitloses Plädoyer für Menschlichkeit und Völkerverständigung. Ein nach wie vor mehr als nur sehenswertes Kinoepos, das in Rang und Ausstattung keinesfalls hinter berühmteren Filmen der Ära wie Lawrence von Arabien (1962) oder Doktor Schiwago (1965) zurücksteht; ein Film, dessen Aussage auch heutzutage genauso unverwässert und eindringlich herüberkommt und noch genauso aktuell ist wie vor nunmehr immerhin rund 36 Jahren. Wenn beispielsweise einer der — sich für staatenlos erklärten, ehedem amerikanischen (!) — Missionare dem zur Rettung vor Aufrührern angerückten Captain der San Pablo (Richard Crenna) im hitzig werdenden Dialog zuruft „Nieder mit eurer Flagge, nieder mit allen Flaggen …“, dann ist dies eine Aussage, die vom heutigen mitunter patriotisch-pathetisch-triefigen US-Kino nicht allein wohltuend absticht. Nein, mehr noch: die dort zur Zeit wohl kaum denkbar wäre …

Eingebettet in die Filmhandlung sind zwei eher dezente Love Stories, denen Jerry Goldsmith zwei herrliche, breit-melodische Themen zugeordnet hat. Der Affäre von Jake Holman mit der jungen amerikanischen Missionarin Shirley Eckert (Candice Bergen) ist das „Amerikanisch/europäische Love Theme“ und für die Liaison seines Freundes Frenchy Burgoyne mit der aus sozialer Not als Prostituierte arbeitenden Chinesin Maily (Marayat Andrianne) das „Chinesische Love Theme“ zugeordnet. Beides ist edles thematisches Material mit Ohrwurmqualität. Mit von diesen abgeleiteten melodischen Phrasen und Themenfragmenten wird im Verlauf der Musik eingehend und überaus geschickt umgegangen, wobei der Komponist sein großes Können in sinfonisch-dramatischer Gestaltung (einmal mehr) unter Beweis stellt.

Im Rahmen der eher kühlen und pessimistischen Filmhandlung erklingen beide Themen niemals in klangschwelgerisch üppiger Version, sondern vermitteln eher subtil ein Gefühl für die Beziehungen der Figuren untereinander. Eine Ausnahme davon bildet die Original-Film-Ouvertüre, in der nach effektvollem fanfarenartigen Auftakt das „Amerikanisch/europäische Love Theme“ in einer opulent-sinnlichen Version mit vollem Orchester erklingt. Hierzu bilden die fahlen und tristen Klänge des „Main Title“ stimmungsmäßig einen messerscharfen Kontrast. Wobei sich die Musik aus einem Zwei- und Vierton-Motiv — aus einem Oboen-Solo über exotischen Rhythmen heraus — effektvoll und markant dramatisch steigert. Nicht nur an dieser Stelle des Scores zeigt sich überaus eindrucksvoll, dass Goldsmith insgesamt mit eher sparsamen, ja, kammermusikalischen Mitteln arbeitet, also keineswegs vordergründig bombastische Klangwirkungen anstrebt.

Im Interesse eines durchsichtigen Klangbildes werden die Orchestergruppen sehr ökonomisch, aber trotzdem mit optimaler dramatischer Wirkung eingesetzt. Hier darf — neben seinen Erfahrungen bei zum Teil mit kleinsten Mitteln zumeist wirkungsvoll gestalteten TV-Scores und frühen Filmvertonungen wie Freud (1962) und Seven Days in May (1964) — wohl auch auf Einflüsse des Kollegen und späteren Freundes Alex North geschlossenen werden; dessen Musik, beispielsweise zu Cleopatra, eine ähnliche kammermusikalische Faktur aufweist. Und ebenfalls auf North dürfte das sehr originell eingesetzte Cembalo zurückzuführen sein. Dieses verleiht den in The Sand Pebbles erstmals perfekt mit dem abendländischen Sinfonieorchester verwobenen Sounds der ethnischen Instrumente einen zusätzlichen ungewohnt-markanten Touch. An dieser Stelle nur von sehr gut gearbeitetem exotischen Klangkolorit zu sprechen, trifft nicht den Punkt, vielmehr ist das Ethnische hier vollständig integrierter (und damit gleichwertiger) Teil eines sinfonisch durchdachten Gesamtklangkonzepts.

Auch im weiteren Verlauf zeigt der erstmals in voller Länge und chronologisch präsentierte Score keine Schwächen und erweist sich auch abseits der Filmbilder als packend kraftvolle Hörangelegenheit. Der dramatischen Wucht von Stücken wie „Death of a Thousand Cuts“, wo Goldsmith die emotionalen Nachwirkungen des von seinen fanatisierten Landsleuten grässlich zu Tode gefolterten chinesischen Kulis Po-han, Freund und Schüler Holmans, in ergreifende Töne gefasst hat und auch der ausdrucksstarken — nur knapp einminütigen (!) — Pausenmusik („Entr’acte“) kann man sich nicht entziehen. Ebenso verdient der erstmals im Original zugängliche rund 6-minütige Track „The Wedding“ Erwähnung: eine sanfte, zierliche, ja geradezu zerbrechliche Love-Musik, in der Goldsmith beide o. g. Liebesthemen verarbeitet.

Und ebenso packend-kraftvoll sind die (ebenfalls sparsam) modernistisch-harsch gestalteten Action-Passagen, die an Vergleichbares in Morituri (1965) anknüpfen und bereits die Musik zu Planet der Affen (1968) vorausahnen lassen. Die modernen militärischen Percussions verweisen dabei zugleich auf Späteres von Jerry Fielding, z. B. in The Wild Bunch (1969). Und am Schluss erklingen erneut die fahlen Klänge des Main-Title’s; nicht allein das Film-Drama kommt zum Ende, auch musikalisch schließt sich der Kreis.

Und noch etwas: Der Film gliedert sich in zwei etwa gleich lange Blöcke von etwa 90 Minuten. In der ersten Filmhälfte erklingen gerade einmal rund 24 der insgesamt knapp 71 Minuten Musik.

Trotz ihrer mitunter scharf-dissonanten Klänge und dem allgegenwärtigen hoch-dramatischen Gestus ist die Musik zu The Sand Pebbles auch für Goldsmith-Einsteiger ein geradezu perfektes Höralbum. Der Grund hierfür ist, dass die harschen Teile von dezent lyrischen Passagen benachbart sind, deren (wenn auch verhaltene) Wärme von den oben genannten beiden stilvollen Love Themes herrührt. Hier lässt der — entsprechend der Filmhandlung chronologische und vollständige — Musikschnitt eindeutig Goldsmith’ Meisterschaft als Dramaturg erkennen, zeigt, wie abwechslungsreich der Komponist mit besagten beiden Love Themes umgeht. Mitreißend gelingt es ihm durch scharfe Kontraste Spannung zu erzeugen — etwas, das der alte Plattenschnitt (infolge anderer Trackfolge und nur knapp halber Länge) zwangsläufig nicht zeigen konnte. Außerdem bietet die vorliegende CD-Version auch einige kleinere Musikteile, die im Film nicht verwendet worden sind. Das alles in durchweg hervorragender Soundqualität, der man das Alter der Tonmaster kaum anmerkt.

Als Zugaben gibt es zwei Tracks: Die von der alten LP-Ausgabe des Scores bekannte alternative Ouvertüre — die anstatt des „Amerikanisch/europäischen Love Themes“ das chinesische verwendet — sowie eine „Cover-Version“ des Chinesischen Love Themes. Bei Letzterer dürfte es sich wohl um die zur alternativen Ouvertüre passende Schlussmusik (Exit-Music) handeln. übrigens, die in der Road-Show-Version des Films als „Exit Music“ erklingende, mit dezentem Unterhaltungs-Touch versehene Version des Amerikanisch/europäischen Love Themes brachte es auch außerhalb des Films zu einiger Berühmtheit: Als Song „And We Were Lovers“ gibt es davon rund 20 unterschiedliche Cover-Versionen.

In der jetzt vorliegenden Komplett-Version ist das Varèse-Club-Album mit der Musik zu The Sand Pebbles nicht allein willkommener Ersatz für die alte nur rund 34-minütige LP-Ausgabe — die als CD nur in Europa in ordentlich editierter Form auf dem Tsunami-Label erschienen ist. Sie überflügelt auch eindeutig die von Jerry Goldsmith im Jahr 1997 mit dem Royal Scottish National Orchestra angefertigte Neueinspielung. Für dieses Urteil ist aber nicht so sehr das — im knapp 43-minütigen Album-Schnitt gegenüber der vollständigen Fassung — fehlende Musikmaterial entscheidend; vielmehr erweist sich die neue Einspielung überhaupt als merklich kraftloser und hat außerdem den Charakter einer gegenüber dem Original in Teilen geglätteten Konzertversion, bei der sich Goldsmith m. E. unter Preis verkauft. So fehlt z. B. das Cembalo und auch das Ethnische ist gegenüber dem Original deutlich abgeschwächt, wirkt hier wirklich nur noch als eher blasses Klangkolorit. Im Zusammenwirken mit einer trotz 20-Bit-Digital-Technik nicht optimalen Aufnahmetechnik — insbesondere die Bläser klingen teilweise arg weit entfernt und werden klanglich mitunter verdeckt — resultiert ein eher zwiespältiger Gesamteindruck, der den Griff nur vollständigen Club-Version des Scores trotz des hohen Preises leicht machen sollte.

Unterm Strich steht also musikalisch alles zum Besten. Ebenfalls sehr ordentlich geraten ist das recht informative und auch ansprechend bebilderte Booklet. Dass die analytischen Infos zur Musik gegenüber der Track-by-Track detailliert widergegebenen Filmstory etwas zu kurz kommen, ist ein kleiner Mangel bei einem Booklet auf hohem Niveau.

Wer nur einen Funken Sinn für sinfonisch-dramatische Filmmusik hat, der dürfte hier zumindest sehr zufrieden sein. Goldsmith’ Filmmusik zu The Sand Pebbles gehört nicht nur zum Besten im Œuvre des Komponisten, sondern zweifellos ebenso zum Eindrucksvollsten, was das Kino musikalisch überhaupt zu bieten hat. In Sachen Wiederveröffentlichung neu editierter bedeutender älterer Scores gebührt dem Album im laufenden Jahr 2002 zweifellos ebenfalls ein Spitzenplatz.

Zum Abschluss noch eine bezeichnende Kuriosität: The Sand Pebbles verloren das Rennen um den Oscar gegen Born Free von John Barry! Eine nicht nachvollziehbare Entscheidung der Academy, die einmal mehr zeigt, wie wenig ausgefeilte sinfonische Standards in jenen von der Popmusik dominierten Tagen bedeuteten …


Mehrteilige Rezension:

Folgende Beiträge gehören ebenfalls dazu:


Originaltitel:
Kanonenboot am Yangtse-Kiang

Erschienen:
2002
Gesamtspielzeit:
76:43 Minuten
Sampler:
Varèse Club

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